Arbeitsrecht

Beihilfe, Zahnersatz, Anrechnung des Festzuschusses der gesetzlichen Krankenversicherung in voller Höhe, Generelle Anrechnung unabhängig von tatsächlicher Gewährung

Aktenzeichen  M 17 K 19.2057

Datum:
27.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 14039
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG Art. 96 Abs. 2 S. 4, 5
BayBhV § 6 Abs. 1 S. 2, 3

 

Leitsatz

Tenor

I.  Soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt.
II.  Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III.  Von den Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin 2/3, der Beklagte 1/3. IV.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Gründe

Die zulässige Klage, insofern noch über sie zu entscheiden war, hat keinen Erfolg.
Über die Klage konnte nach übereinstimmender Erklärung der Beteiligten durch die Berichterstatterin und im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung weiterer Beihilfe im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Bescheid vom 26. November 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 1. April 2019, insofern keine Abhilfe in Aussicht gestellt wurde, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I.
Soweit die Parteien den Rechtsstreit in Höhe von 82,87 € übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 Satz 1 entsprechend.
II.
Das Klagebegehren ist dahin auszulegen (§ 88 VwGO), dass die Klägerin im Hauptantrag die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung von Beihilfe in Höhe von 168,04 € unter entsprechender Aufhebung des Beihilfebescheides vom 26. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. April 2019 begehrt. Auf gerichtliche Nachfrage erklärte der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 13. April 2021 ausdrücklich, dass der Klägerin über den anerkannten Betrag hinaus weitere Beihilfe in Höhe von 168,04 € zu gewähren sei. Dies ergebe sich aus der Differenz der ursprünglich eingeklagten 250,91 €, die auch dem vorläufigen Streitwert zugrunde gelegt worden seien, und der in Aussicht gestellten Abhilfe in Höhe von 82,87 €. Der ursprüngliche Antrag auf Gewährung einer Beihilfe von „insgesamt 836,37 € habe nur der Verdeutlichung der zu gewährenden Gesamtbeihilfe gedient. Nur für den Fall, dass die Material- und Laborkosten nicht in voller Höhe berücksichtigt werden könnten, wäre dennoch eine weitere Beihilfe in Höhe von 123,10 € zu leisten.
Da der Klägerbevollmächtigte im Laufe des gerichtlichen Verfahrens lediglich den Betrag der zu gewährenden Beihilfe seines ursprünglichen Antrags 1 vom 29. April 2019 modifizierte, blieb der ursprünglich gestellte Hilfsantrag (Ziffer 3) aufrechterhalten.
III.
Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. statt aller BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Die Aufwendungen gelten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV in dem Zeitpunkt als entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Für die vorgenommene zahnärztliche Behandlung entstehen Aufwendungen mit jeder Inanspruchnahme des Arztes (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand September 2020, Bd. 2 Anm. 12 zu § 7 Abs. 2 BayBhV).
Bei den streitgegenständlichen Behandlungen am … … … … 2018 bestimmt sich die Beihilfefähigkeit daher nach Art. 96 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juli 2008 (GVBl. S. 500), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. März 2018 (GVBl. S. 118), und der Verordnung über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und sonstigen Fällen (Bayerische Beihilfeverordnung – BayBhV) vom 2. Januar 2007 (GVBl. S. 15) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 24. Juli 2017 (GVBl. S. 418).
IV.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 168,04 €. Die vorgenommene Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen hinsichtlich der Rechnung vom … … 2018 durch den Beklagten – soweit Abhilfe nicht in Aussicht gestellt wurde – erfolgte zurecht.
