Europarecht

Energiewirtschaftsrechtliche Verwaltungssache: Wirksamkeit einer Entscheidung der Bundesnetzagentur über die Freistellung einer Verbindungsleitung von der Regulierung durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrags – OPAL-Gasfernleitung

Aktenzeichen  EnVR 36/21

Datum:
5.4.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2022:050422BENVR36.21.0
Normen:
§ 28a EnWG
§ 29 Abs 1 EnWG
Art 36 Abs 6 EGRL 55/2003
Art 36 Abs 7 EGRL 55/2003
Art 36 Abs 8 EGRL 55/2003
Art 36 Abs 9 EGRL 55/2003
§ 54 S 1 Halbs 2 VwVfG
§ 55 VwVfG
Spruchkörper:
Kartellsenat

Leitsatz

OPAL-Gasfernleitung
Die Bundesnetzagentur darf über die Freistellung einer Verbindungsleitung von der Regulierung (hier: OPAL-Gasfernleitung) nicht durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrags gemäß § 55 VwVfG entscheiden. Die Rechtsvorschriften der § 29 Abs. 1, § 28a EnWG i.V.m. Art. 36 Abs. 6 bis 9 GasRL, §§ 54, 59 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EnWG stehen dem Abschluss eines solchen Vertrags gemäß § 54 Satz 1 Halbsatz 2 VwVfG nach ihrem Sinn und Zweck entgegen.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Düsseldorf, 26. Mai 2021, Az: VI-3 Kart 845/19 (V), Beschluss

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. Mai 2021 wird auf Kosten der Betroffenen zu 2 und 3 zurückgewiesen, die auch die notwendigen Auslagen der Bundesnetzagentur zu tragen haben.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 3.000.000 € festgesetzt.

Gründe

1
A. Die Betroffenen wenden sich gegen die von der Bundesnetzagentur angeordnete Untersagung der Versteigerung teilregulierter, entkoppelter Verbindungskapazitäten sowie darauf beruhender Transporte und Nominierungen von Gaslieferungen auf der Ostseepipeline-Anbindungsleitung (nachfolgend: OPAL-Gasfernleitung).
2
Die OPAL-Gasfernleitung verläuft von Lubmin bei Greifswald bis zum Netzkopplungspunkt Brandov an der deutsch-tschechischen Grenze. Sie dient im Wesentlichen der Anbindung der Gasfernleitung Nord Stream 1. Die Betroffene zu 3 ist eine der beiden Fernleitungsnetzbetreiberinnen der OPAL Gasfernleitung. Die Betroffene zu 2, deren Muttergesellschaft die Betroffene zu 1 ist, bucht für ihre Erdgaslieferungen in die Bundesrepublik Deutschland und andere europäische Länder Verbindungskapazitäten der Gasfernleitungen Nord Stream 1 und OPAL.
3
Mit Beschlüssen vom 25. Februar und 7. Juli 2009 (nachfolgend: Freistellung 2009) nahm die Bundesnetzagentur auf Antrag der Betroffenen zu 3 von ihr betriebene Kapazitäten an der OPAL-Gasfernleitung von rund 32 Mio. kWh/h für die Gaseinspeisung in Deutschland und die Ausspeisung in der Tschechischen Republik für die Dauer von 22 Jahren ab der tatsächlichen Inbetriebnahme von der Anwendung der Vorschriften der Gasnetzregulierung aus. Dabei durften Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung auf den relevanten tschechischen Gasmärkten nicht mehr als 50 % der jährlichen Ausspeisekapazität der OPAL-Gasfernleitung buchen.
4
In den Folgejahren wurden erhebliche Kapazitäten der OPAL-Gasfernleitung nicht genutzt. Die Betroffenen stellten daher 2013 einen Antrag, das Verfahren wiederaufzugreifen; es kam zu Verhandlungen zwischen den Parteien. Die Bundesnetzagentur lehnte den Antrag 2015 ab. Dagegen legten die Betroffenen Beschwerde ein. Im Mai 2016 schlossen sie mit der Bundesnetzagentur einen öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrag, der zugunsten der Betroffenen Änderungen an der Freistellung 2009 vorsah (nachfolgend: Vergleichsvertrag Mai 2016). Der Vertrag stand unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Europäischen Kommission (nachfolgend: Kommission). Mit Beschluss vom 28. Oktober 2016 (C [2016] 6950; nachfolgend: Kommissionsentscheidung) genehmigte die Kommission die im Vergleichsvertrag Mai 2016 vereinbarte Anpassung der Freistellung 2009 vorbehaltlich der Umsetzung einiger Änderungen. Dem kamen die Vertragsparteien im November 2016 durch den Abschluss eines modifizierten öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrags nach (nachfolgend: Vergleichsvertrag). Der Vergleichsvertrag hebt die Kapazitätsbegrenzung der Freistellung 2009 auf und sieht vor, dass 50 % der Verbindungskapazitäten (etwa 15,9 Millionen kWh/h) als getrennt buchbare, feste frei oder dynamisch zuordenbare Ein- und Ausspeisekapazitäten dem Netzzugang Dritter unterworfen werden, während sie von der Netzentgeltregulierung für die Geltungsdauer der Freistellung 2009 ausgenommen bleiben (teilregulierte Verbindungskapazitäten). Die restlichen Verbindungskapazitäten der Betroffenen zu 3 blieben zwar sowohl von der Netzzugangsregulierung als auch von der Netzentgeltregulierung ausgenommen, durften jedoch weiterhin nur als beschränkt zuordenbare gekoppelte Kapazitäten angeboten werden.
