Zivil- und Zivilprozessrecht

Zu den Voraussetzungen des verspäteten Vorbringens und den Voraussetzungen der Rückgabe der Sicherheitsleistung

Aktenzeichen  7 C 896/18

Datum:
13.8.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46227
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Rosenheim
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 109 Abs. 1, § 707, § 719, § 769

 

Leitsatz

1. Nach dem absoluten Verzögerungsbegriff ist auf den Vergleich abzustellen, ob der Rechtsstreit allein durch Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei seiner Zurückweisung (ebenso BGHZ 75, 138).  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Feststellung der Rückgabe der Sicherheit (§ 109 Abs. 1 ZPO) kann erst getroffen werden, wenn der Schuldner seinen durch den Titel erwachsenen Pflichten nachgekommen ist. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Das Versäumnisurteil vom 14.05.2019 wird aufrechterhalten, soweit die Beklagten verurteilt worden sind, die Freigabe und die Auszahlung des beim Amtsgericht München zum Aktenzeichen 38 HL 326/16 hinterlegten Betrages von € 4.000,00 an die Klägerin zu bewilligen.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die zulässige Klage war begründet, sodass das Versäumnisurteil (mit Ausnahme der von der Beklagtenpartei zurückgenommenen Anträge) aufrechtzuerhalten war.
A.
Als zulässigen Einspruch war das Verfahren in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor Eintritt der Versäumnis befand, § 342 ZPO.
Der von der Beklagtenpartei eingelegte Einspruch war statthaft, § 338 ZPO, fristgerecht, § 339 ZPO, und wurde auch formgerecht eingelegt gemäß § 340 Abs. 1, 2 ZPO.
B.
Das Versäumnisurteil vom 14.05.2019 war aufrechtzuerhalten, da das Bestreiten der Passivlegitimation als verspätet zurückzuweisen war und im Übrigen eine Sicherheitsherausgabepflicht des Gläubigers nach Vergleich nicht besteht, da hierdurch die Veranlassung nicht weggefallen ist.
I.
Grundsätzlich haftet die von den Beklagten erbrachte Sicherheitsleistung nicht nur für die Hauptsache, sondern auch für Zinsen und Kosten des Verfahrens (Zöller-Herget, § 707 ZPO, Rn 21). Unstreitig umfassen diese aus dem Verfahren 7 C 1428/14 einen Betrag, der 4.000,00 €, also die hinterlegte Sicherheitsleistung übersteigt.
II.
Der Freigabeanspruch besteht gegenüber den Beklagten. Er ist nicht durch die erst in der Güteverhandlung behauptete Abtretung untergegangen bzw. gegen den falschen Beklagten gerichtet, da der Vortrag insoweit als verspätet zurückzuweisen war.
1. Der Vortrag mangelnder Passivlegitimation der Beklagten war als verspätetes Verteidigungsmittel gemäß § 146 ZPO als Einwendung zwingend zurückzuweisen bzw. nicht zuzulassen, da hierdurch der Rechtsstreit verzögert worden wäre, § 296 Abs. 1 ZPO.
a) Den Beklagten wurden mehrfach im Rahmen der Terminsladungsverfügung Fristen zur Beibringung dieser Angriffs- oder Verteidigungsmittel bzw. Anträge gesetzt. Diese Frist, zuletzt mit Terminsladungsverfügung zum Termin vom 13.08.2019, wurde nicht eingehalten.
b) Die Zulassung dieser Einwendung hatte indes die Erledigung des Rechtsstreits verzögert. Es gilt insoweit der absolute Verzögerungsbegriff. Demnach ist auf den Vergleich abzustellen, ob der Rechtsstreit allein durch Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei seiner Zurückweisung (BGHZ 75, 138). Vorliegend hat der Klagervertreter die Zulassung des Vortrags der fehlenden Passivlegitimation bestritten und insbesondere eine Schriftsatzfrist beantragt. Möglicherweise wäre hier Beweis zu erheben gewesen über diesen Vortrag. Es wäre damit, nachdem die Sache im Übrigen entscheidungsreif gewesen wäre, der anvisierte Verkündungstermin nicht einzuhalten gewesen. Zudem hätte erst das Verfahren Az.: 7 C 1428/14 beigezogen werden müssen. Der Rechtsstreit wäre ohne das Vorbringen im Ganzen entscheidungsreif gewesen. Es ist daher Verzögerung eingetreten.
