Verwaltungsrecht

Zur kompetenzwidrigen Aufstellung eines Bebauungsplans durch den Bauausschuss

Aktenzeichen  1 ZB 18.538

Datum:
12.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 32717
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayGO Art. 36, Art. 37, Art. 59 Abs. 2
BauGB § 14
BayBO Art. 71

 

Leitsatz

Beschließt der Gemeinderat oder ein beschließender Ausschuss in einem Bereich, der in die Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters fällt und vollzieht der Bürgermeister diesen zunächst kompetenz- und damit rechtswidrigen Beschluss, so macht er ihn sich zu Eigen und der Beschluss wird ihm zugerechnet. Der ursprüngliche Fehler des kompetenzwidrig gefassten Beschlusses wird dann durch die Bekanntmachungsverfügung des Bürgermeisters und die anschließend erfolgte Bekanntmachung unbeachtlich. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.4767 2017-09-21 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 21. September 2017 wird der Streitwert für das Klage- und Zulassungsverfahren auf je 40.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung eines Wohn- und Geschäftsgebäudes mit Tiefgarage unter Abbruch der bestehenden Gebäude auf den Grundstücken FlNr. … und …, Gemarkung S* …
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26. September 2016 die Erteilung eines Vorbescheids hinsichtlich der Fragen 1 bis 3 und 5, die sich auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beziehen, im Hinblick auf die zwischenzeitlich erlassene Veränderungssperre der Beigeladenen ab. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Veränderungssperre stehe einer positiven Bescheidung der Vorbescheidsfragen entgegen. Die Veränderungssperre sei wirksam. Es sei unschädlich, dass entgegen der Geschäftsordnung der Beigeladenen der Bauausschuss anstelle der ersten Bürgermeisterin den Aufstellungsbeschluss gefasst habe, da der Fehler dadurch geheilt worden sei, dass die erste Bürgermeisterin die Ziele der Planung nachfolgend ergänzt, diese Ergänzung im Amtsblatt bekanntgemacht und sich dadurch den Beschluss des Ausschusses zu Eigen gemacht habe.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor bzw. werden nicht dargelegt.
1. Für die Frage, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen, ist vorliegend nur zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass dem Vorbescheid die am 20. Juli 2016 bekanntgemachte Veränderungssperre entgegensteht. Die am 20. Februar 2019 bekanntgemachte Aufhebung der Veränderungssperre hat keine Auswirkungen auf das Zulassungsverfahren. Denn im Berufungszulassungsverfahren können regelmäßig nur die (neuen) Tatsachen und Rechtsänderungen berücksichtigt werden, die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemacht werden. Ist erst nach Ablauf dieser Frist eine Sach- oder Rechtsänderung – hier das Außerkrafttreten der Veränderungssperre – eingetreten, kann der Kläger nicht mit Blick auf diese Änderung erstmals neue Zulassungsgründe geltend machen (vgl. BVerwG, B.v. 15.12.2003 – 7 AV 2.03 – NVwZ 2004, 744; OVG LSA, B.v. 16.5.2019 – 4 L 115/18 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 7.5.2019 – 3 ZB 17.2542 – juris Rn. 22; OVG NW, B.v. 15.1.2018 – 2 A 2747/15 – BauR 2018, 976; OVG MV, B.v. 11.11.2014 – 1 L 55/10 – juris Rn. 19; NdsOVG, B.v. 11.11.2009 – 8 LA 16/09; OVG Berlin-Bbg, B.v. 21.5.2008 – OVG 9 N 1.08 – juris Rn. 5). Weder der dem Berufungszulassungsverfahren auch beigemessene Zweck, eine nach materiellem Recht richtige Entscheidung herbeizuführen, noch Gründe der Prozessökonomie gebieten es, über diesen Zeitpunkt hinaus Veränderungen der Sach- und Rechtslage im Zulassungsverfahren zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2020 – 1 ZB 19.189 – juris Rn. 11; B.v. 22.10.2015 – 22 ZB 15.1584 – BayVBl 2016, 353). Ob von diesem Grundsatz Ausnahmen zulässig sind (vgl. für den Fall, dass durch eine Rechtsänderung Richtigkeitszweifel ausgeräumt werden BayVGH, B.v. 10.5.2005 – 1 ZB 04.1079 – juris Rn. 19) ist vorliegend nicht zu entscheiden, da ein solcher Ausnahmefall nicht vorliegt. Es handelt sich auch um keine besondere Verfahrenssituation, da Veränderungssperren immer zeitlich begrenzt sind. Es kann ein neuer ein Antrag auf Vorbescheid gestellt bzw. das Verfahren kann wieder aufgegriffen werden.