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Auf die Klage der Republik Polen erklärte das Gericht der Europäischen Union die Kommissionsentscheidung 2019 für nichtig (Urteil vom 10. September 2019, T-883/16, RdE 2020, 70 ff.; bestätigt durch EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021, C-848/19 P, EuZW 2021, 766 ff. – Bundesrepublik Deutschland/Republik Polen). Daraufhin hat die Bundesnetzagentur mit Beschluss vom 13. September 2019 der Betroffenen zu 3 mit sofortiger Wirkung untersagt, auf Grundlage des Vergleichsvertrags Versteigerungen teilregulierter entkoppelter Verbindungskapazitäten vorzunehmen sowie auf bereits durchgeführten Versteigerungen beruhende Transporte durchzuführen. Den Betroffenen zu 1 und 2 ist mit sofortiger Wirkung untersagt worden, auf Grundlage bereits gebuchter teilregulierter entkoppelter Verbindungskapazitäten entsprechende Nominierungen abzugeben. Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht den Beschluss der Bundesnetzagentur aufgehoben, soweit der Betroffenen zu 1 die Abgabe von Nominierungen untersagt worden ist. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die Betroffenen zu 2 und 3 mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die Bundesnetzagentur entgegentritt.
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B. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
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I. Das Beschwerdegericht (OLG Düsseldorf, RdE 2021, 502 ff.) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8
Die Untersagung sei zu Recht erfolgt. Die Ankündigung der Betroffenen zu 3, am 16. September 2019 eine Versteigerung teilregulierter entkoppelter Kapazitäten für den Monat Oktober 2019 durchführen zu wollen, stelle einen drohenden Verstoß gegen § 28a EnWG i.V.m. Art. 36 Abs. 9 der Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (Gasrichtlinie, nachfolgend: GasRL) dar. Aufgrund der Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung sei die weitere Umsetzung und Vollziehung des Vergleichsvertrags rechtswidrig. Dies folge zwar nicht daraus, dass der Vergleichsvertrag nach Art. 36 Abs. 9 GasRL der Genehmigung durch die Kommission unterliege. Die Durchsetzung des Vergleichsvertrags verstoße aber auch ohne die Einordnung der Kommissionsentscheidung als Genehmigung gegen § 28a EnWG i.V.m. Art. 36 Abs. 9 GasRL. Es fehle nach der Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung an einer die nationale Freistellungsentscheidung inhaltlich billigenden Entscheidung der Kommission, die ein konstitutives Element für die Rechtmäßigkeit der Umsetzung bilde. Die Kommissionsentscheidung und der Vergleichsvertrag seien dergestalt miteinander verbunden, dass dies ein Umsetzungshindernis für die Durchführung des Vergleichsvertrags begründe. Solange das Verfahren der Kommission nicht abgeschlossen sei, sei auch die Freistellungsentscheidung nicht rechtmäßig durchführbar. Damit gelte wieder die Freistellung 2009, nach der eine Versteigerung teilregulierter entkoppelter Verbindungskapazitäten unzulässig sei. Die Bundesnetzagentur habe das ihr nach § 65 EnWG eingeräumte Ermessen rechtmäßig ausgeübt. Da die weitere Durchführung des Vergleichsvertrags unionsrechtswidrig sei, bleibe als einziges Mittel zur wirksamen Abstellung die Untersagung weiterer auf dem Vergleichsvertrag beruhender Versteigerungen, Gastransporte und Nominierungen. Es bestehe kein schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen zu 2 und 3, diese weiterhin durchzuführen.
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II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Zu Recht hat das Beschwerdegericht den auf § 65 Abs. 1 EnWG gestützten Beschluss der Bundesnetzagentur für rechtmäßig erachtet. Nach dieser Vorschrift kann die Regulierungsbehörde Unternehmen oder Vereinigungen von Unternehmen verpflichten, ein Verhalten abzustellen, das den Bestimmungen des Energiewirtschaftsgesetzes sowie den aufgrund dieses Gesetzes ergangenen Rechtsvorschriften entgegensteht. Diese Voraussetzungen liegen für die Untersagungsverfügungen vor. Auch Ermessensfehler lässt die Entscheidung der Bundesnetzagentur nicht erkennen.
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1. Das Beschwerdegericht hat zutreffend angenommen, dass mit der Ankündigung der Betroffenen zu 3, am 16. September 2019 eine Versteigerung teilregulierter entkoppelter Verbindungskapazitäten für den Monat Oktober 2019 durchzuführen, ein Verstoß gegen die Vorschriften der Gasnetzregulierung des Energiewirtschaftsgesetzes sowie die aufgrund dieses Gesetzes ergangenen Rechtsvorschriften drohte. Eine solche Versteigerung hätte den sich aus §§ 20 ff. EnWG ergebenden Vorgaben widersprochen. Zwar können Verbindungsleitungen zwischen Deutschland und anderen Staaten von der Anwendung dieser Vorschriften bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28a Abs. 1 und 2 EnWG befristet ausgenommen werden. Eine solche Ausnahme ist in Bezug auf die angebotenen Verbindungskapazitäten im Vergleichsvertrag auch vereinbart worden. Der Vergleichsvertrag ist aber unwirksam, so dass es insoweit an der erforderlichen Freistellungsentscheidung der Bundesnetzagentur fehlt. Freigestellt sind nach der bestandskräftigen Freistellung 2009 lediglich Verbindungskapazitäten in Gestalt von beschränkt zuordenbaren gekoppelten Kapazitäten unter Geltung einer Kapazitätsbegrenzung.
