Arbeitsrecht

Beitragspflicht früherer gewährter Kapitalleistungen aus einer Unterstützungskasse

Aktenzeichen  S 10 KR 700/18

Datum:
26.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 45093
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 229, § 237
SGB X § 44

 

Leitsatz

1. Versorgungsleistungen aus einer Unterstützungskasse werden grundsätzlich von der Regelung des § 229 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V erfasst. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine vor Eintritt des Versorgungsfalls gezahlte Kapitalleistung einer Unterstützungskasse ist nicht beitragspflichtig, weil sie nicht “an die Stelle” von Versorgungsbezügen getreten ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalls in einem Einmalbetrag ausgezahlte Abfindung einer unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen aus einer Direktversicherung ist als kapitalisierte Versorgungsleistung beitragspflichtig. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Kapitalabfindung von Versorgungsbezügen ist nur dann beitragspflichtig, wenn sie an die Stelle der zu diesem Zeitpunkt bereits geschuldeten Versorgungsbezüge tritt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 26. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. Oktober 2018 verpflichtet, den Bescheid vom 24. April 2013 zurückzunehmen und die bereits erhobenen Beiträge zu erstatten.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen Kosten der Rechtsverteidigung zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Beitragsbescheid vom 24.04.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beklagte ist insoweit im Rahmen des Überprüfungsantrags verpflichtet, den Beitragsbescheid zurückzunehmen.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 SGG ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt worden ist, und soweit deshalb Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die mit Bescheid vom 24.04.2013 erfolgte Beitragsfestsetzung war nicht nur insoweit rechtswidrig, als sie mit Wirkung für die Vergangenheit bis einschließlich 30.04.2013 erfolgt ist. Diesbezüglich hat die Beklagte den Bescheid bereits im Rahmen des Überprüfungsantrags vom 19.03.2018 zurückgenommen. Darüber hinaus, soweit die Beklagte die weitergehende Rücknahme des Bescheids für die Zeit ab 01.05.2013 abgelehnt hat, ist diese Entscheidung der Beklagten im Rahmen des Überprüfungsantrags rechtswidrig, denn zur Überzeugung des Gerichts, beruht auch die Beitragsfestsetzung ab 01.05.2013 auf einer unrichtigen Rechtsanwendung.
Zu Unrecht ist die Beklagte bei Erlass des Beitragsbescheids davon ausgegangen, dass es sich bei den Zahlungen, die der Kläger aus der Auflösung der Unterstützungskasse erhalten hat, um beitragspflichtige Versorgungsbezüge im Sinne der §§ 237 Satz 1 Nummer 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 229 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) handle. Nach § 237 Satz 1 Nr. 2 SGB V wird der Beitragsbemessung bei versicherungspflichtigen Rentnern für die gesetzliche Krankenversicherung auch der Zahlbetrag von der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezügen) zu Grunde gelegt. Als Versorgungsbezüge gelten auch Renten der betrieblichen Altersversorgung, § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V. Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt 1/120 der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für 120 Monate, § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V.
