Baurecht

Zum sog. 16 m-Privileg nach Art. 6 Abs. 6 BayBO a.F.

Aktenzeichen  2 CS 20.2743

Datum:
15.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2812
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO aF Art. 6 Abs. 5, Abs. 6

 

Leitsatz

1. Für das sog. 16 m-Privileg gilt, dass sich der Nachbar auch darauf berufen kann, dass durch eine Verkürzung der Abstandsflächentiefen an den abgewandten Gebäudeseiten zugleich die gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO a.F. entfallen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Gebäude wird im Sinn von Art. 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 BayBO a.F. mit einer Außenwand an eine Grundstücksgrenze gebaut, wenn es sich um eine oberirdische, ein Gebäude nach außen gegenüber dem Freien abschließende Wand handelt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 2 Sa 20.642 2020-10-28 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg, weil die dargelegten Gründe keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO rechtfertigen (§ 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO). Der Senat sieht nach einer in einem Eilverfahren wie diesem angemessenen summarischen Prüfung (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 -1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581) im Rahmen der von ihm eigenständig zu treffenden Ermessensentscheidung keine Notwendigkeit für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers gemäß § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Antragsteller als Nachbar kann eine Baugenehmigung mit dem Ziel ihrer Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch ihrem Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage des Antragstellers als Eigentümer des Grundstücks FlNr. … wird jedoch aller Voraussicht nach erfolglos bleiben, weil der angefochtene Bescheid nicht an einem derartigen Mangel leidet.
Die angegriffene Baugenehmigung vom 18. März 2020 verstößt voraussichtlich nicht gegen die grundsätzlich nachbarschützenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO a.F.. Gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1b BayBO waren in der Baugenehmigung Abstandsflächenvorschriften zu prüfen.
Die Beigeladene kann sich vorliegend auf das sog. 16 m-Privileg nach Art. 6 Abs. 6 BayBO a.F. berufen. Der Senat hält insoweit an seinen Beschlüssen vom 6. Mai 2019 (2 CE 19.515 – juris) und vom 18. November 2019 (2 CS 19.1891 – juris) fest. Hiernach genügt vor zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge als Tiefe der Abstandsflächen die Hälfte der nach Art. 6 Abs. 5 erforderlichen Tiefe, mindestens jedoch 3 m (Satz 1 Halbsatz 1). Wird ein Gebäude mit einer Außenwand an eine Grundstücksgrenze gebaut, gilt Satz 1 nur noch für eine Außenwand; wird ein Gebäude mit zwei Außenwänden an Grundstücksgrenzen gebaut, so ist Satz 1 nicht anzuwenden; Grundstücksgrenzen zu öffentlichen Verkehrsflächen, öffentlichen Grünflächen und öffentlichen Wasserflächen bleiben hierbei unberücksichtigt (Satz 2). Aneinandergebaute Gebäude sind wie ein Gebäude zu behandeln (Satz 3).
Grundsätzlich kann eine Verkürzung einer Abstandsflächentiefe nur den Nachbarn in seinen Rechten verletzen, dessen Grundstück der betreffenden Außenwand gegenüberliegt (vgl. BayVGH, Großer Senat, B.v. 17.4.2000 – GS 1/1999 – 14 B 97.2901 – VGH n.F. 53, 89/95 f.; BayVGH, U.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – BayVBl 2016, 414). Für das sog. 16 m-Privileg ist jedoch entschieden, dass sich der Nachbar auch darauf berufen kann, dass durch eine Verkürzung der Abstandsflächentiefen an den abgewandten Gebäudeseiten zugleich die gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO a.F. entfallen (vgl. BayVGH, Großer Senat, B.v. 14.7.2000 – GS 1/1999 – 14 B 97.2901 – VGH n.F. 53, 89/96).
Vorliegend wird das Gebäude der Beigeladenen nicht im Sinn von Art. 6 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 1 BayBO a.F. mit einer Außenwand an eine Grundstücksgrenze gebaut. Denn Voraussetzung hierfür wäre eine oberirdische, ein Gebäude nach außen gegenüber dem Freien abschließende Wand (vgl. Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 30, 91; Kraus in Simon/Busse, BayBO, Stand September 2020, Art. 6 Rn. 8). Anderes gälte nur dann, wenn das Gebäude zwar an die Grenze gebaut wird, die anfallende Abstandsfläche aber vom Nachbarn übernommen wird (vgl. Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Bauer, Die neue bayerische Bauordnung, Stand: August 2020, Art. 6 Rn. 184; BayVGH, B.v. 5.3.2007 – 2 C 507.81 – juris). Hier wird jedoch das Gebäude der Beigeladenen nicht mit einer freistehenden Wand an der Grundstücksgrenze zum Nachbargrundstück errichtet, sondern auf einer Länge von ca. 8 m an das Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … deckungsgleich angebaut. Insoweit stellen z.B. auch die seitlichen Abschlusswände eines Reihenmittelhauses keine Außenwände im Sinn dieser Vorschrift dar, als sie profilgleich aneinandergefügt sind (vgl. BayVGH, Großer Senat, B.v. 21.5.1990 – GS 1/1989 – 2 B 88.2884 – VGH n.F. 43, 88/93). Damit kann die Beigeladene das sog. 16 m-Privileg vor zwei Außenwänden in Anspruch nehmen.
