Baurecht

Baugenehmigung für ein Lager, Gebietserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme, Gemengelage, Nachbarklage, Zimmerei

Aktenzeichen  M 1 K 20.6867

Datum:
25.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10521
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2
BauGB § 35
BauNVO §§ 4, 5
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.  

Gründe

I. Die Klage hat keinen Erfolg, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist. Der angefochtene Bescheid vom 3. Dezember 2020 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Im Rahmen von Rechtsbehelfen Dritter können sich diese nur dann erfolgreich gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt den Kläger nicht in seinen nachbarschützenden Rechten. Dem Kläger steht kein Gebietserhaltungsanspruch zu (1.) Es spricht bereits einiges dafür, dass die im Allein- bzw. Miteigentum des Klägers stehenden Grundstücke FlNrn. 403 und 405 Gem. … dem bauplanungsrechtlichen Außenbereich gemäß § 35 BauGB zugehören, sodass ein Gebietserhaltungsanspruch schon deshalb ausscheidet (1. a). Ferner ist selbst bei Annahme eines Bebauungszusammenhangs und Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit nach § 34 BauGB ein derartiger Anspruch nicht gegeben, da von einer Gemengelage auszugehen ist (1. b). Die Baugenehmigung verletzt nicht das Gebot der Rücksichtnahme (2.). Das Vorhaben begegnet überdies keinen Bedenken hinsichtlich der Erschließung (3.). Die Baugenehmigung ist schließlich nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise unbestimmt (4.).
1. Dem Kläger steht kein Gebietserhaltungsanspruch zu.
Der allgemeine bauplanungsrechtliche Gebietserhaltungsanspruch gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht, und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung des Nachbarn ihn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht (BayVGH, U.v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 27). Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG, U.v. 11.5.1989 – 4 C 1.88 – juris Rn. 43). Aus der Gleichstellung beplanter und faktischer Baugebiete entsprechend der Baunutzungsverordnung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB ergibt sich, dass ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (BVerwG, B.v. 22.12.2011 – 4 B 32.11 – juris Rn. 5). Dies bedeutet, dass auch innerhalb von faktischen Baugebieten über § 34 Abs. 2 BauGB eine nachbarschützende Wirkung entsteht. Der Grundsatz, dass sich ein Nachbar im Plangebiet auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden kann, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird, lässt sich daher auf den Nachbarschutz im faktischen Baugebiet übertragen.
a) Vorliegend spricht einiges dafür, dass die im Allein- bzw. Miteigentum des Klägers stehenden Grundstücke FlNrn. 403 und 405 im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gemäß § 35 BauGB liegen, sodass bereits deshalb ein Gebietserhaltungsanspruch ausscheidet.
Die Frage der Zuordnung eines Grundstücks oder eines Teiles eines Grundstückes zum Außenbereich beurteilt sich unter Berücksichtigung der Begriffsbestimmungen des nichtbeplanten Innenbereichs und des qualifizierten Bebauungsplans sowie den konkreten Umständen eines jeden Einzelfalles (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 143. EL 2021, § 35 Rn. 15). Bei der Abgrenzung des Bebauungszusammenhangs im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB zum Außenbereich ist für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs ausschlaggebend, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die in Rede stehende Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört (BayVGH, U.v. 17.11.2021 – 1 N 20.1182 – juris Rn. 18). Maßgeblich ist grundsätzlich die tatsächlich vorhandene Bebauung. „Bebauung“ im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB ist indes nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (BVerwG, B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – juris Rn. 6).