Zutreffend hat die Beklagte ausgeführt, dass Versorgungsleistungen aus einer Unterstützungskasse grundsätzlich von der Regelung des § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V erfasst werden. Der Kläger hat aber im hier vorliegenden Fall keine Versorgungsleistung erhalten, sondern eine Kapitalauszahlung, die unabhängig vom Versorgungsfall aufgrund der Auflösung der Unterstützungskasse zur Auszahlung gebracht worden ist. Hierzu hat das Bundessozialgericht bereits mit Urteil vom 25.08.2004 (Aktenzeichen B 12 KR 30/03 R) entschieden, dass die vor Eintritt des Versorgungsfalls gezahlte Kapitalleistung einer Unterstützungskasse nicht beitragspflichtig gemäß § 229 Absatz 1 Satz 3 SGB V alter Fassung ist, weil sie nicht „an die Stelle“ von Versorgungsbezügen getreten ist. Soweit die Entscheidung auf die Rechtslage vor dem 01.02.2004 bezogen war, entsprach die damalige Regelung der nunmehr in § 229 Abs. 1 Satz 3 Alternative 1 SGB V enthaltenen Regelung, wonach die Beitragspflicht dann greift, wenn eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung an die Stelle der Versorgungsbezüge tritt. Da die Regelung insoweit keine Änderung erfahren hat, ist diese Entscheidung auch auf die aktuelle Rechtslage zu übertragen.
Für den hier vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Regelung des § 229 Abs. 1 Satz 3 Alternative 1 SGB V auf die Zahlungen der Unterstützungskasse, die der Kläger am 04.02.2010 und am 27.12.2012 erhalten hat, keine Anwendung findet: Zum Zeitpunkt der Auszahlung der ersten Kapitalleistung vom Februar 2010 war der Kläger noch versicherungspflichtig beschäftigt, ein Versorgungsfall war noch nicht eingetreten. Zum Zeitpunkt der zweiten Auszahlung vom 27.12.2012 war der Kläger zwar bereits berentet. Auch die Auszahlung vom 27.12.2012 ist jedoch nicht „an die Stelle“ von Versorgungsbezügen aus der Unterstützungskasse getreten, denn zu keinem Zeitpunkt hatte der Kläger zuvor Versorgungsbezüge erhalten oder, nach Eintritt des Versorgungsfalls, Anspruch auf Versorgungsbezüge aus der Unterstützungskasse erworben. Vielmehr resultierte die Auszahlung ausweislich des in den Akten der Beklagten vorliegenden Informationsschreibens der Unterstützungskasse vom November 2008 aus der zum damaligen Zeitpunkt bereits erfolgten Auflösung der Unterstützungskasse. Gemäß § 10 der vorliegenden Satzung der Unterstützungskasse fiel bei Auflösung der Unterstützungskasse das Vereinsvermögen den Belegschaftsmitgliedern zu, die zehn Jahre und länger der Firma angehörten. Die Aufteilung des Vereinsvermögens erfolgte in diesem Fall entsprechend der Dauer der Betriebszugehörigkeit nach den Regelungen in § 10 der Satzung. Auch die Auszahlung an den Kläger vom Februar 2012 ist hiernach nur im Nachgang zur Auflösung der Unterstützungskasse und nicht im Zusammenhang mit dem zwischenzeitlich eingetretenen Versorgungsfall, auch nicht zur Ablösung von zu diesem Zeitpunkt geschuldeten Versorgungsbezügen erfolgt.
Insoweit greift auch nicht die mit Rechtsänderung zum 01.01.2004 neu eingefügte Alternative 2 des § 229 Abs. 2 Satz 3 SGB V, wonach Beitragspflicht auch dann besteht, wenn eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden ist: Die Vereinbarung oder Zusage einer einmaligen Kapitalleistung bei Eintritt des Versorgungsfalls lässt sich der Satzung der Unterstützungskasse nicht entnehmen. Auch entsprechende Vereinbarungen zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber/der Unterstützungskasse sind nicht ersichtlich oder anzunehmen, vielmehr ist die Auszahlung allein wegen der Auflösung der Unterstützungskasse und der insoweit ausweislich § 10 der Satzung – unabhängig von einem etwaigen Versorgungsfall -geschuldeten Aufteilung des Vereinsvermögens erfolgt. Die Auszahlung wird damit unter keinem Gesichtspunkt als Versorgungsbezug von der Beitragspflicht erfasst.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der neueren Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 25.04.2012, Aktenzeichen B 12 KR 26/10 R), auf die sich die Beklagte beruft. Hier hat das Bundessozialgericht lediglich entschieden, dass eine wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalls in einem Einmalbetrag ausgezahlte Abfindung einer unverfallbaren Anwartschaft auf Leistungen aus einer Direktversicherung als kapitalisierte Versorgungsleistung beitragspflichtig ist. Das Bundessozialgericht hat hier ausdrücklich auf die Regelung des § 229 Abs. 1 Satz 3 Alternative 2 abgestellt, also auf den Fall, dass eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden ist (vom BSG in der Entscheidung vom 25.04.2012 als „Regelung 2“ bezeichnet). Das Bundessozialgericht hat hierzu hervorgehoben, dass der Charakter „als zugesagte oder vereinbarte Kapitalleistung“ nicht davon abhänge, ob bei Vornahme der Auszahlung der Versicherungsfall bereits eingetreten sei. Insoweit führt das BSG weiter – ausdrücklich nur bezogen auf die Regelung 2 (= § 229 Abs. 1 Satz 3 Alternative 2 SGB V) aus, dass der Terminus „vor Eintritt des Versicherungsfalls“ dahingehend zu verstehen sei, dass die Kapitalleistung bis zu diesem Zeitpunkt vereinbart oder zugesagt worden sein muss. Daran fehlt es aber im vorliegenden Fall, die Zusage oder Vereinbarung einer Kapitalleistung für den Eintritt des Versorgungsfalls lässt sich weder der Satzung der Unterstützungskasse entnehmen, noch liegt eine entsprechende Vereinbarung vor.
Für den Fall der Kapitalabfindung von Versorgungsbezügen gemäß § 229 Abs. 1 Satz 3 Alternative 1 SGB V (vom BSG in der Entscheidung vom 25.04.2012 als „Regelung 1“ bezeichnet) bleibt es aber auch nach dieser Entscheidung des BSG dabei, dass diese nur dann beitragspflichtigen ist, wenn sie an die Stelle der zu diesem Zeitpunkt bereits geschuldeten Versorgungsbezüge tritt. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus den weiteren Ausführungen des BSG im Urteil vom 25.04.2012, wenn das BSG darauf hinweist, dass die Beitragspflicht einer Kapitalleistung nach § 229 Absatz 1 Satz 3 Regelung 2 SGB V nicht „wie diejenige einer Kapitalabfindung nach Regelung 1“ erfordere, „dass sie nach Eintritt des vertraglich vereinbarten Versicherungsfalls gezahlt wird“ und soweit das BSG nachfolgend nochmals darauf hinweist, dass der Senat für nicht regelmäßig wiederkehrende Leistungen im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 3 Regelung 1 SGB V bereits entschieden habe, dass diese nur dann beitragspflichtig seien, wenn sie geschuldete und tatsächlich gezahlte laufende Versorgungsleistungen ersetzen und dabei ausdrücklich auf den Fall der vor Eintritt des Versicherungsfalls gezahlten Kapitalleistung einer Unterstützungskasse verweist gemäß Entscheidung vom 25.08.2004 (Aktenzeichen B 12 KR 30/03 R). Im hier vorliegenden Fall hat der Kläger jedoch zu keinem Zeitpunkt laufende Versorgungsleistungen der Unterstützungskasse erhalten, diese waren, aufgrund der vorzeitigen Auflösung der Unterstützungskasse, auch nicht geschuldet (siehe oben). Die Beitragsfestsetzung aus den Zahlungen der Unterstützungskasse ist damit zu Unrecht erfolgt.
Bei der weiteren Zahlung der A. P1. AG handelte es sich zwar um eine von Anfang an als betriebliche Altersvorsorge geschuldete Kapitalleistung, die jedoch für sich genommen nach § 237 Abs. 4 in Verbindung mit § 226 Abs. 2 SGB V nicht beitragspflichtig ist, solange die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen insgesamt 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nicht übersteigen. Insoweit verbleibt es bei den Feststellungen im Bescheid vom 16.03.2011.
Soweit daher insgesamt eine Beitragsfestsetzung aus den gegenständlichen Kapitalleistungen der Unterstützungskasse wie der A. P1. AG nicht vorzunehmen war, war die Beklagte im Rahmen des Überprüfungsverfahrens verpflichtet, den Beitragsbescheid vom 24.04.2013 zurückzunehmen. Soweit die Beklagte dem mit angefochtenen Bescheid vom 26.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.10.2018 nur teilweise nachgekommen ist, war dieser Bescheid insgesamt aufzuheben und die Beklagte zur Rücknahme des Beitragsbescheids und Erstattung der insoweit zu Unrecht erhobenen Beiträge gemäß § 26 Abs. 2 SGB IV zu verurteilen.
Soweit der zurück zu nehmende Bescheid im Urteil vom 26.08.2019 ursprünglich mit Datum 24. März 2013 (siehe Sitzungsniederschrift vom 26.08.2019) bezeichnet worden ist, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler, der gemäß § 138 Satz 1 SGG von Amts wegen zu berichtigen war, dahingehend, dass die Beklagte verpflichtet wird, den Bescheid vom 24. April 2013 zurück zu nehmen.
Die Kostentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.


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