Verwaltungsrecht

Keine Unzumutbarkeit wegen vorübergehender Trennung der Eheleute für die übliche Dauer des Visumverfahrens

Aktenzeichen  10 CE 18.1871, 10 C 18.1874

Datum:
24.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 982
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1, § 146
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 2, § 10 Abs. 3 S. 3, § 25 Abs. 5, § 28 Abs. 1 Nr. 1, § 60a Abs. 2, § 61 Abs. 1 S. 1, § 98 Abs. 3 Nr. 5a
GG Art. 6, Art. 19 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Fraglich ist, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. u.a. BayVGH BeckRS 2018, 28745). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels iSd § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG liegt nur vor, wenn ein strikter Rechtsanspruch besteht. Ein Sollanspruch oder eine Ermessensreduzierung auf Null bei der Befugnis zu einer Ermessensentscheidung sind hingegen nicht ausreichend (vgl. BVerwG BeckRS 2018, 18382). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Allein der Umstand, dass die Eheleute eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, genügt auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe und Familie durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht für eine Unzumutbarkeit (vgl. u.a. BayVGH BeckRS 2014, 56871). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Hat der nachziehende Ehegatte das nationale Visumverfahren ohne rechtfertigende Gründe umgehen wollen, ist es regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn die Behörde ihr Ermessen nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG zulasten des Betroffenen ausübt (vgl. u.a. BayVGH BeckRS 2014, 56871). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 4 E 18.3030 2018-08-13 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Verfahren 10 CE 18.1871 und 10 C 18.1874 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CE 18.1871 wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seinen Beschwerden verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Duldung aus humanitären Gründen zu erteilen und bis auf weiteres aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu unterlassen sowie einen entsprechenden Prozesskostenhilfeantrag, weiter.
Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste Anfang Januar 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte Ende Februar 2015 einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. Mai 2017 abgelehnt wurde. Die hiergegen erhobene Klage hat das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 2. März 2018, rechtskräftig seit 9. März 2018, als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
Am 19. Dezember 2017 heiratete der Antragsteller eine deutsche Staatsangehörige.
Mit Schreiben vom 13. Februar 2018 beantragte er beim Antragsgegner die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären und hilfsweise aus humanitären Gründen sowie die Erteilung einer Duldung im Hinblick auf die bestehende und gelebte eheliche Lebensgemeinschaft und hilfsweise auf Erteilung einer Ermessensduldung.
Nachdem der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung seiner Anträge anhörte, beantragte dieser am 22. Juni 2018 beim Bayerischen Verwaltungsgericht München u.a., den Antragsgegner zu verpflichten, ihm eine Duldung zu erteilen und hilfsweise ihn vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht abzuschieben.
Mit Bescheid vom 11. Juli 2018 lehnte der Antragsgegner die Anträge ab. Hinsichtlich der begehrten Duldung wurde der Antragsteller auf die Möglichkeit der Nachholung des Visumverfahrens verwiesen. Dringende humanitäre Gründe für die vorübergehende weitere Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet lägen ebenfalls nicht vor, da der Antragsteller einen Daueraufenthalt anstrebe.
Mit Beschluss vom 13. August 2018, zugestellt am 20. August 2018, lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag nach § 123 VwGO ab (Az. M E 18.3030). Der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, weil die Abschiebung nicht rechtlich in Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG unmöglich sei. Weder habe er offensichtlich einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels – siehe hierzu Beschluss im Verfahren M 4 S 18.3653 – noch sei vorgetragen oder ersichtlich, dass eine (vorübergehende) Trennung des Antragstellers von seiner Ehefrau zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Familieneinheit führen würde. Auch eine Duldung im Ermessenswege komme nicht in Betracht, da weder dringende humanitäre oder persönlich Gründe noch erhebliche öffentliche Interessen glaubhaft gemacht worden seien. Solche seien nicht in dem Wunsch, in Deutschland bei der Ehefrau bleiben zu können, zu sehen. Der Antragsteller strebe ersichtlich einen Daueraufenthalt an.
Gleichzeitig lehnte das Verwaltungsgericht einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO ab (Az. M 4 S 18.3653). Die hiergegen erhobene Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 9. Oktober 2018 zurückgewiesen (Az. 10 CS 18.1873).