Ausgehend davon sieht das Gericht vorliegend aufgrund des Eindrucks im Rahmen des Augenscheins sowie der in den Akten befindlichen Lagepläne erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass die im Allein- bzw. Miteigentum des Klägers stehenden Grundstücke FlNrn. 403 und 405 nicht am Bebauungszusammenhang der östlich und südlich gelegenen Grundstücke teilnehmen, sondern im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gemäß § 35 BauGB liegen. Entsprechend der dargestellten Voraussetzungen für eine maßstabsbildende, prägende Bebauung hinsichtlich Art und Gewicht spricht einiges dafür, dass der Bebauungszusammenhang des westlichen Ortsrandes an der westlichen Außenwand des Gebäudes auf dem Grundstück FlNr. 4/5 und nördlich davon mit der jeweiligen Außenwand der Gebäude auf den Grundstücken FlNrn. 14 und 16 endet. Dass der Bebauungszusammenhang somit keiner geraden Linie folgt, ist unschädlich, da die Grenzlinie zwischen Innen- und Außenbereich im Einzelfall auch durch Vor- und Rücksprünge gekennzeichnet sein kann (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 143. EL 2021, § 34 Rn. 25).
Keines der Grundstücke des Klägers ist ferner von dreiseitiger Bebauung umgeben. Insoweit gilt die Regelvermutung, dass ein Grundstück regelmäßig nur dann dem Innenbereich zuzuordnen ist, wenn es an mindestens drei Seiten von Bebauung umgeben ist (BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 ZB 12.468 – juris Rn. 3). Der östliche Teil des Grundstücks FlNr. 403 weist allenfalls auf zwei Seiten – südlich und östlich – einen räumlichen Bezug zu angrenzender, prägender Wohnbebauung auf. In westlicher Richtung grenzen weithin unbebaute, dem Außenbereich zuzuordnende Flächen hieran. Das Gebäude auf dem Grundstück FlNr. 405 vermittelt keinen Bebauungszusammenhang. Es ist deutlich abgesetzt und weist eine Entfernung von ca. 80 m zur nächstgelegenen östlichen Bebauung auf dem Grundstück FlNr. 4/5 bzw. eine Entfernung von ca. 70 m zum Tiny House des Klägers auf. Angesichts dessen handelt es sich bei den Grundstücken FlNrn. 405/3 und 403 auch nicht um eine Baulücke. Zwar muss der Bebauungszusammenhang nicht unmittelbar mit dem letzten Baukörper enden. Es verbietet sich jedoch umgekehrt auch die Annahme, dass notwendigerweise das letzte Grundstück in seinem gesamten Umfang vom Zusammenhang erfasst wird (BVerwG, U.v. 6.11.1968 – 4 C 47/68 – juris Rn. 19). Die vorhandene Bebauung auf dem Grundstück FlNr. 406 führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieses ist lediglich in seinem nordöstlichen Teil mit einem Wohngebäude bebaut. Die unmittelbar an das Grundstück FlNr. 403 angrenzende Bebauung auf dem südöstlichen Teil des Grundstücks FlNr. 406 stellt eine bereits seit Jahrzehnten aufgegebene Hofstelle dar, in der rein private Nebennutzung ausgeübt wird. Sie dürfte daher keine maßstabbildende Bebauung darstellen und vermag daher keinen Bebauungszusammenhang herstellen. Die vorhandene Bebauung wirkt demnach nicht dergestalt auf das Grundstück FlNr. 403 ein, dass sie sich dort zwanglos fortsetzen würde und von einer Baulücke auszugehen wäre.
Die dem Kläger erteilte Baugenehmigung zur Neuerrichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück FlNr. 403 ändert nichts an der Beurteilung, da einzig entscheidend die optisch wahrnehmbare Bebauung ist. Eine lediglich mehr oder weniger verlässlich in Aussicht stehende, nicht aber schon vorhandene Bebauung hat unberücksichtigt zu bleiben (BVerwG, U.v. 26.11.1976 – 4 C 69/74 – juris Rn. 16). Dass die Baugenehmigung möglicherweise auf der Grundlage von § 34 BauGB erteilt wurde, kann dahinstehen, da die Kammer an diese Einschätzung im Rahmen der hier vorzunehmenden Beurteilung nicht gebunden ist. Ferner hat auch das vom Kläger errichtete Tiny House bei der Beurteilung des Bebauungszusammenhangs außer Betracht zu bleiben, da eine Baugenehmigung hierfür nicht besteht und die Verfahrensfreiheit gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO aufgrund der anzunehmenden Außenbereichslage ausscheidet.