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a) Die Bundesnetzagentur darf über die Freistellung einer Gasfernleitung von der Regulierung gemäß § 28a EnWG nicht durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrags entscheiden. Die Rechtsvorschriften der § 29 Abs. 1, § 28a Abs. 3 EnWG i.V.m. Art. 36 Abs. 6 bis 9 GasRL, §§ 54, 59 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EnWG stehen dem Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrags gemäß § 54 Satz 1 Halbsatz 2 VwVfG nach ihrem Sinn und Zweck entgegen. Der Vergleichsvertrag ist daher nichtig nach §§ 54, 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 134 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2022 – KZR 84/20, z. Veröff. best., Rn. 32 mwN).
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aa) Nach § 54 Satz 1 VwVfG kann auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ein Rechtsverhältnis durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Insbesondere kann die Behörde, anstatt einen Verwaltungsakt zu erlassen, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit demjenigen schließen, an den sie sonst den Verwaltungsakt richten würde (§ 54 Satz 2 VwVfG). Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinn des § 54 Satz 2 VwVfG, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird (Vergleich), kann geschlossen werden, wenn die Behörde den Abschluss des Vergleichs nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält (§ 55 VwVfG). Entgegenstehende Vorschriften im Sinn von § 54 Satz 1 VwVfG sind dabei nicht nur solche, die ein ausdrückliches Vertragsformverbot aussprechen, sondern auch solche, aus deren Sinn und Zweck sich ein entsprechendes Verbot ableiten lässt (BGH, Urteil vom 5. April 2022 – KZR 84/20, z. Veröff. best., Rn. 35 mwN). Bei der Auslegung von Rechtsvorschriften, die als Vertragsformverbote in Betracht kommen, muss allerdings beachtet werden, dass § 54 VwVfG den Behörden bei der Ausübung ihrer öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit den öffentlich-rechtlichen Vertrag als Handlungsform für den Regelfall zur Verfügung stellt, so dass Vertragsformverbote als Ausnahme von diesem Grundsatz eng auszulegen sind (BVerwG, Urteil vom 21. September 2018 – 6 C 8/17, BVerwGE 163, 181 Rn. 68 mwN zu § 13 Abs. 5 und § 132 Abs. 1 Satz 2 aF TKG; Gurlit in Säcker, TKG, 3. Aufl., § 132 Rn. 29).
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bb) Nach diesen Grundsätzen stehen § 29 Abs. 1, § 28a EnWG i.V.m. Art. 36 Abs. 6 bis 9 GasRL, §§ 54, 59 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EnWG – auch wenn diesen Vorschriften kein ausdrückliches Vertragsformverbot zu entnehmen ist – einer Befugnis der Bundesnetzagentur zum Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vergleichsvertrags nach § 55 VwVfG entgegen (§ 54 Satz 1 Halbsatz 2 VwVfG). Ein solcher Vertrag ist nicht nur rechtswidrig, sondern nach Sinn und Zweck dieser Vorschriften gemäß § 59 VwVfG nichtig. Er ist von vornherein nicht geeignet, das mit Art. 36 Abs. 6 bis 9 GasRL verfolgte Ziel einer einheitlichen und zugleich restriktiven Anwendung der Vorschriften zur Erteilung einer Regulierungsfreistellung in den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu gewährleisten. Die Freistellung einer Gasfernleitung von der Regulierung darf nach Sinn und Zweck der genannten Regelungen nur erfolgen, wenn die dafür bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nach Ansicht der für die Entscheidung zuständigen Beschlusskammer der Bundesnetzagentur und zudem nach Ansicht der Kommission (vollständig) erfüllt sind und dies in einer Genehmigungsentscheidung (§ 35 VwVfG) mit der gemäß § 39 VwVfG, Art. 36 Abs. 6 Unterabs. 4, Abs. 8 GasRL erforderlichen Begründung niedergelegt wird (vgl. BVerwGE 163, 181 Rn. 66, 69 mwN zu § 13 Abs. 5 und § 132 Abs. 1 Satz 2 aF TKG).
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(1) Gemäß § 28a Abs. 3, § 29 Abs. 1 EnWG entscheidet die Regulierungsbehörde auf Antrag des betroffenen Gasversorgungsunternehmens, ob die vom Antragsteller nachzuweisenden Voraussetzungen gemäß Absatz 1 und 2 der Vorschrift dafür vorliegen, Verbindungsleitungen zwischen Deutschland und anderen Staaten befristet von der Regulierung auszunehmen, und trifft eine etwaige Freistellungsentscheidung durch Genehmigung. Die Prüfung und das Verfahren richten sich nach Art. 36 Abs. 6 bis 9 GasRL (§ 28a Abs. 3 Satz 2 EnWG). Die Entscheidung zur Gewährung einer Ausnahme ist ordnungsgemäß zu begründen und zu veröffentlichen (Art. 36 Abs. 6 Unterabs. 4 GasRL). Die Regulierungsbehörde teilt der Kommission gemäß Art. 36 Abs. 8 Satz 2 bis 4 GasRL ihre Entscheidung unverzüglich zusammen mit allen für die Entscheidung bedeutsamen Informationen mit. Diese müssen eine ausführliche Begründung, einschließlich finanzieller Informationen enthalten, die die Notwendigkeit der Ausnahme rechtfertigen. Die Regulierungsbehörde hat eine Freistellungsentscheidung nach Maßgabe einer endgültigen Entscheidung der Kommission innerhalb von einem Monat zu ändern oder aufzuheben (§ 28a Abs. 3 Satz 3 EnWG, § 28a Abs. 3 Satz 4 EnWG aF, Art. 36 Abs. 9 Unterabs. 3 GasRL).
