Verwaltungsrecht

Zum grob fahrlässigen Unterlassen der Mitteilung von Einkommensveränderungen bei der Bewilligung von Wohngeld

Aktenzeichen  12 ZB 17.2067

Datum:
13.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 9755
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 45

 

Leitsatz

1 Das Verschweigen bestimmter Umstände wird als unrichtige Angabe iSv § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X angesehen, soweit nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I eine Mitteilungspflicht bestand, weil die entsprechenden Umstände für die Bewilligung der in Rede stehenden Leistung erheblich waren. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache entlasten den Betroffenen nicht vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, wenn er einen Antrag oder ein Formular ohne jede Nachprüfung gewissermaßen „blind“ unterschreibt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 8 K 17.998 2017-08-21 Ent VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 1.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Der Kläger, ausländischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Rückforderung von Wohngeld.
1. Mit zwei Bescheiden vom 11. Januar 2017 nahm der Beklagte gegenüber dem Kläger die Wohngeldbewilligung für die Zeiträume 1. Januar 2016 bis 31. Juli 2016 und 1. August 2016 bis 30. September 2016 zurück und forderte die Erstattung des überzahlten Betrages. Der Kläger habe von seiner Ehefrau erzieltes Arbeitseinkommen, das sich auf die Wohngeldbewilligung auswirke, gegenüber dem Beklagten nicht angegeben. Den gegen diese Bescheide erhobenen Widerspruch wies die Regierung von Unterfranken mit Bescheid vom 21. April 2017 als unbegründet zurück. Ebenso blieb die erhobene Klage erfolglos. Das Verwaltungsgericht sah die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Wohngeldbewilligung nach § 45 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als gegeben an. Insbesondere könne sich der Kläger nicht auf Vertrauensschutz berufen, da die Wohngeldbewilligung i.S.v. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auf Angaben beruhe, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Er sei in den entsprechenden Wohngeldanträgen wie auch in den Bewilligungsbescheiden mehrfach auf seine wohngeldrechtlichen Verpflichtungen, wozu auch die Mitteilung über geänderte Einkommensverhältnisse rechne, hingewiesen worden. Die Kenntnisnahme der einschlägigen Belehrungen habe er jeweils unterschriftlich bestätigt. Soweit er sich nunmehr auf Sprachschwierigkeiten bzw. falsche Vorstellungen über die Mitteilungswege zwischen Behörden berufe, könne er damit nicht durchdringen. Hätten Sprachschwierigkeiten dazu geführt, dass er den Inhalt der Belehrungen nicht hinreichend habe erfassen können, gehe dies zu seinen Lasten. Denn in diesem Fall müsse er sich vor einer Unterschriftsleistung ggf. des Beistands sprachkundiger Dritter bedienen. Somit erweise es sich als zumindest grob fahrlässig, wenn der Kläger der Wohngeldstelle die erforderlichen Mitteilungen nicht gemacht habe.
Auch bestehe ab 1. Januar 2016 zutreffend kein Wohngeldanspruch mehr. Soweit der Kläger im gerichtlichen Verfahren weitere Einkommensbelastungen vortragen lasse, könne er damit nicht mehr gehört werden, da insoweit maßgeblich die Kenntnis der Behörde im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts sei. Im Ergebnis ergäbe sich jedoch selbst bei Unterstellung des Vorliegens der behaupteten Belastungen ab 1. Januar 2016 kein Wohngeldanspruch mehr. Überdies habe der Beklagte die behaupteten Belastungen teilweise sogar widerlegt. Die Rücknahme der Bewilligungsbescheide ab 1. Januar 2016 ziehe nach § 50 Abs. 1 SGB X die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Wohngelds nach sich.
Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, mit dem sein Bevollmächtigter ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sowie Verfahrensfehler i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend macht. Der Beklagte tritt dem Zulassungsantrag entgegen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da Berufungszulassungsgründe – sofern überhaupt den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt – nicht vorliegen.