b) Ein Gebietserhaltungsanspruch käme selbst bei zu Gunsten des Klägers unterstellter Zuordnung der Grundstücke FlNrn. 405, 405/3 und 403 zum Innenbereich gemäß § 34 BauGB nicht in Betracht. Die Eigenart der näheren Umgebung entspricht keinem der Baugebiete gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 2 ff. BauNVO, sodass sich der Nachbarschutz des Klägers nach § 34 Abs. 1 BauGB richten würde. In der danach anzunehmenden Gemengelage bestünde kein Gebietserhaltungsanspruch.
aa) Gemengelagen sind Gebiete mit mehr oder weniger engem Nebeneinander von unterschiedlichen Nutzungen, die sich – in der einen oder anderen Beziehung – gegenseitig beeinträchtigen. Es sind dies vor allem Gebiete mit einem Nebeneinander von Wohnbebauung und emittierenden Anlagen wie Industrie, Gewerbe, Handwerk oder Landwirtschaft (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 143. EL 2021, § 34 Rn. 52).
Vorliegend ist insbesondere nach dem Eindruck im Rahmen des Augenscheins nicht von einem faktischen allgemeinen Wohngebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO oder einem faktischen Dorfgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO auszugehen. Stattdessen handelt es sich um eine Gemengelage aus Wohnnutzung und landwirtschaftlicher Nutzung.
(1) Für die Beurteilung der Art der baulichen Nutzung stellt die Kammer auf den Umgriff der Grundstücke westlich der Bundesstraße B … ab, der die „nähere Umgebung“ darstellt. Die Bebauung östlich der Straße hat außer Betracht zu bleiben, da der B … trennende Wirkung zukommt.
(2) Insoweit muss auch das Grundstück FlNr. 19 für die Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung herangezogen werden. Die Kammer folgt nicht der Ansicht des Klägers, dass dieses nicht mehr am Bebauungszusammenhang teilnehme. Zwar ist zwischen der Bebauung auf dem Grundstück FlNr. 19 und der Bebauung auf dem Grundstück FlNr. 16 ein Grünstreifen vorhanden. Diesem kommt jedoch keine trennende Wirkung zu; beim Augenschein wurde vielmehr deutlich, dass trotz der bestehenden Freifläche der Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit zwischen den baulichen Anlagen auf den genannten Grundstücken vorherrscht. Auf das Bild Nr. 16 der Fototafel wird Bezug genommen. Der tatsächliche Abstand beträgt, gemessen mithilfe des elektronischen Kartenmaterials des Programms „BayernAtlas“, ca. 18 m. Bei derartigen Abständen zwischen (ehemaligen) landwirtschaftlichen Nutzeinheiten, die zumeist in aufgelockerter Bauweise errichtet werden, kann eine trennende Funktion nicht angenommen werden.
Das Grundstück FlNr. 19 hat auch nicht unter dem Aspekt eines sog. Ausreißers außer Betracht zu bleiben. Ein solcher liegt dann vor, wenn eine bauliche Anlage von ihrem quantitativen Erscheinungsbild oder nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Bebauung herausfällt (BayVGH, U.v. 6.5.2021 – 15 B 20.2689 – juris Rn. 18). Dies ist vorliegend nicht anzunehmen. Die Umgebung ist weiterhin durch mittlerweile aufgegebene, ehemalige Hofstellen geprägt, etwa auf dem Grundstück FlNr. 16. Der auf dem Grundstück FlNr. 19 vorzufindende Hof ist ein typischer landwirtschaftlicher Dreiseitenhof, der selbst in seiner quantitativen Einmaligkeit keineswegs völlig aus dem Rahmen der Umgebungsbebauung herausfällt. Auf die Bilder Nr. 12, 13, 14 und 16 der Fototafel wird Bezug genommen.