Der Antragsteller legte am 23. August 2018 gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. August 2018 (Az. M E 18.3030) Beschwerde ein und beantragt,
dem Antragsgegner zu untersagen, den Antragsteller vor Entscheidung im vorliegenden Verfahren oder im Beschwerdeverfahren Az. 10 CS 18.1873 abzuschieben (Hängebeschluss).
Hinsichtlich der begehrten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis trete die Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht ein, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Antragstellers nicht als offensichtlich unbegründet abgelehnt habe, so dass eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilt werden könne. Der Antragsteller habe seinen Wohnsitz bei seiner Ehefrau angemeldet, es bestehe eine familiäre und häusliche Lebensgemeinschaft. Demzufolge bestehe ein dauerhaftes Abschiebungshindernis. Im Falle einer Gestattung der Wohnsitznahme bei seiner Ehefrau könnte der Antragsteller seinen Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit sicherstellen. Ferner teilte er mit, dass er über das Online-Buchungsportal bis einschließlich November bzw. Dezember 2018 bei der Deutschen Auslandsvertretung in Nigeria keinen Termin für die Beantragung eines Visums zum Zwecke der Familiennachzugs erhalten habe.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller sei ohne das erforderliche Visum eingereist. Es bleibe ihm unbenommen, ein Visum zum Familiennachzug zu beantragen. Es seien keine Gründe für eine Aussetzung der Abschiebung bis zur Entscheidung über die Beschwerde ersichtlich. Der vorliegende Fall sei auch nicht vergleichbar mit jener Konstellation, in der die Rechtsprechung wegen der Betreuung eines sehr kleinen Kindes auch die vorübergehende Trennung zum Zwecke der Nachholung des Visumverfahrens als unzumutbar erachtet habe. Der Antragsteller habe auch keinen Anspruch auf möglichst schnelle Vorsprache und Visumerteilung. Gewisse Verzögerungen bei der Bearbeitung der Anträge seien wie von anderen Antragstellern auch hinzunehmen. Der Antragsteller sei seit dem 9. März 2018 vollziehbar ausreisepflichtig, beziehe Leistungen nach dem AsylbLG und halte sich entgegen der Wohnsitzverpflichtung nicht in der Asylunterkunft, sondern bei seiner Ehefrau in Münster auf. Einer schriftlichen sowie mündlichen Verlassensaufforderung der Stadt Münster sei er nicht nachgekommen. Über den Antrag auf private Wohnsitznahme des Antragstellers vom 5. April 2018 sei bislang nicht entschieden worden. Gegenüber dem Antragsteller bestehe ein gesetzliches Erwerbstätigkeitsverbot. Es sei die Ablehnung des Antrags auf Genehmigung der Erwerbstätigkeit beabsichtigt.
Abschließend wies der Antragsteller mit Schriftsätzen vom 28. September und 4. Oktober 2018 daraufhin, dass auch nach derzeitigem Kenntnisstand auf der Internetseite der Deutschen Botschaft bis Ende Dezember 2018 kein Termin habe gebucht werden können, obwohl dies beinahe täglich versucht werde.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden sind zulässig (1.), bleiben jedoch in der Sache ohne Erfolg (2.).
1. Die Zulässigkeit der Beschwerde scheitert nicht daran, dass der Antragsteller keinen ausdrücklichen Beschwerdeantrag gestellt hat. Zwar verlangt die in § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO geforderte Begründung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO grundsätzlich einen bestimmten Antrag, der sich aus dem Antrag auf Aufhebung bzw. Änderung des angefochtenen Beschlusses und dem Sachantrag zusammenzusetzen hat. Der Beschwerdeantrag kann sich aber auch – wie hier – sinngemäß aus den Beschwerdegründen ergeben. Insofern genügt es dem Antragserfordernis i.S.v. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, wenn sich aus dem innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO Vorgetragenen mit hinreichender Bestimmtheit ermitteln lässt, in welchem Umfang und mit welchem Ziel die Entscheidung des Verwaltungsgerichts angefochten werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 1.8.2016 – 15 CS 16.1106 – juris Rn. 13; B.v. 28.12.2016 – 15 CS 16.1774 – juris Rn. 21; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 21 unter Bezugnahme auf § 124a Rn. 25). Im vorliegenden Fall ist den inhaltlichen Ausführungen der gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO fristgerecht per Telefax am 12., 14. und 20. September 2018 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schritsätze des Antragstellers gem. § 88 VwGO zu entnehmen, dass es ihm neben dem ausdrücklich gestellten Antrag auf Erlass eines „Hängebeschlusses“ in der Sache darum geht, den Antragsgegner zu verpflichten, ihn unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 13. August 2018 (vorläufig) zu dulden bzw. aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu unterlassen.