Mit dem Anbau an das Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … sind angesichts des Bestandsgebäudes auf diesem Grundstück und des geplanten Bauvorhabens der Beigeladenen keine aneinandergebauten Gebäude im Sinn von Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayBO a.F. gegeben, die wie ein Gebäude zu behandeln sind. Denn für das Vorliegen von aneinandergebauten Gebäuden in diesem Sinn ist es erforderlich, dass diese im Wesentlichen profilgleich, beispielsweise Doppelhaushälften oder Reihenmittelhäuser, an der Grundstücksgrenze, aneinandergebaut werden (vgl. BayVGH, Großer Senat, B.v. 21.5.1990 – GS 2/1989 – 2 B 88.2884 – VGH n.F. 43,88/93; Schwarzer/König, BayBO, 4. Auflage 2012, Art. 6 Rn. 92). Im vorliegenden Fall kann jedoch bereits aufgrund des Bestandsgebäudes auf dem Grundstück FlNr. … nicht mehr von aneinandergebauten Gebäuden, wie beispielsweise einem Doppelhaus ausgegangen werden. Vielmehr werden das Bauvorhaben der Beigeladenen und das Bestandsgebäude auf diesem Grundstück nach Süden hin über eine Länge von ca. 3 m nicht aneinandergebaut. Im Norden sind sie auf einer Länge von ca. 2,5 m nicht aneinandergebaut. Damit ist aber auch kein Doppelhaus im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben. Hiernach müssten die einzelnen Häuser eines Doppelhauses an der gemeinsamen Grenze qualitativ und quantitativ in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise so aneinandergebaut und auch im Übrigen so aufeinander abgestimmt sein, dass das von ihnen gebildete Gesamtgebäude als bauliche Einheit erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – BVerwGE 110, 355). Dies ist hier aufgrund der Tatsache, dass das Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … und das Bauvorhaben der Beigeladenen auf eine Gesamtlänge von ca. 5,50 m nicht aneinandergebaut werden, nicht der Fall. Bei den nicht aneinandergebauten Gebäudeteilen handelt es sich auch jeweils um massive, mindestens zweigeschossige Bauten. Im Übrigen ist das Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … auf einer weiteren Länge von ca. 8 m nicht an die gemeinsame Grundstücksgrenze gebaut.
Die Einwände des Antragstellers gegen die Rechtsprechung des Senats (B.v. 6.5.2019 – 2 CE 19.515 – juris) greifen nicht durch. Aus der Entscheidung des Großen Senats des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Mai 1990 (B.v. 21.5.1990 – GS 2/1989 – 2 B 88.2884 – VGH n.F. 43, 88) ergibt sich, dass die seitlichen Abschlusswände eines Gebäudes insoweit keine Außenwände im Sinn von Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO a.F. darstellen, als sie profilgleich mit einem anderen Gebäude aneinandergefügt sind. Zwar gilt Satz 2 der Vorschrift danach für solche Teile der Abschlusswände zwischen aneinandergebauten Gebäuden, die horizontal oder vertikal versetzt sind und dadurch nach außen in Erscheinung treten. Dabei besteht aber natürlich die Voraussetzung, dass an eine Grundstücksgrenze angebaut wird. Hierbei spielt es keine Rolle, ob an eine Grenze gleichzeitig von beiden Seiten oder zunächst zur einseitig angebaut wird, wenn der Anbau an der anderen Seite der Grenze, insbesondere aufgrund planungsrechtlicher Vorgaben, absehbar ist (vgl. BayVGH, Großer Senat, B.v. 21.5.1990 – GS 2/1989 – 2 B 88.2884 – VGH n.F. 43, 88/93). Dies ist jedoch vorliegend auf dem Grundstück FlNr. … und denen der Beigeladenen hinsichtlich einer Gesamtlänge von mehr als 13 m nicht der Fall.
Nachdem das Bauvorhaben der Beigeladenen nach Norden und nach Westen hin jeweils die volle Abstandsflächentiefe von 1 H gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 BayBO a.F. einhält, kann es nach Osten und nach Süden das sog. 16 m-Privileg nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO a.F. in Anspruch nehmen. Zum Grundstück des Antragstellers hin besitzt die abstandsflächenrelevante Außenwand eine Länge von ca. 12 m, während sie zum Grundstück FlNr. … hin eine solche von ca. 2,5 m aufweist.
Im Weiteren hat sich der Antragsteller nicht substantiiert mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2020 auseinandergesetzt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit im Sinn von § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil sie selbst keinen Antrag gestellt und damit kein Kostenrisiko auf sich genommen hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


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