Verwaltungsrecht

Zwangsrekrutierung Minderjähriger als kinderspezifische Form von Verfolgung

Aktenzeichen  13a B 17.30011

Datum:
23.3.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 120214
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 3a Abs. 2 Nr. 6, § 3b, § 3c, § 3d, § 3e
GFK Art. 1 A Nr. 2
RL (EU) 95/2011 Art. 4
SGB VIII § 42, § 42f
BGB § 1773, § 1774

 

Leitsatz

1. Die Zwangsrekrutierung Minderjähriger stellt eine kinderspezifische Form von Verfolgung im Sinn von Art. 1 A Nr. 2 GFK und damit eine gegen Kinder gerichtete Verfolgungshandlung im Sinn von § 3a Abs. 2 Nr. 6 AsylG dar. (Rn. 40 – 41)
2. Soll einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling die Möglichkeit internen Schutzes nach § 3e AsylG entgegengehalten werden, setzt dies voraus, dass unter besonderer Berücksichtigung der Minderjährigkeit dargelegt wird, dass angemessene Betreuungsmöglichkeiten und Sorgerechtsregelungen, die dem Wohl des unbegleiteten Minderjährigen dienen, an den jeweiligen Orten bestehen. (Rn. 47)
3 Das in § 42f SGB VIII geregelte Verfahren zur Altersfeststellung unbegleiteter Minderjähriger durch die Jugendämter mit der Anzeige des Ergebnisses an das Familiengericht nach § 42 Abs. 3 SGB VIII und dem von Amts wegen zu fassenden Beschluss des Familiengerichts nach § 1773 Abs. 1, § 1774 S. 1 BGB zur Begründung der Vormundschaft stehen einer hiervon abweichenden Alterseinstufung entgegen. (Rn. 22) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Allein die Tatsache, dass im Verfahren beim Bundesamt Anhörer und Entscheider nicht identisch waren, vermag an der Bewertung des Bundesamts des vom Kläger geschilderten Verfolgungsschicksals als glaubhaft nichts zu ändern. (Rn. 30) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Als erforderlicher Anknüpfungspunkt für die Annahme politischer Verfolgung im Sinn von § 3a Abs. 2 Nr. 6 AsylG kommt das Merkmal “Kind” und damit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Betracht. (Rn. 37) (red. LS Clemens Kurzidem)

Verfahrensgang

Au 5 K 16.31789 2016-10-17 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Soweit die Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 17. Oktober 2016 wie folgt geändert:
Unter Änderung der Nummer 1 und Aufhebung der Nummern 3, 4, 5 und 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16. August 2016 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1. Soweit in der mündlichen Verhandlung die Klage hinsichtlich der Feststellung des Asylstatus nach Art. 16a GG zurückgenommen wurde, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
2. Die Berufung ist im Übrigen zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat aufgrund seiner Verfolgungsgeschichte einen Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 AsylG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Insoweit besteht für den minderjährigen Kläger auch kein interner Schutz nach § 3e AsylG. Entsprechend waren das Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern und der Bescheid des Bundesamts aufzuheben.
2.1. Die Verpflichtungsklage ist zulässig. Wegen der Minderjährigkeit des Klägers waren zwar sowohl der ablehnende Bescheid des Bundesamts mangels Handlungsfähigkeit (§ 12 AsylG) als auch das Urteil des Verwaltungsgerichts mangels Prozessfähigkeit (§ 62 VwGO) unwirksam. Durch die Stellung von Sachanträgen im Berufungsverfahren durch die Vormundin wurden jedoch die auf der Minderjährigkeit des Klägers beruhenden Verfahrensfehler rückwirkend geheilt.
Aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Augsburg – Familiengericht – vom 11. November 2016 ist entgegen den Ausführungen des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2017 davon auszugehen, dass der Kläger am 1. März 2000 geboren und damit sowohl während des Asylverfahrens vor dem Bundesamt als auch des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht als auch im vorliegenden Berufungsverfahren minderjährig war bzw. ist.
