Bankrecht

Schneeballsystems bei Einkünften aus Kapitalvermögen

Aktenzeichen  5 K 2527/19

Datum:
5.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 46950
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 11 Abs. 1 S. 2,§ 20 Abs. 1 Nr. 7
AO § 164 Abs. 2, § 173 Abs. 1 Nr. 1
FGO § 79b Abs. 2, § 115 Abs. 2, § 135 Abs. 1

 

Leitsatz

Hat ein Steuerpflichtige keinen Auszahlungswunsch geltend gemacht, ist für die Annahme der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit des Betreibers eines Schneeballsystems im Grundsatz ausreichend, dass in dem maßgeblichen Zeitpunkt keine generelle Zahlungsunfähigkeit dieses Betreibers festgestellt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 2. April 2014 VIII R 38/13). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Streitig ist die Berücksichtigung von Zinsen aus Nachrangdarlehen im Rahmen eines sog. Schneeballsystems bei Einkünften aus Kapitalvermögen.
Die Kläger wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Die Kläger gewährten …-KG, deren Komplementärin …-Ltd. war, sogenannte Nachrangdarlehen; in den Jahren 2013 (erste Zahlung am 13. Februar 2013) bzw. 2015 zahlten sie inkl. 5% Agio 18.920 € bzw. 11.000 € ein und im Jahr 2014 zahlte die Klägerin 37.000 € ein. Vereinbart waren nach den Kontoeröffnungsanträgen vom 10. Februar 2013 u. a. Einmalanlagen von 2.400 € und 8.000 €, die Renditevariante „Vario“ (statt „8,0% p. a.“) und keine feste Laufzeit bei einer Mindestlaufzeit von drei Monaten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die vorgelegten Vertragsunterlagen Bezug genommen.
Ausweislich von Kontoauszügen der …-Ltd./…-KG für die Kläger für die Jahre 2013 und 2014 wurden variierende monatliche Erträge in Höhe von insgesamt 4.843,69 € für 2013 (erstmals am 28. Februar 2013) und 14.377,70 € für 2014 ausgewiesen. Nach den Kontoauszügen erhöhten die gutgeschriebenen Erträge den Wert des Kapitalkontos. Die bescheinigten Erträge wurden nicht ausgezahlt; die Kläger hatten Auszahlungen auch nicht verlangt.
Über das Vermögen der …-Ltd. wurde im Mai 2016 das Insolvenzverfahren eröffnet (Insolvenzantrag im Januar 2016). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der …-KG wurde mit Beschluss des Amtsgerichts […] vom 16. Dezember 2016 (Az. […]) mangels Masse abgelehnt. Der Director (Y) der Komplementärin der …-KG wurde wegen vielfachen Betrugs zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Strafgerichts im vorgelegten Urteil vom […] (Strafverfahren gegen Y) hatte Y die von den Klägern und anderen Anlegern eingezahlten Beträge u. a. zur Befriedigung von Auszahlungswünschen der Anleger und für eigene Zwecke verwendet. Auszahlungswünschen der Anleger sei bis Ende 2014 problemlos entsprochen worden, ab 2015 seien Auszahlungen teils hinausgezögert, teils nicht geleistet worden. Nach Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Z habe …-KG Mitte des Jahres 2015 die Zahlungen eingestellt. Nach den vom beklagten Finanzamt (FA) vorgelegten anonymisierten Kontoauszügen der …-KG für einzelne Anleger erhielten diese bis Juni 2015 Auszahlungen.
In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre erklärten die Kläger Erträge aus den Darlehen nicht.
In der Folge einer bei den Klägern durchgeführten Außenprüfung (Prüfungsbericht vom 30. Oktober 2018, Bl. 78 AdV-Akte) setzte das FA mit Bescheiden vom 14. Dezember 2018 die Einkommensteuer auf […] € für 2013 (bisher gem. Bescheid vom 19. Juni 2015 […] €) und […] € für 2014 fest. Die Bescheide waren für 2013 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) und für 2014 – unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung – gem. § 164 Abs. 2 AO geändert. Bei den Steuerfestsetzungen legte das FA u. a. Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nach § 32d Abs. 1 Einkommensteuergesetz in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) besteuert werden (Abgeltungsteuer), in Höhe von je 2.422 € (insgesamt 4.844 €, bisher keine) in 2013 und je 6.479 € (insgesamt 12.958 €) in 2014 zu Grunde, jeweils unter Abzug von 0 € nicht ausgeschöpftem Sparer-Pauschbetrag. Die Abgeltungsteuer belief sich auf 1.210 € in 2013 und 3.238 € in 2014.
