Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Beschwerde, Verordnungsgeber, Strafvollstreckung, Rechtsmittel, Erledigung, Auslegung, Verweisung, Zuweisung, Strafverfahren, Bereitschaftsdienst, Verordnung, Verfahren, Strafbefehlsverfahren, Stellungnahme, statthafte Beschwerde

Aktenzeichen  1 Qs 38/22

Datum:
20.4.2022
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8744
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

8 Cs 911 Js 19710/21 2022-02-16 Bes AGWUERZBURG AG Würzburg

Tenor

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 16.02.2022 wird auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Würzburg aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls an das Amtsgericht Würzburg zurückverwiesen.

Gründe

I.
Die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg führte gegen den Angeschuldigten ein Verfahren wegen Freiheitsberaubung eines Polizeibeamten auf einem Binnenschiff auf dem Main an der Schleuse Wallstadt im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Obernburg am Main. Das Amtsgericht Obernburg am Main äußerte Zweifel an seiner örtlichen Zuständigkeit für den Erlass eines Strafbefehls, da möglicherweise eine Binnenschifffahrtssache vorliege. Daraufhin nahm die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg ihren Strafbefehlsantrag zurück und legte die Akte der Staatsanwaltschaft Würzburg mit Bitte der Übernahme vor, da nach § 48 GZVJu eine örtliche Zuständigkeitskonzentration für Binnenschifffahrtssachen beim Amtsgericht Würzburg bestehe. Die Staatsanwaltschaft Würzburg übernahm das Verfahren und stellte beim Amtsgericht Würzburg einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls.
Mit Beschluss vom 16.02.2022 erklärte sich das Amtsgericht Würzburg für örtlich unzuständig,
§ 16 StPO. Zur Begründung führte es aus, die örtliche Zuständigkeitskonzentration in § 48 GZVJu erfasse Straf- und Bußgeldverfahren nicht. Die Vorschrift finde sich in Teil 1 „Zivilrechtspflege, Bereitschaftsdienst und Hinterlegung“. In Teil 2 „Strafrecht und Recht der Ordnungswidrigkeiten“ gebe es weder eine Regelung zur örtlichen Zuständigkeit von Schifffahrtsgerichten noch eine Verweisung auf § 48 GZVJu. Nach Ansicht des Amtsgerichts Würzburg habe der Verordnungsgeber von seiner Verordnungsermächtigung (§ 4 Abs. 1 BinSchGerG) für die Bereiche der Straf- und Bußgeldsachen keinen Gebrauch gemacht, sondern eine örtliche Zuständigkeitskonzentration nur in Zivilsachen bestimmt. Dies ergebe sich auch aus der besonderen Zuweisung der Rechtsbeschwerden in Bußgeldverfahren an das Oberlandesgericht Nürnberg in § 48 Nr. 7 Satz 2 GZVJu.
Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Würzburg Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, es sei ein systematisches Redaktionsversehen, dass sich die Regelung zu den Binnenschifffahrtsgerichten im Teil 1 der GZVJu finde. Eine Differenzierung zwischen Zivilrechtsstreitigkeiten auf der einen und Straf- und Bußgeldverfahren auf der anderen Seite sei ersichtlich nicht gewollt.
Die Kammer hat eine Stellungnahme des bayerischen Staatsministeriums der Justiz als Verordnungsgeber eingeholt.
II.
1. Gegen den Beschluss, mit dem sich das Amtsgericht im Strafbefehlsverfahren für örtlich unzuständig erklärt hat, ist die Beschwerde das statthafte Rechtsmittel (Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 64. Aufl., 2021, § 408 Rn. 2; Münchener Kommentar zur StPO/Eckstein, 1. Aufl. 2019, § 408 Rn. 6; Karlsruher Kommentar zur StPO/Maur, 8. Aufl. 2019, § 408 Rn. 2 m.w.N. auch zur Gegenansicht). Sie begegnet auch im Übrigen keinen Zulässigkeitsbedenken.
2. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Würzburg hat in der Sache Erfolg. Das Amtsgericht Würzburg ist das nach § 48 GZVJu örtlich zuständige Gericht.
a) Bei dem anhängigen Strafverfahren handelt es sich um eine Binnenschifffahrtssache i. S. von
§ 2 III 1 lit. a) BinSchGerG, denn der Schwerpunkt der Tat liegt in der Verletzung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften (vgl. BGH, Beschluss vom 27.11.2018 – 2 ARs 295/18, NStZ-RR 2019, 92 [93]). Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der binnenschifffahrtsrechtlichen Ordnungswidrigkeiten nach §§ 154 Abs. 1, 154a Abs. 1 StPO abgesehen hat.