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(2) Bei der im Hinblick auf das Vorliegen eines Vertragsformverbots gemäß § 54 Satz 1 Halbsatz 2 VwVfG erforderlichen Auslegung von § 29 Abs. 1, § 28a EnWG i.V.m. Art. 36 Abs. 6 bis 9 GasRL ist das sich aus der Gasrichtlinie und dem Energiewirtschaftsgesetz ergebende allgemeine regulatorische Ziel zu berücksichtigen, einen für alle Beteiligten gleichermaßen geltenden Regelungsrahmen zu schaffen. Der Regulierungsrahmen dient dem Ziel der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs und damit den sich aus Art. 194 Abs. 1 AEUV ergebenden Zielen der Energiepolitik der Europäischen Union, insbesondere der Sicherstellung des Funktionierens des Energiemarkts und der Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit im Geiste der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten (vgl. EuGH, EuZW 2021, 766 Rn. 37 ff. – Bundesrepublik Deutschland/Republik Polen; ErwG 35 i.V.m. ErwG 21 bis 23 GasRL, § 1 Abs. 2 EnWG). Die Freistellung einer Gasfernleitung von der Regulierung begründet stets eine besondere Gefahr für und einen besonderen Begründungsbedarf im Hinblick auf diese Ziele. Art. 36 Abs. 6 bis 9 GasRL sollen daher eine einheitliche und zugleich restriktive Anwendung der Vorschriften zur Erteilung einer Regulierungsfreistellung in den einzelnen Mitgliedstaaten gewährleisten (vgl. die Begründung des Rats zur Vorgängerregelung in Art. 22 der Richtlinie 2003/55/EG, ABl. C 50 E vom 4. März 2003, S. 57; ferner Arndt in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl., § 28a Rn. 2; Pielow/Schülken in Hempel/Franke, Recht der Energie- und Wasserversorgung, § 28a EnWG Rn. 9 [Stand: Oktober 2021]). Die einheitliche und zugleich restriktive Anwendung wird durch den Verwaltungs- und Regulierungsverbund der nationalen Regulierungsbehörden mit der Kommission (Art. 36 Abs. 6 Unterabs. 4, Abs. 8 Unterabs. 4 GasRL; vgl. auch Britz, EuR 2006, 46, 65; allg. Franke/Schütte in Schneider/Theobald, Recht der Energiewirtschaft, 5. Aufl., § 21 Rn. 11 ff.; Weiß in Baur/Salje/Schmidt-Preuß, Regulierung in der Energiewirtschaft, 2. Aufl., Kap. 32 Rn. 1 ff.) und zudem durch die besonderen Begründungs- und Transparenzanforderungen, die sich aus § 28a Abs. 3, Art. 36 Abs. 6 bis 9 GasRL ergeben, sichergestellt.
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(3) Das vorgesehene Verfahren sichert die einheitliche und restriktive Anwendung der Vorschriften zur Erteilung einer Freistellung von der Regulierung zusätzlich ab. Die Freistellungsentscheidung ist von den Regulierungsbehörden der Mitgliedstaaten – hier der Bundesnetzagentur (§ 54 EnWG) – zu treffen, deren Unabhängigkeit gemäß Art. 39 Abs. 4 und 5 GasRL zu gewährleisten ist (EuGH, Urteil vom 2. September 2021 – C-718/18, RdE 2021, 534 Rn. 112 ff. – Kommission/Bundesrepublik Deutschland). Zuständig ist eine Beschlusskammer, die mit einem oder einer Vorsitzenden und zwei Beisitzenden besetzt ist (§ 59 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EnWG). Das Beschlusskammerverfahren ist justizähnlich ausgestaltet. Es soll im hierarchischen Verwaltungsaufbau eine unabhängige Entscheidung durch einen Ausschuss (§§ 88 ff. VwVfG; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2021 – 6 C 8/20, juris Rn. 76) gewährleisten, dessen Mitglieder eine besondere Qualifikation aufweisen. Das Verfahren ist auf eine einseitig verbindliche Entscheidung ausgerichtet, bei der die Sachaufgabe in den Vordergrund tritt (Gurlit in Säcker, TKG, 3. Aufl., § 132 Rn. 21, 29 und vor § 132 Rn. 18; Thole in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 28a EnWG Rn. 26; Ohlenburg in Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht, C § 132 Rn. 4 f., 14 [Stand: 29. Dezember 2020]). Die nationale Regulierungsbehörde hat zudem einem Beschluss der Kommission zur Änderung oder zum Widerruf der nationalen Freistellungsentscheidung innerhalb eines Monats nachzukommen und die Kommission hiervon in Kenntnis zu setzen (Art. 36 Abs. 9 Unterabs. 1 Satz 1, Unterabs. 3 GasRL, § 28a Abs. 3 Satz 3 EnWG, § 28a Abs. 3 Satz 4 EnWG aF), wenn sie nicht – was ihr freisteht – auf ein Änderungsverlangen hin von einer Freistellung ganz absieht (vgl. Siegel in Kment, EnWG, 2. Aufl., § 28a Rn. 12; Thole in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 28a EnWG Rn. 30).
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(4) Die § 29 Abs. 1, § 28a EnWG i.V.m. Art. 36 Abs. 6 bis 9 GasRL, §§ 54, 59 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EnWG sollen folglich sicherstellen, dass die Freistellungsvoraussetzungen (vollständig) erfüllt sind und dies in einer begründeten Genehmigungsentscheidung (§ 35 VwVfG) niedergelegt wird. Demgegenüber setzt ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag voraus, dass bestehende tatsächliche und rechtliche Unsicherheiten – hier im Hinblick auf das Vorliegen der Freistellungsvoraussetzungen – nicht geklärt, sondern durch gegenseitiges Nachgeben beigelegt werden. Ein Vergleich gewährleistet nicht, dass alle für die Freistellung erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Das Ziel einer einheitlichen und restriktiven Anwendung der Freistellungsvorschriften wird nicht erreicht. So ergibt sich etwa aus der Präambel des Vergleichsvertrags, dass die Bundesnetzagentur vor einer förmlichen Entscheidung über den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ergänzende Ermittlungen für notwendig hielt, die indes im Hinblick auf den Abschluss des Vergleichsvertrags unterblieben sind. Ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag kann angesichts der durch ihn vorausgesetzten Unsicherheiten zudem keine ausreichende Begründung für die Freistellung enthalten. Das kann zu einer Beeinträchtigung der Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter führen, die sich – wie etwa vorliegend die Republik Polen und verschiedene Gasversorgungsunternehmen – gegen die Freistellungsentscheidung wenden wollen (siehe auch Art. 41 Abs. 16 GasRL). Obgleich es für die Frage des abstrakt und generell zu beurteilenden Vertragsformverbots (§ 54 Abs. 1 Halbsatz 2 VwVfG) darauf hier nicht ankommt, hält es dementsprechend auch die Kommission ausweislich des von der Bundesnetz-agentur im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgelegten Schreibens vom 21. Oktober 2019 mittlerweile für zweifelhaft, ob ein öffentlich-rechtlicher Vergleichsvertrag eine hinreichend ausführliche Analyse der Folgen der Entscheidung erlaubt und ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit gewährleisten kann.
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b) Eine gemäß § 28a EnWG wirksame Freistellungsentscheidung läge aber auch dann nicht vor, wenn der Vergleichsvertrag nicht gegen ein Vertragsformverbot verstieße. Die Ansicht der Rechtsbeschwerdeführerinnen, die Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung habe zur Folge, dass die Kommission ihre Prüfung wiederaufnehmen müsse und der Vergleichsvertrag weiter durchgeführt werden dürfe, solange kein Widerrufs- oder Änderungsverlangen der Kommission ergangen und von der Bundesnetzagentur umgesetzt worden sei, greift nicht durch. Ist das Verfahren, wovon zu Recht auch die Rechtsbeschwerdeführerinnen ausgehen, in den Stand vor der Kommissionsentscheidung zurückversetzt, fehlt es an der erforderlichen Mitwirkungshandlung der Kommission im Sinn von § 58 Abs. 2 VwVfG. Der Vergleichsvertrag ist auch aus diesem Grund unwirksam.
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aa) Die der Kommission nach § 28a Abs. 3 Satz 2 EnWG i.V.m. Art. 36 Abs. 9 Unterabs. 1 GasRL obliegende Überprüfung einer nationalen Freistellungsentscheidung stellt – wäre die Handlungsform überhaupt zulässig – eine durch Rechtsvorschrift angeordnete Mitwirkungshandlung im Sinn von § 58 Abs. 2 VwVfG dar.
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(1) Der Anwendungsbereich von § 58 Abs. 2 VwVfG umfasst neben der Genehmigung, der Zustimmung und dem Einvernehmen sämtliche Mitwirkungsformen, die einer anderen Behörde eine Entscheidungsbefugnis einräumen, die die vertragsschließende Behörde in ihrer Willensbildung bindet (vgl. Bonk/Neumann/Siegel in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl., § 58 Rn. 25; Fehling in Fehling/Kastner/Störmer, VwVfG, 5. Aufl., § 58 Rn. 29; Mann in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl., § 58 Rn. 37; Rozek in Schoch/Schneider, VwVfG, § 58 Rn. 41 [Stand: Juli 2020]; Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 11. Aufl., § 58 Rn. 32; Spieth in BeckOK VwVfG, § 58 Rn. 15 [Stand: 1. Oktober 2021]). Dies folgt aus der auf die Sicherung der Kompetenzordnung zwischen verschiedenen Verwaltungsträgern und damit der Wahrung öffentlicher Interessen gerichteten Zielsetzung der Vorschrift des § 58 Abs. 2 VwVfG (vgl. Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 7/910, S. 81; Bonk/Neumann/Siegel in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl., § 58 Rn. 22; Fehling in Fehling/Kastner/Störmer, VwVfG, 5. Aufl., § 58 Rn. 2; Mann in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl., § 58 Rn. 3; Rozek in Schoch/Schneider, VwVfG, § 58 Rn. 3 [Stand: Juli 2020]; Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 11. Aufl., § 58 Rn. 3; Spieth in BeckOK VwVfG, Überblick zu § 58 [Stand: 1. Oktober 2021]; Tegethoff in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl., § 58 Rn. 1).
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(2) Bei dem Überprüfungsverfahren durch die Kommission handelt es sich entgegen der Ansicht der Betroffenen zu 3 um eine solche die Regulierungsbehörde bindende Mitwirkungshandlung. Die nationale Regulierungsbehörde hat – wie oben bereits ausgeführt – einem Beschluss der Kommission zur Änderung oder zum Widerruf der nationalen Freistellungsentscheidung innerhalb eines Monats nachzukommen und die Kommission hiervon in Kenntnis zu setzen (Art. 36 Abs. 9 Unterabs. 1 Satz 1, Unterabs. 3 GasRL, § 28a Abs. 3 Satz 3 EnWG, § 28a Abs. 3 Satz 4 EnWG aF). Die Vorschrift ist darauf gerichtet, die sofortige Umsetzung der Entscheidung der Kommission durch einseitiges Handeln der Regulierungsbehörde zu ermöglichen. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung, bei der der Regulierungsbehörde kein Ermessensspielraum zusteht; will sie die Entscheidung der Kommission nicht umsetzen, kann sie lediglich von einer Freistellung ganz absehen (vgl. Siegel in Kment, EnWG, 2. Aufl., § 28a Rn. 12; Thole in Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl., § 28a EnWG Rn. 30). Der Einwand der Betroffenen zu 3, an einer Mitwirkungshandlung fehle es, weil das Überprüfungsverfahren der Kommission dem Erlass der Freistellungsentscheidung durch die nationale Regulierungsbehörde nachfolge, greift nicht durch, weil die Mitwirkungshandlung sowohl gemäß §§ 35, 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG als auch gemäß § 58 Abs. 2 VwVfG nachgeholt werden kann. Dabei hängt es von der Mitwirkungshandlung selbst und den mit ihr in Zusammenhang stehenden Bestimmungen ab, ob sie (zudem) Rückwirkung entfaltet (vgl. etwa BVerwGE 120, 54 [juris Rn. 21] zur Genehmigung; Emmenegger in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl., § 45 Rn. 119 ff.; Mann, ebenda § 58 Rn. 43).
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bb) Die Kommission ist in den Fällen, in denen sie – wie hier gemäß § 28a Abs. 3 Satz 2 EnWG i.V.m. Art. 36 Abs. 9 GasRL – in einem Verwaltungs- und Regulierungsverbund mit einer nationalen Behörde tätig wird, auch Behörde im Sinn von § 58 Abs. 2 VwVfG (vgl. Tegethoff in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 22. Aufl., § 58 Rn. 16a; Fehling in Fehling/Kastner/Störmer, VwVfG, 5. Aufl., § 58 Rn. 32; Mann in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl., § 58 Rn. 41; Kahl, NVwZ 2011, 449, 454; Rozek in Schoch/Schneider, VwVfG, § 58 Rn. 40 [Stand: Juli 2020]; Schneider, NJW 1992, 1197, 1199 f.; aA wohl Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl., § 58 Rn. 40 [jeweils zum Unionsbeihilferecht]).
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cc) An der erforderlichen bindenden Mitwirkungshandlung der Kommission gemäß § 28a Abs. 3 Satz 2 EnWG i.V.m. Art. 36 Abs. 9 Unterabs. 1 GasRL fehlt es hier, weil das Gericht der Europäischen Union die Kommissionsentscheidung für nichtig erklärt hat. Diese Entscheidung war – wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen hat – gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung des Gerichts der Europäischen Union und Art. 60 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sofort wirksam. Sie ist im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens durch den Gerichtshof der Europäischen Union letztverbindlich bestätigt worden (EuGH, EuZW 2021, 766 ff. – Bundesrepublik Deutschland/Republik Polen). Die Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung gemäß Art. 264 Abs. 1 AEUV bewirkt, dass das Überprüfungsverfahren in die Lage zurückversetzt wird, in der es sich vor dem Erlass der Kommissionsentscheidung befunden hat (vgl. EuGH, Urteil 31. März 1971 – Rs. 22/70, Slg. 1971, 263 Rn. 59 – Rat/Kommission). Der Vergleichsvertrag wäre daher auch mangels der erforderlichen Mitwirkungshandlung der Kommission unwirksam, § 58 Abs. 2 VwVfG.
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c) Danach hat das Beschwerdegericht zu Recht angenommen, dass weiterhin (nur) die bestandskräftige Freistellung 2009 gilt. Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Kommission verpflichtet ist oder gewesen wäre, das Überprüfungsverfahren nach Art. 36 Abs. 8 und 9 GasRL nach der Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung (von sich aus) wiederaufzunehmen und fortzuführen. Denn auch dies unterstellt, läge in Bezug auf die streitgegenständlichen Kapazitäten keine wirksame Freistellungsentscheidung vor. Die Parteien hatten bei der Kommission gemäß Art. 36 Abs. 8 GasRL (nur) den Vergleichsvertrag Mai 2016 notifiziert, der unter dem vertraglichen Vorbehalt der (uneingeschränkten) Zustimmung der Kommission stand. Er konnte und kann mithin ohne eine solche Zustimmung nicht wirksam werden, auch wenn die Kommission das Verfahren binnen der in Art. 36 Abs. 9 Unterabs. 1 GasRL genannten Frist von zwei Monaten nicht fortführt.
25
2. Zu Recht hat das Beschwerdegericht danach auch die Untersagung der Durchführung von Gastransporten durch die Betroffene zu 3 und der Abgabe entsprechender Nominierungen durch die Betroffene zu 2, jeweils von auf Grundlage des Vergleichsvertrags bereits vermarkteter teilregulierter entkoppelter Verbindungskapazitäten, nicht beanstandet (§ 65 Abs. 1 EnWG).
26
a) Das Beschwerdegericht hat zutreffend und insoweit von der Rechtsbeschwerde unangegriffen angenommen, dass die Durchführung weiterer Gastransporte auf der Grundlage des Vergleichsvertrags bereits vermarkteter teilregulierter Verbindungskapazitäten durch die Betroffene zu 3 und damit ein Verstoß gegen die Vorschriften der Gasnetzregulierung des Energiewirtschaftsgesetzes drohte. Solche Transporte hätten aus den oben ausgeführten Gründen den sich aus §§ 20 ff. EnWG ergebenden Vorgaben widersprochen.
27
b) Gleiches gilt für die von der Betroffenen zu 2 nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts für den 11. und 12. September 2019 abgegebenen Nominierungen auf der Grundlage des Vergleichsvertrags bereits gebuchter teilregulierter entkoppelter Verbindungskapazitäten. Wie für die Vermarktung fehlt es auch für die Inanspruchnahme bereits gebuchter teilregulierter Verbindungskapazitäten an einer erforderlichen Ausnahme von den Vorschriften der Gasnetzregulierung, weil der Vergleichsvertrag zwischen den Betroffenen und der Bundesnetzagentur unwirksam ist.
28
c) Dabei kommt es nicht darauf an, welche Auswirkungen die Unwirksamkeit des Vergleichsvertrags auf die Wirksamkeit der über diese Verbindungskapazitäten bereits abgeschlossenen Ein- und Ausspeiseverträge hat. Denn diese Verträge begründen keine Ausnahme von den gesetzlichen Vorschriften der Gasnetzregulierung. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde daher geltend, die den untersagten Transporten und Nominierungen zugrundeliegenden Verbindungskapazitäten seien in stärkerem Maße der Gasnetzregulierung unterworfen als die auf Grundlage der Freistellung 2009 vergebenen Kapazitäten. Ohne wirksame Freistellung dürfen diese Verbindungskapazitäten nicht teilreguliert vermarktet und genutzt werden.
29
3. Ferner hat die Bundesnetzagentur das ihr gemäß § 65 Abs. 1 EnWG eingeräumte Aufgreif- und Auswahlermessen rechts- und verfahrensfehlerfrei ausgeübt. Eine Ermessensentscheidung ist nach den gemäß § 83 Abs. 5 EnWG auch im Energiewirtschaftsrecht geltenden allgemeinen Grundsätzen gerichtlich nur daraufhin überprüfbar, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (Ermessensüberschreitung), ihr Ermessen überhaupt nicht ausgeübt (Ermessensnichtgebrauch) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (Ermessensfehlgebrauch; vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Januar 2018 – EnVR 5/17, RdE 2018, 207 Rn. 19 – Stadtwerke Wedel GmbH; vom 13. November 2018 – EnVR 30/17, N&R 2019, 38 Rn. 44 – Karenzzeiten III, jeweils mwN). Solche Fehler sind weder aufgezeigt noch ersichtlich.
30
a) Die Bundesnetzagentur hat unter Hinweis auf das ihr eingeräumte Entschließungs- und Auswahlermessen ausgeführt, der Erlass der Untersagungsverfügungen sei offensichtlich das mildeste verbliebene Mittel gewesen, nachdem eine Duldung des Verhaltens wegen des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 10. September 2019 einen Ermessensfehlgebrauch bedeutet hätte. Sie habe zuvor vergeblich versucht, die Betroffenen mit Schreiben vom 10. September 2019 zu einem rechtskonformen Verhalten zu bewegen. Das unionsrechtliche Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Union (effet utile) sei zu berücksichtigen gewesen. Es sei daher auch gerechtfertigt, mit der Untersagung der Durchführung weiterer Transporte und Nominierungen in bestehende Ein- und Ausspeiseverträge einzugreifen. Diesbezüglich bestehe kein schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen. Die Betroffene zu 3 habe in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen einen Vorbehalt für den Fall einer Untersagung der Erfüllung oder Durchführung dieser Verträge aufgenommen. Zudem sei den Betroffenen das Nichtigkeitsklageverfahren vor dem Gericht der Europäischen Union bekannt gewesen.
31
b) Dagegen ist im Rahmen der beschränkten gerichtlichen Kontrolle der Ermessensentscheidung nichts zu erinnern.
32
aa) Entgegen der Ansicht der Betroffenen liegt kein Ermessensausfall vor. Die Bundesnetzagentur war sich des ihr eingeräumten Ermessens bewusst und hat von ihm Gebrauch gemacht. Es stellt keinen Ermessensfehler dar, dass sie sich in Ausübung ihres Entschließungsermessens gemäß Art. 4 Abs. 3 Satz 2 EUV zur Umsetzung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 10. September 2019 gehalten sah und dabei dem öffentlichen Interesse an der Beachtung der Vorschriften der Gasnetzregulierung ein höheres Gewicht beigemessen hat als den Individualinteressen der Rechtsbeschwerdeführerinnen. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass die Bundesnetzagentur im Rahmen ihres Auswahlermessens davon ausgegangen ist, zur wirksamen Abstellung der Verstöße gegen die Vorschriften der Gasnetzregulierung komme keine mildere Maßnahme in Betracht.
33
bb) Es stellt ferner keinen Ermessensfehler dar, dass die Bundesnetz-agentur ein schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen an der weiteren Vollziehung des Vergleichsvertrags und der auf dessen Grundlage abgeschlossenen Ein- und Ausspeiseverträge verneint hat. Dem steht nicht entgegen, dass sowohl der Vergleichsvertrag als auch die auf diesem beruhenden Ein- und Ausspeiseverträge jeweils zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden sind, in dem die Kommissionsentscheidung noch als wirksam anzusehen war.
34
(1) Das Versteigerungsverbot betrifft nur die Inanspruchnahme der in dem Vergleichsvertrag erteilten Regulierungsfreistellung für den Zeitraum nach der Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung. Für diesen Zeitraum können sich die Betroffenen jedoch nicht auf die im Unionsrecht anerkannte Vermutung der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Kommission berufen (vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 5. Oktober 2004 – C-475/01, EuZW 2004, 729 Rn. 18 – Kommission/Hellenische Republik; vom 14. Juni 2012 – C-533/10, EuZW 2012, 704 Rn. 39 – CIVAD/Receveur des douanes de Roubaix, jeweils mwN). Ihr Vertrauen in den Fortbestand der Regulierungsfreistellung ist daher nicht mehr schutzwürdig.