In der mündlichen Verhandlung äußerte der Vertreter der Beklagten erstmals die Ansicht, der Kläger sei nach seinem Auftreten und äußerem Erscheinungsbild volljährig. Aufgrund des Beschlusses des Familiengerichts und der Bestallungsurkunde vom 11. November 2016, mit dem die Vormundschaft über den Kläger angeordnet wurde, ist jedoch davon auszugehen, dass der Kläger am 1. März 2000 geboren und damit minderjährig ist. Das in § 42f SGB VIII geregelte Verfahren zur Altersfeststellung unbegleiteter Minderjähriger durch die Jugendämter mit der Anzeige des Ergebnisses an das Familiengericht nach § 42 Abs. 3 SGB VIII und dem von Amts wegen zu fassenden Beschluss des Familiengerichts nach § 1773 Abs. 1, § 1774 Satz 1 BGB zur Begründung der Vormundschaft stehen einer hiervon abweichenden Alterseinstufung entgegen. Mit § 42f SGB VIII hat der Gesetzgeber ein spezielles Verfahren zur Altersbestimmung unbegleiteter potentiell minderjähriger Flüchtlinge durch die Jugendämter geschaffen. Zwar hat sich der Gesetzgeber ausdrücklich gegen eine Bindungswirkung der behördlichen Alterseinschätzung Dritten gegenüber ausgesprochen (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Bindungswirkung kommt jedoch dem die Vormundschaft anordnenden Beschluss des Familiengerichts zu, der zwar von Amts wegen zu ergehen hat, dem jedoch im Regelfall die Mitteilung des Jugendamts nach § 42 Abs. 3 SGB VIII zugrunde liegt. Damit ist auch im vorliegenden Verfahren, unabhängig davon, dass die angeführten Gründe des Vertreters der Beklagten aufgrund des persönlichen Eindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung keinesfalls zwingend sind, vom Geburtsdatum 1. März 2000 auszugehen.
Mit dem Inkrafttreten des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 20. Oktober 2015 am 24. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) wurde die bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Handlungsfähigkeit nach § 12 Abs. 1 AsylVfG a.F. ab der Vollendung des 16. Lebensjahres durch die Handlungsfähigkeit ab der Volljährigkeit ersetzt. Seit diesem Zeitpunkt ist nach § 12 Abs. 1 AsylG im Anwendungsbereich des Asylgesetzes nur ein volljähriger Ausländer fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen und sind nach § 12 Abs. 2 Satz 1 AsylG die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs dafür maßgebend, ob ein Ausländer als minderjährig oder volljährig anzusehen ist. Damit entfiel für das gerichtliche Verfahren in Asylangelegenheiten die bislang gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 12 Abs. 1 AsylVfG a.F. ab Vollendung des 16. Lebensjahres bestehende Prozessfähigkeit. Der beschränkt Geschäftsfähige muss damit vor dem Verwaltungsgericht von seinem gesetzlichen Vertreter vertreten werden. Insoweit konnten weder das Asylverfahren noch das Verfahren beim Verwaltungsgericht wirksam eingeleitet werden und waren auch die Zustellungen des Bescheids sowie des Urteils unwirksam.
Ob sich der Kläger hätte darauf beschränken können, die Aufhebung des unwirksamen Bescheids des Bundesamts und des unwirksamen Urteils des Verwaltungsgerichts unter gleichzeitiger Verpflichtung zur Durchführung eines neuen Asylverfahrens zu beantragen oder auf Feststellung der Nichtigkeit des ablehnenden Bescheids zu klagen, kann vorliegend dahinstehen (vgl. BVerwG, U.v. 31.7.1984 – 9 C 156.83 – NJW 1985, 576; B.v. 21.11.1983 – 9 B 10044.82 – Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 134), da er durch seine gesetzliche Vertreterin im Zuge des Berufungsverfahrens die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus beantragt hat, worin eine konkludente Genehmigung der an sich unwirksamen Verfahrensschritte zu sehen ist, so dass diese Fehler geheilt worden sind. Der Mangel der Handlungsfähigkeit oder Vertretung kann durch (nachträgliche) Genehmigung des gesetzlichen Vertreters geheilt werden; diese kann auch stillschweigend, etwa durch Einlegung von Rechtsmitteln bzw. – wie vorliegend – der Stellung von Sachanträgen statt der bloßen Bescheidsaufhebung erklärt werden und wirkt auf den Beginn des Verfahrens zurück (BVerwG, U.v. 31.7.1984 – 9 C 156.83 – NJW 1985, 576; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 12 AsylG Rn. 9).