Dagegen legten die Kläger Einsprüche ein.
Einen Antrag der Kläger auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der angefochtenen Steuerfestsetzungen (Az. 5 V 340/19) lehnte der Senat mit Beschluss vom 3. Juni 2019 ab.
Die Einsprüche blieben ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 25. September 2019). Zur Begründung führte das FA aus, dass die vorgespiegelten Kapitalerträge unter § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu subsumieren seien. Vorliegend enthalte die Vereinbarung keine konkrete Aussage dazu, ob Erträge auszuzahlen oder wiederanzulegen sind. Tatsächlich seien die Renditen jedoch monatlich auf dem Konto des Anlegers gutgeschrieben worden und sie erhöhten das Anlagekapital. Etwaigen Auszahlungswünschen sei bis zum Zusammenbruch des Systems nachgekommen worden. Bei objektiver Betrachtung seien daher die entsprechenden Erträge wieder angelegt worden, sofern sie nicht ausgezahlt worden seien. Dies ergebe sich auch aus Aussagen anderer Anleger. Sollte die Forderung nach den Vereinbarungen noch nicht fällig gewesen sein, stünde … ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Hier sei zwar die Fälligkeit geregelt, … habe sich jedoch bei Auszahlungsbegehren tatsächlich nicht darauf berufen. Die monatlichen Gutschriften seien daher abrufbar gewesen und mit Gutschrift zugeflossen. Zudem sei … bis Juni 2015 leistungsfähig und zahlungsbereit gewesen.
Die Behauptung des Insolvenzverwalters, …-Ltd. sei bereits seit Dezember 2011 überschuldet und insolvenzreif gewesen, sei für die Besteuerung der Scheinrenditen nicht maßgeblich. Der Insolvenzverwalter schließe aus den Jahresfehlbeträgen zum 31. Dezember 2011 und 2012 auf eine Insolvenzreife. Denn die Verbindlichkeiten der …, die im Falle einer Insolvenz nachrangig befriedigt würden, seien bei der Überprüfung der Insolvenzreife nicht zu berücksichtigen. Ein Rückschluss allein aus dem Jahresfehlbetrag auf eine etwaige Überschuldung sei somit nicht möglich.
Zur Klagebegründung verweisen die Kläger auf ihre Schriftsätze im AdV-Verfahren mit dem Az. 5 V 340/19. Ergänzend führen sie im Wesentlichen Folgendes aus:
Die in den Kontoauszügen ausgewiesenen Erträge könnten den Klägern auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu Scheinrenditen aus Schnellballsystemen nicht zugerechnet werden. Der Vertrag sehe vor, dass der Zinslauf mit Ablauf der Mindestlaufzeit ende. Als Mindestlaufzeit seien zehn Jahre vereinbart worden. Diese zehn Jahre seien in den Streitjahren noch nicht abgelaufen gewesen. Die Kläger hätten zu keiner Zeit die Auszahlung von Zins- und Anlagebeträgen gefordert, weil dies vertraglich nicht möglich gewesen sei. Auf welcher Basis sich die „Erträge“ berechneten, könne nicht festgestellt werden. Ein anteiliger Festzins sei jedenfalls ausgeschlossen worden.
In dem vom BFH mit Urteil vom 2. April 2014 (VIII R 38/13, BFHE 245, 295, BStBl II 2014, 698) entschiedenen Fall seien die Beträge schon einmal fällig gewesen und es habe ein bestimmtes Verhalten der Anleger und der Initiatoren gegeben, wie mit den fälligen Zinsbeträgen umzugehen sei (Wiederanlage auf Weisung der Anleger). Zwischen …-KG und den Klägern habe es hingegen keine Interaktion gegeben.
