Arbeitsrecht

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Aktenzeichen  RN 6 M 21.85

Datum:
5.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16407
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Erinnerungsverfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller war Kläger im Verfahren RN 6 K 18.1038, mit dem er die Aufhebung einer Baueinstellungsanordnung des Landratsamtes Landshut erreichen wollte. Aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen wurde das Verfahren mit Beschluss vom 14. Juli 2020 eingestellt und dem Kläger die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auferlegt.
Die Beigeladenen waren zunächst, unter Vorlage einer Vollmacht vom 22. Juli 2018, von Rechtsanwalt … vertreten, der im Verfahren RN 6 K 18.1038 für die Beigeladenen mit Schriftsatz vom 3. Oktober 2018 einen Antrag gestellt hat. Das Mandatsverhältnis wurde am 20. Juli 2019 telefonisch beendet, eine schriftliche Kündigung der Beigeladenen gegenüber Rechtsanwalt … vom 28. August 2019 wurde auf Aufforderung des Gerichts vorgelegt. Mit Schreiben vom 19. August 2019 hat der Beigeladenenvertreter, zu diesem Zeitpunkt tätig bei … Partnerschaftsgesellschaft mbB, die Vertretung angezeigt, ohne eine Vollmacht vorzulegen. Der Beigeladenenvertreter hat zum 1. Januar 2020 die Kanzlei gewechselt und ist seitdem tätig bei … mbB.
Für die Beigeladenen wurde mit Schriftsatz vom 30. Juli 2020 ein Kostenfestsetzungsantrag gestellt, mit dem Kosten in Höhe von 1.058,85 € geltend gemacht wurden:
Position
Betrag
Verfahrensgebühr §§ 2, 12 RVG, Nr. 3100 VV – erhöht um 0,3 auf 1,6 gem. § 7 RVG i.V.m. Nr. 1008 VV (Wert 10.000 €)
892,80 €
Post- und Telekommunikationspauschale Nr. 7002 VV
20,00 €
Zwischensumme
912,80 €
Umsatzsteuer (MwSt) Nr. 7008 VV (16,00%)
146,05 €
Endsumme
1.058,85 €
Der Antragsteller wurde durch Übersendung dieses Antrags angehört, woraufhin dieser erstmals Bedenken hinsichtlich der Bevollmächtigung des Beigeladenenvertreters äußerte.
Mit Schriftsatz vom 1. September 2020 legte der Beigeladenenvertreter eine auf die Kanzlei … mbB lautende Vollmacht vom 31. August 2020 vor.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Dezember 2020, dem Antragsteller zugestellt am 7. Dezember 2020, setzte des Verwaltungsgericht die den Beigeladenen erwachsenen notwendigen und vom Kläger zu erstattenden Aufwendungen auf 1.058,85 € fest.
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht Regensburg am selben Tag, hat der Antragsteller die Entscheidung des Gerichts beantragen lassen. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, den Beigeladenen stehe die geltend gemachte Gebühr dem Grunde nach nicht zu. Die Vollmacht laute auf den 31. August 2020, das Verfahren sei jedoch schon mit Beschluss vom 14. Juli 2020 eingestellt worden. Jedenfalls sei die Verfahrensgebühr durch Anrechnung der Geschäftsgebühr zu reduzieren, da Rechtsanwalt … die Beigeladenen auch außergerichtlich vertreten habe.
Der Beigeladenenvertreter hält dem entgegen, eine außergerichtliche Vertretung durch Rechtsanwalt … habe seines Wissens nicht stattgefunden. Erstattungsberechtigt seien die Beigeladenen selbst, ein zwischenzeitlicher Anwaltswechsel sei unerheblich.
Der Urkundsbeamte half der Erinnerung nicht ab und legte sie dem Gericht mit Schreiben vom 15. Januar 2021 zur Entscheidung vor.
Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte im Verfahren RN 6 K 18.1038, den hierzu gehörenden Kostenakt und die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren Bezug genommen.
II.
