Strafrecht

322 Ds 285 Js 32704/21

Aktenzeichen  322 Ds 285 Js 32704/21

Datum:
8.6.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
AG Halle (Saale)
Dokumenttyp:
Beschluss
Spruchkörper:
undefined

Tenor

Unter Aufhebung des Beschlusses des Kostenbeamten vom 13.04.2022 wird die dem Pflichtverteidiger D. aus der Landeskasse zu zahlende Pflichtverteidigervergütung auf den Kostenerstattungsantrag vom 25.03.2022 auf 925,11 € festgesetzt.
Abzüglich des bereits im Vorschusswege erstatteten Betrages in Höhe von 685,44 € verbleibt ein Erstattungsbetrag in Höhe von
239,67 EUR.
Der weitergehende Antrag wird als unbegründet zurückgewiesen
Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I
Der verstorbene Angeklagte war verdächtig, am 21.08.2021 gegen 12:32 Uhr einen Diebstahl versucht zu haben. Ihm wurde mit Beschluss vom 22.08.2021 des Ermittlungsrichters (BER 115/21) im Rahmen der Haftbefehlsprüfung der Rechtsanwalt D. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Nach Durchführung des Haftprüfungstermins wurde der Antrag auf Erlass eines Haftbefehls durch den zuständigen Richter zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft Halle erhob am 27.09.2021 Anklage wegen versuchten Diebstahls.
Nach Durchführung des Zwischenverfahrens wurde die Anklage der Staatsanwaltschaft Halle am 11.01.2022 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren wurde eröffnet. Ein Hauptverhandlungstermin wurde für Mittwoch, den 23.02.2022, anberaumt. Am 31.01.2022 wurde der Angeklagte tot in Halle aufgefunden. Dem Gericht wurde dies bekannt, weil der Ermittlungsrichter am 04.02.2022 die Leichenöffnung angeordnet hat. Eine Ablichtung dieser Anordnung gelangte zur Strafakte (Bl. 103). Am 07.02.2022 nach Kenntnisnahme von dem vermutlichen Versterben des Angeklagten hob der Strafrichter mit Verfügung vom 07.02.2022 den für den 23.02.2022 anberaumten Hauptverhandlungstermin auf. Gleichzeitig wurde verfügt, dass der Verteidiger, der Bewährungshelfer sowie die Staatsanwaltschaft mit dem Hinweis, dass der Angeklagte verstorben sein soll, abzuladen seien.
Mit elektronischem Posteingang vom 07.02.2022 um 14:08:07 Uhr geht ein Schriftsatz des Verteidigers vom 07.02.2022 ein, in dem er erklärt, dass ihm mitgeteilt worden sei, dass sein Mandant kürzlich verstorben sei. Gleichzeitig regt der Verteidiger an, den bereits anberaumten Hauptverhandlungstermin aufzuheben, das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen und eine Kostenentscheidung gemäß § 467 Abs. 1 StPO zu treffen. Hierzu führt er näher aus.
Nach Vorlage einer Sterbeurkunde wurde das Strafverfahren mit Beschluss vom 21.03.2022 gemäß § 206a StPO eingestellt. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt. Mit Gebühren- und Auslagenantrag vom 25.03.2022 macht der Verteidiger (neben einer Grundgebühr mit Zuschlag i.H.v. 216,00 €, einer Verfahrensgebühr mit Zuschlag i.H.v. 178 €, einer Termingebühr für die Haftrichtervorführung am 22.08.2021 i.H.v. 182,00 €, einer Verfahrensgebühr für den 1. Rechtszug vor dem Amtsgericht i.H.v. 145,00 €, der Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen i.H.v. 20,00 € und Ablichtungen i.H.v. 36,40 €) eine „Befriedigungsgebühr“ i.H.v. 145,00 € gemäß Nr. 4141 VV RVG geltend, insgesamt mit 19 % Umsatzsteuer eine Summe von 1097,66 € abzüglich eines am 14.10.2021 gewährten Vorschusses i.H.v. 685,44 €. Der verbleibende Betrag i.H.v. 412,22 € wurde mit dem Beschluss des Kostenbeamten vom 13.04.2022 festgesetzt und anschließend ausgezahlt.
Gegen diesen Beschluss legte die Bezirksrevisorin bei dem Amtsgericht Halle (Saale) gemäß § 11 RPflG Erinnerung ein, die sie auf die Festsetzung und Erstattung der beantragten Gebühr des Pflichtverteidigers Nr. 4141 VV RVG i.H.v. 145,00 € beschränkt. Die Erinnerung wird im Wesentlichen damit begründet, dass eine Mitwirkung im Sinne der Vorschrift nicht festzustellen sei, da das Versterben des Angeklagten dem Gericht bereits bekannt gewesen sei.
Der Kostenbeamte hat der Erinnerung mit Beschluss vom 29.04.2022 nicht abgeholfen und das Verfahren dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
II
Die Erinnerung ist zulässig und begründet. Die Gebühr Nr. 4141 VV RVG steht dem Pflichtverteidiger nicht zu. Es fehlt an einer „Mitwirkung“ im Sinne dieser Vorschrift.
Danach entsteht eine zusätzliche Gebühr, wenn die Hauptverhandlung durch die anwaltliche Mitwirkung entbehrlich wird, etwa, weil das Gericht beschließt, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen oder sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl oder ein sonstiges Rechtsmittel erledigt oder wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird.
Hier ist nur die letzte Alternative betroffen, sodass die Verfahrensgebühr nur entsteht, wenn die Hauptverhandlung durch die anwaltliche Mitwirkung entbehrlich geworden ist.
Die zusätzliche Gebühr Nr. 4141 VV fällt an, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Der Verteidiger verliert durch solche Tätigkeiten die Termingebühr(en). Die Gebühr Nr. 4141 VV soll für ihn Anreiz sein, sich dennoch um eine Erledigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung zu bemühen. Die Gebühr dient mithin der Entlastung der Gerichte (Vgl. BT-Drs. 12/6962, 106).