Die Feststellungslast für steuererhöhende Tatsachen liege beim FA.
Das FA habe nicht mitgeteilt, welche Informationen der Finanzverwaltung vorlägen, die die Leistungswilligkeit und die Zahlungsbereitschaft der …-KG belegten. Es sei nicht auszuschließen, dass andere Anleger aufgrund ihrer Verträge Zinszahlungen schon früher als die Kläger hätten verlangen können. Andere Fälle seien den Klägern jedoch nicht zugänglich gemacht worden. Die Kläger hätten nicht gewusst, dass es sich bei dem Nachrangdarlehen letztlich um ein Schneeballsystem gehandelt habe.
Den Klägern seien keine fiktiven Zinsen zuzurechnen. Die grundsätzliche Leistungsbereitschaft und Leistungswilligkeit der …-KG in 2013 und 2014 werde aufgrund eines Schreibens des Insolvenzverwalters der …-Ltd. vom 14. Mai 2019 bezweifelt. Nach diesem Schreiben sei …-KG bereits Ende 2011 überschuldet und insolvenzreif gewesen.
Auszahlungen hätten lediglich den Zweck haben sollen, den Anlegern zu suggerieren, dass die Gesellschaft solvent sei, um so noch mehr Investorengelder anzuwerben und das Schneeballsystem am Leben zu erhalten.
Die vom FA vorgelegten Kontoauszüge der …-KG für einzelne Anleger seien anonymisiert. Möglicherweise handele es sich um Personen aus dem näheren Umfeld des Y. Diese könnten von Y bevorzugt behandelt worden sein, was einer objektiven Zahlungsfähigkeit entgegenstehe.
Die Kläger beantragen,
1. unter Änderung der Bescheide vom 14. Dezember 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. September 2019 die Kapitalerträge um 4.844 € in 2013 und 12.958 € in 2014 zu vermindern und die Einkommensteuer 2013 und 2014 entsprechend herabzusetzen sowie
2. hilfsweise die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Klageerwiderung führt das FA im Wesentlichen Folgendes aus:
…-KG sei in den Streitjahren zahlungsfähig und zahlungsbereit gewesen, wenn die Gläubiger die Auszahlung ihrer Erträge verlangt hätten. Aus den vorgelegten Kontoauszügen ergebe sich, dass andere Gläubiger bei Erreichen einer bestimmten Anlagesumme die darüber hinausgehenden Renditen abgehoben hätten, wobei die Abhebungen vor und nach der vereinbarten Fälligkeit stattgefunden hätten. Aus den Kontoauszügen der …-KG für verschiedene Anleger seien Auszahlungen bis Mai 2015 ersichtlich. Weiter werde auf die Feststellungen des Strafgerichts im vorgelegten Urteil vom […] verwiesen sowie auf das anonymisierte Protokoll über die Beschuldigtenvernehmung eines Anlegers vom 26. April 2017, wonach vereinbart worden sei, das Geld bei Bedarf abheben zu können. Nach einem auszugsweise vorgelegten Schreiben des steuerlichen Vertreters eines Anlegers an die Steuerfahndung vom 27. März 2017 habe Y im Frühjahr 2015 auf Anfrage des Anlegers ohne Diskussion über Fälligkeiten oder Kündigungsfristen die Auszahlung von 348.000 € durch …-KG veranlasst.
Der Annahme eines Zuflusses stehe ein Leistungsverweigerungsrecht nicht entgegen, da … sich hierauf im Geschäftsverkehr nicht berufen habe. In tatsächlicher Hinsicht sei von der vertraglichen Fälligkeitsregelung abgewichen und diese damit zumindest konkludent abbedungen worden (BFH-Urteil vom 10. Juli 2001 VIII R 35/00, BFHE 196, 112, BStBl II 2001, 646). Die Renditen seien daher mit monatlicher Gutschrift „abrufbar“ gewesen und damit in diesem Zeitpunkt zugeflossen.
Für eine bevorzugte Behandlung derjenigen Personen, die Auszahlungen erhalten hätten, durch Y, lägen keine Beweise vor; bei dem Vorbringen handele sich um bloße Spekulation.