2. Die im Beschwerdeverfahren 10 CE 18.1871 dargelegten Gründe, die der Senat ausschließlich prüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen weder eine vorläufige Untersagung der (geplanten) Abschiebung im Wege eines sog. „Hängebeschlusses“ (a)) noch eine Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses in dessen Ziffer I. (b)). Die Beschwerde gegen Ziffer IV. des Beschlusses (10 C 18.1874) ist ebenfalls unbegründet, weil das Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren zu Recht abgelehnt hat (c)).
a) Zunächst ist, soweit der Antragsteller die Ermöglichung des Aufenthalts in Deutschland bis zum Abschluss seiner ausländerrechtlichen Eilverfahren begehrt, nichts dafür ersichtlich, dass es im vorliegenden Fall aus Rechtsschutzgründen (Art. 19 Abs. 4 GG) ausnahmsweise geboten wäre, dem Antragsgegner die (geplante) Abschiebung des Antragstellers im Wege eines Hängebeschlusses vorläufig zu untersagen. Nach der gesetzlichen Konzeption hat die erhobene Beschwerde keine aufschiebende Wirkung (§ 149 VwGO). Auch wenn dem Antragsteller nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens bereits am 29. Mai 2018 eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgehändigt wurde, ist vorliegend schon nicht ersichtlich, dass seine Aufenthaltsbeendigung unmittelbar bevorsteht. Der Antragsgegner hat hierzu auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass dieser rechtzeitig vor ggf. beabsichtigten Vollstreckungsmaßnahmen informiert werde. Mangels entsprechender Mitteilung ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand daher nicht von einer unmittelbar bevorstehenden Aufenthaltsbeendigung auszugehen. Es kann demzufolge schon deswegen nicht angenommen werden, dass eine Zwischenentscheidung erforderlich ist, weil zu befürchten wäre, dass bis zur abschließenden gerichtlichen Eilentscheidung unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots der Gewährung effektiven Rechtschutzes vollendete Tatsachen geschaffen werden, bei deren Eintreten dem Antragsteller als Rechtsschutzsuchenden ein gewichtiger, nicht mehr wiedergutzumachender Nachteil entstünde (vgl. BVerfG, B.v. 27.2.2009 – 2 BvR 538/07 – juris Rn. 24 f.; BVerwG, B.v. 20.8.2012 – 7 VR 7.12 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 24.11.2017 – 22 CS 17.2661 – juris Rn. 10).
b) Darüber hinaus hat der Antragsteller den für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO). Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens ergibt sich nicht, dass ihm (vorläufig) eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zu erteilen wäre.
Die Abschiebung eines Ausländers ist nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
aa) Vorrangig zu prüfen ist, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels, insbesondere nach § 25 AufenthG, in Betracht kommt (Nr. 60a.2.0.2 AV-AufenthG). Dies ist hier, wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht entschieden hat, offensichtlich nicht der Fall. Dabei bleibt im vorliegenden Beschwerdeverfahren ohne Bedeutung, dass, wie der Antragsteller zu Recht moniert, das Verwaltungsgericht unzutreffend von der Anwendbarkeit der Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgegangen ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2018 – 10 CS 18.1873, 10 C 18.1870 – Rn. 7 m.w.N). Denn im Ergebnis zu Recht ist mit dem Verwaltungsgericht anzunehmen, dass die Abschiebung nicht unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit wegen eines offensichtlichen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtlich unmöglich ist.
Zunächst ist schon fraglich, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 10 C 18.1782 – juris Rn. 7; NdsOVG, U.v. 8.2.2018 – 13 LB 43/17 – ZAR 2018, 176; OVG Bremen, U.v. 16.3.2017 – 1 B 21/17 – BeckRS 2017, 105559; VGH BW, U.v. 13.12.2010 – 11 S 2359/10 – InfAuslR 2011, 250).
