Verwaltungsrecht

Zur Rechtmäßigkeit eines Rücküberstellungsverfahrens nach der Dublin-III-Verordnung

Aktenzeichen  12 T 147/18

Datum:
14.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46085
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Deggendorf
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG § 63 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4
Dublin-III-VO Art. 25 Abs. 1, Abs. 2, Art. 29 Abs. 1
AufenthG § 2 Abs. 15, § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Nr. 3, § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Bei der Berechnung der Übernahmefrist nach Art. 25 Abs. 1 S. 2 Dublin-III-VO wird sich der Rechtsprechung des BVerwG im Beschluss vom 27.4.2016, 1 C 22.15 angeschlossen. (Rn. 15 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fluchtgefahr i.S.d. Art. 28 Abs. 2, Abs. 3 der Dublin-III-VO ist gegeben, wenn der Betroffene bei dem ihm mitgeteilten Termin für die Überstellung nicht an dem von der Behörde angegebenen Ort anzutreffen ist. (Rn. 23 – 34) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

408 XIV 726/18 B 2018-11-05 Bes AGDEGGENDORF AG Deggendorf

Tenor

1. Der Antrag des Betroffenen vom 09.11.2018 auf Feststellung, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts Deggendorf vom 05.11.2018, Az. 408 XIV 726/18 B, in seinen Rechten verletzt hat, wird zurückgewiesen.
2. Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
Das Amtsgericht Deggendorf ordnete mit Beschluss vom 05.11.2018 Haft zur Sicherung der Rücküberstellung für die Dauer von 6 Wochen an.
Hiergegen legte der Betroffene mit Schreiben vom 09.11.2018 Beschwerde ein und beantragte auch festzustellen, dass der angefochtene Beschluss ihn in seinen Rechten verletzt habe.
Mit Schreiben vom 26.11.2018 beantragte die Regierung von N. -, die Haft aufzuheben und teilte mit, dass dem Betroffenen internationaler Schutz in Italien gewährt worden sei.
Das Landgericht Deggendorf hob darauf hin mit Beschluss vom 27.11.2018 den Beschluss des Amtsgerichts Deggendorf auf. Eine Entscheidung über den gestellten Feststellungsantrag wurde aufgrund der Eilbedürftigkeit der Entscheidung noch nicht getroffen.
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Haftbeschluss des Amtsgerichts Deggendorf verletzte den Betroffenen nicht in seinen Rechten.
1. Die Beschwerde ist mit dem gestellten Feststellungsantrag, der auch nach Haftentlassung ausdrücklich aufrechterhalten wurde, nach § 63 Abs. 1, II Nr. 1 FamFG zulässig.
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
a. Die Durchführung des Verfahrens zur Rücküberstellung nach der Dublin-III-VO war im vorliegenden Fall zulässig.
Mit Bescheid des BAMF vom 12.04.2018 (Bl. 71) wurde der Asylantrag des Betroffenen als unzulässig abgelehnt und festgestellt, dass Italien für die Behandlung des Asylantrags zuständig ist.
Der Betroffene hatte in seiner Anhörung vom 05.04.2018 (Bl. 90 ff.) selbst angegeben, dass er von Italien nach Deutschland gereist sei. Desweiteren gab der Betroffene an, dass er die ganze Zeit in Italien keine Papiere gehabt habe. Hieraus ergibt sich insbesondere in Zusammenschau mit der bestandskräftigen Feststellung im BAMF-Bescheid vom 12.04.2018 bzgl. des Vorliegens von EURODAC-Treffern ohne jeden vernünftigen Zweifel, dass der Betroffene Italien vor Abschluss eines Asylverfahrens verlassen hat.
Soweit nach den Mitteilungen der Regierung von Niederbayern vom 10.01.2019 dem Betroffenen B. in Italien unter dem Aliasnamen B.2 Flüchtlingsschutz gewährt worden ist, ist festzuhalten, dass der Betroffene dies zu keinem Zeitpunkt offenbart hat und dies den Behörden auch nicht bekannt war. Der Betroffene hatte bei seiner Erstbefragung am 14.03.2018 angegeben, in Italien von der Polizei kontrolliert worden zu sein und dort Asylantrag gestellt zu haben, und dass dieser abgelehnt worden sei, was sich zwischenzeitlich als falsch herausgestellt hat.
Die Tatsache, dass der Betroffene diese Tatsachen zumindest verschwiegen oder möglicherweise sogar bewusst falsch angegeben hat, kann jedoch nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden und führt nicht zur Unzulässigkeit des Rücküberstellungsverfahrens. Das Tätigen von Falschangaben kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.