2.2. Die Klage ist auch begründet, da der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat.
Rechtsgrundlage für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2a AsylG), oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (§ 3 Abs. 1 Nr. 2b AsylG). Dabei ist der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft weitgehend deckungsgleich mit dem des Asylgrundrechts, für dessen Auslegung sich das Bundesverfassungsgericht schon bisher an der Genfer Flüchtlingskonvention orientiert hat (vgl. BVerfG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502.86 u.a. – BVerfGE 80, 315).
Aufgrund seines Vortrags ist davon auszugehen, dass dem Kläger an seinem Heimatort bei seiner Familie eine flüchtlingsrelevante Verfolgung im Sinn von § 3 Abs. 1 AsylG durch den Kommandanten und seine Männer durch den Versuch einer erneuten Zwangsrekrutierung droht oder er von diesen Vergeltungs- oder Racheakte zu befürchten hat.
2.3. Es besteht keine Veranlassung, die Bewertung des vorgebrachen Verfolgungsschicksals durch das Bundesamt als glaubhaft zu bezweifeln. Das Verwaltungsgericht hat die Glaubhaftigkeit des geschilderten Verfolgungsschicksals ebenfalls nicht verneint, sondern im Ergebnis offen gelassen.
Im streitgegenständlichen Bescheid ist die Beklagte davon ausgegangen, dass der Vortrag des Klägers glaubhaft sei, aber nicht die Voraussetzungen für eine Schutzgewährung nach §§ 3 und 4 AsylG sowie § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erfülle. Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof ist die Beklagte von ihrer Bewertung des Vortrags als glaubhaft allein mit dem Argument abgerückt, der die Anhörung durchführende Mitarbeiter und der die endgültige Entscheidung treffende Mitarbeiter des Bundesamts seien nicht identisch gewesen.
Abgesehen davon, dass diese Vorgehensweise im Bundesamt mittlerweile in der Mehrzahl der Fälle erfolgt (zum Umfang vgl. BT-Drs. 18/11262 S. 77 f.) und die Beklagte mit dieser Argumentation die überwiegende Anzahl ihrer getroffenen Entscheidungen, in denen die Glaubwürdigkeit des Vortrags des Antragsstellers von Bedeutung war, in Frage stellen würde, besteht keine Veranlassung, die Wertung des Bundesamts sowie deren implizite Bestätigung durch das Verwaltungsgericht zu bezweifeln.
Allein die Tatsache, dass im Verfahren beim Bundesamt Anhörer und Entscheider nicht identisch waren, vermag an der Bewertung des Bundesamts des vom Kläger geschilderten Verfolgungsschicksals als glaubhaft nichts zu ändern. Lediglich das Bundesamt hat nachträglich in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof seine Bewertung geändert, ohne aber nachvollziehbar darzulegen, welche inhaltlichen Gründe hierfür entscheidend waren. Dabei spielt die Frage, ob eine Identität von Anhörer und Entscheider rechtlich geboten ist, für das vorliegende Verfahren und die hier relevante Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus zusteht, keine Rolle, da sich aus einem derartigen Verfahrensfehler weder ein Anspruch auf Zuerkennung des Flüchtlingsstatus noch dessen Ausschluss ergäbe (zur Frage der rechtlichen Zulässigkeit des Auseinanderfallens von Anhörer und Entscheider vgl. BVerwG, B.v. 15.5.1996 – 9 B 174.96 – Jurion; BayVGH, U.v. 23.7.1997 – 24 B 96.32748 – BeckRS 1997, 25163; VGH BW, B.v. 31.1.2017 – A 9 S 1047/16 – Asylmagazin 2017, 236 = juris; Fränkel in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 24 AsylG Rn. 23; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 24 AsylG Rn. 2; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 24 Rn. 22).
Inhaltlich ist es Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Das Bundesamt und ggf. das Gericht müssen die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangen, wobei allerdings der sachtypische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat angemessen zu berücksichtigen und deshalb den glaubhaften Erklärungen des Asylsuchenden größere Bedeutung beizumessen ist, als dies sonst in der Prozesspraxis bei Parteibekundungen der Fall ist (BVerwG, B.v. 29.11.1996 – 9 B 293.96 – juris Rn. 2). Ob eine Aussage glaubhaft ist und welches Gewicht den die Aussage bestätigenden oder ihr widersprechenden anderen Erkenntnismitteln zukommt, ist eine Frage der Beweiswürdigung im jeweiligen Einzelfall (BVerwG, B.v. 29.11.1996 a.a.O.). Grundsätzlich ist unter Angabe genauer Einzelheiten ein in sich stimmiger Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung die Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren.
Vorliegend hat das Bundesamt den Vortrag des Klägers zur versuchten Zwangsrekrutierung als glaubhaft bewertet und das Verwaltungsgericht den Vortrag als wahr unterstellt. Inhaltlich haben weder das Bundesamt noch das Verwaltungsgericht relevante Einwände gegen das Vorbringen des Klägers erhoben. Das vom Kläger in seiner Anhörung gegenüber dem Bundesamt und bei seiner Anhörung vor dem Verwaltungsgericht im Wesentlichen übereinstimmend geschilderte Verfolgungsschicksal wird auch den Anforderungen an einen glaubhaften Vortrag gerecht. Der Vortrag ist in sich schlüssig und frei von Widersprüchen.
Zudem erscheint der Vortrag im vorliegenden Einzelfall auch aufgrund weiterer Erkenntnismittel plausibel. Zwar lässt sich aus den Erkenntnismitteln nicht der Schluss ziehen, die zwangsweise Rekrutierung Minderjähriger sei in Afghanistan derart weit verbreitet, dass es sich um eine Verfolgung der sozialen Gruppe der minderjährigen afghanischen Staatsangehörigen im Sinn einer Gruppenverfolgung handelt (vgl. OVG NW, B.v. 18.8.2016 – 13 A 1642/16.A – juris Rn. 46), jedoch machen sie deutlich, dass je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls eine individuelle Verfolgung gegeben sein kann und der klägerische Vortrag damit plausibel erscheint.
Nach dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan des Auswärtigen Amts vom 19. Oktober 2016 (Stand September 2016 – Lagebericht 2016) gehe die größte Bedrohung für die Bürger Afghanistans von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus (S. 17). Es handle sich meist um Anführer von Milizen, die zwar nicht mit staatlichen Befugnissen, aber mit faktischer Macht ausgestattet seien, die sie häufig missbrauchten. Die Zentralregierung habe auf viele dieser Personen kaum Einfluss und könne sie nur begrenzt kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen oder verurteilen. Wegen des schwachen Verwaltungs- und Rechtswesens blieben diese Menschenrechtsverletzungen häufig ohne Sanktionen. Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nach dem Lagebericht 2016 nicht auszuschließen (S. 12). Konkrete Fälle kämen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit. Speziell zum Problem der Rekrutierung von Kindern durch regierungsfeindliche Gruppen oder afghanische Sicherheitskräfte führt der Lagebericht 2016 aus, dieses bestehe weiter fort (S. 12 f.).
Auch die Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) vom 19. April 2016 (UNHCR-RL 2016) lassen das vom Kläger geschilderte Verfolgungsschicksal plausibel erscheinen, da Zwangsrekrutierungen Minderjähriger in Afghanistan jedenfalls vorkommen und nicht von vornherein auszuschließen sind.
Zur Thematik „Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Rekrutierung Minderjähriger und von Zwangsrekrutierung“ wird in den UNHCR-RL 2016 dargelegt, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet würden und von den Vereinten Nationen 2014 68 Fälle der Rekrutierung von Minderjährigen dokumentiert worden seien (S. 51). Zur Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte wird berichtet, diese Kräfte nutzten in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausübten, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang (S. 51). Personen, die sich der Rekrutierung widersetzten, seien ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden (S. 51 f.). Zur Zwangsrekrutierung und Rekrutierung Minderjähriger durch regierungsnahe Kräfte führen die UNHCR-RL 2016 aus, dass berichtet werde, dass regierungsnahe bewaffnete Gruppen Einheimische zwängen, junge Männer für den Kampf gegen Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte bereitzustellen (S. 53). In der Zusammenfassung legt der UNHCR seine Ansicht dar, dass – je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls – für Männer im wehrfähigen Alter und für Minderjährige, die in Gebieten lebten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der regierungsfeindlichen Kräfte befänden, oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte und/oder mit ISIS verbundene bewaffnete Gruppen um Kontrolle kämpften, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen könne. Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls könne für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten lebten, in denen Befehlshaber der afghanischen lokalen Polizei über eine hinreichende Machtstellung für die Zwangsrekrutierung von Mitgliedern der Gemeinden für die afghanische lokale Polizei verfügten, ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehe. Für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzten, könne ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Je nach den spezifischen Umständen des Falls könne auch für Familienangehörige von Männern und Kindern mit diesem Profil aufgrund ihrer Verbindung zu der gefährdeten Person internationaler Schutzbedarf bestehen (UNHCR-RL 2016 S. 53).
2.4. Entgegen den Ausführungen im Ablehnungsbescheid, die vorgetragenen kriminellen Handlungen entsprächen keinem der in § 3 AsylG aufgeführten Anknüpfungsmerkmale für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, so dass zwar möglicherweise eine Verfolgungshandlung vorliege, es aber an einem Anknüpfungsmerkmal im Sinn eines Verfolgungsgrundes Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe fehle, liegt vorliegend der erforderliche Anknüpfungspunkt im Merkmal Kinder im Sinn von § 3a Abs. 2 Nr. 6 AsylG und damit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinn von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG.
Bei der Auslegung und Anwendung des Asylgesetzes kommen sowohl den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. Nr. L 337 S. 9 – Qualifikations-RL) als auch dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl. 1953 II S. 559 – Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), besondere Bedeutung zu.
Nach Nr. 28 der Erwägungsgründe der Qualifikations-RL sollten die Mitgliedstaaten bei der Prüfung von Anträgen Minderjähriger auf internationalen Schutz kinderspezifische Formen von Verfolgung berücksichtigen. Nach den Regelbeispielen in Art. 9 Abs. 2 lit. f Qualifikations-RL können unter anderem die Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind als Verfolgungshandlungen gelten. In Umsetzung der Vorgaben der Qualifikations-RL wurde in § 3a Abs. 2 Nr. 6 AsylG geregelt, dass Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind, als Verfolgung im Sinn des § 3a Abs. 1 AsylG gelten können.