Dessen ungeachtet scheitert die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG jedenfalls daran, dass die erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG nicht vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 10 C 18.1782 – juris Rn. 7; Maaßen/Kluth in BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2018, § 25 Rn. 148). Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Beschluss durch seine Bezugnahme auf den Beschluss vom 13. August 2018 im Verfahren Az. M 4 S 18.3653, und dort auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Antragsgegners vom 11. Juli 2018, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch mangels Vorliegens der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abgelehnt. Dem tritt die Beschwerde nicht in einer dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO gerecht werdenden Weise entgegen. Sie geht nicht auf die als maßgeblich zu erachtenden allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen ein. Vorliegend dürfte neben dem vom Verwaltungsgericht herangezogenen Ausweisungsinteresse wegen der illegalen Einreise des Antragstellers (B.v. 13.8.2018 – M 4 S 18.3653 – BA S. 9, 2. Absatz) ein solches gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 i.V.m. § 98 Abs. 3 Nr. 5a. AufenthG auch wegen des Verstoßes des Antragstellers gegen die räumliche Beschränkung aus § 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bestehen. Denn er hat sich nach eigenem Vortrag am Wohnort seiner Ehefrau (Stadt Münster) angemeldet und führt dort eine häusliche Lebensgemeinschaft.
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kommt wegen der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG nicht in Betracht. Ein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG liegt nur vor, wenn ein strikter Rechtsanspruch besteht; ein Sollanspruch oder eine Ermessensreduzierung auf Null bei der Befugnis zu einer Ermessensentscheidung sind hingegen nicht ausreichend (vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 27 m.w.N.). Ein Anspruch des Antragstellers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in diesem Sinne besteht jedoch nicht. Denn es sind nicht alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt, weil die Voraussetzungen von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (s.o.) nicht vorliegen. Vielmehr kommt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Betracht.
bb) Schließlich hat der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen, wonach es ihm bislang von Deutschland aus nicht gelungen sei, einen (zeitnahen) Termin bei der Deutschen Auslandsvertretung für die Beantragung eines Visums zum Zwecke des Ehegattennachzugs zu erhalten, keine besonderen Umstände seines Einzelfalls dargetan bzw. glaubhaft gemacht, aufgrund derer die Nachholung des Visumverfahrens für ihn derzeit oder gar dauerhaft nicht zumutbar wäre. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht im Ausgangspunkt zu Recht darauf abgestellt, dass weder Art. 6 Abs. 1 und 2 GG noch Art. 8 Abs. 1 EMRK das Recht auf Einreise und Aufenthalt gewährleisten und dies auch für den Nachzug zu berechtigterweise in Deutschland lebenden Familienangehörigen gilt. Zwar braucht es ein betroffener Ausländer mit Blick auf Art. 6 GG nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung seiner familiären Bindungen daran gehindert zu werden, bei seinen im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen Aufenthalt zu nehmen. Allein der Umstand, dass die Eheleute eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht jedoch für eine Unzumutbarkeit auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe und Familie durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2014 – 19 CS 14.1576 – juris Rn. 41, B.v. 21.7.2015 – 10 CS 15.859 u.a. – juris Rn. 67; B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 u.a. – juris Rn. 5). Hat der nachziehende Ehegatte – wie der Antragsteller – ohne dies rechtfertigende Gründe das nationale Visumverfahren umgehen wollen, ist es regelmäßig nicht zu beanstanden, wenn die Behörde ihr Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zulasten des Betroffenen ausübt (BayVGH a.a.O.). Das Verwaltungsgericht ist zu Recht auch davon ausgegangen, dass die Dauer des Visumverfahrens nicht als besonderer Umstand des Einzelfalls zu werten ist, der die Nachholung des Visumverfahrens unzumutbar macht. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nichts dafür ersichtlich ist, weshalb dem Antragsteller eine vorübergehende Trennung von seiner Ehefrau unzumutbar sein soll. Im Übrigen ist die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerksverfahren im Heimatland durchzuführen und muss ggf. ebenso gewisse Verzögerungen bei der Einleitung und Durchführung des Visumverfahrens hinnehmen (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11; B.v. 20.6.2017 – 10 C 17.744 – juris Rn. 11).
cc) Dringende humanitäre oder persönliche Gründe im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG sind aus vorstehenden Erwägungen ebenfalls nicht gegeben. Außerdem strebt der Antragsteller, wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, nicht nur eine vorübergehende Anwesenheit, sondern einen Daueraufenthalt an.
2. Die Beschwerde gegen die Versagung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe war ebenfalls zurückzuweisen. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO hatte im Zeitpunkt der Bewilligungsreife aus den unter 1. dargestellten Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.Vm. § 114 Abs. 1 ZPO).
3. Die Kostenentscheidung für beide Beschwerdeverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
4. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren 10 CE 18.1871 beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 2 GKG. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 18.1874 bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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