b. Der Betroffene war am 12.10.2018 auch untergetaucht, da er bei dem angekündigten Überstellungsversuch von 05.55 Uhr bis 06.20 Uhr nicht auf seinem Zimmer anzutreffen war, auch nicht auf dem WC oder in den Duschräumen (polizeilicher Aktenvermerk Bl. 44). Seine anderweitigen Behauptungen sind aufgrund seiner dokumentierten Abwesenheit nicht nachvollziehbar.
c. Die sechsmonatige Überstellungsfrist war am 12.10.2018 auch noch nicht abgelaufen, vielmehr endete die Frist erst mit Ablauf dieses Tages.
Insoweit vermag sich das Landgericht der Fristberechnung des VG Regensburg nicht anzuschließen.
Im vorliegenden Fall wurde am 28.03.2018 ein Übernahmeersuchen an Italien gerichtet. Die zweiwöchige Frist des Art. 25 Abs. 1 S. 2 Dublin-III-VO endete daher mit Ablauf des 11.04.2018. Die sechsmonatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO begann daher gemäß Art. 42 a) Dublin-III-VO am 12.04.2018 und endete zunächst (vor der noch erfolgten Verlängerung) am 12.10.2018 gemäß Art. 42 b) Dublin-III-VO.
Insoweit schließt sich das Landgericht hinsichtlich der Fristberechnung der Ansicht des BVerwG (Beschluss vom 27.04.2016, Az. 1 C 22.15 Rn. 22) an. Im dortigen Fall wurde am 11.11.2014 ein Übernahmeersuchen an Italien gerichtet, so dass die Frist Art. 25 Abs. 1 S.2 Dublin-III-VO am 25.11.2018 endete. Das BVerwG führt in seinem Beschluss aus: „Deshalb begann die Überstellungsfrist im vorliegenden Fall zunächst am 26.11.2014 mit der gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO nach Ablauf von zwei Wochen fingierten Annahme des fristgemäß gestellten Wiederaufnahmeersuchens nach Italien.“
Dieser Ansicht und Fristberechnung schließt sich das Landgericht Deggendorf an, demzufolge begann die Überstellungsfrist im hier vorliegenden Fall am 12.04.2018 zu laufen und endete zunächst mit Ablauf des 12.10.2018.
d. Die Überstellungsfrist war gemäß Faxmitteilung des BAMF vom 12.10.2018, mithin noch vor Fristablauf und damit rechtzeitig, bis zum 12.10.2019 verlängert worden. Dies ergab sich aus dem Antrag der zuständigen Ausländerbehörde, die entsprechende Mitteilung des BAMF lag dem Amtsgericht auch vor (Bl. 136).
e. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts lag auch ein ausreichender Haftgrund und Fluchtgefahr vor.
Das Bestehen der Fluchtgefahr hat das Amtsgericht zutreffend festgestellt und unter anderem damit begründet, dass der Betroffene bei dem ihm mitgeteilten Überstellungstermin vom 12.10.2018 nicht in der ihm zugeteilten Unterkunft auffindbar war und dass er in der Zeit vom 12.10.2018 bis 05.11.2018 untergetaucht war.
(1) Art. 2 n) Dublin-III-VO 
Zwar kann die Anordnung von Haft zur Sicherung der Rücküberstellung im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-Verordnung) nicht unmittelbar auf § 62 Abs. 3 AufenthG gestützt werden. Einschlägige Rechtsgrundlage ist vielmehr § 2 Abs. 14 Nr. 1 iVm Abs. 15 S. 1 AufenthG (BGH Beschluss vom 20.7.2017 – V ZB 50/17, BeckRS 2017, 123742, beck-online).
Fluchtgefahr ist nach Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Der deutsche Gesetzgeber hat in § 2 Abs. 15 AufenthG die Kriterien für die Annahme einer Fluchtgefahr nach der Dublin-III-Verordnung festgelegt. Die Regelung in § 2 Abs. 15 Satz 1 i.V.m. Abs. 14 Nr. 1 AufenthG genügt den Anforderungen der Verordnung (BGH Beschluss vom 20.7.2017 – V ZB 50/17, BeckRS 2017, 123742, beck-online).
Die in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG genannten Haftgründe genügen ferner ebenfalls den Anforderungen von Art. 2 Buchstabe n Dublin-III-Verordnung; auf ihrer Grundlage kann Haft zur Sicherung von Überstellungsverfahren nach Art. 28 Dublin-III-Verordnung angeordnet werden (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 – V ZB 31/14 -, juris).