Nach den Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 (A) 2 und 1 (F) des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge des UNHCR vom 22. Dezember 2009 stellt die Rekrutierung von Minderjährigen eine kinderspezifische Form von Verfolgung dar (S. 11). Die Zwangsrekrutierung und die Rekrutierung eines Kindes unter 18 Jahren in die Streitkräfte eines Staates für die direkte Teilnahme an Kampfhandlungen erfüllen nach Ansicht des UNHCR den Tatbestand der Verfolgung im Sinn von Art. 1 A (2) GFK (S. 12). Desgleichen ist auch die Einziehung eines Kindes unter 18 Jahren in eine nichtstaatliche bewaffnete Gruppe als Verfolgung anzusehen (S. 12 f.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht bei der Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention durch die deutschen Gerichte keine Pflicht, die Publikationen des UNHCR heranzuziehen, da diese keine völkerrechtliche Bindungswirkung entfalten (BVerfG, B.v. 28.9.2006 – 2 BvR 1731/04 – juris Rn. 13). Es steht den nationalen Gerichten der Vertragsstaaten frei, zur Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention die einschlägigen Publikationen des UNHCR heranzuziehen, wenngleich die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung in den Vertragsstaaten als ein erstrebenswertes Ziel angesehen werden kann, zu dem der UNHCR wesentlich beiträgt. Gleichwohl führt dies nicht dazu, dass es auch eine verfassungsrechtlich verankerte Pflicht der nationalen Gerichte zur Anwendung der Richtlinien bei der Auslegung des materiellen Flüchtlingsrechts oder des Asylverfahrensrechts gibt (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2014 – 2 BvR 450/11 – NVwZ 2015, 361 = juris Rn. 46 m.w.N.). Sie stellen aber regelmäßig eine beachtliche Rechtsauffassung zur Auslegung der GFK dar (BVerfG, B.v. 12.3.2008 – 2 BvR 378/05 – juris Rn. 38). Für die vorliegende Fragestellung ist nicht ersichtlich, warum von der an sich unverbindlichen, aber die einheitliche Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten fördernden Interpretation des UNHCR abgewichen werden sollte, so dass mit der vom Kläger geschilderten Zwangsrekrutierung von einer relevanten, gegen Kinder gerichteten Verfolgungshandlung auszugehen ist, zumal auch in der Kommentarliteratur die Zwangsrekrutierung von Kindern einhellig als typische, gegen Kinder gerichtete Verfolgung angesehen wird (vgl. Keßler in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 3a AsylG Rn. 20; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 3a AsylG Rn. 6; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 3a Rn. 48).
2.5. Bei dem Kommandanten mit der bewaffneten Gruppe handelt es sich um nichtstaatliche Akteure im Sinn von § 3c Nr. 3 AsylG. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts 2016 ist auch davon auszugehen, dass dem Kläger an seinem Heimatort kein staatlicher Schutz vor Verfolgung im Sinn von § 3d AsylG geboten werden kann. Danach gehe die größte Bedrohung für die Bürger Afghanistans von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Es handle sich meist um Anführer von Milizen, die zwar nicht mit staatlichen Befugnissen, aber mit faktischer Macht ausgestattet seien, die sie häufig missbrauchten. Die Zentralregierung habe auf viele dieser Personen kaum Einfluss und könne sie nur begrenzt kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen oder verurteilen. Wegen des schwachen Verwaltungs- und Rechtswesens blieben diese Menschenrechtsverletzungen häufig ohne Sanktionen (Lagebericht 2016, S. 17).
2.6. Der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 3 AsylG steht schließlich nicht die Möglichkeit eines internen Schutzes nach § 3e AsylG entgegen.
Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft wegen internen Schutzes nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und 2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Nach § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslands die Voraussetzungen nach § 3e Abs. 1 AsylG erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 Qualifikations-RL zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen.
Sowohl im streitgegenständlichen Bescheid als auch im Urteil des Verwaltungsgerichts war der subsidiäre Schutz nach § 4 AsylG maßgeblich mit dem Argument des Bestehens einer internen Schutzmöglichkeit nach § 3e AsylG abgelehnt worden. Dies scheidet aber aufgrund der mittlerweile festgestellten Minderjährigkeit des Klägers aus. Diesem kann als Minderjährigen gerade nicht zugemutet und daher nicht vernünftigerweise von ihm erwartet werden, sich statt bei seinen Eltern – wo ihm aber eine erneute Zwangsrekrutierung drohen würde – allein und ohne familiäre Fürsorge und Schutz in den vom Bundesamt genannten Städten oder Provinzen niederzulassen.
Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslands die Voraussetzungen nach § 3e Abs. 1 AsylG erfüllt, sind gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der Qualifikations-RL zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind gemäß § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen. Nach Art. 4 Abs. 3 lit. c Qualifikations-RL sind bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz insbesondere die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter zu berücksichtigen, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung oder einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind. Nach dem Erwägungsgrund Nr. 27 der Qualifikations-RL sollte vom Antragsteller interner Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden in einem Teil des Herkunftslandes, in den er sicher und legal reisen kann, in dem er aufgenommen wird und bei dem vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlassen kann, tatsächlich in Anspruch genommen werden können. Handelt es sich bei dem Antragsteller um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist nach Satz 3 des Erwägungsgrunds Nr. 27 der Qualifikations-RL vorgesehen, dass die Verfügbarkeit angemessener Betreuungsmöglichkeiten und Sorgerechtsregelungen, die dem Wohl des unbegleiteten Minderjährigen dienen, von der Prüfung der Frage, ob dieser Schutz tatsächlich gewährt werden kann, umfasst werden sollte.
Soll also – wie vorliegend – einem unbegleiteten Minderjährigen, der die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG erfüllt, die Möglichkeit internen Schutzes nach § 3e AsylG entgegengehalten werden, setzt dies in gemeinschaftsrechtskonformer Anwendung und Auslegung voraus, dass unter besonderer Berücksichtigung der Minderjährigkeit des Klägers dargelegt wird, dass angemessene Betreuungsmöglichkeiten und Sorgerechtsregelungen, die dem Wohl des unbegleiteten Minderjährigen dienen, an den jeweiligen Orten bestehen. Insoweit sind bereits bei der Prüfung der tatsächlichen Erreichbarkeit und Zumutbarkeit des internen Schutzes nach § 3e AsylG die Minderjährigkeit und die daraus resultierenden besonderen Anforderungen in Form angemessener Betreuungsmöglichkeiten und Sorgerechtsregelungen im Interesse des Wohls des Minderjährigen durch das Bundesamt zu prüfen.
Den besonderen Schutz für Kinder im Ausländer- und Asylrecht mit einer Vergleichbaren Zielrichtung belegt auch die Regelung des § 58 Abs. 1a AufenthG, wonach sich die Ausländerbehörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers zu vergewissern hat, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Mit dieser Regelung, die durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) in das Aufenthaltsgesetz eingefügt worden ist, hat der Gesetzgeber Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. Nr. L 348 S. 98) umgesetzt (BT-Drs. 17/5470 S. 24). § 58 Abs. 1a AufenthG wirkt, solange sich die Ausländerbehörde nicht von der konkreten Möglichkeit der Übergabe des minderjährigen Ausländers an eine in der Vorschrift genannte Person oder Einrichtung vergewissert hat, systematisch als rechtliches Vollstreckungshindernis im Sinn des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dilatorischer Wirkung (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489 Rn. 17). Allerdings ist diese Vorschrift nicht vom Bundesamt im Rahmen der Prüfung eines Antrags auf internationalen oder nationalen Schutz zu prüfen, sondern erst durch die Ausländerbehörde auf der Ebene der Vollstreckung der Abschiebung. Im Unterschied dazu ist der Umstand der Minderjährigkeit im Rahmen der Prüfung des internen Schutzes nach § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG in Verbindung mit Art. 4 Qualifikations-RL durch das Bundesamt zu berücksichtigen.
Dies ist bislang nicht erfolgt, da dem Bundesamt die Minderjährigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Ablehnungsentscheidung nicht bekannt war. Auch nach Zulassung der Berufung im Hinblick auf die nicht berücksichtigte Minderjährigkeit des Klägers hat die Beklagte diesbezüglich keinerlei Ausführungen gemacht, so dass aufgrund der gesetzlich ausdrücklich für maßgeblich erklärten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für den minderjährigen Kläger kein zumutbarer interner Schutz besteht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen für eine Zulassung nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.


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