Der Anspruch auf Beihilfeleistungen ist bei Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung beschränkt auf Leistungen für Zahnersatz, für Heilpraktiker und Heilpraktikerinnen und auf Wahlleistungen im Krankenhaus. Dabei sind Zuschüsse aus anderen Sicherungssystemen anzurechnen, Art. 96 Abs. 2 Satz 4 und Satz 5 BayBG. Gewährte Zuschüsse im Sinne des Art. 96 Abs. 2 Satz 4 BayBG werden in voller Höhe auf die beihilfefähigen Aufwendungen angerechnet, § 6 Abs. 1 Satz 2 BayBhV. Bei der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen nach Maßgabe der §§ 14 bis 17 sind hierbei 65 v.H. als gewährte Leistung anzurechnen; Berechnungsgrundlage ist der Betrag, aus dem sich der Zuschuss der Krankenkasse errechnet, § 6 Abs. 1 Satz 3 BayBhV.
Aus diesen gesetzlichen Regelungen ergibt sich, dass zunächst die beihilfefähigen Aufwendungen berechnet werden. Diese setzten sich aus den Honorarkosten der Zahnärztin und dem beihilfefähigen Anteil (§ 14 BayBhV) der Material- und Laborkosten zusammen. Erst von dieser Summe ist der Zuschuss gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 BayBhV abzuziehen. Auf den sich hieraus ergebenden Betrag ist der individuelle Beihilfemessungssatz zur Berechnung der zustehenden Beihilfe anzuwenden (vgl. HessVGH, U.v. 10.3.2016 – 1 A 1161/14 – juris Rn. 20 ff. zu § 9 Abs. 2 und § 16 BBhV).
Beihilfefähige Aufwendungen sind im konkreten Fall das ärztliche Honorar i.H.v. 945,07 € sowie 40 v.H. (§ 14 BayBhV) der in Rechnung gestellten Material- und Laborkosten in Höhe 1.280,35 €, mithin 512,14 €. Insgesamt sind damit 1.457,21 € beihilfefähig.
Von diesen beihilfefähigen Aufwendungen ist nach Art. 96 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 BayBG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 3 BayBhV der Zuschuss der gesetzlichen Krankenversicherung i.H.v. 502,46 € in voller Höhe abzuziehen. Hieraus ergibt sich ein Beihilfeanspruch i.H.v. 668,33 € (70 v.H. von 954,75 €). Aufgrund der bereits gewährten Beihilfe i.H.v. 585,46 € verbleibt es rechnerisch bei einem Restanspruch i.H.v. 82,87 €. Die Gewährung einer weiteren Beihilfe in dieser Höhe wurde vom Beklagten in Aussicht gestellt, das Verfahren insoweit eingestellt (vgl. Textziffer I). Damit besteht kein weiterer Beihilfeanspruch.
Dass vorliegend der Zuschuss der gesetzlichen Krankenversicherung i.H.v. 502,46 € voll abgezogen wird, ergibt sich daraus, dass es sich hierbei um den (damals) höchstmöglichen Festzuschuss von 65 v.H. für die Regelversorgung handelt. Der Abzug wäre auch dann erfolgt, wäre der Zuschuss der Klägerin nicht gewährt worden.
Grundsätzlich sieht die Verordnung in § 6 Abs. 1 Satz 2 BayBhV vor, dass gewährte Zuschüsse im Sinne des Art. 96 Abs. 2 Satz 4 BayBG in voller Höhe auf die beihilfefähigen Aufwendungen angerechnet werden. Hier wird also auf tatsächlich gewährte Zuschüsse abgestellt.
Für Zahnersatz sieht die Verordnung eine hiervon abweichende Regelung vor. Anders als in Satz 2 erfolgt in Satz 3 in jedem Fall, also nicht nur bei tatsächlich gewährtem Zuschuss, eine Anrechnung. Das ergibt sich aus dem Wortlaut „sind 65 v.H. als gewährte Leistung anzurechnen“. Bei Zahnersatz greift keine Privilegierung, dass gewährte Zuschüsse nur anteilig berücksichtigt werden, sondern eine generelle Anrechnung unabhängig von der Gewährung.
Bezugsgröße der anzurechnenden 65 v.H. kann aus diesem Grund gar nicht ein tatsächlich gezahlter Zuschuss sein, da die Anrechnung nach Satz 3 gerade losgelöst von etwaig gewährten Zuschüssen erfolgt. Die Höhe 65 v.H. zielt vielmehr auf den maximalen, höchstmöglichen Festzuschuss der Krankenkasse, nämlich 65 v.H. der festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung, ab (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand 1. September 2020, Bd. 2 Anm. 12 zu § 6 Abs. 1 BayBhV).
