Verwaltungsrecht

Zwangsgeldandrohung ohne Fristsetzung

Aktenzeichen  W 4 S 20.1674

Datum:
24.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 47649
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwZVG Art. 21
VwZVG Art. 36 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage wird bezüglich der Ziffer II. des Bescheids des Antragsgegners vom 1. Oktober 2020 angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Mit Unterlagen vom 14. Januar 2019 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau eines Wohnhaues zu sieben Wohneinheiten und Erstellen eines Balkons am Anwesen R …straße 38, in 6. K …, Grundstück Fl.Nr. 43 der Gemarkung R … Im Rahmen einer Ortsbesichtigung am 29. September 2020 stellten Vertreter des Antragsgegners fest, dass die tatsächlich vorhandene Raumaufteilung von den Darstellungen abwich, die in den eingereichten Bauvorlagen als Bestand dargestellt waren. Darüber hinaus wurden einzelne Räume auch anders genutzt. Im Kellergeschoss wurde festgestellt, dass ein Bad mit Dusche und Toilette eingebaut war, dass dort Wohnräume errichtet wurden und eine offene Küche eingebaut war.
Noch im Zuge der Ortsbesichtigung wurde dem Antragsteller erläutert, dass unabhängig davon, dass für die Nutzung der Kellerräume keine Baugenehmigung vorliege, die Nutzung dieser Kellerräume zu Wohn- und Aufenthaltszwecken wegen des nicht vorhandenen Rettungswegs ab sofort untersagt werde.
Unter dem 1. Oktober 2020 erließ der Antragsgegner einen Bescheid dahingehend, dass dem Antragsteller ab sofort die Nutzung sämtlicher Räume des Kellergeschosses in dem Anwesen R …straße 38 in 6. K …, Grundstück Fl.Nr. 43 der Gemarkung R …, zu Wohn- und Aufenthaltszwecken untersagt werde (Ziffer I.). Falls der Antragsteller der Verpflichtung aus der Ziffer 1 des Bescheids zuwiderhandele, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,00 EUR zur Zahlung fällig (Ziffer II.). Für die Ziffer I. des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung angeordnet (Ziffer III.).
Unter dem 2. November 2020 ließ der Kläger Klage erheben, die beim Verwaltungsgericht Würzburg unter dem Az. W 4 K 20.1673 geführt wird.
Mit weiterem Schriftsatz vom gleichen Tag beantragte er,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Anordnung eines Zwangsgelds in Höhe von 20.000,00 EUR in dem Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2020 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragte mit Schreiben vom 10. November 2020 den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Er richtet sich bei verständiger Würdigung nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel allein auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer II. des streitgegenständlichen Bescheids vom 1. Oktober 2020. Nicht hingegen will der Antragsteller offensichtlich gegen die Nutzungsuntersagung und die Anordnung der sofortigen Vollziehung vorgehen, wie sich insbesondere auch aus der Begründung seines Antrags ergibt. Dort wird nämlich ausgeführt, dass es lediglich an einer angemessenen Frist fehle, dass der Antragsteller das von ihm geforderte Verhalten befolgen könne.
Gemäß Art. 21a Satz 1 VwZVG haben Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden. Bei einer Zwangsgeldandrohung handelt es sich um eine Maßnahme i.S.d. Bestimmung, so dass im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft ist.
Dieser Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
Das Gericht kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn sich aufgrund der vorzunehmenden Interessenabwägung, bei der auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache in den Blick zu nehmen sind, ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Betroffenen gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse ergibt.
Vorliegend fällt nach Auffassung der Kammer diese Interessenabwägung zu Lasten des Antragsgegners aus. Es fehlt an der Bestimmung einer angemessenen Frist i.S.v. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG. Hiernach ist in der Androhung eines Zwangsmittels für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann.
Vorliegend ist diese Frist durch die Bezugnahme auf die Ziffer I. des streitgegenständlichen Bescheids und die dort bestimmte Frist „sofort“ ebenfalls mit „sofort“ festgesetzt worden. Dies wird den gesetzlichen Anforderungen allerdings nicht gerecht.
Zwar wird teilweise vertreten, dass eine Nutzungsuntersagung, wie sie vorliegend ergangen ist, im Grundsatz eine Unterlassungspflicht begründet und dass es bei Unterlassungspflichten keiner besonderen Fristsetzung bedarf (vgl. dazu OVG RB U.v. 4.2.1998 – 11 A 10814, 97 – GewArch 1998, 337, juris Rn. 39 ff.). Es erscheint jedoch fraglich, ob diese Auffassung mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist (vgl. dazu BVerwG, U.v. 2.9.1963 – BverwG 1 C 142.59 -, NJW 1964, 314, juris Rn. 12). Aufgrund einer möglichen Gefährdung der Rechtsgüter Leben und Gesundheit durch den dauerhaften Aufenthalt von Menschen in bestimmten Räumen dürfte vorliegend zwar ein rasches Vorgehen der Behörde sachgerecht sein. Demnach wäre auch eine kurze Fristsetzung von wenigen Stunden oder Tagen verhältnismäßig gewesen. Bei der vorliegenden Fristsetzung „sofort“ bleibt jedoch dem Antragsteller de facto keinerlei Zeit, erforderliche Schritte zur effektiven Umsetzung der ausgesprochenen Nutzungsuntersagung zu treffen. Vielmehr fällt das Zwangsgeld nach der getroffenen Regelung bereits an, wenn im Zeitpunkt der Zustellung noch eine der untersagten Nutzungen stattfindet. Dem Antragsteller muss es aber ermöglicht werden, laufende Prozesse wie eine sofortige Kündigung oder schnellstmögliche Räumung kurzfristig abzuschließen.
Nach alldem ist die Zwangsgeldandrohung mangels wirksamer Fristsetzung rechtswidrig und verletzt den Antragsteller nach dem Ergebnis der summarischen Prüfung in seinen Rechten. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Anordnung des Zwangsgelds war demgemäß anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 GKG. Die Kammer hat sich insofern an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit angelehnt (vgl. dort Nrn. 1.1, 1.5, 1.7.1).


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