Über die Erinnerung entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges gemäß §§ 165 Satz 1, 151 Satz 1 VwGO. Das Gericht entscheidet in derselben Besetzung, in der die zu Grunde liegende Kostenlastentscheidung getroffen wurde. Funktionell zuständig ist daher die Berichterstatterin, da diese auch die zugrunde liegende Kostenlastentscheidung im Rahmen der Befugnis nach § 87a Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 VwGO getroffen hat. Die Auffassung, dass die Berichterstatterin aufgrund – vermeintlich – erhöhten Schwierigkeitsgrads einer Entscheidung im Kostenerinnerungsverfahren im Vergleich zur Kostenlastentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO nicht zuständig sei (vgl. Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, VwGO § 165 Rn. 7), wird nicht geteilt, da auch im Rahmen der zu Grunde liegenden Kostenlastentscheidung materiell-rechtliche Fragen summarisch zu beurteilen waren, was gegen eine Einstufung als „leichter“ zu treffende Entscheidung spricht (BayVGH, B.v. 3.12.2003 – 1 N 01.1845 – NVwZ-RR 2004, 309; Schoch/Schneider VwGO/Olbertz, 39. EL Juli 2020, VwGO § 165 Rn. 9 m.w.N.; NK-VwGO/Werner Neumann/Nils Schaks, 5. Aufl. 2018, VwGO § 165 Rn. 22 m.w.N.).
Die Erinnerung (Antrag auf gerichtliche Entscheidung) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Dezember 2020 ist gem. §§ 164,165, 151 VwGO zulässig, aber unbegründet.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen in Höhe von 1.058,85 € sind gemäß §§ 162 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VwGO erstattungsfähig, da dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen mit Beschluss vom 14. Juli 2020 auferlegt worden sind und es sich bei den Kosten um Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts handelt.
1. Das Gericht durfte von einer förmlichen Bevollmächtigung des Beigeladenenvertreters ausgehen, sodass die Kosten dem Grunde nach erstattungsfähig sind.
Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) stets erstattungsfähig, d.h. die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts wird ausnahmslos unterstellt (BayVGH, B.v. 24.10.1991 – 20 A 88.40116 – NJW 1991, 853). Allerdings ist für die Erstattungsfähigkeit der Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts eine förmliche Bevollmächtigung erforderlich (Eyermann/Schübel-Pfister, 15. Aufl. 2019, VwGO § 162 Rn. 18).
Was eine förmliche Bevollmächtigung ausmacht, ist weder in der VwGO noch in der ZPO ausdrücklich geregelt. Einigkeit besteht darin, dass die Erteilung der Prozessvollmacht als einseitige, an den Bevollmächtigten oder das Gericht gerichteten Erklärung des Bevollmächtigenden erfolgt, die mit Zugang wirksam wird (vgl. §§ 167, 130 BGB). Eine Form ist für die Erteilung nicht mehr vorgeschrieben (argumentum ex contrario § 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO a.F.). Jedoch ist die Vollmacht gemäß § 67 Abs. 6 Satz 1 VwGO schriftlich zu den Gerichtsakten zu nehmen, sodass in der Regel auch die Bevollmächtigung schriftlich erfolgt.
Das Gericht muss einen Mangel einer Vollmacht gemäß § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO grundsätzlich von Amts wegen berücksichtigen, es sei denn als Bevollmächtigter tritt ein Rechtsanwalt auf, da diesem als Organ der Rechtspflege ein Vertrauensvorschuss für sein ordnungsgemäßes Auftreten entgegengebracht werden kann (Schoch/Schneider VwGO/Schenk, 39. EL Juli 2020, VwGO § 67 Rn. 101). Eine Prüfung ist dann nur im Fall der Rüge eines Beteiligten veranlasst. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden, § 67 Abs. 6 Satz 3 VwGO. Wird eine Vollmacht nachgereicht, § 67 Abs. 6 Satz 2 VwGO, so wird hierdurch ein etwaiger Mangel einer Vollmacht geheilt. In der nachträglichen Erteilung durch den Vertretenen kann grundsätzlich die Genehmigung der bisherigen Prozessbevollmächtigung gesehen werden, § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 89 Abs. 2 ZPO (BayVGH, B.v. 26.02.2015 – 11 ZB 14.2491 – juris, Rn. 19; Schoch/Schneider VwGO/Schenk, 39. EL Juli 2020, VwGO § 67 Rn. 98).
Vom Zeitpunkt der Vertretungsanzeige an (19. August 2019) bis zum unanfechtbaren Einstellungsbeschluss (14. Juli 2020) machte der Antragsteller einen Mangel der Vollmacht nicht geltend. Da bis zum Erlass des Einstellungsbeschlusses keine Rüge erfolgte, musste das Gericht einen etwaigen Mangel der Vollmacht nicht berücksichtigen, weil als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt aufgetreten ist, § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO und somit von einer förmlichen Bevollmächtigung ausgegangen werden durfte.
Zudem wurde mit Schreiben vom 1. September 2020 eine Vollmacht vom 31. August 2020 nachgereicht, sodass jedenfalls rückwirkend eine etwaiger Mangel geheilt worden ist.
2. Die geltend gemachten Kosten sind auch der Höhe nach erstattungsfähig.
a) Die Höhe einer Gebühr beträgt bei einem Streitwert von 10.000 € ausweislich der Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 Satz 3 RVG 614,00 €.
Die Verfahrensgebühr gemäß §§ 2, 13 RVG i.V.m. Nr. 3100 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG Vergütungsverzeichnis (VV) beträgt grundsätzlich 1,3 Gebühren und wird hier zulässigerweise gemäß § 7 RVG i.V.m. Nr. 1008 VV um 0,3 Gebühren erhöht, da Auftraggeber in derselben Angelegenheit mehrere Personen waren (zwei Beigeladene).
Somit errechnet sich folgende Verfahrensgebühr: 1,6 x 614,00 € = 982,40 €. Die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV beträgt höchstens 20 €, sodass sich eine Zwischensumme von 1002,80 € ergibt. Die im Kostenfestsetzungsantrag für die Verfahrensgebühr veranschlagten 892,80 € sind – vermutlich aufgrund eines Zahlendrehers – nicht korrekt, was sich auf die Zwischensumme und somit auch auf die veranschlagte Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV in Höhe von 16% der Vergütung, § 12 Abs. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz 2020 (vgl. befristete Absenkung des allgemeinen und ermäßigten Umsatzsteuersatzes zum 1. Juli 2020 durch Art. 3 des Zweiten Gesetzes zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 29. Juni 2020), auswirkt (160,40 € statt 146,05 €). Da im Erinnerungsverfahren gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO das Verbot der reformatio in peius gilt, wird dies jedoch nicht zu Lasten des Antragstellers berücksichtigt (VG München, B.v. 20.12.2016 – M 6 M 15.5384 – BeckRS 2016, 112404; Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, VwGO § 165 Rn. 8).
b) Die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gemäß § 15a RVG i.V.m. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV war nicht veranlasst.
Grundvoraussetzung einer Anrechnung ist, dass eine Geschäftsgebühr überhaupt entstanden ist (BeckOK RVG/v. Seltmann, 50. Ed. 1.3.2020, RVG VV Vorbemerkung 3: Rn. 12), was vorliegend bereits nicht erkennbar ist. Der Antragsteller hat über die bloße Behauptung hinaus nicht substantiiert dargelegt, dass diese Anrechnungsvoraussetzung gegeben ist.
Darüber hinaus müsste sich der Beigeladenenvertreter eine etwaige Geschäftsgebühr des vormals tätigen Rechtsanwalts … jedenfalls nicht auf seine Verfahrensgebühr anrechnen lassen.
Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr kommt nicht in Betracht, wenn beide Gebühren von verschiedenen Rechtsanwälten verdient worden sind, da der später tätige Rechtsanwalt im Gegensatz zu einem bereits vorprozessual tätigen Rechtsanwalt nicht von einem geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand profitieren kann, der eine Anrechnung rechtfertigen würde (BGH, B.v. 10.12.2009 – 7 ZB 41/09 – juris, Rn. 11).
Der Beigeladenenvertreter hat zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr keinen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus einem vorprozessualen Tätigwerden gehabt, da das erstmalige Tätigwerden erst nach Anhängigkeit des Verfahrens RN 6 K 18.1038 in Form einer Vertretungsanzeige gegenüber dem Gericht erfolgte. Für eine vorprozessuale Tätigkeit des Beigeladenenvertreters selbst bestehen keinerlei Anhaltspunkte, vielmehr hat dieser in seinem Schriftsatz vom 19. August 2019 mitgeteilt, er werde sich „in diesem Verfahren zunächst einen Überblick verschaffen und dann gegebenenfalls nochmals Stellung nehmen“.
Die Kosten des Erinnerungsverfahrens waren dem Antragsteller aufzuerlegen, da er unterlegen ist, § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei, so dass die Festsetzung eines Streitwerts nicht veranlasst ist.


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