2.1 Die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts Regensburg ist nicht i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ernstlich zweifelhaft.
2.1.1 Dies gilt zunächst, soweit der Bevollmächtigte des Klägers darauf verweist, die angefochtenen Bescheide seien bereits aufgrund des „Rückwirkungsverbots“ unwirksam, da die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG lediglich bis zu dem Zeitpunkt Wirkung entfalte, in dem er erlassen und wirksam geworden sei. Insoweit verweist der Beklagte zutreffend darauf, dass Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Wohngeldbewilligungsbescheide des Klägers § 45 Abs. 1 SGB X ist, der die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts auch für die Vergangenheit ermöglicht.
2.1.2 Dem Kläger kommt im vorliegenden Fall, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, auch kein Vertrauensschutz zu, da zu seinen Lasten § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X eingreift. Danach kann sich der durch einen Verwaltungsakt Begünstigte im Falle von dessen Rücknahme nicht auf Vertrauensschutz berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Das Verschweigen bestimmter Umstände – im vorliegenden Fall der Einkünfte der Ehefrau im maßgeblichen Zeitraum – wird als unrichtige Angabe angesehen, soweit nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) eine Mitteilungspflicht bestand, weil die entsprechenden Umstände für die Bewilligung der in Rede stehenden Leistung erheblich waren (vgl. hierzu m.w.N. Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 45 Rn. 49). Grob fahrlässig verletzt seine Mitwirkungspflicht nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. HS SGB X, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht lässt, d.h. wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (vgl. hierzu m.w.N. Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 45 Rn. 52). Zwar vermögen unzureichende Kenntnisse der deutschen Sprache vom Grundsatz her den Betroffenen aufgrund des anzulegenden subjektiven Sorgfaltsmaßstabs zu entlasten. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn er einen Antrag oder ein Formular ohne jede Nachprüfung gewissermaßen „blind“ unterschreibt. Insoweit obliegt es dem Betroffenen, sich durch Hinzuziehung einer hinreichend sprachkundigen Person über den Inhalt beispielsweise einer Belehrung über die zu beachtenden Mitteilungspflichten im Wohngeldverfahren Gewissheit zu verschaffen (vgl. hierzu BSG, U.v. 1 7.2010 – B 13 R 77/09 R – BeckRS 2010, 72717 Rn. 33). Tut der Betroffene dies nicht, handelt er grob fahrlässig. Von daher kann den Kläger sein Vortrag, er habe infolge von Sprachschwierigkeiten die Belehrung über die ihn treffenden Mitteilungspflichten nicht verstanden, nicht vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entlasten.
Hinzu kommt, dass der Kläger entsprechende Sprachschwierigkeiten lediglich behauptet, hingegen nicht näher belegt hat. Zweifel an seinen fehlenden Sprachkenntnissen bestehen schon deshalb, weil er zwar in der Lage war, das Antragsformular für Wohngeld auszufüllen, jedoch lediglich die Information über seine nachgelagerten Mitwirkungspflichten nicht verstanden haben will.
Auch das weitere Vorbringen des Klägers, er habe seinen Mitwirkungspflichten aufgrund eines „Irrtums über die Mitteilungswege zwischen den Behörden“ nicht genügt, vermag ihn vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht zu entlasten. Denn zum einen erweist sich der Vortrag eines Irrtums über Behördenmitteilungswege bereits als viel zu allgemein und unsubstantiiert. Zum anderen liegt der Fahrlässigkeitsvorwurf auch diesbezüglich beim „blinden“ Unterschreiben des Belehrungsformulars. Denn dieses weist ausdrücklich auf die Pflicht des Leistungsempfängers selbst hin, Veränderungen im Einkommen bei der Wohngeldbehörde anzuzeigen. Hätte der Kläger diese Belehrung zur Kenntnis genommen, hätte ihm klar sein müssen, dass hier Mitteilungen zwischen Behörden keinerlei Rolle spielen. Von daher kann das Vorbringen im Berufungszulassungsverfahren den Ausschluss des Vertrauensschutzes nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht widerlegen.
2.1.3 Als unzutreffend erweist sich ferner die Auffassung des Klägerbevollmächtigten, dass einem sprachunkundigen Ausländer Bescheide grundsätzlich in die jeweilige Landessprache zu übersetzen seien. Inwieweit der Umstand, dass der Kläger Anhörungsschreiben und Rechtsbehelfsbelehrung:en nicht verstanden haben will, zur Unrichtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung führen soll, ergibt sich aus der Zulassungsbegründung ebenfalls nicht. Dass der Kläger weder im Widerspruchs- noch im Klageverfahren Belege vorgelegt bzw. Angaben zu seiner Entlastung gemacht hat, ließe sich schon deshalb nicht mit angeblichen Sprachschwierigkeiten entschuldigen, weil er zu diesem Zeitpunkt von einem der deutschen Sprache mächtigen Prozessbevollmächtigten vertreten war.
2.1.4 Soweit der Kläger die Berechnung des Wohngeldanspruchs und die Höhe der geforderten Rückzahlung bestreitet, kann er damit die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht erwirken. Der Beklagte hat sowohl im Klageverfahren wie auch im Berufungszulassungsverfahren eine entsprechende Berechnung vorgelegt, aus der sich unter Einbeziehung auch der vom Kläger geltend gemachten Kinderbetreuungskosten kein Anspruch auf Wohngeld ergibt. Dem ist der Kläger in keiner Weise substantiiert entgegengetreten. Auch der weitere Vortrag, ihm sei Wohngeld lediglich bis Mai 2016 gezahlt worden, berücksichtigt nicht, dass der Beklagte Wohngeldansprüche des Klägers mit Überzahlungen aus der Vergangenheit aufgerechnet hat, wie sich aus den jeweiligen Festsetzungsbescheiden ergibt. Hiermit setzt sich der Kläger ebenfalls nicht auseinander. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung resultieren aus dem Zulassungsvorbringen daher nicht.
2.1.5 Als unbehelflich erweist sich ferner die „vollumfängliche Bezugnahme“ auf die Klagebegründung vom 14. Juni 2017 zur Darlegung der Zulassungsgründe. Derartig allgemeine Bezugnahmen ersetzen weder die Durchdringung des Streitstoffs noch die geforderte Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 59; BayVGH, B.v. 2.6.2016 – 9 ZB 13.1905 – BeckRS 2016, 47791). Es ist nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, sich aus einem allgemein in Bezug genommenen Schriftsatz diejenigen Aspekte herauszusuchen, die möglicherweise ein taugliches Zulassungsvorbringen beinhalten.
2.2 Der von der Bevollmächtigten des Klägers „vorsorglich“ gerügte Verfahrensmangel i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt nicht vor. Entgegen dem Vorbringen in der Zulassungsbegründung hat das Verwaltungsgericht die vom Kläger geltend gemachten „Kinderbetreuungskosten“ bei der Klageabweisung berücksichtigt. Zunächst referiert der Tatbestand des angefochtenen Urteils (Umdruck S. 3) die vom Kläger geltend gemachten „Kinderbetreuungskosten von 1.303,00 €“. Weiter wird in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Beklagtenvertreter habe in der mündlichen Verhandlung, zu der der Kläger nicht erschienen sei, zu den behaupteten Belastungen ausführliche Berechnungen vorgelegt und erläutert, aus denen sich ergeben habe, dass selbst bei Unterstellung des Vorliegens der Belastungen sich kein Wohngeldanspruch des Klägers errechne. Dies lässt sich im Übrigen auch aus der der Antragserwiderung des Beklagten beigefügten Berechnung ablesen. Ein Verfahrensfehler ist mithin nicht ersichtlich.
2.3 Soweit der Klägerbevollmächtigte schließlich im Rahmen des Zulassungsverfahrens einen Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 29. Dezember 2017 über die Einstellung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen den Kläger nach dem Wohngeldgesetz vorlegt, wird nicht ersichtlich, inwieweit sich daraus Berufungszulassungsgründe ableiten lassen sollen.
Der Zulassungsantrag war daher insgesamt abzulehnen.
3. Der Kläger trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Streitwert bestimmt sich nach §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 GKG. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das verwaltungsgerichtliche Urteil nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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