c) Die Beklagtenpartei hat die Verzögerung ungenügend entschuldigt. Das verspätet vorgebrachte Verteidigungsmittel war der Beklagtenpartei nach eigener Auskunft bereits seit mehr als 3 Jahren bekannt. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wieso es erstmals in der Güteverhandlung vorgetragen wurde. Dies kann auch nicht damit entschuldigt werden, dass der vorgetragene Sachverhalt aus dem Verfahren 7 C 1428/14 bekannt sein soll. Denn die Beiziehung dieser Akte war bisher nicht erforderlich und auch nicht substantiiert beantragt worden.
2. Jedenfalls hat die Beklagtenpartei die behauptete Einwendung entgegen ihrer allgemeinen Prozessförderungspflicht nicht rechtzeitig vorgetragen, dies beruhte auch auf grober Nachlässigkeit, sodass die Einwendung zurückzuweisen war gemäß § 296 Abs. 2 ZPO.
Die Einwendung wurde erst in der mündlichen Verhandlung vorgebracht und damit jedenfalls später als es, abgestellt auf die jeweilige Prozesslage, einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entsprach (Thomas/Putzow, § 296 ZPO, Rn 34). Zudem wurde entgegen § 282 Abs. 2 ZPO trotz Fristsetzung der Vortrag nicht erbracht.
Der verspätete Vortrag war auch grob nachlässig, da er sich gerade auf die Prozessförderungspflicht bezog (BGH, NJW 82, 1533). Das Verhalten der Beklagtenpartei war prozessförderungswidrig durch ausnehmende Sorglosigkeit und Nichtbeachtung dessen, was jeder Partei nach dem Stand des Verfahrens einleuchten muss (BGH, NJW 1997, 2244):
Der Beklagtenpartei war seit mehr als 3 Jahren bekannt, dass aus ihrer Sicht eine wirksame Abtretung der Sicherheitsleistung erfolgt ist. Dennoch wurde der Vortrag erst in der Verhandlung erbracht. Dies, obwohl mehrfach vom Gericht Fristen gesetzt wurden und Fristen auch verlängert wurden. Insbesondere wurde die Beklagtenpartei nochmals vor dem 13.08.2019 darauf hingewiesen, dass eine Klageerwiderung nicht zu den Akten gelangt ist. Die Beklagtenpartei erhielt hierzu im Termin Gelegenheit zur Stellungnahme, verwies aber lapidar darauf, das aus einem anderen Verfahren die Abtretung „ja bekannt sei“. Dies führt jedoch nach der im Zivilprozess geltenden Dispositionsmaxime nicht dazu, dass das Gericht gleichwohl automatisch sämtliche Vorgänge aus einem anderen Verfahren, noch dazu mit einem Volumen von mehr als 1.000 Seiten, gewissermaßen „automatisch“ als Vortrag der Partei berücksichtigen muss
Nach alledem stellt sich das Verhalten der Beklagtenpartei bzw. des Beklagtenvertreters als grob nachlässig im Sinne der ZPO dar. Es war daher dieser Vortrag zurückzuweisen.
3. Ohnehin würde der Vortrag der Beklagtenpartei selbst bei Zulassung nichts an der Sach- und Rechtslage ändern, denn die Beklagten sind vorliegend nicht als Gläubiger, sondern eher als Schuldner anzusehen. Für die Rechtsverhältnisse zwischen den Beteiligten einer Sicherheitsleistung wäre von einer Vertragsübernahme auszugehen, für die die Zustimmung aller Beteiligten, somit auch der Klagepartei erforderlich ist (Palandt, § 398 BGB, Rn 41). Die einseitige Abtretung der Beklagten ohne Mitwirkung der Klagepartei ging daher ins Leere und hat keine rechtliche Wirkung entfaltet.
4. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist auch nicht die Veranlassung zu einer Sicherheitsleistung durch Abschluss des Vergleichs vom 13.05.2016 entfallen.
Es ist richtig, dass das Versäumnisurteil vom 29.01.2016 analog § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO gegenstandslos wurde, mithin es einer ausdrücklichen Aufhebung nicht bedürfte. Jedoch ist hierdurch nicht der Grund für die Sicherheitsleistung entfallen.
Die Veranlassung zur Sicherheitsleistung besteht in der Möglichkeit des Schadens, der dem Gegner aus der Durchführung einer vorläufigen Maßnahme erwachsen kann, wenn diese sich als ungerechtfertigt erweist (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 30. Auflage, § 109, Rn 6). Wird daher die vorläufige Maßregel aufgehoben, z.B. die Einstellung der Zwangsvollstreckung im Instanzenweg, so ist nunmehr der Fall eingetreten, für den die Sicherheit geleistet war, die Veranlassung dazu besteht jetzt erst recht und von einer Anwendung des § 109 ZPO kann keine Rede sein (Stein/Jonas/Leipold, a.a.O., Rn 7). § 109 Abs. 1 ZPO ist danach nur dann anzuwenden, wenn die Veranlassung für eine prozessuale Sicherheitsleistung derart weggefallen ist, dass der durch eine prozessuale Maßnahme möglicherweise entstehende Schaden nicht (mehr) eintreten kann (RGZ 50, 376). Nur wenn endgültig feststeht, dass kein Schaden erwachsen ist oder erwachsen kann, kommt eine Anwendbarkeit des § 109 Abs. 1 ZPO in Betracht. Eine solche Feststellung kann aber erst getroffen werden, wenn der Schuldner seinen durch den Vergleich erwachsenen Pflichten nachgekommen ist. Würde er sich in der Folge als zahlungsunfähig erweisen, wäre der Schaden durch die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil erwachsen. Würden die Beklagten die Sicherheitsleistung nach Abschluss des Vergleichs zurückerhalten, würde sich die einstweilige Einstellung in Wirklichkeit als eine solche ohne Sicherheitsleistung erweisen. Gerade nach einer vollen oder teilweisen Bestätigung des Versäumnisurteils kommt dem Gläubiger die Sicherheit zugute. Ein Wegfall der Veranlassung ist danach im Falle der §§ 719, 707 ZPO nur dann zu bejahen, wenn das Rechtsmittel zugunsten des Bestellers der Sicherheit ergangen ist (Zöller-Schneider, ZPO, 14. Auflage, § 109, Rn. 4).
Der Umstand, dass nicht ein die Berufung voll oder teilweise zurückweisendes Urteil ergangen ist, sondern die Parteien einen Vergleich abgeschlossen haben, rechtfertigt eine andere Betrachtungsweise nicht. Ein Vergleich stellt inhaltlich in der Regel die Teilbestätigung eines Urteils dar und kann aber ausdrücklich so abgefasst werden. Die Auslegung des hier abgeschlossenen Vergleichs ergibt nicht, dass die Klägerin erworbene Sicherungsrechte aufgegeben hat oder aufgeben wollte. Eine solche Auslegung wird auch allgemein einem Vergleich nicht gerecht, es sei denn, die Parteien hätten ausdrücklich die Rückgabe der nach §§ 719, 707 ZPO geleisteten Bürgschaft vereinbart (OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 1987, 447). Solange dies nicht geschieht, ist kein Wegfall der Veranlassung im Sinne des § 709 ZPO zu bejahen, die Bürgschaft dem Gläubiger, dessen Sicherungsbedürfnis gerade jetzt erst entsteht, weiterhin zu belassen.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass möglicherweise der Vergleich einen geringeren Inhalt hat als das Versäumnisurteil. Denn die Kosten sind vorliegend zum einen nicht reduziert worden. Zum anderen fehlt jeglicher Vortrag der Beklagtenpartei hierzu.
C.
Die Nebenentscheidungen fußen auf §§ 91, 269, 708, 709 S. 2 ZPO.


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