Mit Anordnung gem. § 79b Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) vom 3. August 2021 hat das Gericht die Kläger aufgefordert, die Verträge der Kläger mit …-KG und …-Ltd. betreffend die Vertragsnummer […] vollständig vorzulegen. Auf die daraufhin vorgelegten Unterlagen wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze, die vorgelegten Akten und das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 5. Oktober 2021 verwiesen.
II.
Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Zutreffend hat das FA die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (2013) und § 164 Abs. 2 AO (2014) geändert und dabei Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 4.843,69 € in 2013 und 14.377,70 € in 2014 berücksichtigt.
a) Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt.
Regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die dem Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres, zu dem sie wirtschaftlich gehören, zugeflossen sind, gelten als in diesem Kalenderjahr bezogen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 EStG).
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung führen Gutschriften oder die Wiederanlage von Renditen in Schneeballsystemen zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, hier i. S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, wenn der Betreiber des Schneeballsystems bei Erteilung der Gutschriften oder der Wiederanlage leistungsbereit und leistungsfähig ist. Der Anleger muss bei beiden „Zuflusstatbeständen“ im Zeitpunkt der Novation oder der Gutschrift in den Büchern des Betreibers des Schneeballsystems tatsächlich in der Lage gewesen sein, die Auszahlung ohne weiteres Zutun herbeizuführen (BFH-Urteil vom 27. März 2019 I R 33/16, BFH/NV 2020, 201, m. w. N.).
Der Zufluss von (Kapital-)Einnahmen i. S. von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG durch bloße Gutschrift in den Büchern des Schuldners oder durch sog. Novation kann nur dann angenommen werden, wenn der Gläubiger (Steuerpflichtige) nach den gesamten Umständen des Einzelfalles davon ausgehen durfte, dass er, hätte er statt des „Stehenlassens“ des gutgeschriebenen Betrags und ggf. dessen „Novation“ die Auszahlung gewählt, den betreffenden Betrag vom Schuldner ohne weiteres Zutun ausgezahlt bekommen hätte (BFH-Urteil vom 2. April 2014 VIII R 38/13, BFHE 245, 295, BStBl II 2014, 698).
Von einem nicht mehr leistungsbereiten und -fähigen Betreiber eines Schneeballsystems kann vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen erst ausgegangen werden, wenn dieser auf einen Auszahlungswunsch des Anlegers hin eine sofortige Auszahlung ablehnt und stattdessen über anderweitige Zahlungsmodalitäten verhandelt. Ob eine Deckungslücke zwischen den dem Betreiber des Schneeballsystems tatsächlich zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und den tatsächlich bestehenden Forderungen aller Anleger, wenn diese hypothetisch „auf einen Schlag“ zu befriedigen wären, im Zeitpunkt der Novation oder Gutschrifterteilung bestanden hat, ist hingegen unbeachtlich. Aus einer solchen Deckungslücke lässt sich für die Frage des Zuflusses von Erträgen jedenfalls so lange nichts herleiten, wie das Schneeballsystem als solches funktioniert, d. h. die Auszahlungsverlangen der Anleger ohne Einschränkung bedient werden (BFH-Urteil vom 27. März 2019 I R 33/16, BFH/NV 2020, 201, m. w. N.).
Hat der Steuerpflichtige keinen Auszahlungswunsch geltend gemacht, ist für die Annahme der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit des Betreibers im Grundsatz ausreichend, dass in dem maßgeblichen Zeitpunkt – hier der Fälligkeit der Zinsansprüche – keine generelle Zahlungsunfähigkeit des Betreibers festgestellt worden ist (BFH-Urteil vom 2. April 2014 VIII R 38/13, BFHE 245, 295, BStBl II 2014, 698, m. w. N.). Unter Zahlungsunfähigkeit im hier gemeinten Sinne ist nur das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuldners anzusehen, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu berichtigen. Dies wird man vor dem „Zusammenbruch“ des Schuldners im Regelfall verneinen können, solange ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens (Insolvenzverfahrens) über das Vermögen des Schuldners noch nicht gestellt wurde (BFH-Urteil vom 30. Oktober 2001 VIII R 15/01, BFHE 197, 126, BStBl II 2002, 138).