Welchen Umfang die anwaltliche Mitwirkung haben muss, ist in Literatur und Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Einigkeit besteht allerdings insgesamt dahingehend, dass das Vermeiden der Hauptverhandlung und die Verfahrenseinstellung nicht ursächlich auf die anwaltliche Mitwirkung zurückzuführen sein müssen, sondern dass es ausreichend ist, wenn die anwaltliche Mitwirkung dazu beigetragen haben kann. Die Gebühr entsteht jedenfalls nach Nr. 4141 VV RVG Abs. 2 nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist. Auch wenn die Einstellung ausschließlich von Amts wegen vorgenommen wird, soll die Gebühr nicht anfallen (Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25.Auflage 2021, RNr. 6 zu Nr. 4141 m.w.N.) Diese Einschränkungen zeigen, dass nicht jede anwaltliche Tätigkeit die Gebühr auslöst.
Es genügt somit jede auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit, die objektiv geeignet ist, das Verfahren im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern (BGH NJW 2009, 368). In der Rechtsprechung und Literatur wird es deshalb als ausreichend für die Entstehung der Gebühr betrachtet, wenn der Verteidiger dem Gericht über den Tod seines Mandanten berichtet, falls das Gericht nicht bereits anderweitig von dem Tod erfahren hat (Vgl. LG Leipzig, Beschluss vom 19.06.2020 – 2 Qs 8/20 jug.; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25.Auflage 2021, RNr. 8 zu Nr. 4141 m.w.N.)).
Hier liegt genau dieser Tatbestand vor: Die Nachricht vom Tod des Angeklagten erreichte das Gericht am 07.02.2022 aufgrund einer internen Mitteilung, ohne dass der Verteidiger mitgewirkt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hat der Vorsitzende dementsprechend den Hauptverhandlungstermin am 23.02.2022 aufgehoben, ohne dass der Verteidiger eine Mitwirkungshandlung erbracht hatte. Der Unterzeichner kann sich noch sehr gut daran erinnern, dass er den Verteidiger im Zusammenhang mit der Kenntnis über den Tod und die Verfügung über die Aufhebung des Hauptverhandlungstermins telefonisch bereits vorab darüber informiert hat, sodass der Vorsitzende derjenige ist, der dem Verteidiger die entsprechende Mitteilung gemacht hat, die in seinem Schreiben vom 07.02.2022 genannt ist. Zum Eingang des Schreibens des Verteidigers war bereits von Amts wegen der Hauptverhandlungstermin aufgehoben und deshalb schon bekannt, dass der Hauptverhandlungstermin voraussichtlich nicht stattfinden werde.
Nach Auffassung des Gerichts liegt aber auch aus einem anderen Grund der Gebührentatbestand nicht vor, unabhängig davon, ob das Schreiben des Verteidigers als Mitwirkung betrachtet wird. Denn bereits der Wortlaut der Gebührenvorschrift lässt erkennen, dass es um „Mitwirkung“ an der „Entbehrlichkeit“ einer Hauptverhandlung geht, also eine gewisse Einflussnahme (nicht Ursächlichkeit!) auf die entsprechenden Entscheidungen von Gericht und Staatsanwaltschaft im Rahmen der Verfahrenseinstellung zumindest möglich erscheint. Im Falle des Todes des Angeklagten endet das Strafverfahren jedoch von sich aus, sodass eine Hauptverhandlung nicht erst entbehrlich wird, sondern gar nicht stattfinden kann. Eine Einflussnahme auf den Ausgang des Verfahrens ist dem Verteidiger gar nicht mehr möglich. Da eine Hauptverhandlung nicht –mehr- stattfinden kann, hat der Verteidiger auch grundsätzlich keine Gebühr dafür mehr verdient, deren Verlust durch eine Handlung von ihm durch eine zusätzliche Gebühr zu kompensieren wäre.
Dass das Verfahren gemäß § 206a StPO später einzustellen sein wird, hat dementsprechend rein deklaratorische Bedeutung, ohne dass damit eine weitere Rechtswirkung eintritt, außer dass gegebenenfalls Nebenentscheidungen plausibel werden, wie etwa eine Kostenentscheidung. Mit dem Tod des Mandanten endet im Übrigen bereits die Verteidigung, so dass Handlungen nach dem Tod des Angeklagten keine –zusätzlichen- Gebühren auslösen können. Lediglich über die bereits entstandenen Gebühren wären gegebenenfalls noch Entscheidungen zu treffen (überzeugend: Stollenwerk in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, RNr. 15 zu Nr. 4141 m.w.N.).
III
Gemäß § 56 Abs. 2 RVG ist das Verfahren gebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
IV
Gemäß § 33 Abs. 3 S. 2 RVG lässt das Gericht die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung zu. Der Beschwerdewert von mindestens 200,00 Euro ist nicht überschritten: Es geht um den Betrag von 145,00 Euro zzgl. Mehrwertsteuer in Höhe von 27,50 Euro, insgesamt also 172,55 Euro.
Grundsätzliche Bedeutung erlangt das Verfahren wegen der nicht abschließenden und streitigen Rechtsfrage zu dem Umfang der Mitwirkung des Verteidigers, wenn wegen des Todes des Angeklagten die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Diese Frage ist bisher nicht abschließend geklärt. Zudem liegt hinsichtlich der Festsetzung der notwendigen Auslagen des Angeklagten ein weiterer Festsetzungsantrag des Verteidigers vor, in dem ebenfalls eine Befriedigungsgebühr geltend gemacht wird.


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