(3) Auf dem Grundstück FlNr. 19 wird weiterhin landwirtschaftliche Nutzung in Form von Hopfenanbau in den Sommermonaten ausgeübt. Dies wird auch vom Kläger nicht bestritten. Die Nutzung hat auch angesichts der Dimension des dortigen Dreiseitenhofs weiterhin derart prägenden Einfluss, dass ein faktisches allgemeines Wohngebiet ausscheidet. Denn eine landwirtschaftliche Nutzung wäre in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO unzulässig. Der sich nach Eindruck des Augenscheins im streitgegenständlichen Gebiet erkennbar vollziehende Strukturwandel führt nicht dazu, dass das Gebiet bereits seine dörfliche Prägung verloren hätte. Insoweit gilt, dass auch ein einziger landwirtschaftlicher Betrieb die unmittelbar benachbarten Grundstücke im Sinne einer Gemengelage prägen kann, auch wenn sie im Übrigen ausschließlich von Wohnbebauung umgeben sind (OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 21.8.2012 – 8 A 10344/12 – juris).
Auch ein faktisches allgemeines Dorfgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO kann unter Zugrundelegung dieser Tatsachen nicht angenommen werden. Dorfgebiete dienen gemäß § 5 Abs. 1 BauNVO der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben. Es ist somit durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander der aufgezählten Nutzungen gekennzeichnet. Von einem derartigen Nebeneinander kann im streitgegenständlichen Gebiet indes mangels weiteren aktiven landwirtschaftlichen Nutzungen neben der auf dem Grundstück FlNr. 19 ausgeübten nicht ausgegangen werden.
bb) Bei einer Einstufung der näheren Umgebung als Gemengelage kommt ein Gebietserhaltungsanspruch des Klägers nicht in Betracht (BayVGH, B.v. 26.2.2013 – 2 ZB 11.2793 – juris Rn. 7). Denn § 34 Abs. 1 BauGB hat keine unmittelbar drittschützende Wirkung. Diese kommt, außerhalb von § 34 Abs. 2 BauGB auch für die Art der baulichen Nutzung, nur dem in § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB enthaltenen Gebot der Rücksichtnahme zu (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, 15. Aufl. 2022, Vorb. zu §§ 29 bis 38, Rn. 69). Auf die Frage, ob sich das Vorhaben der Art nach in § 34 Abs. 1 BauGB einfügt und ob es sich bei dem Betrieb lediglich um einen Betriebsteil eines Hauptbetriebs handelt, kommt es im Rahmen dieser Nachbarklage somit nicht an.
2. Das Vorhaben verletzt nicht das in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme. Es führt nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen des Klägers.
Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Bei der in diesem Zusammenhang anzustellenden Interessenabwägung ist ausschlaggebend, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist. Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48/12 – juris Rn. 7). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 a.a.O.; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 40). Die Bewertung der Zumutbarkeit richtet sich danach ausschließlich nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit. Diese Umstände müssen im Sinne einer „Güterabwägung“ in eine wertende Gesamtbetrachtung einfließen (BVerwG, B.v. 10.1.2013 a.a.O Rn. 7).
a) Es erscheint bereits fraglich, ob dem Kläger überhaupt Nachbarschutz nach den Grundsätzen über das Gebot der Rücksichtnahme im Hinblick auf eine Wohnnutzung auf dem Grundstück FlNr. 403 zusteht. Nach der Rechtsprechung bestimmt lediglich die tatsächlich zulässigerweise ausgeübte Nutzung den Inhalt des Rücksichtnahmegebots. Nur diese eignet sich als Maßstab für die Zulässigkeit neuer Vorhaben (BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19/90 – juris Rn. 25). Das Grundstück FlNr. 403 ist allenfalls mit einem ungenehmigten und im Außenbereich nicht gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO verfahrensfreien Wohncontainer bebaut.