b) Nach § 5 BinSchGerG sind die Amtsgerichte im Rahmen ihrer sachlichen Zuständigkeit zugleich Schifffahrtsgerichte im Sinne des Gesetzes. § 4 BinSchGerG ermächtigt die Landesregierungen dazu, die Verhandlung und Entscheidung von Binnenschifffahrtssachen einem Amtsgericht als Schiffahrtsgericht oder einem Oberlandesgericht als Schifffahrtsobergericht für bestimmte Binnengewässer oder bestimmte Abschnitte von Binnengewässern aus dem Bezirk mehrerer Gerichte zuzuweisen, sofern dies der sachlichen Förderung oder schnelleren Erledigung der Verfahren dient. Die Zuweisung kann für Zivilsowie Straf- und Bußgeldsachen unterschiedlich erfolgen. Die Landesregierungen können diese Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. Von dieser Konzentrationsermächtigung hat der bayerische Verordnungsgeber durch die Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte und der Oberlandesgerichte in Binnenschiffahrtssachen vom 29.05.1967 (BayRS IV S. 509) geändert durch § 2 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte und der Oberlandesgerichte in Binnenschiffahrtssachen vom 26.09.1983 (GVBl S. 795) Gebrauch gemacht.
Diese Verordnung wies in § 1 sämtliche Binnenschifffahrtssachen den zentralen Binnenschifffahrtsgerichten an den Amtsgerichten Bamberg, Ingolstadt, Lindau (Bodensee), Nürnberg, Regensburg, Starnberg, Traunstein und Würzburg für die jeweils in der Verordnung genannten Gewässer und Gewässerabschnitte sowie dem Oberlandesgericht Nürnberg als Schifffahrtsobergericht für alle Schifffahrtsgerichte im Freistaat Bayern zu.
Mit Wirkung zum 01.03.1988 wurde die Verordnung inhaltlich in die GZVJu überführt. Die Regelung der Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte und der Oberlandesgerichte in Binnenschiffahrtssachen vom 29.05.1967 in der Fassung vom 26.09.1983 wurde zunächst inhaltsgleich in § 27 GZVJu (1988) übernommen. Mit Wirkung zum 01.01.1995 wurde die Zuständigkeit des Amtsgerichts Ingolstadt zugunsten des Amtsgerichts Nürnberg und des Amtsgerichts Traunstein zugunsten des Amtsgerichts Starnberg aufgehoben. Vom 01.01.2005 bis 30.06.2012 galt der wortgleiche § 35 GZVJu (2004), der nunmehr – ebenfalls wortgleich – § 48 GZVJu ist.
c) § 48 GZVJu ist dahingehend auszulegen, dass Binnenschifffahrtssachen den in der Norm genannten Amtsgerichten auch in Straf- und Bußgeldangelegenheiten zugewiesen sind.
Die Auslegung einer Norm hat nach den hergebrachten Auslegungsmethoden ausgehend vom Wortlaut und innerhalb der Wortlautgrenze zu erfolgen (vgl. Hassemer ZRP 2007, 213).
aa) Der Wortlaut des § 48 GZVJu legt – singulär betrachtet – nahe, dass sämtliche Binnenschifffahrtssachen von der Zuständigkeitskonzentration erfasst sein sollen. Weder aus der Überschrift noch aus dem Gesetzestext selbst ergibt sich eine Beschränkung auf Zivil- oder Bußgeldangelegenheiten. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Würzburg spricht auch nicht der Wortlaut der Nummer 7 Satz 2 für eine derartige Auslegung. Satz 2 wurde 1975 in die Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte und der Oberlandesgerichte in Binnenschiffahrtssachen vom 29.05.1967 aufgenommen, um einen Zuständigkeitsstreit zu klären, der sich daraus ergab, dass das Bayerische Oberste Landesgericht nach der im Jahr 1975 gültigen Fassung des Art. 22 AGGVG für sämtliche Rechtsbeschwerden in Bußgeldsachen zuständig war. Zum 01.07.1975 wurde § 1 der Verordnung um die klarstellende Regelung ergänzt, die sich noch heute in § 48 Nummer 7 Satz 2 GZVJu findet.
bb) Für die Ansicht des Amtsgerichts Würzburg streitet die Binnensystematik der GZVJu, da § 48 GZVJu im Teil 1 der Verordnung „Zivilrechtspflege, Bereitschaftsdienst und Hinterlegung“ steht, wohingegen Teil 2 der Verordnung die Bereiche „Strafrecht, Strafvollstreckung und Recht der Ordnungswidrigkeiten“ regelt. Diesem systematischen Argument steht jedoch die Verordnungshistorie entgegen:
§ 4 Abs. 1 Satz 2 BinSchGerG erlaubt eine unterschiedliche Zuweisung für Zivil-, Straf- und Bußgeldsachen. Die Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte und der Oberlandesgerichte in Binnenschiffahrtssachen vom 29.05.1967 enthielt eine solche Differenzierung nach Zivil-, Straf- oder Ordnungswidrigkeitenrecht gerade nicht. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass der historische Verordnungsgeber sämtliche Binnenschifffahrtssachen – unabhängig vom Rechtsgebiet – der Zuständigkeitskonzentration unterfallen lassen wollte. Dies war unter dem Regime der Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte und der Oberlandesgerichte in Binnenschiffahrtssachen vom 29.05.1967 auch unstreitig.