35
(2) Keine abweichende Bewertung ergibt sich für das Transport- und Nominierungsverbot. Zwar bezieht es sich auf Verbindungskapazitäten, die bereits zuvor vermarktet worden sind. Untersagt wird aber nur deren weitere Nutzung durch künftige Gastransporte sowie die Abgabe hierauf gerichteter Nominierungen. Betroffen sind damit ausschließlich Leistungszeiträume nach der Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung. Für diese Zeiträume haben das Beschwerdegericht und die Bundesnetzagentur zu Recht ein schutzwürdiges Vertrauen der Betroffenen verneint, weil die Betroffene zu 3 vor dem Hintergrund der Nichtigkeitsklagen der Republik Polen und anderer Gasversorgungsunternehmen auf Veranlassung der Bundesnetzagentur in § 7 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine den anderen Betroffenen bekannte Regelung aufgenommen hat, die es ihr im Fall der Untersagung der Durchführung von Erdgastransporten ermöglichte, auf dem Vergleichsvertrag basierende Ein- und Ausspeiseverträge zu kündigen. Die Betroffenen konnten daher nicht darauf vertrauen, dass bereits abgeschlossene Ein- und Ausspeiseverträge nach einer Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung und der damit einhergehenden Unwirksamkeit des Vergleichsvertrags weiterhin vollziehbar bleiben würden.
36
cc) Der von der Rechtsbeschwerde erhobene Einwand, das angeordnete Versteigerungs-, Transport- und Nominierungsverbot stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 17 EU-Grundrechtecharta geschützte Eigentumsgarantie dar, greift nicht durch. Da der Vergleichsvertrag unwirksam ist, steht den Betroffenen daraus kein durch Art. 17 EU-Grundrechtecharta geschütztes vermögenswertes Recht zu (vgl. EuGH, Urteile vom 3. September 2015 – C-398/13, EuZW 2015, 838 Rn. 60 mwN – Inuit Tapiriit Kanatami/Kommission; vom 21. Mai 2019 – C-235/17, juris Rn. 69 – Kommission/Ungarn, jeweils mwN). Es ist kein Recht zur künftigen Nutzung teilregulierter entkoppelter Verbindungskapazitäten entstanden, dessen Ausübung durch die Untersagungsverfügung beschränkt würde. Das gilt auch, soweit die untersagte Durchführung von Transporten und die Abgabe von Nominierungen für bereits vermarktete teilregulierte Verbindungskapazitäten in Rede steht.
37
dd) Es stellt keinen Ermessenfehler dar, dass sich die Bundesnetzagentur nicht mit der lediglich zur Vorbereitung einer Entscheidung in dem Streitschlichtungsverfahren bei der World Trade Organization zwischen der Russischen Föderation und der Europäischen Union getroffenen Aussage des WTO-Panels vom 10. August 2018 auseinandergesetzt hat. Der Aussage des Panels kommt auch nach Ansicht der Rechtsbeschwerde keine Bindungswirkung zu. Dass sich aus ihrem Inhalt Umstände ergeben würden, deren Nichtberücksichtigung einen Ermessensfehler bei der hier getroffenen Entscheidung begründen könnte, ist weder aufgezeigt noch ersichtlich. Der Vergleichsvertrag kann angesichts seiner Unwirksamkeit keine Grundlage für eine Freistellung sein. Selbst wenn die Buchungsbeschränkungen der Freistellung 2009 also – wie die Rechtsbeschwerdeführerinnen geltend machen – gegen Art. XI Abs. 1 GATT verstießen, ist nicht ersichtlich, dass und wie dem bei der von der Bundesnetzagentur nach der Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union gemäß § 65 EnWG zu treffenden Entscheidung rechtmäßig hätte abgeholfen werden können.
38
4. Schließlich liegen entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Nichtigerklärung der Kommissionsentscheidung durch den Gerichtshof nach den dafür geltenden Maßstäben (vgl. BVerfGE 123, 267, 353 f. [juris Rn. 240]; 142, 123 Rn. 153, jeweils mwN) einen Ultra-vires-Akt darstellen könnte. Die Entscheidung ist im Verfahren nach Art. 263 AEUV ergangen und hält sich im Rahmen der dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG übertragenen Zuständigkeiten. Das gilt insbesondere auch für die Auslegung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Energiesolidarität (Art. 194 Abs. 1 AEUV) durch den Gerichtshof.
39
5. Entgegen der Ansicht der Betroffenen ist eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht veranlasst. Insbesondere kommt es nach dem Ausgeführten nicht auf die von den Rechtsbeschwerdeführerinnen aufgeworfene Frage an, ob eine nationale Regulierungsfreistellung gemäß Art. 36 Abs. 6 bis 9 GasRL stets der ausdrücklichen Genehmigung der Kommission bedarf, oder ob sie Wirkung entfaltet, bis die Kommission eine Änderung oder einen Widerruf verlangt. Eine solche Regulierungsfreistellung liegt nämlich wegen der auf den (nationalen) Regelungen des § 54 Satz 1, § 58 Abs. 2, § 59 VwVfG beruhenden Unwirksamkeit des Vergleichsvertrags schon nicht vor.
40
C. Der Senat hat gemäß § 88 Abs. 5, § 81 Abs. 2 i.V.m. § 85 Nr. 2 EnWG, § 215 Abs. 1, § 295 Abs. 1 ZPO in der Sache verhandelt und entschieden, nachdem die in der mündlichen Verhandlung nicht vertretene Betroffene zu 2 zuvor darum gebeten hatte.
41
D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG. Den Gegenstandswert hat der Senat auf der Grundlage der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GKG, § 3 ZPO nach dem geschätzten wirtschaftlichen Interesse der Rechtsbeschwerdeführerinnen bemessen (vgl. Toussaint in BeckOK Kostenrecht, § 50 GKG Rn. 14 [Stand: 1. Januar 2022]; Dorndörfer in Binz/Dorndörfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Aufl., GKG § 50 Rn. 2).
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