Indizielle Bedeutung kann auch das Zahlungsgebaren des Schuldners gegenüber anderen Gläubigern erlangen. Erfüllt der Betreiber des Schneeballsystems in den zu beurteilenden Zeiträumen gegenüber anderen Gläubigern und Anlegern seine (fälligen) Zahlungsverpflichtungen nicht, nur teilweise oder nur zögerlich und sporadisch, so lässt dies – wenn nicht besondere Umstände im Verhältnis des Anlegers zu dem Betreiber des Schneeballsystems das Gegenteil nahe legen – den Schluss zu, dass sich der Betreiber auch gegenüber dem Steuerpflichtigen nicht anders verhalten hätte (BFH-Urteil vom 2. April 2014 VIII R 38/13, BFHE 245, 295, BStBl II 2014, 698, m. w. N.).
Zwar setzt der Zufluss eines Geldbetrages im Falle seiner bloßen Gutschrift in den Büchern des Schuldners im Regelfall voraus, dass insoweit eine eindeutige und unbestrittene Leistungsverpflichtung des Schuldners besteht, diesem also insbesondere kein Leistungsverweigerungsrecht zusteht. Etwas anderes gilt aber dann, wenn sich der Schuldner erkennbar auf zivilrechtliche Einwendungen und Einreden gegen die Forderung des Gläubigers nicht berufen will (BFH-Urteil vom 10. Juli 2001 VIII R 35/00, BFHE 196, 112, BStBl II 2001, 646, m. w. N.).
b) Nach diesen Maßgaben sind den Klägern Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG aus den …-KG gewährten Nachrangdarlehen in Höhe von 4.843,69 € in 2013 und 14.377,70 € in 2014 zugeflossen i. S. d. § 11 Abs. 1 EStG.
aa) Ausweislich der vorgelegten, den Klägern von …-Ltd./…-KG ausgestellten Kontoauszüge wurden den Klägern jeweils am Monatsende Erträge für den laufenden Monat in variabler Höhe gutgeschrieben. Die Gutschriften waren den Klägern über ein elektronisches System mit ihren Zugangsdaten einsehbar, womit die Schuldnerin zum Ausdruck brachte, dass der Betrag den Berechtigten zur Verfügung steht. Denn auf diese Weise sollten die Anleger in Sicherheit gewogen werden, dass ihr Geld bei der Schuldnerin gut angelegt war. Der Annahme einer den Klägern eingeräumten Verfügungsmacht hinsichtlich der gutgeschriebenen Beträge steht nicht entgegen, dass nicht nachvollziehbar ist, wie die ausgewiesenen Erträge berechnet wurden. Die Kläger haben mit …-KG nach den vorgelegten Kontoeröffnungsanträgen eine variable Verzinsung vereinbart (zur zivilrechtlichen Schließung der Lücke der fehlenden Vereinbarung einer Berechnungsweise im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. April 2010 …I ZR 197/09, BGHZ 185, 166). Ferner steht dem Zufluss nicht entgegen, dass auf den Kontoauszügen der Kläger Gewinnanteile, Verlustanteile und Entnahmen/Ausschüttungen in Höhe von jeweils 0 € aufgeführt sind. Dies erklärt sich daraus, dass die Kläger mit …-KG keine Erfolgs- und Verlustbeteiligung vereinbart und in den Streitjahren keine Auszahlungen erhalten hatten.
Wegen vorliegender Gutschriften ist unerheblich, ob wie bei Darlehensgewährung durch einen Gesellschafter-Geschäftsführer bereits vor dem Zeitpunkt der Gutschrift ein Zufluss anzunehmen sein könnte (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 8. Mai 2007 VIII R 13/06, BFH/NV 2007, 2249).
bb) Die Zinsansprüche waren jeweils am fünften Bankarbeitstag nach Ablauf eines Zinslaufes fällig. Dies ergibt sich aus § 4 Nr. 4 der Bedingungen des Nachrangdarlehens, die im Anhang zu dem Exposé auf S. 23 ff. abgedruckt waren und nach S. 15 des Exposé unter „Rechtliche Grundlagen des Angebotes“ das Rechtsverhältnis der Anleger zu der Emittentin ausschließlich regelten. Der Zinslauf begann nach der tatsächlichen Durchführung des Vertrags (Gutschriften) mit Auszahlung des Darlehens bzw. jeweils mit Monatsbeginn und endete jeweils am Monatsende.