Überstellungshaft nach Art. 28 Dublin-III-Verordnung kann danach angeordnet werden, wenn die Haftgründe im nationalen Recht so ausgestaltet sind, dass sie nur bei Vorliegen von objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien verwirklicht werden, welche die Annahme einer Fluchtgefahr begründen. Das ist in Deutschland derzeit allein bei den in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG genannten Haftgründen (Wechsel des Aufenthaltsorts ohne Angabe einer Anschrift unter der der Ausländer erreichbar ist; vom Ausländer zu vertretendes Nichtantreffen an dem von der Behörde angegebenen Ort an dem für die Überstellung angekündigten Termin) der Fall (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2014 – V ZB 31/14 -, Rn. 31, juris).
(2) § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 AufenthG
Die Voraussetzungen des § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 AufenthG zur Bejahung der Fluchtgefahr lagen hier vor, da der Betroffene bei dem ihm mitgeteilten Termin für die Überstellung nicht an dem von der Behörde angegebenen Ort anzutreffen war.
Dem Betroffenen wurde mit Schreiben vom 21.09.2018 mitgeteilt, dass die Überstellung am 09.10.2018 erfolgen wird und er sich von 03.00 bis 07.30 Uhr in dem ihm zugeteilten Zimmer aufhalten solle (Bl. 125 d. A.), dieses Schreiben wurde ihm am 25.09.2018 in deutscher und englischer Sprache übergeben (Blatt 127 d. A.)
Ein ausreichender Haftgrund der Fluchtgefahr nach Art. 28 Abs. 2, Art. 2 n) Dublin-III-VO liegt damit vor.
Der Betroffene hat durch sein Verhalten am Morgen des 12.10.2018 Anlass zu der Annahme gegeben, dass er sich dem Überstellungsverfahren durch Flucht entziehen wolle.
In der Gesamtbetrachtung ist daher die Annahme der Fluchtgefahr nicht zu beanstanden.
Ob daneben der Haftgrund des § 2 Abs. 14 Nr. 16 AufenthG vorliegt ist nicht von Relevanz. Das Amtsgericht hat die Anordnung der Haft auf einen zutreffend festgestellten Sachverhalt gestützt und diesen auch in seiner Entscheidung angegeben.
f. Auch die Angaben zur Haftdauer im Antrag der Ausländerbehörde, auf die das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 05.11.2018 Bezug genommen hat, sind nicht zu beanstanden.
Der Antrag genügt den Anforderungen des § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 FamFG und gibt die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung an (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2011 – V ZB 311/10 -, Rn. 13, juris).
Der Antrag legt dar, dass die Abschiebung bis spätestens 17.12.2018 vollzogen werden kann, mithin innerhalb der 6 Wochen, für die das Amtsgericht die Überstellungshaft angeordnet hat. Ferner wird im Haftantrag dargelegt, dass ein neuer Schubauftrag umgehend bei der PI Schubwesen gestellt wird, die antragstellende Behörde eine hohe Anzahl von Stornierungen hat und davon auszugehen ist, dass auch im hier vorliegenden Fall ein stornierter Überstellungstermin genutzt werden kann. Die Ausländerbehörde legt im Antrag (Bl. 8) auch dar, dass der mit der Überstellung verbundene Aufwand, insbesondere die zweiwöchige Anmeldefrist des Betroffenen in Italien und die Organisation einer Luftüberstellung durch die Polizei, die Dauer der Haft rechtfertige. Damit liegt eine ausreichende Begründung der Haftdauer vor. Eine darüberhinausgehende Konkretisierung des Antrags ist der Ausländerbehörde weder möglich noch von § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 FamFG gefordert.
3. Die Kammer konnte im vorliegenden Einzelfall ohne persönliche Anhörung des Betroffenen entscheiden. Der Betroffene hat sich gegenüber dem Amtsgericht bereits geäußert. Der Sachverhalt ist ausreichend aufgeklärt. Der Betroffene hat sich zudem auch im Rahmen der Beschwerdeschrift erneut geäußert und war dabei auch anwaltlich vertreten. Dabei wurden keine Umstände vorgetragen, die eine erneute Anhörung des Betroffenen erforderlich machen würden. Es kann daher aus Sicht des Beschwerdegerichts ausgeschlossen werden, dass eine erneute Anhörung des Betroffenen zu Erkenntnissen führt, die für die Entscheidung von Bedeutung wären (§ 68 Abs. 3 S. 2 FamFG).
III.
Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 84 FamFG.


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