Arbeitsrecht

Ausgleichsansprüche wegen einer Flugannullierung aufgrund eines Streiks

Aktenzeichen  15 S 1420/20

Datum:
21.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 21896
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) Nr. 261/2004 Art. 5 Abs. 1 lit. c, Art. 7 Abs. 1 S. 1 lit. b

 

Leitsatz

Das Risiko eines Streiks als Folge von Tarifauseinandersetzungen ist als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens zu betrachten und damit kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 C 4914/19 2020-04-30 Urt AGERDING AG Erding

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 30.04.2020, Az. 1 C 4914/19, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils 400,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.11.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 800,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Kläger machen gegen die Beklagte Ausgleichsansprüche nach Artikel 7 der Fluggastrechteverordnung (EG) Nr. 261/2004 wegen einer Flugannullierung geltend.
Die Kläger hatten für den 01.05.2019 einen Flug von München nach Oslo (FlugNr.: SK4760) gebucht. Ausführendes Luftfahrtunternehmen war die Beklagte. Das Flugzeug sollte planmäßig um 12.55 Uhr in München starten und um 15.05 Uhr in Oslo ankommen.
Der Flug wurde weniger als zwei Wochen vor dem geplanten Abflugzeitpunkt annulliert. Grund der Annullierung war ein gewerkschaftlich organisierter Streik der bei der Beklagten angestellten Piloten vom 26.04.2019 bis zum 02.05.2019, an dem insgesamt 1.409 skandinavische Piloten beteiligt waren. Der Pilotenstreik begann am 26.04.2019 nach dem Scheitern von seit März 2019 zwischen der Beklagten als Arbeitgeberin und den Piloten als Arbeitnehmern geführten Tarifverhandlungen. Diese Tarifverhandlungen waren erforderlich geworden, weil die Pilotengewerkschaften den 2017 geschlossenen Tarifvertrag vorzeitig beendet hatten. Die Beklagte war aufgrund von skandinavischen Übereinkommen zwischen den Arbeitnehmern und der Unternehmensleitung verpflichtet, mit den Pilotengewerkschaften einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln. Streitige Punkte waren u.a. die von den Piloten geforderte Gehaltserhöhung in Höhe von 13% und verbesserte Arbeitsbedingungen. Die Pilotengewerkschaften hatten die Verhandlungen am 26.04.2019 für gescheitert erklärt und zum Streik aufgerufen, nachdem sie einen Vergleichsvorschlag der Schlichter in Bezug auf ihre Gehalts- und Arbeitszeitforderungen abgelehnt hatten. Die Pilotengewerkschaften beendeten den Streik am 02.05.2019, nachdem der skandinavische Pilotenverband nach langwierigen Verhandlungen mit der Beklagten einen Vergleich schließen konnte.
Die Kläger fordern eine Ausgleichszahlung in Höhe von je 400,00 EUR zuzüglich gesetzlichen Verzugszinsen ab Klagezustellung.
Die Kläger sind der Auffassung, der Streik liege im Verantwortungsbereich der Beklagten und stelle keinen außergewöhnlichen Umstand dar.
Die Kläger hatten erstinstanzlich beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1 einen Betrag in Höhe von 400,00 Euro, an den Kläger zu 2 einen Betrag in Höhe von 400,00 Euro jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, 
die Klage abzuweisen,
hilfsweise das Verfahren im Hinblick auf die anhängigen EuGH-Vorlageverfahren C-816/19 (AG Hamburg), C-827/19 und den Vorlagebeschluss des Gerichts Attunda (Schweden) – Az. FT 9615-19 zu demselben auch hier streitgegenständlichen Pilotenstreik gern. § 148 ZPO analog auszusetzen.
Die Beklagte behauptet, sie habe alle ihr möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um Verspätungen der Passagiere bzw. Annullierungen zu vermeiden. Die Annullierung des streitgegenständlichen Fluges sei dennoch unvermeidbar gewesen.