Der Kläger kann sich jedoch jedenfalls insoweit auf das Gebot der Rücksichtnahme berufen, als er Miteigentümer des mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücks FlNr. 405 ist.
Darüber hinaus bedarf die Streitfrage auch hinsichtlich des Grundstücks FlNr. 403 keiner abschließenden Klärung. Denn selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass er sich im Hinblick auf sein Eigentum am mit einem Wohncontainer bebauten Grundstück FlNr. 403 auf das Gebot der Rücksichtnahme berufen kann und somit deutlich näher am Vorhabensgrundstück gelegen ist, ist das Vorhaben der Beigeladenen gegenüber dem Kläger nicht rücksichtslos.
b) Der Kläger ist keinen unzumutbaren Beeinträchtigungen in Form von Lärmimmissionen ausgesetzt.
Bei der Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen, insbesondere von Lärmimmissionen, ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen und die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts zurückzugreifen. Das Bundesimmissionsschutzgesetz legt diese Grenze und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereiches grundsätzlich allgemein fest (BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6/98 – juris Rn. 22). Was die Zumutbarkeit von Lärmimmissionen anbetrifft, können anerkanntermaßen die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm – bzw. die darin enthaltenen Immissionsrichtwerte herangezogen werden. Die TA Lärm gehört zu den normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften, welche vorbehaltlich abweichender Erkenntnisse im Regelfall der gerichtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden.
Unabhängig von der Gebietsbeurteilung und der daran anschließenden Frage der konkreten Schutzwürdigkeit hält das Vorhaben selbst die in einem allgemeinen Wohngebiet maßgeblichen Immissionsrichtwerte ein, sodass eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gegenüber dem Kläger in jedem Fall auszuschließen ist. Die TA Lärm sieht in Ziffer 6.1 Buchst. e) in allgemeinen Wohngebieten Immissionsrichtwerte tagsüber von 55 dB(A) und nachts von 40 dB(A) vor.
Die Kammer misst dem im Auftrag der Beigeladenen erstellten Lärmgutachten vom 21. Oktober 2020 wesentliche Bedeutung bei. Dieses legt sogar das für den Kläger günstigste Szenario – die Schutzbedürftigkeit eines allgemeinen Wohngebiets – zugrunde (Seite 9, Ziffer 2.3 sowie Seite 15, Ziffer 6. des Gutachtens). Im Rahmen der Berechnungen wurde am Grundstück FlNr. 403 des Klägers ein Beurteilungspegel tagsüber von 35,2 dB(A) im Erdgeschoss und von 37,3 dB(A) im 1. Obergeschoss ermittelt. Die prognostizierten Immissionen unterschreiten demnach sämtliche Richtwerte der TA Lärm; selbst bei Annahme eines allgemeinen Wohngebiets wird der dortige Richtwert mithin um fast 18 dB(A) unterschritten. In der Folge kommt das Gutachten zu der fachlichen Einschätzung (Seite 16, Ziffer 6. des Gutachtens), dass für den beantragten Betriebszustand an den umliegenden maßgeblichen (und näherliegenden) Immissionsorten für einen Betrieb während der Tageszeit sowohl der Immissionsrichtwert als auch das zugehörige Spitzenpegelkriterium nach der TA Lärm eingehalten werden. Das Gutachten kann auch trotz Abänderung der Betriebsbeschreibung durch die Beigeladene aussagekräftige Prognosen hinsichtlich der zu erwartenden Lärmimmissionen treffen. Zwar wurde die ursprüngliche Betriebsbeschreibung vom 25. März 2019 am 30. Oktober 2020 dahingehend geändert, dass Anlieferungen per Lkw nunmehr nicht bloß einmal, sondern zwei- bis viermal monatlich stattfinden. Das Lärmgutachten datiert auf den 21. Oktober 2020 und berücksichtigt folglich grundsätzlich nicht die angepassten Liefermodalitäten. Gleichwohl liegt der Berechnung ein Tag zugrunde, an dem eine solche Anlieferung stattfindet (Seite 9, Ziffer 3.1 des Gutachtens). Es stellt fest, dass aus schalltechnischer Sicht selbst eine tägliche Anlieferung im Tageszeitraum von 08:00 Uhr bis 16:00 Uhr möglich wäre. Das Gutachten stellt damit eine konservative Prognose auf und basiert auf dem für die Umgebung angenommenen ungünstigsten Betriebszustand. Fachliche Fehler sind für das Gericht nicht ersichtlich; auch der Kläger hat gegen das Gutachten keine substantiierten Einwendungen erhoben, sodass den gutachterlichen Ergebnissen gefolgt werden kann.