Eine derartige abstrakte Berücksichtigung eines möglicherweise konkret gar nicht gewährten Zuschusses erfolgt auch in der, insoweit, vergleichbaren Regelung des § 9 Abs. 2 der Verordnung über Beihilfe in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Bundesbeihilfeverordnung – BBhV). Durch die Verwendung des Wortes „abstrakt“ im Verordnungstext wird in der BBhV klargestellt, dass dies auch dann gilt, wenn der tatsächlich gewährte Zuschuss diese Höhe nicht erreicht (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand 1. September 2020, Bd. 1 Anm. 12 (4) zu § 9 Abs. 2 BBhV).
Der maximal mögliche Zuschuss der Krankenkasse in Höhe von 65 v.H. der jeweiligen Regelversorgung ergibt sich aus dem SGB V. Nach § 55 Abs. 1 SGB V (in der bis zum 30. September 2020 gültigen Fassung) haben gesetzlich Versicherte bei einer medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse. Diese umfassen gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB V a.F. grundsätzlich 50 v.H. der festgesetzten Beträge. Die Zuschüsse nach Satz 2 erhöhen sich gemäß § 55 Abs. 1 Satz 5 SGB V a.F. um weitere 10 v.H., wenn der Versicherte in den letzten zehn Kalenderjahren regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen hat. Insgesamt können die Festzuschüsse nach § 55 Abs. 1 SGB V a.F. daher maximal 65 v.H. der festgesetzten Beträge der jeweiligen Regelversorgung betragen.
Da es schon bei Abzug eines Festzuschusses in Höhe von 502,46 € zu keinem weiteren Beihilfeanspruch kommt, braucht auf den Umstand, dass sich der Festzuschuss zum 1. April 2018 erhöht hat, nicht weiter eingegangen werden. Im Zeitpunkt der Eingliederung im April 2018 wies die Festzuschuss-Richtlinie vom 1. April 2018 (veröffentlich im BAnz AT am 29. März 2018) in Teil B zu Nr. 2.1 einen Festzuschuss von 456,24 € und zu Nr. 2.7 von 67,31 € aus. Diese Festzuschüsse sind höher als die, die der konkreten Festsetzung durch die gesetzliche Krankenversicherung 13. November 2017 zugrunde gelegt wurden. Im November 2017 wurde aufgrund der damals geltenden Festzuschuss-Richtlinie vom 1. Januar 2017 (veröffentlicht im BAnz AT am 30. Dezember 2016) von einem Festzuschuss von 437,45 € (Nr. 2.1) zuzüglich 65,01 € (Ziffer 2.7) ausgegangen.
V.
Der Hilfsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
Über den Hilfsantrag konnte entschieden werden, weil die innerprozessuale Bedingung, der Nichterfolg des Klageantrags in Ziffer 1 in seiner zuletzt gestellten Form, eingetreten ist.
Der Hilfsantrag ist aber unbegründet. Er ist, anders als der Hauptantrag in Ziffer 1, nicht als Vornahmeantrag i.S.v. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, sondern als Bescheidungsantrag i.S.v. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO gestellt. Bei der Gewährung von Beihilfe handelt es sich um einen gebundenen Anspruch, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 BayBhV. Insofern hat der Beklagte die beantrage Beihilfe zu gewähren, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Für Ermessenserwägungen besteht hier kein Raum. Wenn in einem solchen Fall des gebundenen Anspruchs kein Vornahmeurteil i.S.v. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO ergehen kann, liegt das, wie auch hier, am Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen. Aus diesem Grund kann auch der Bescheidungsantrag keinen Erfolg haben, da er auf Tatbestandsebene dieselben Voraussetzungen hat und sich nur auf Rechtsfolgenseite unterscheidet. Insofern ist der Bescheidungsantrag ein Minus zum Vornahmeantrag.
VI.
Die Kostenfolge ergibt sich, soweit das Verfahren streitig entschieden wurde, aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Hinsichtlich des eingestellten Teils infolge übereinstimmender Erledigterklärung ergibt sich die Kostenentscheidung aus § 161 Abs. 2 VwGO. Es entspricht hier billigem Ermessen, dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen. Der Beklagte hat sich in die Rolle des Untergebenen begeben und unter Aufgabe seines bisherigen Rechtsstandpunktes nachgegeben (Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 161 Rn. 100), indem er in Aussicht stellt, der Klageforderung in Höhe von 82,87 € nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens abzuhelfen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben