Aktenzeichen 20 NE 20.2589
8. BayIfSMV § 12 Abs. 2 S. 2, § 12 Abs. 2 S. 3
IfSG § 28a Abs. 1 Nr. 14
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1
Leitsatz
1. An der Rechtsauffassung, dass § 12 Abs. 2 Satz 2 8. BayIfSMV im Hinblick auf die offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht vorläufig außer Vollzug zu setzen ist, hält der Senat auch nach Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Notlage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl I S. 2392) fest. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ausnahme zu Gunsten von Friseurbetrieben (§ 12 Abs. 2 Satz 3 8. BayIfSMV) erweist sich jedenfalls nicht als offensichtlich gleichheitswidrig; im Übrigen hätte selbst das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung für diese Privilegierung nicht ohne weiteres zur Folge, dass sich andere körpernahe Dienstleistungen ebenfalls darauf berufen könnten. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch der Einwand, dass in anderen Bundesländern Tattoo-Dienstleistungen weiterhin zulässig seien, führt zu keinem anderen Ergebnis. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der gebotenen Folgenabwägung überwiegen – weiterhin – die Interessen der Allgemeinheit am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Interessen der Normbetroffenen an einer vorläufigen Außervollzugsetzung. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
1. Mit seinem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO begehrt der Antragsteller sinngemäß, den Vollzug von § 12 Abs. 1 und Abs. 2 der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 30. Oktober 2020 (8. BayIfSMV, BayMBl. Nr. 616, geändert mit Verordnung vom 12.11.2020, BayMBl. 2020 Nr. 639), einstweilen auszusetzen.
2. Der Antragsgegner hat am 30. Oktober 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege die streitgegenständliche Verordnung erlassen, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
„§ 12
Handels- und Dienstleistungsbetriebe, Märkte
(1) Für Betriebe des Groß- und Einzelhandels mit Kundenverkehr gilt:
1. Der Betreiber hat durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 m zwischen den Kunden eingehalten werden kann.
2. Der Betreiber hat durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher ist als ein Kunde je 10 m2 Verkaufsfläche.
3. Für das Personal, die Kunden und ihre Begleitpersonen gilt Maskenpflicht; soweit in Kassen- und Thekenbereichen von Ladengeschäften durch transparente oder sonst geeignete Schutzwände ein zuverlässiger Infektionsschutz gewährleistet ist, entfällt die Maskenpflicht für das Personal.
4. Der Betreiber hat ein Schutz- und Hygienekonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen. …
(2) Für Dienstleistungsbetriebe mit Kundenverkehr gilt Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4. Dienstleistungen, bei denen eine körperliche Nähe zum Kunden unabdingbar ist, sind untersagt (zum Beispiel Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo-Studios). Abweichend von Satz 2 sind Dienstleistungen des Friseurhandwerks unter den Voraussetzungen des Satzes 1 zulässig.
…“
Die 8. BayIfSMV ist seit 2. November 2020 in Kraft und tritt mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft (§ 28 Satz 1 8. BayIfSMV).
3. Der Antragsteller, der in Bayern ein Tattoo-Studio betreibt, trägt zur Begründung seines mit Schriftsatz vom 1. November 2020 zunächst beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg gestellten und von diesem mit Beschluss vom 3. November 2020 an den Verwaltungsgerichtshof verwiesenen Eilantrags insbesondere vor, die Untersagung des Tattoo-Stechens stelle bei gleichzeitiger Zulassung der Ausübung des Friseurgewerbes eine unverhältnismäßige und gleichheitswidrige Beeinträchtigung seiner Berufs- und Gewerbefreiheit dar. Auch aufgrund der hohen hygienischen Standards und der getroffenen Schutzmaßnahmen bestünden in Tattoo-Studios sogar geringere Infektionsrisiken als in Friseurbetrieben. Schließlich sei unverständlich, warum die Tätigkeit des Tätowierens in anderen Bundesländern – etwa in Sachsen-Anhalt und Thüringen – auch weiterhin zugelassen bleibe.
