Verwaltungsrecht

Zweitwohnungsteuer, Bekanntgabe mit einfachem Brief, Versäumung der Widerspruchsfrist, Bestandskräftiger Steuerbescheid, Unzulässigkeit des Eilantrags

Aktenzeichen  M 10 S 21.1358

Datum:
28.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10223
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 122
VwGO § 70

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2548 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Festsetzung einer Zweitwohnungsteuer.
Der Antragsteller ist seit dem 31. März 2005 Eigentümer eines Anwesens in … Der Vater des Antragstellers hatte sich als früherer Eigentümer den Nießbrauch an diesem Anwesen vorbehalten; er verstarb am … Juni 2016. In einem Vermächtnis zugunsten einer Bekannten (im Folgenden: Wohnberechtigte) räumte er dieser und deren Abkömmlingen ein Wohnrecht bis höchstens zwei Jahre nach seinem Tod ein. Die Wohnberechtigte wohnt auch weiterhin in dem streitgegenständlichen Anwesen. Über eine Herausgabeklage des Antragstellers gegen die Wohnberechtigte zum Landgericht München I (10 O 9776/17) vom 5. Juli 2017 wurde bisher nicht entschieden.
Im Rahmen der beabsichtigten Veranlagung des Antragstellers zur Zweitwohnungsteuer für das streitgegenständliche Anwesen wendete der Antragsteller ein, aufgrund des widerrechtlichen Innehabens der Wohnung durch die frühere Wohnberechtigte derzeit keine tatsächliche Verfügungsgewalt über die Wohnung zu haben, sodass insoweit keine steuerpflichtige Zweitwohnung vorliege. Eine Räumung des Anwesens sei mangels eines Herausgabetitels derzeit nicht möglich.
Mit Bescheid vom 30. November 2020 setzte die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller für das Anwesen Zweitwohnungsteuer für die Jahre 2016-2020 in Höhe von insgesamt 10.192 EUR fest.
Der Bescheid vom 30. November 2020 wurde ausweislich einer bei den Behördenakten befindlichen Versandliste am 30. November 2020 zur Post gegeben.
Die Bevollmächtigten des Antragstellers legten mit Schreiben vom 5. Januar 2021, am selben Tag per Fax übersandt, bei der Antragsgegnerin Widerspruch ein und beantragten, die Zahlung der festgesetzten Zweitwohnungsteuer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens und eines eventuellen Klageverfahrens auszusetzen.
Der Steuerbescheid sei den Bevollmächtigten erstmals am Montag, den 7. Dezember 2020 zur Kenntnis gelangt. Die Kanzlei der Bevollmächtigten sei wegen eines Corona-Verdachtfalls bei einer Anwaltsfachangestellten in der Woche vom 30. November bis 6. Dezember 2020 nicht besetzt gewesen, um mögliche Ansteckungen unter den Kanzleimitarbeitern und anderen in den Mieträumen tätigen Kollegen zu unterbinden. Die Post sei erstmals am 7. Dezember 2020 bearbeitet worden, nachdem ein Corona-Test der Mitarbeiterin negativ verlaufen sei. Der Zweitwohnungsteuerbescheid sei damit erst am 7. Dezember 2020 bekannt gegeben worden; die Dreitagesfrist nach § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG gelte daher nicht.
Die fragliche Wohnung sei für den Antragsteller keine Zweitwohnung. Er sei zwar rechtlich Eigentümer des Anwesens, tatsächlich könne er aber nicht über das Anwesen verfügen, da die bisherige Wohnberechtigte das Anwesen widerrechtlich besetze.
Mit Schreiben vom 18. Januar 2021 wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Widerspruch verfristet sei, da die Rechtsbehelfsfrist bereits am Montag, dem 4. Januar 2021 geendet habe. Ein verspäteter Zugang des Steuerbescheids sei nicht nachgewiesen worden. Der Antragsteller sei im Grundbuch als Eigentümer des Anwesens eingetragen, was als Indizwirkung für das Innehaben einer Nebenwohnung ausreichend sei. Die Besetzung des Objekts durch die frühere Wohnberechtigte ändere hieran nichts, da noch nicht geklärt werden habe können, ob diese das Objekt widerrechtlich besetze und dem Antragsteller damit ein Herausgabeanspruch zukomme.