Die Beklagte ist in rechtlicher Hinsicht der Auffassung, bei dem internen, gewerkschaftlich organisierten Pilotenstreik handle es sich um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung. Der Streik sei in der skandinavischen Luftfahrtgeschichte beispiellos gewesen, sowohl im Hinblick auf das Ausmaß als auch die Folgen. Er sei nicht durch die Beklagte veranlasst worden. Vielmehr sei der Streik auf eine arbeitnehmerseitige Kündigung des Tarifvertrags sowie auf eine Ablehnung des Schlichtungsvorschlages seitens der Pilotengewerkschaften zurückzuführen und damit für die Beklagte nicht beherrschbar gewesen. Die Beklagte weist darauf hin, dass ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen in vorliegendem Fall das im Rahmen der Tarifautonomie vorgesehene Verhandlungsgleichgewicht zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern einseitig in Richtung der Gewerkschaften verschieben würde. Außerdem seien die Lohnforderungen ungewöhnlich hoch gewesen.
Die Beklagte meint, die Entscheidung des EuGH betreffend den wilden Streik bei TUI (EuGH, Urteil vom 17.04.2018 – C-195/17 – TUlfly) sei nicht maßgeblich, da es sich im vorliegenden Fall nicht um einen wilden, sondern um einen gewerkschaftlich organisierten, rechtmäßigen Streik gehandelt hat. Der „wilde Streik“, der der Entscheidung des EuGH zugrunde lag, sei durch die arbeitgeberseitige Ankündigung von betriebswirtschaftlichen Maßnahmen im Unternehmen ausgelöst worden und mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar. Die Beklagte stützt sich insbesondere auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.08.2012, Az. X ZR 138/11, mit dem Streiks als außergewöhnliche Umstände anerkannt wurden.
Das Amtsgericht Erding hat mit Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren entschieden und die Klage mit Endurteil vom 30.04.2020 abgewiesen. Auf das Endurteil wird Bezug genommen. Das Erstgericht wendet die Grundsätze des BGH aus dem Urteil vom 21.08.2012, Az.: X ZR 138/11 an. Ausgehend hiervon habe es sich bei dem Streik um einen außergewöhnlichen und nicht vermeidbaren Umstand gehandelt.
Die Kläger haben gegen dieses Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Sie verfolgen mit ihrer Berufung ihre Ansprüche in vollem Umfang weiter.
Die Kläger sind der Auffassung, dass die Rechtsprechung des BGH durch das Urteil des EuGH vom 17.04.2018 überholt sei. Da die Mitarbeiter der Beklagten für höhere Löhne gestreikt haben, habe sich ein typisches Betriebsrisiko der Beklagten verwirklicht.
Sie beantragen deshalb:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Erding vom 30.04.2020, Az.: 1 C 4914/19, den Prozessbevollmächtigten zugestellt am 12.05.2020, verurteilt, an die Kläger jeweils 400,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen bzw. das Verfahren im Hinblick auf die anhängigen EuGH-Vorlageverfahren nach§ 148 ZPO analog auszusetzen.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 06.07.2020 einen rechtlichen Hinweis erteilt. Die Parteivertreter haben mit Schriftsatz vom 24.07.2020 bzw. 27.07.2020 einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt.
Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ebenfalls Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Klagepartei hat auch in der Sache Erfolg.
Den Klägern steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung einer Ausgleichsleistung in Höhe von jeweils 400,00 Euro gern. Art. 5 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 7 Abs. 1 S. 1 lit. b der Fluggastrechteverordnung zu.
1. Der Sachverhalt als solcher ist unstreitig. Der streitgegenständliche Flug wurde annulliert. Ursache hierfür war ein gewerkschaftlich organisierter Streik des Personals der Beklagten im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen. Die Arbeitnehmer der Beklagten kämpften um höhere Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen.
2. Die Kammer ist der Auffassung, dass der Streik des eigenen Personals in vorliegendem Fall keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung darstellt und die Beklagte deshalb nicht von ihrer Pflicht zur Zahlung einer Ausgleichsleistung entbunden ist.
