Verwaltungsrecht

Zur Darlegung der geltend gemachten Berufungszulassungsgründe bei mehreren voneinander unabhängigen, jeweils tragenden Begründungen des angegriffenen Urteils

Aktenzeichen  14 ZB 20.121

Datum:
29.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 20919
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Ist ein Urteil auf mehrere voneinander unabhängige Begründungen gestützt, die den Entscheidungsausspruch jeweils selbstständig tragen, so ist die Berufung nur dann zuzulassen, wenn hinsichtlich jeder einzelnen verwaltungsgerichtlichen Begründung ein Zulassungsgrund dargelegt ist und vorliegt. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 19.55 2019-12-05 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.512,08 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sind nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt.
1. Das Verwaltungsgericht hat die Klage, die (bestandskräftig) festgesetzten Versorgungsbezüge des Klägers unter Berücksichtigung der Ausbildungszeiten neu festzusetzen, die er vor Vollendung seines 17. Lebensjahres verbracht hat, als unbegründet abgewiesen. Dabei hat es sich auf zwei voneinander unabhängige Begründungen gestützt. In einem ersten Begründungsstrang (UA Rn. 21-25) hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass das Klagebegehren an § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG i.d.F.v. 15. März 2012 (a.F.) scheitere, weil diese Norm nur die Berücksichtigung nach Vollendung des 17. Lebensjahres verbrachter Ausbildungszeiten ermögliche. Diese Einschränkung hat das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme (UA Rn. 25) auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Ansbach (VG Ansbach, U.v. 12.9.2019 – AN 16 K 17.02720 – juris) für eine nach Art. 6 Abs. 2 der RL 2000/78/EG gerechtfertigte Altersdiskriminierung gehalten (UA Rn. 25) und hat damit bereits die Rechtswidrigkeit der Versorgungsfestsetzungsbescheide vom 13. Dezember 2010 bzw. 1. Februar 2011 als Voraussetzung einer Neufestsetzung verneint. In einer zweiten, von der ersten Begründung unabhängigen Begründungslinie (UA Rn. 26-28) hat das Verwaltungsgericht die Klageabweisung auch auf die durch die besagten Bescheide bestandskräftig abgeschlossene Festsetzung der Versorgungsbezüge mangels Vorliegens eines Wiederaufgreifensanspruchs gestützt, wobei es die Frage der Unionsrechtswidrigkeit offengelassen hat (UA Rn. 27). Dabei hat es die Voraussetzungen für eine Reduzierung des der Behörde nach § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. § 48 Abs. 1 VwVfG eingeräumten Rücknahmeermessens auf Null insbesondere deshalb als nicht gegeben angesehen, weil es die Aufrechterhaltung der Versorgungsfestsetzungsbescheide vom 13. Dezember 2010 bzw. 1. Februar 2011 nicht für schlechthin unerträglich gehalten hat (UA Rn. 27).
2. Ist – wie hier (siehe 1.) – ein Urteil auf mehrere voneinander unabhängige Begründungen gestützt, die den Entscheidungsausspruch jeweils selbstständig tragen, so ist die Berufung nur dann zuzulassen, wenn hinsichtlich jeder einzelnen verwaltungsgerichtlichen Begründung ein Zulassungsgrund dargelegt ist und vorliegt (vgl. BVerwG, B.v. 24.8.2016 – 9 B 54.15 – NVwZ 2017, 568 Rn. 9 m.w.N.).
Davon ausgehend scheitert eine Berufungszulassung daran, dass das klägerische Vorbringen im Berufungszulassungsverfahren zwar gegen das angegriffene Urteil eine Unionsrechtswidrigkeit des § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F. einwendet, jedoch entgegen § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht ansatzweise auf die besagte (siehe 1.), selbstständig tragende zweite Begründung des Verwaltungsgerichts (Bestandskraft der Bescheide vom 13.12.2010 und 1.2.2011 und Fehlen eines Wiederaufgreifensanspruchs) eingeht. Das wirkt sich nicht nur auf den Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel aus, sondern führt mangels Darlegung der Entscheidungserheblichkeit auch zur Nichtzulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung, wobei eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung unabhängig davon auch daran scheitert, dass es sich bei § 12 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG a.F. um ausgelaufenes Recht handelt (vgl. BVerwG, B.v. 1.3.2021 – 2 B 55.20 – juris Rn. 7 ff.).
Eine § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Auseinandersetzung mit dieser zweiten, selbstständig tragenden Begründung des Verwaltungsgerichts ist insbesondere nicht in den klägerseits im Berufungszulassungsverfahren erfolgten Verweisen auf Entscheidungen anderer Gerichte (Antragsbegründung vom 5.2.2020, S. 3 dritter und letzter Absatz, S. 4; Antragsbegründung vom 2.10.2020 und vom 5.7.2020) zu sehen. Denn soweit auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes (VG des Saarlandes, U.v. 8.3.2018 – 2 K 455/17 – juris), ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH BW, U.v. 17.12.2015 – 4 S 1211/14 – juris), die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Lesar (EuGH, U.v. 16.6.2016 – C-159/15 – NVwZ 2016, 1699), die Urteile des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (OVG Saarl, U.v. 17.4.2020 – 1 A 135/18 – juris), des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (NdsOVG, U.v. 14.7.2020 – 5 LC 133/18 – juris) sowie einen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 1.3.2021 – 2 B 55.10 [richtig: 2 B 55.20] – juris) verwiesen wird, betreffen diese Verweise die Konstellation des Wiederaufgreifens eines bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens zur Festsetzung von Versorgungsbezügen gerade nicht, weil diese vom klägerischen Vorbringen in Bezug genommenen Judikate jeweils nicht zu Wiederaufgreifenskonstellationen, sondern zu „offenen“, also nicht bestandskräftig abgeschlossenen Versorgungsfestsetzungsfällen ergangen sind.
Auch der Verweis auf erstinstanzliches klägerisches Vorbringen, „insbesondere die Schriftsätze vom 30. April 2019, 25. September 2019 und 9. Dezember 2018“, den die Antragsbegründung vom 5. Februar 2020 (dort S. 2 letzter Absatz bis S. 3 erster Absatz) enthält, ist nicht als eine § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Auseinandersetzung mit dem zweiten, selbständig tragenden verwaltungsgerichtlichen Begründung anzusehen. Denn aus diesem pauschalen Verweis auf erstinstanzliches klägerisches Vorbringen wird schon weder deutlich, auf welches genaue Vorbringen er sich beziehen soll, noch stellt er als solcher eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Argumentation des angegriffenen Urteils dar (vgl. BayVGH, B.v. 7.8.2018 – 22 ZB 18.1422 – juris Rn. 10). Unabhängig davon genügt dieser klägerische Verweis auf erstinstanzliches Vorbringen § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO auch deshalb nicht, weil die damit in Bezug genommenen erstinstanzlichen Schriftsätze ihrerseits die vorliegende Konstellation des Wiederaufgreifens eines bestandskräftig abgeschlossenen Versorgungsfestsetzungsverfahrens nicht thematisieren, wobei in den verwaltungsgerichtlichen Akten auch kein klägerischer Schriftsatz vom 9. Dezember 2018 zu finden ist.
3. Darlegungen zum zweiten Begründungsstrang des Verwaltungsgerichts (Bestandskraft, fehlender Korrekturanspruch) waren hier auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil auf der Hand liegen würde, dass diese verwaltungsgerichtlichen Erwägungen ernstlich zweifelhaft wären. Vielmehr ist es so, dass auch das Unionsrecht den Grundsatz der Rechtssicherheit kennt und grundsätzlich nicht verlangt, dass eine Verwaltungsbehörde verpflichtet ist, eine Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, die nach Ablauf angemessener Fristen oder durch Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftig geworden ist (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 18.19 – BVerwGE 169, 318 Rn. 55 m.w.N. aus der EuGH-Rechtsprechung unter Verwendung des auch vom Verwaltungsgericht genutzten Kriteriums „schlechthin unerträglich“).
4. Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger, der dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt hat (§ 154 Abs. 2 VwGO). Der Streitwert des Berufungszulassungsverfahrens bestimmt sich nach §§ 47, 42 GKG (mangels anderer Anhaltspunkte wie Vorinstanz). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, hinsichtlich des Streitwertbeschlusses nach § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, unanfechtbar.


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