Der Antragsteller hat am 10. März 2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragt,
1. die aufschiebende Wirkung gegen den am 7. Dezember 2020 bekannt gegebenen Zweitwohnungsteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 30. November 2020 in Höhe von 10.192 EUR anzuordnen und
2. die Vollziehung der Zahlung der Zweitwohnungsteuer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens oder eines Klageverfahrens auszusetzen.
Zur Begründung wird vorgetragen, die Zweitwohnungsteuer sei mit Schreiben vom 1. März 2021 angemahnt und Vollstreckungsmaßnahmen angedroht worden.
Das Anwesen sei seit dem Tod des Vaters des Antragstellers bis heute von der früheren Wohnberechtigten besetzt, Herausgabeverlangen des Antragstellers seien fruchtlos geblieben. Über eine Herausgabeklage sei bisher nicht entschieden worden. Der Antragsteller könne über das Anwesen bis zum heutigen Tag weder zu seiner persönlichen Lebensführung noch zu Gunsten seiner Familie oder mit gewerblicher Absicht verfügen; er habe den Ausgang des Zivilprozesses abzuwarten. Die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer sei somit nicht rechtmäßig, da der Antragsteller die Wohnung nicht innehabe.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Es wird ausgeführt, der Zweitwohnungsteuerbescheid vom 30. November 2020 sei bestandskräftig geworden. Für den mit einfachem Brief durch die Post übermittelten Verwaltungsakt gelte § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, wonach ein Verwaltungsakt grundsätzlich am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post bekannt gegeben sei. Aus den Versandlisten der Antragsgegnerin ergebe sich, dass der Bescheid am 30. November 2020 zur Post gegeben worden sei und damit am 3. Dezember 2020 als bekannt gegeben gelte. Die Rechtsbehelfsfrist habe damit am Montag den 4. Januar 2021 geendet. Der am 5. Januar 2021 per Fax bei der Antragsgegnerin eingegangene Widerspruch sei somit unzulässig. Die Zugangsvermutung sei von den Bevollmächtigten des Antragstellers nicht erschüttert oder widerlegt worden. Die vorsorgliche Schließung der Kanzlei aufgrund eines Corona-Verdachtfalls vom 30. November bis zum 6. Dezember 2020 entbinde die Bevollmächtigten nicht von ihren Sorgfaltspflichten. Gerade in einer Pandemiesituation sei es Pflicht gewesen, entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Einen späteren Eingang des Bescheids könnten die Bevollmächtigten nicht nachweisen.
Die Tatsache, dass der Antragsteller das Objekt derzeit nicht nutzen könne, führe nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids. Für das steuerbegründende Innehaben einer Wohnung komme es nicht auf die Nutzung an. Das Nutzungsrecht sei durch die Eigentümerstellung gesichert, die durch die laufende Herausgabeklage beim Landgericht München I zivilrechtlich durchgesetzt werden solle.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der entsprechend § 88 VwGO so zu verstehende Antrag, die aufschiebende Wirkung des eingelegten Widerspruchs gegen den Zweitwohnungsteuerbescheid der Antragsgegnerin vom 30. November 2020 anzuordnen, bleibt ohne Erfolg.
Der Antrag ist bereits unzulässig, weil der Widerspruch, dessen aufschiebende Wirkung der Antragsteller begehrt, verfristet eingelegt wurde und der Bescheid somit bei Einlegung des Widerspruchs bereits bestandskräftig war (vgl. BeckOK VwGO/Gersdorf VwGO § 80 Rn. 147).
Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Das Widerspruchsverfahren entfällt vorliegend nicht nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. Art. 15 Abs. 2 BayAGVwGO, da es sich bei einem Zweitwohnungsteuerbescheid um einen Verwaltungsakt aus dem Bereich des Kommunalabgabenrechts handelt, bei dem gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayAGVwGO fakultativ ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden kann. Vorliegend hat sich der Antragsteller für die Einlegung eines Widerspruchs anstelle einer unmittelbaren Klageerhebung entschieden.
Zur ordnungsgemäßen Durchführung des Widerspruchsverfahrens gehört insbesondere die fristgerechte Einlegung des Widerspruchs innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts gegenüber dem Beschwerten gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Antragsgegnerin hat vorliegend die Bekanntgabe des Steuerbescheids mit einfachem Brief durch die Post gewählt. Dies entspricht § 122 AO, welcher gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b) KAG Anwendung findet. Nach § 122 Satz 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Hier hat die Antragsgegnerin mit der vorgelegten Versandliste dargelegt, dass der Steuerbescheid vom 30. November 2020 auch am 30. November 2020 zur Post gegeben worden war. Nach der Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt damit der Bescheid als am 3. Dezember 2020 bekannt gegeben.
Der Antragsteller hat nicht geltend gemacht, den Steuerbescheid nicht erhalten zu haben; er macht auch nicht geltend, dass der Steuerbescheid später als drei Tage nach Aufgabe zur Post in der Kanzlei seines Bevollmächtigten eingegangen sei. Der Bevollmächtigte des Antragstellers stützt sich vielmehr darauf, dass die Kanzlei wegen der Schließung aufgrund eines Corona-Verdachtfalls vom 30. November bis 6. Dezember 2020 nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei, der Bevollmächtigte deshalb den Bescheid erst am 7. Dezember 2020 zur Kenntnis genommen habe. Damit bestreitet er nicht den Eingang des Bescheids während der Schließung der Kanzleiräume, er macht keine Zweifel am Zugang des Bescheids innerhalb der dreitägigen Frist geltend. Vielmehr macht der Bevollmächtigte eine andere rechtliche Betrachtung geltend, wonach es für den Zugang des Bescheids auf die tatsächliche Kenntnisnahme des Bevollmächtigten des Antragstellers ankäme. Dies trifft jedoch nicht zu. Es bleibt für die Bekanntgabe mit einfachem Brief bei der dreitägigen Zugangsfiktion, anders als bei der Zustellung mit Empfangsbekenntnis nach § 174 ZPO, bei der es auf die tatsächliche Kenntnis des Empfangenden ankommt (vgl. BGH, B.v. 24.09.2019, XI ZB 9/19, juris Rn. 18: eine Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist dann als bewirkt anzusehen, wenn der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen, und dies auch durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet; Zustellungsdatum ist also der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat, m.w.N.). Da der Bescheid vom 30. November 2020 auch mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:versehen ist, findet somit die einmonatige Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO Anwendung, § 58 Abs. 1 VwGO. Damit lief die Monatsfrist zur Widerspruchseinlegung am 4. Dezember 2020 an, § 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB.
Die Widerspruchsfrist lief am 3. Januar 2021 ab; da aber der 3. Januar 2021 ein Sonntag war, verlängerte sich die Frist zur Widerspruchseinlegung bis zum Ablauf des folgenden Montags, den 4. Januar 2021, § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, § 188 Abs. 2 1. Alt. BGB. Der erst am 5. Januar 2021 per fax bei der Antragsgegnerin eingelegte Widerspruch war somit verfristet, der Bescheid vom 30. November 2020 zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig.
Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Widerspruchsfrist wurde nicht gestellt. Nach Aktenlage sind auch keine Gründe ersichtlich, die es geboten erscheinen lassen, dem Antragsteller insoweit von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 70 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 60 VwGO zu gewähren. Die fehlerhafte Rechtsauffassung seines Bevollmächtigten zur Berechnung der Widerspruchsfrist muss sich der Antragsteller zurechnen lassen; insoweit liegt keine verschuldenslose Verhinderung an der Einhaltung der Widerspruchsfrist vor.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs kann damit nicht angeordnet werden. Der Antrag ist somit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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