4. Der Antragsgegner tritt dem Eilantrag entgegen.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO hat keinen Erfolg.
a) Der Senat hat mit Beschluss vom 11. November 2020 (Az. 20 NE 20.2485 – juris Rn. 23 ff.) im Rahmen einer Folgenabwägung den Antrag abgelehnt, § 12 Abs. 2 Satz 2 8. BayIfSMV vorläufig außer Vollzug zu setzten. Dabei ist er von offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausgegangen. Auf diese Entscheidung wird zur Vermeidung von Wiederholungen umfassend Bezug genommen. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Notlage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl I S. 2392) fest. Zwar ergänzt § 28a Abs. 1 Nr. 14 IfSG für Betriebsschließungen ein Regelbeispiel für eine notwendige Schutzmaßnahme nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Die Anwendung von § 28a IfSG auf die 8. BayIfSMV wirft aber zahlreiche Rechtsfragen auf, die derzeit im Eilverfahren nicht abschließend zu klären sind.
Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, B.v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20 – juris) und der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 – Vf. 90-VII-20 – BeckRS 2020, 31088) haben Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen gegen Betriebsschließungen nach der 8. BayIfSMV im Rahmen von Folgenabwägungen abgelehnt.
Der Antragsteller hat keine Gründe vorgetragen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Die Ausnahme zu Gunsten von Friseurbetrieben (§ 12 Abs. 2 Satz 3 8. BayIfSMV) erweist sich jedenfalls nicht als offensichtlich gleichheitswidrig (so auch BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 – Vf. 90-VII-20 – BeckRS 2020, 31088 – Rn. 33; BayVGH, B.v. 11.11.2020 – 20 NE 20.2485 – juris Rn. 34); im Übrigen hätte selbst das Fehlen einer sachlichen Rechtfertigung für diese Privilegierung nicht ohne weiteres zur Folge, dass sich andere körpernahe Dienstleistungen ebenfalls darauf berufen könnten (vgl. BayVGH, B.v. 27.4.2020 – 20 NE 20.793 – juris Rn. 39). Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass mit nah am Körper des Kunden ausgeführten Dienstleistungen – zu denen auch die Tätowierung gehört – keinerlei erhöhte Infektionsgefahr bestünde, hat der Antragsteller nicht vorgetragen und sind auch nicht erkennbar.
Auch der Einwand, dass in anderen Bundesländern Tattoo-Dienstleistungen weiterhin zulässig seien (vgl. etwa § 7 Abs. 2 Satz1 8. SARS-CoV-2-EindV ), führt zu keinem anderen Ergebnis. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung steht dem Einzelnen nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt zu (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. – juris Rn. 151).
b) Bei der damit gebotenen Folgenabwägung überwiegen – weiterhin – die Interessen der Allgemeinheit am Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) die Interessen der Normbetroffenen an einer vorläufigen Außervollzugsetzung. In der gegenwärtigen Situation der Pandemie – die sich seit der oben in Bezug genommenen Senatsentscheidung vom 11. November 2020 (Az. 20 NE 20.2485 – BeckRS 2020, 30790) nicht wesentlich verändert hat (vgl. RKI, Lagebericht vom 25.11.2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsbe-richte/Nov_2020/2020-11-25-de.pdf? blob=publicationFile; vgl. auch Tagesreport des RKI mit den Daten des DIVI-Intensivregisters, Stand 25.11.2020, abrufbar unter https://www.intensivregister.de/ …reporting) – fallen die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm im Hinblick auf die damit einhergehende mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten schwerer ins Gewicht als die Folgen ihres weiteren Vollzugs für die Interessen der Normadressaten, zumal die Bundesregierung einen Ausgleich wirtschaftlicher Verluste der Betriebe in Aussicht gestellt hat (vgl. auch BVerfG, B.v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20 – juris Rn. 12 ff.; BayVerfGH, E.v. 16.11.2020 – Vf. 90-VII-20 – BeckRS 2020, 31088 – Rn. 41).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die vom Antragsteller angegriffene Verordnung bereits mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft tritt (§ 28 Satz 1 8. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, weshalb eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren auf der Grundlage von Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit hier nicht angebracht ist.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).