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Das Zulassungsvorbringen vermag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts zur Wirksamkeit der Veränderungssperre aufzuzeigen. Zwar wurde die Aufstellung eines Bebauungsplans abweichend von der damals geltenden Geschäftsordnung durch den Bauausschuss anstelle der ersten Bürgermeisterin beschlossen. Dies führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit des Aufstellungsbeschlusses. Fasst der Gemeinderat oder einer seiner beschließenden Ausschüsse in einer Angelegenheit, die zur Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters gehört, einen Beschluss, so ist dieser Beschluss zwar zunächst formell rechtswidrig, aber wirksam (vgl. Glaser in: Widtmann/Grasser/Glaser, GO, Februar 2020, Art. 29 Rn. 24, Art. 37 Rn. 2). Gemeinderatsbeschlüsse bzw. Beschlüsse seiner beschließenden Ausschüsse müssen entweder vollzogen (Art. 36 GO) oder im Beanstandungsverfahren beseitigt werden, wozu der erste Bürgermeister verpflichtet wäre (Art. 59 Abs. 2 GO). Unterlässt der erste Bürgermeister eine Beanstandung, so ist er zum Vollzug verpflichtet (vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, GO, a.a.O.). Beschließt der Gemeinderat oder ein beschließender Ausschuss in einem Bereich, der in die Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters fällt und vollzieht der Bürgermeister diesen zunächst kompetenz- und damit rechtswidrigen Beschluss, so macht er ihn sich zu Eigen (BayVGH, B.v. 28.10.2019 – 14 ZB 18.2060 – BayVBl. 2020, 236; Kriegl in BeckOK KomunnalR Bayern, Juli 2020, Art. 36 Rn 5; Widtmann/Grasser/Glaser, GO, a.a.O.) und der Beschluss wird ihm zugerechnet. Der ursprüngliche Fehler des kompetenzwidrig gefassten Aufstellungsbeschlusses ist daher bereits durch die Bekanntmachungsverfügung der ersten Bürgermeisterin vom 17. Juli 2015 und der anschließend erfolgten Bekanntmachung, die als Vollzug des Aufstellungsbeschlusses anzusehen sind, unbeachtlich geworden. Das im Zulassungsvorbringen zitierte Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 15. März 2004 (22 B 03.1362 – BayVBl. 2004, 494) betrifft die Auswirkungen eines Beschlusses eines in der Gemeindeordnung nicht vorgesehenen Organs (Volksfestbeirat) und den sich hieraus resultierenden Fehlerfolgen für einen Verwaltungsakt. Zu der Frage, welche Rechtsfolgen die Verletzung der Geschäftsordnung eines Gemeinderats für Verfahrensakte im Normsetzungsverfahren hat, verhält es sich nicht.
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen können ohne Weiteres anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung bereits im Zulassungsverfahren geklärt werden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an Nr. 9.1.1.3 und 9.1.2.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013). Der Senat legt hierfür zugrunde, dass nach den Plänen zum Vorbescheidsantrag im ersten und zweiten Obergeschoss sowie im Dachgeschoss jeweils mindestens eine Wohneinheit ermöglicht werden kann und im Erdgeschoss eine gewerbliche Fläche von rund 130 m² geplant ist. Gegenstand des Vorbescheids ist die Klärung wesentlicher bauplanungsrechtlicher Fragen zur Zulässigkeit des Bauvorhabens, so dass eine Reduzierung des Streitwerts nach Nr. 9.2 des Streitwertkatalogs auf einen Bruchteil des sich aus Nr. 9.1.1.3 und 9.1.2.6 ergebenden Streitwerts nicht angezeigt ist. Die Abänderungsbefugnis für die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 GKG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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