Als außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung können Vorkommnisse angesehen werden, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht beherrschbar sind (st. Rspr., EuGH, Urteil vom 17.04.2018, C-195/17 u.a., NJW 2018, 1592, BeckRS 2018, 5392; BGH, Urteil vom 21.08.2012, Az.: X ZR 138/11).
In Erwägungsgrund 14 der Fluggastrechteverordnung wird insbesondere der „den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigende Streik“ als außergewöhnlicher Umstand erwähnt. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die in Erwägungsgrund 14 genannten Umstände automatisch Gründe für die Befreiung von der Ausgleichspflicht sind. Vielmehr ist für jeden Einzelfall gesondert zu beurteilen, ob die genannten Voraussetzungen für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände kumulativ vorliegen (EuGH a.a.O.).
a) Die beklagte Partei weist zutreffend darauf hin, dass der BGH bislang bei einem Streik, der von einer Gewerkschaft ausgeht, die im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung die Arbeitnehmer zur Arbeitsniederlegung aufruft, einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung angenommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 21.08.2012 – X ZR 138/11). Nach dieser Rechtsprechung des BGH wirkt ein Streikaufruf – auch soweit er zum Ausstand eigener Beschäftigter führt -,,von außen“ auf das Luftverkehrsunternehmen ein und ist nicht Teil der normalen Ausübung seiner Tätigkeit. Vielmehr ziele ein solcher Streik als Kampfmittel um einen neuen oder anderen Tarifvertrag darauf ab, die „normale Ausübung“ der Tätigkeit zu beeinträchtigen bzw. völlig lahmzulegen. Außerdem stellt der Bundesgerichtshof darauf ab, dass ein solcher Streik in der Regel nicht nur einzelne Flüge betrifft, sondern typischerweise die gesamte oder zumindest wesentliche Teile der gesamten Tätigkeit des Luftverkehrsunternehmens.
Die im streitgegenständlichen Fall unstreitigen Umstände, die zur Annullierung führten, stellen nach dieser Rechtsprechung des BGH außergewöhnliche Umstände dar und führen damit zu einem Ausschluss des Entschädigungsanspruchs.
b) In Literatur und instanzgerichtlicher Rechtsprechung ist jedoch umstritten, ob die zitierte BGH-Rechtsprechung aufgrund der Entscheidung des EuGH am 17.04.2018 in der Rechtssache Krüsemann/TUlfly (a.a.O.) revidiert werden muss (zum Meinungsstand vgl. Schmid, in: BeckOK Fluggastrechteverordnung, Art. 5, Rn. 93 ff., insbes. Rn. 96a mit weiteren Nachweisen). In dieser Sache hat der EuGH entschieden, dass jedenfalls ein sog.,,wilder Streik“ nicht unter den Begriff ,,außergewöhnliche Umstände“ fällt, wenn er auf die überraschende Ankündigung von Umstrukturierungsplänen durch die Fluggesellschaft zurückgeht.
Teilweise wird in der Rechtsprechung nun die Auffassung vertreten, dass auch nach der Entscheidung des EuGH zum „wilden Streik“ im Falle eines gewerkschaftlich organisierten Streiks grundsätzlich weiterhin vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände auszugehen sei (z.B. AG Köln, Urteil v. 04.02.2020, BeckRS 2020, 3697). Ein Fall, in dem ein Streikaufruf einer Gewerkschaft vorliege, der von außen in den Organisationskreis des Luftfahrtunternehmens einwirke, sei mit der vom EuGH entschiedenen Fall nicht vergleichbar. Andernfalls würde die Koalitionsfreiheit unterlaufen.
