Arbeitsrecht

Erinnerung gegen Kostenfestsetzungsbeschluss, Deckelung von Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts auf fiktive Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalts

Aktenzeichen  B 9 M 21.30296

Datum:
12.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31167
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 162
VwGO § 165

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. Oktober 2020 in der Gestalt des Berichtigungsbeschlusses vom 8. Februar 2021 wird zurückgewiesen.
2. Die Erinnerungsführer tragen die Kosten des gerichtsgebührenfreien Erinnerungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Gründe

I.
Im Verfahren … wurde die Beklagte mit rechtskräftigem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 15. Juli 2020 verpflichtet, den Klägern zu 1, zu 3 und zu 4 die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen; der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden Bundesamt) vom 18. Mai 2018 wurde aufgehoben, soweit er dem entgegenstand. Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens hatten die Beklagte ¾ und die Kläger ¼ zu tragen. In den Gründen des Urteils war unter anderem festgehalten, dass sich der Gegenstandswert für das Verfahren aus § 30 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) ergibt.
Mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2020 beantragte der Erinnerungsführerbevollmächtigte ausgehend von einem Streitwert von 8.000,00 € die Festsetzung von Kosten für die Klägerseite von insgesamt 1.192,25 €. In diesem Betrag enthalten waren unter anderem Tage- und Anwesenheitsgeld nach Nr. 7005 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV RVG) in Höhe von 70,00 € und Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG für 234 km einfache Strecke in Höhe von 140,40 €.
Für die Erinnerungsgegnerin erwiderte das Bundesamt mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2020 insbesondere, dass die Reisekosten eines in … ansässigen Rechtsanwalts (Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld) nicht erstattungsfähig bzw. auf ortsübliche Beträge zu kürzen seien; die Umsatzsteuer sei entsprechend zu verringern. Die Kläger des Ausgangsverfahrens seien während der gesamten Dauer des Verfahrens in der Nähe von … wohnhaft und ihre Aufenthaltsgestattung dementsprechend durch § 56 des Asylgesetzes (AsylG) beschränkt gewesen. Die Beauftragung eines in der Nähe ihres Wohnortes ansässigen Rechtsanwaltes habe daher nahegelegen. Reisekosten und Abwesenheitsgeld eines Rechtsanwalts seien nach § 162 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in der Regel nur erstattungsfähig, wenn dieser seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz des Mandanten bzw. in dessen Nähe habe. Rechtsanwaltskosten seien außerdem nach § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO nur bis zur Grenze des zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Notwendigen erstattungsfähig. Die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts gehe kostenrechtlich zu Lasten der Erinnerungsführer. In Rechtsprechung und Literatur sei anerkannt, dass auch im Verwaltungsprozess die durch die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts entstehenden Mehrkosten nicht immer, sondern nur dann zu erstatten seien, wenn sie i.S.d. § 162 Abs. 1 VwGO „notwendig“ seien. Diese Notwendigkeit habe sich an Sinn und Zweck der Kostenbegrenzungsnorm des § 162 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu orientieren. Notwendig seien danach die Aufwendungen, die eine verständige, weder besonders ängstliche noch besonders unbesorgte Partei in ihrer Lage und im Hinblick auf die Bedeutung und die rechtliche oder sachliche Schwierigkeit der Sache vernünftigerweise für erforderlich habe halten dürfen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Bevollmächtigte der Erinnerungsführer über Spezialkenntnisse verfüge, die kein am Gerichtsort ansässiger Rechtsanwalt habe und es zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung daher notwendig gewesen sei, gerade diesen Rechtsanwalt zu beauftragen. Dies ergebe sich nicht schon daraus, dass der Rechtsanwalt bereits mehrere Asylbewerber gleicher Staatsangehörigkeit vertreten habe und entsprechendes Fachwissen besitze; dies allein lasse noch kein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant entstehen. Beim Asylrecht handele es sich auch nicht um eine so exotische oder seltene Rechtsmaterie, dass entsprechende Fälle nur von wenigen Spezialkanzleien ausreichend erfolgversprechend bearbeitet werden könnten. Auch wenn die Rechtsmaterie gewisse Schwierigkeiten aufweise, würden diese in der Rechtsprechung häufig und umfangreich diskutiert. Es sei nicht anzunehmen, dass die zahlreichen im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts Bayreuth tätigen Rechtsanwälte mit Erfahrungen auf dem Gebiet des Asylrechts nicht in der Lage wären, sich in angemessener Zeit in das konkrete Verfahren und die relevanten Problemkreise einzuarbeiten. Ein besonderes Vertrauensverhältnis zu ihrem Bevollmächtigten habe nicht bestanden, dieser sei erst nach Abschluss des behördlichen Verfahrens mandatiert worden. Auch aus der früheren Vertretung von Verwandten ergebe sich kein besonderes Vertrauensverhältnis des Rechtsanwalts gerade zu den Erinnerungsführern des hiesigen Verfahren.