Die im Bescheid getroffenen Auflagen Ziffern 701.2, 701.3, 701.4 und 701.5 stellen sicher, dass der Kläger keinen unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt ist. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei der Festlegung des maximal zulässigen Immissionswerts auf 55 dB(A) tagsüber um einen in jeder Hinsicht für den Kläger günstigen Richtwert. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, da sämtliche Grundstücke des Klägers aufgrund der Entfernung zum Vorhabensgrundstück ohnehin nicht als maßgebliche Immissionsorte festgelegt wurden (Ziffer 701.2 Absatz 2 der Auflagen). Der Bescheid legt den für ein allgemeines Wohngebiet gemäß Ziffer 6.1 Buchst. e) der TA Lärm geltenden Immissionsrichtwert fest, obgleich gerade nicht von einem derartigen Gebiet ausgegangen werden kann. Den den Immissionen durch das Vorhaben ausgesetzten Anwohnern – und damit auch dem Kläger – wurde folglich ein größeres Schutzniveau gewährt, als dies nach der TA Lärm notwendig gewesen wäre. Denn diese erlaubt nach Ziffer 6.7 in Gemengelagen eine sog. Mittelwertbildung in Form der Erhöhung der für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte. Die oben angesprochene Frage der Zugehörigkeit der klägerischen Grundstücke zu dieser Gemengelage kann dahinstehen.
Ob die Baugenehmigung überhaupt mit Auflagen versehen werden durfte, kann ebenso dahinstehen. Zwar gilt, dass planungsrechtliche Versagungsgründe nicht durch die Auflagen einer „maßgeschneiderten“ Baugenehmigung ausgeräumt werden dürfen, wenn Grundsätze der typisierenden Betrachtungsweise entgegenstehen (BayVGH, U.v. 22.7.2004 – 26 B 04.931 – juris Rn. 31). Diese Frage stellt sich indes schon nicht, da sich der Kläger auf planungsrechtliche Versagungsgründe in Ermangelung eines Gebietserhaltungsanspruchs nicht berufen könnte.
3. Das Vorhaben begegnet ferner keinen Bedenken hinsichtlich der Erschließung gemäß § 34 Abs. 1 BauGB. Die Frage, ob das Vorhabensgrundstück für von der Bundesstraße B … kommende Anlieferungen erreicht werden kann, obwohl sich ein privates Wohngebäude auf dem Grundstück FlNr. 4/6 zwischen der Straße und dem Vorhabensgrundstück befindet, stellt sich für das streitgegenständliche Verfahren nicht. Die Baugenehmigung ergeht gemäß Art. 68 Abs. 5 BayBO unbeschadet privater Rechter Dritter, sodass etwaige privatrechtliche Hindernisse irrelevant sind. Ferner entfaltet das bauplanungsrechtliche Erfordernis der gesicherten Erschließung ohnehin grundsätzlich keine nachbarschützende Wirkung, da dieses im öffentlichen Interesse die Erreichbarkeit und ordnungsgemäße Benutzbarkeit des Baugrundstücks sicherstellen sowie Gefahren für die öffentliche Sicherheit vermeiden soll (BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 16). Eine irgendwie geartete Beeinträchtigung des Klägers ist im Übrigen nicht erkennbar.