Andere Gerichte sowie – soweit ersichtlich der überwiegende Teil des Schrifttums – gehen demgegenüber nach der Entscheidung des EuGH davon aus, dass bei einem Streik eigenen Personals, zu dem von einer Gewerkschaft aufgerufen wird, ein außergewöhnlicher Umstand – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – zu verneinen ist (z.B. LG Hamburg, Urteil vom 21.05.2019, BeckRS 2019, 12169; AG Frankfurt, Urteil vom 08.08.2019, BeckRS 2019, 21055; LG Korneuburg, BeckRS 2019, 7099; Führich, Reiserecht, 8. A., § 40, Rn. 81, Schmid, in: BeckOK, Fluggastrechteverordnung, Art. 5, Rn. 96 a). c)
Die Kammer geht vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des EuGH in vorliegendem Fall, in dem eigene Mitarbeiter im Rahmen eines Streiks um höhere Löhne kämpfen, ebenfalls davon aus, dass ein außergewöhnlicher Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung nicht anzunehmen ist (vgl. auch Endurteil des LG Landshut vom 18.09.2019, Az.: 14 S 1108/19; Hinweisbeschluss des LG Landshut vom 04.06.2019, Az.: 15 S 1057/19). Für die Kammer sind hierfür folgende Erwägungen entscheidend:
Der EuGH stellt in seiner Entscheidung zum „wilden Streik“ maßgeblich darauf ab, dass die geplanten betrieblichen Umorganisationsmaßnahmen, die Anlass für die Krankmeldungen der Mitarbeiter waren, zu den normalen betriebswirtschaftlichen Maßnahmen von Unternehmen gehören. Das Personal von TUlfly habe den „wilden Streik“ ausgelöst, um seine Forderungen, die die angekündigten Umstrukturierungsmaßnahmen betrafen, zu erheben. Es sei auch nicht ungewöhnlich, das sich Luftfahrtunternehmen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Meinungsverschiedenheiten oder Konflikten mit ihren Mitarbeitern oder einem Teil davon gegenübersehen können. Die Risiken, die sich aus den mit solchen Maßnahmen einhergehenden sozialen Folgen ergeben, seien daher Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens (EuGH a.a.O.).
In vorliegendem Fall waren Auslöser des Streikaufrufs Tarifauseinandersetzungen der Beklagten mit ihren gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern. Die Arbeitnehmer verfolgten das Ziel, höhere Löhne zu erkämpfen. Auch Tarifauseinandersetzungen und die Gehaltsforderungen von Mitarbeitern gehören aber zu den „normalen betriebswirtschaftlichen Maßnahmen“ eines Unternehmens bzw. zum allgemeinen unternehmerischen Risiko. Die Beklagte war nach ihrem eigenen Vortrag aufgrund skandinavischer Übereinkommen zwischen den Arbeitnehmern und der Unternehmensleitung dazu verpflichtet, mit den Pilotengewerkschaften einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln. Die Tarifverhandlungen waren damit Teil der „normalen Tätigkeit“ der Beklagten, auch wenn die Verhandlungen aufgrund einer vorzeitigen Kündigung des alten Tarifvertrages durch die Gewerkschaften nötig wurden. Es ist auch nicht völlig ungewöhnlich, dass es im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen zu einem Streitkaufruf einer Gewerkschaft kommt. Dies spricht dafür, das Risiko eines Streiks als Folge von Tarifauseinandersetzungen als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens zu betrachten. Die Beklagte wendet zwar zu Recht ein, das der Streikaufruf in vorliegendem Fall von einer unabhängigen Arbeitnehmerorganisation ausging und damit „von außen“ kam. Anlass waren jedoch Tarifauseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen der Beklagten und ihren Arbeitnehmer, die wiederum zur betrieblichen Tätigkeit der Beklagten gehören. Die Mitarbeiter der Beklagten beteiligten sich gerade deshalb am Streik, um ihre Forderungen durchzusetzen.
An dieser Beurteilung ändert auch der Umstand nichts, dass es vorliegend um verhältnismäßig hohe Lohnforderungen (Lohnerhöhung von 13%) ging. Auch dies ist keineswegs außergewöhnlich. Im Übrigen umfasst auch die letztendlich erzielte Einigung eine Lohnerhöhung um 10,9% bis zum Jahr 2021.
Aus der Entscheidung des EuGH (a.a.O., Rn. 47) geht außerdem hervor, dass zur Klärung der Frage, ob Streiks als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung einzustufen sind, nicht darauf abzustellen ist, ob sie nach dem einschlägigen nationalen Recht rechtmäßig sind oder nicht. Andernfalls hinge der Anspruch von Fluggästen auf Ausgleichszahlung von den arbeits- und tarifrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates ab.
Schließlich hat der EuGH in der zitierten Entscheidung nochmals betont, dass der Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung restriktiv zu handhaben ist. Auch vor diesem Hintergrund geht die Kammer in vorliegendem Fall davon aus, dass ein außergewöhnlicher Umstand nicht gegeben ist. Dabei ist auch zu sehen, dass ein von Gewerkschaften organisierter Streik in der Praxis sehr viel häufiger vorkommt als ein sog.,,wilder Streik“. Wenn also der EuGH schon den sog.,,wilden Streik“ nicht als außergewöhnlichen Umstand ansieht, spricht viel dafür, dass ein – in der Praxis sehr viel häufigerer – rechtmäßiger Streik erst recht keine Entlastung nach sich ziehen kann (Steinrötter, BeckOGK, Fluggastrechteverordnung, Art. 5, Rn. 74).
Ferner hat der EuGH in der genannten Entscheidung im Hinblick auf die Beherrschbarkeit darauf abgestellt, dass er nach einer Einigung zwischen dem Unternehmen und dem Betriebsratendete. Auch in vorliegendem Fall konnte letztlich am 02.05.2019 und damit innerhalb weniger Tage eine Einigung erzielt werden.
Soweit die Beklagte einwendet, dass mit der Verpflichtung zur Ausgleichsleistung den Beschäftigten der Luftfahrtindustrie ein Mittel an die Hand gegeben wird, Druck auf die Fluggesellschaften als Arbeitgeber auszuüben, ist dieses Argument nicht von der Hand zu weisen, da der Ausstand des Personals durch die Verpflichtung zur Ausgleichsleistung mit deutlich höheren Kosten für das Luftfahrtunternehmen einhergeht. Allerdings liegt ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit selbst nicht vor. Ob sich das Personal eines Luftfahrtunternehmens an Streiks beteiligt, ist im Übrigen von den Arbeitsbedingungen im jeweiligen Unternehmen abhängig.
Mithin geht die Kammer in vorliegendem Fall nicht vom Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands aus, der von der Beklagten nicht beherrscht werden konnte.
3. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 S. 2, 288 Abs. 1 BGB. Aus dem Poststempel der schwedischen Post, die den Zustellungsbeleg zurückgesandt hat, geht der 08.11.2019 als Rücksendedatum hervor, so dass die Klage spätestens an diesem Tag zugestellt wurde.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
Die Revision war zuzulassen, da die Frage, ob der hier streitgegenständliche Streik einen außergewöhnlichen Umstand i.S.d. Art. 5 Abs. 3 der FluggastrechteVO darstellt, vor dem Hintergrund der Entscheidungen des BGH mit Urteil vom 21.08.2012, Az. X ZR 146/11 sowie des EuGH mit Urteil vom 17. April 2018, Az. C-195/17 grundsätzliche Bedeutung hat, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Im Hinblick auf die unterschiedliche Beurteilung in der Rechtsprechung der lnstanzgerichte erfordert auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO.
Zu einer Aussetzung gern.§ 148 ZPO analog war die Kammer nicht verpflichtet. Eine solche Aussetzung wird auch nicht für geboten gehalten. Es ist nicht konkret absehbar, ob und wann mit einer Entscheidung des EuGH in den zitierten Parallelverfahren zu rechnen ist. Die Kläger haben trotz der laufenden Verfahren vor dem EuGH einen Anspruch auf Sachentscheidung.
Eine eigene Vorlage an den Europäischen Gerichtshof hält die Kammer ebenfalls nicht für geboten. Die Kammer ist bei der Auslegung der Verordnung den Grundsätzen in der zitierten Entscheidung des EuGH gefolgt. Die Entscheidung über die Vorlage an den EuGH sollte aus Sicht der Kammer im Hinblick auf die Entscheidung des BGH vom 21.08.2012 durch das Revisionsgericht getroffen werden.


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