Die vereinbarte Mindestlaufzeit beeinflusst die Fälligkeit der Zinsen nicht. Die in den Vertragsbedingungen vorgesehenen Regelungen betreffen die Laufzeit des Vertrages, wodurch eine ordentliche Kündigung während der Mindestzeit ausgeschlossen wurde (S. 4, 9, 17, 24, 33). Weiter sollten nach Vertragsende keine Zinsen auf den Rückzahlungsbetrag zu zahlen sein (S. 16).
cc) …-KG war bei Fälligkeit der in den Büchern des Schuldners gutgeschriebenen Erträge leistungsbereit und -fähig i. S. der Rechtsprechungsgrundsätze. Die Kläger haben in den Streitjahren keinen Auszahlungswunsch an …-KG gerichtet. Insofern spielt keine Rolle, wenn sie irrtümlich meinten, sie hätten die Auszahlung nach dem Vertrag nicht verlangen dürfen. Die Kläger haben sogar 2014 und 2015 weitere Einzahlungen vorgenommen; sie hatten also – wie von …-KG durch die Schaffung „vertrauensbildender Faktoren“ (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juli 2001 VIII R 35/00, BFHE 196, 112, BStBl II 2001, 646, juris-Rn. 48) wie die Gutschriften bezweckt – selbst keine Zweifel an der Leistungsbereitschaft und -fähigkeit der …-KG.
Zudem hat sich …-KG – soweit ersichtlich – bei von anderen Anlegern (nähere Bekannte des Y oder sonstige Personen) geltend gemachten Auszahlungswünschen nicht auf einen durch die Auszahlung eintretenden Insolvenzeröffnungsgrund berufen. Die Feststellungen des Strafgerichts im Urteil vom […] sowie die vom FA vorgelegten anonymisierten Kontoauszüge der …-KG für andere Anleger und Auszüge aus dem Schreiben des Vertreters eines Anlegers vom 27. März 2017 legen vielmehr nahe, dass …-KG Auszahlungswünschen bis Mitte 2015 – ab 2015 jedenfalls nach anfänglichem Verzögerungsversuch – ohne Weiteres nachkam. Das Schneeballsystem ist erst nach Fälligkeit der für die Streitjahre gutgeschriebenen Erträge zusammengebrochen. Der in den Vertragsbedingungen vorgesehene Zahlungsvorbehalt, dass durch die Zahlung der Zinsen ein Insolvenzeröffnungsgrund nicht herbeigeführt wird, war somit hinsichtlich der in den Streitjahren gutgeschriebenen Zinsen nicht einschlägig (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juli 2001 VIII R 35/00, BFHE 196, 112, BStBl II 2001, 646, juris-Rn. 54).
Der Annahme einer Leistungsfähigkeit der …-KG steht auch nicht entgegen, wenn …-KG ihren Zahlungsverpflichtungen nur über …-Ltd. nachkommen konnte (vgl. BFH-Urteil vom 10. Juli 2001 VIII R 35/00, BFHE 196, 112, BStBl II 2001, 646, juris-Rn. 52, BFH-Beschluss vom 24. Mai 2005 VIII B 165/03, BFH/NV 2005, 1786).
Darauf, ob bereits Ende 2011 eine Überschuldung und Insolvenzreife der …-KG bestand, sowie darauf, nach welchem Muster Zinszahlungen vorgenommen wurden, kommt es nach den Rechtsprechungsgrundsätzen vorliegend nicht an. Die beantragte Zeugenvernehmung ist somit entbehrlich. […]
dd) Dass im Streitfall keine Wiederanlage auf Weisung der Kläger erfolgte, ändert am gefundenen Ergebnis nichts, da die Voraussetzungen der Variante „Gutschrift“ i. S. der Rechtsprechungsgrundsätze erfüllt sind.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.


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