4. Die Baugenehmigung verletzt schließlich nicht in nachbarrechtsrelevanter Weise das Bestimmtheitsgebot gegenüber dem Kläger.
Gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Soweit Dritte von einem Verwaltungsakt begünstigend oder belastend betroffen werden, muss dieser auch ihnen gegenüber hinreichend bestimmt sein. Ein Nachbar kann die unzureichende inhaltliche Bestimmtheit einer Genehmigung geltend machen, soweit dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht (BayVGH, U.v. 14.10.1985 – 14 B 85 A.1224 – BayVBl. 1986, 143 ff.). Die Baugenehmigungsbehörde ist demnach verpflichtet, sicherzustellen, dass betroffene Nachbarn vor unzumutbaren Immissionen ausreichend geschützt werden. Erforderlichenfalls ist dies durch Auflagen sicherzustellen, auf die der Nachbar einen Anspruch besitzt (BayVGH, U.v. 16.11.2006 – 26 B 03.2486 – juris Rn. 28). Diesem Anspruch kann eine Baugenehmigung nur gerecht werden, wenn sie Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lässt, damit einerseits der Bauherr die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen zweifelsfrei feststellen kann und andererseits für Drittbetroffene das Maß der für sie aus der Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit deutlich wird (VG Würzburg, B.v. 26.4.2016 – W 4 S 16.365 – juris Rn. 31).
Ausgehend davon ist die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht deshalb unbestimmt, da diese nicht die Art des Baugebiets festsetzt. Im Hinblick auf die konkrete Gebietsart ist kein nachbarrechtsrelevantes Kriterium betroffen, das eine etwaige Verletzung nach sich ziehen könnte. Die Festlegung der Gebietsart betrifft kein Merkmal der Regelungswirkung der Baugenehmigung gemäß Art. 35 S. 1 BayVwVfG – wie etwa den Inhalt, die Reichweite oder den Umfang der genehmigten Nutzung -, sondern stellt lediglich eine rechtliche Bewertung durch die zuständige Behörde dar. Ferner ergäbe sich selbst bei Annahme einer Unbestimmtheit keine Rechtsverletzung des Klägers (s.o.).
Der Bescheid legt weiterhin die Art des tatsächlich genehmigten Vorhabens hinreichend klar fest. Der genehmigte Bestand ergibt sich aus dem von der Beigeladenen am 25. März 2019 eingereichten Bauantrag samt zugehöriger Betriebsbeschreibung. Danach begehrt sie die „Nutzungsänderung des ehemaligen landwirtschaftlichen Gebäudes zu Lagertätigkeiten und Lagerzwecken“. Dies ist der von der Beigeladenen zur Überprüfung gestellte Gegenstand, der schließlich deckungsgleich mit Bescheid vom 3. Dezember 2020 positiv verbeschieden wurde. Der Genehmigungsumfang ist damit nicht widersprüchlich. Aus dem Bescheid ergibt sich zudem, dass die Genehmigung für das Grundstück FlNr. 4/7 gelten soll, dies ist im Tenor des Bescheids aufgeführt. Darüber hinaus wurde der Nutzungsumfang des Grundstücks durch die Baugenehmigung auch insoweit hinreichend klar bestimmt, als verschiedene Nutzungen wie etwa Hämmern, Fräsen, Sägen und Hobeln verboten wurden. Für den Kläger als Nachbarn ist folglich das Maß der für ihn aus der Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit eindeutig erkennbar, sodass der Bescheid nicht unbestimmt ist.
Nach alledem war die Klage somit abzuweisen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, dass der Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt, da diese einen Antrag stellte und sich somit einem Prozessrisiko aussetzte.
III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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