Mit der wortgleichen Überführung des § 1 der Verordnung über die Zuständigkeit der Amtsgerichte und der Oberlandesgerichte in Binnenschiffahrtssachen vom 29.05.1967 in § 27 GZVJu (1988) war keine Neuregelung der Zuständigkeitskonzentration beabsichtigt. Insbesondere sollte die Zuständigkeit in Straf- und Bußgeldsachen nicht den jeweiligen Amtsgerichten (§ 3 Abs. 3, § 5 BinSchGerG) zugewiesen werden. Der Verordnungsgeber wies Binnenschifffahrtssachen lediglich dem Abschnitt 5 „besondere Sachgebiete“ zu, da dort unter anderem auch die Führung des Schiffsregisters geregelt ist. Damit war ersichtlich eine abschnittsübergreifende Konzentrationswirkung bezweckt. Andernfalls hätten die Schifffahrtssachen – unübersichtlich – sowohl in Teil 1 als auch in Teil 2 der Verordnung geregelt werden müssen. Dass der Verordnungsgeber dies für nicht angezeigt hielt, ergibt sich gerade aus § 48 Nummer 7 Satz 2 GJVJu (vormals § 27 Nummer 7 Satz 2 GZVJu), der die Rechtsbeschwerden in Bußgeldsachen in Abgrenzung zum Bayerischen Obersten Landesgerichts dem Oberlandesgericht Nürnberg zuwies.
cc) Diese Auslegung wird auch dem Gesetzeszweck am besten gerecht. Sinn der Zuständigkeitskonzentration in § 4 BinSchGerG ist es, Rechtsangelegenheiten, deren Kern die Beurteilung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften ist, spezialisierten Gerichten mit besonderer Sachkunde zuzuweisen (Bundestagsdrucksache 7/1261, Seite 46; vergleiche auch BGH, Beschluss vom 27.11.2018 – 2 ARs 295/18, NStZ-RR 2019, 92 [93]). Das gilt unabhängig vom Rechtsgebiet. Schifffahrtspolizeiliche Vorschriften sind alle dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf Binnengewässern dienende Rechtsnormen (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1998 – 2 ARs 37/98, NStZ-RR 1998, 367). Es kommt dabei nicht auf die Rechtsnatur der Regelungen, sondern nur auf ihren Regelungszweck – die Abwehr schifffahrtsspezifischer Gefahren – an. Auch die bereichsspezifischen Ausprägungen des allgemeinen und von der Rechtsprechung im Einzelfall zu konkretisierenden rechtlichen Gebots, nicht eigens kodifizierte schifffahrtsspezifische Sorgfaltsanforderungen zu beachten, sind schifffahrtspolizeiliche Vorschriften. Der gesetzgeberische Zweck, spezialisierte Gerichte mit der Beurteilung dieser Vorschriften zu betrauen, wird am besten durch eine einheitliche Zuständigkeitskonzentration erreicht. Denn die Verletzung schifffahrtspolizeilicher Vorschriften kann sowohl Straf- als auch bußgeldrechtliche Folgen haben, zugleich aber auch zivilrechtliche Ansprüche begründen. Daher geht § 4 Abs. 1 Satz BinSchGerG auch im Grundsatz von einer einheitlichen Konzentrationswirkung aus und erlaubt in Satz 2 – als gesetzgeberische Ausnahme – eine unterschiedliche Zuweisung.
dd) Ausgehend vom Wortlaut und unter besonderer Berücksichtigung des Zweckes und der historischen Entwicklung des § 48 GZVJu sind daher sämtliche Rechtsgebiete (Straf-, Ordnungswidrigkeiten- und Zivilrecht) in Binnenschifffahrtsachen den in der Norm genannten Amtsgerichten zugewiesen und von der Konzentrationsermächtigung erfasst. Das vom Amtsgericht Würzburg in seiner Entscheidung als maßgeblich erachtete systematische Argument tritt in der Gesamtbetrachtung als unerheblich zurück.
Der Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 16.02.2022 war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Würzburg unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Landgerichts Würzburg zur Frage der örtlichen Zuständigkeit an das Amtsgericht Würzburg zurückzuverweisen.
3. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, da der Verfahrensabschnitt aufgrund der Zurückverweisung nicht abgeschlossen ist. Über die Kosten hat daher das Amtsgericht Würzburg in seiner Endentscheidung mitzubefinden (zur vergleichbaren Situation in §§ 328 Abs. 2, 354 Abs. 2 StPO: KMR/Bader 103. Lfg. 01.01.2021 § 473 Rn. 7 m.w.N.).


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