Der Bevollmächtigte der Erinnerungsführer führte hierzu mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 aus, die VwGO kenne keine Einschränkung des Inhalts, dass Reisekosten eines nicht am Gerichtssitz tätigen oder wohnenden Rechtsanwalts nur erstattungsfähig seien, wenn eine Zuziehung notwendig sei. § 91 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) sei nicht über § 173 VwGO anwendbar. Der Gesetzgeber habe es den Beteiligten im Verwaltungsprozess erleichtern wollen, einen qualifizierten Rechtsanwalt ihres Vertrauens zu beauftragen. Der Bevollmächtigte der Erinnerungsführer sei in mehr als 100 Verfahren von Asylbewerbern aus der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien mandatiert gewesen. Aufgrund seiner besonderen Erfahrungen sei er von der Klägerseite ausgewählt worden. Im Übrigen vertrete er bundesweit Kläger aus der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien, ohne dass es insoweit hinsichtlich Fahrt- und Abwesenheitskosten zu Problemen gekommen sei.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. Oktober 2020 setzte die Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth die im Verfahren … von der Beklagten an die Kläger zu erstattenden Kosten auf 1.109,47 € nebst Zinsen seit 1. Oktober 2020 i.H.v. von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz fest. In den Gründen des Beschlusses ist ausgeführt, dass die geltend gemachten Reisekosten auf die Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts zu reduzieren seien, da darüber hinaus gehende Mehrkosten aus der Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO nicht erstattungsfähig seien. Nur die (fiktiven) Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts seien zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig. Im Gerichtsbezirk seien in Asylverfahren insbesondere auch hinsichtlich der Russischen Föderation erfahrene Rechtsanwälte in ausreichender Zahl vorhanden. Der im Lauf des Verfahrens vorgenommene Anwaltswechsel spreche gegen ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandanten. Die Entfernungskilometer seien daher auf 135 km (einfach) zu begrenzen und das Abwesenheitsgeld mit 40,00 € anzuerkennen. Der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde dem Bevollmächtigten der Erinnerungsführer am 2. November 2020 zugestellt.
Mit Schriftsatz vom 2. November 2020, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tage, legte der Bevollmächtigte der Erinnerungsführer gegen den Beschluss vom 27. Oktober 2020 Rechtsmittel ein, soweit darin die mit seinem Antrag vom 1. Oktober 2020 geltend gemachten Fahrtkosten von 140,40 € sowie das Tage- und Abwesenheitsgeld von 70,00 € nicht zuerkannt wurden, sondern lediglich jeweils 81,00 € bzw. 40,00 € als erstattungsfähig anerkannt wurden. Zur Begründung verwies er auf seine Ausführungen im Schriftsatz vom 26. Oktober 2020 und wiederholte, dass § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht über § 173 VwGO anwendbar sei. Zudem werde nur pauschal behauptet, es seien im Gerichtsbezirk hinreichend qualifizierte Rechtsanwälte in ausreichender Zahl vorhanden, ohne solche zu benennen. Der Bevollmächtigte kenne „sämtliche versierten Kollegen zwischen Kiel und Passau, die sich vorwiegend mit Asylverfahren aus der ehemaligen Russischen Föderation und auch dem Schwerpunkt Tschetschenien beschäftigen und darüber hinaus Fachanwälte für Migrationsrecht sind“. Zudem bestehe ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Klägern des Verfahrens … und ihrem Bevollmächtigten. Ein Anwaltswechsel während des Verfahrens stehe dem nicht entgegen.
Das Bundesamt erwiderte hierzu mit Schriftsatz vom 13. November 2020 ergänzend, dem Gericht seien die im Asylrecht versierten Rechtsanwälte im Gerichtsbezirk bekannt. Die angeführten Kenntnisse des Bevollmächtigten der Erinnerungsführer seien nicht geeignet, die Notwendigkeit gerade seiner Mandatierung zu begründen. Auch andere Rechtsanwälte hätten die Möglichkeit und die Pflicht, sich anhand der Vielzahl vorhandener Erkenntnismittel einen umfassenden Eindruck über die Situation im Herkunftsland der Erinnerungsführer zu verschaffen.
Der Bevollmächtigte wies hierzu mit Schriftsatz vom 30. November 2020 darauf hin, dass die Erinnerungsgegnerin Fachanwälte für Migrationsrecht mit Erfahrung in Asylverfahren für tschetschenische Volkszugehörige russischer Staatsangehörigkeit im Gerichtsbezirk benennen möge.
Mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2020 führte das Bundesamt aus, dass ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Bevollmächtigten der Erinnerungsführer nicht dargelegt oder ersichtlich sei.
Hierzu erwiderte der Bevollmächtigte der Erinnerungsführer unter dem 30. Dezember 2020, das besondere Vertrauensverhältnis liege in der psychischen Erkrankung des Erinnerungsführers zu 1 begründet. Der Bevollmächtigte verfüge über eine psychoanalytische Ausbildung und die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde auf dem Gebiet der Psychotherapie und über große Erfahrung in diesem Bereich, insbesondere hinsichtlich der beim Erinnerungsführer zu 1 vorliegenden Krankheitsbilder. Einen Rechtsanwalt mit vergleichbarer Qualifikation und besonderen Kenntnissen über die Situation tschetschenischer Flüchtlinge existiere im Gerichtsbezirk nicht.
Das Bundesamt verwies mit Schriftsatz vom 13. Januar 2021 darauf, dass auch die Kenntnisse und Erfahrungen des Bevollmächtigten im Bereich der Psychoanalyse und Psychotherapie kein besonderes Vertrauensverhältnis zu seinen Mandanten darlegten. Auch anderen, im Asylrecht versierten Rechtsanwälten sei es zuzutrauen, einen angemessenen Zugang zu ihren Mandanten zu finden.
Der Bevollmächtigte der Erinnerungsführer führte hierzu mit Schriftsatz vom 25. Januar 2021 aus, dass erst er die massive psychische Störung des Erinnerungsführers zu 1 erkannt und deshalb das Verfahren in qualifizierter Weise habe führen können. Daraus ergebe sich auch das besondere Vertrauensverhältnis zum Erinnerungsführer zu 1.
Mit Beschluss vom 8. Februar 2021 berichtigte die Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. Oktober 2020 auf Antrag der Erinnerungsgegnerin dahingehend, dass die dort ausgesprochene Verzinsung des festgesetzten Betrages seit dem 1. Oktober 2020 aufgehoben wurde.
Die Urkundsbeamtin legte die Erinnerung mit Nichtabhilfeentscheidung vom 7. April 2021 dem Gericht zur Entscheidung vor.
Ergänzend wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1. Über die Erinnerung entscheidet nach § 165 Satz 2, § 151 Satz 1 VwGO das Gericht des ersten Rechtszuges durch Beschluss; funktionell zuständig ist hier der Einzelrichter (§ 6 VwGO), der die zugrundeliegende Kostenentscheidung getroffen hatte (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 165 Rn. 7; Kunze in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, 56. Edition, Stand: 1.1.2021, § 165 Rn. 8; jeweils m.w.N.).
2. Die zulässige Erinnerung ist nicht begründet. Die im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27. Oktober 2020 vorgenommene Reduzierung der Reisekosten und des Abwesenheitsgeldes des Bevollmächtigten der Erinnerungsführer auf die Kosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwaltes sowie die entsprechende Kürzung der Umsatzsteuer sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.
a) Zwar kann diese Reduzierung der erstattungsfähigen Kosten nicht auf § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO gestützt werden. Die Zivilprozessordnung ist nach § 173 Satz 1 VwGO in verwaltungsgerichtlichen Verfahren insoweit anwendbar, als die VwGO selbst keine Bestimmungen enthält und die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen. Die Beschränkung der Kostentragungspflicht bei den außergerichtlichen Kosten auf die Aufwendungen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind, normiert die VwGO unmittelbar in § 162 Abs. 1; insoweit hat § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO für den Verwaltungsprozess keine Ergänzungsfunktion. Welche Kosten der unterliegende Teil im Einzelnen zu tragen hat, bestimmt ebenfalls unmittelbar § 162 Abs. 1 VwGO. Die Aussagen dieser Vorschrift können zwar unter Rückgriff auf § 91 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 ZPO über § 173 Satz 1 VwGO konkretisiert werden. Unanwendbar sind dagegen § 91 Abs. 2 Sätze 1 und 2 ZPO, weil in der Regelung des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO ein bewusster Verzicht des Gesetzgebers auf vergleichbare Beschränkungen im Verwaltungsprozess gesehen werden muss (Meissner/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: 39. EL Juli 2020, § 173 Rn. 127 m.w.N.).
b) Gleichwohl entspricht es allgemeiner Meinung, dass auch im Verwaltungsprozess die durch die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts entstehenden Mehrkosten nur dann zu erstatten sind, wenn sie im Sinne des § 162 Abs. 1 VwGO notwendig sind.
aa) Dabei obliegt es jedem Verfahrensbeteiligten aus dem prozessrechtlichen Verhältnis heraus, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten (BVerwG, B.v. 22.6.1993 – 1 ER 103.93 – juris Rn. 4). Notwendig sind danach nur Aufwendungen, die eine verständige, weder besonders ängstliche noch besonders unbesorgte Partei in ihrer Lage und im Hinblick auf die Bedeutung und die rechtliche und sachliche Schwierigkeit der Sache aus ex ante-Sicht vernünftigerweise für erforderlich halten durfte (Olbertz in Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: 39. EL Juli 2020, § 162 Rn. 15). Einem Beteiligten steht es zwar frei, sich in jeder Lage des Verfahrens durch einen von ihm auszuwählenden Rechtsanwalt vertreten zu lassen; daraus folgt jedoch nicht, dass auch alle Aufwendungen für jeden beliebigen Rechtsanwalt in vollem Umfang vom unterlegenen Prozessgegner zu erstatten sind. Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass der beauftragte Anwalt seine Kanzlei weder am Wohnsitz noch am Gerichtssitz hat, sind nicht stets, sondern grundsätzlich nur bei Vorliegen besonderer Gründe erstattungsfähig (Olbertz, a.a.O, Rn. 50 m.w.N.).
bb) Die Anwendung des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO steht hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Reisekosten eines Anwalts zur Wahrnehmung gerichtlicher Termine unter dem Vorbehalt des § 162 Abs. 1 VwGO mit der Folge, dass ohne nähere Prüfung Reisekosten eines Rechtsanwalts nur dann voll zu erstatten sind, wenn er seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnsitz bzw. Geschäftssitz seines Mandanten oder in dessen Nähe hat oder wenn der Nachweis geführt wird, dass es zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen sei, gerade diesen Anwalt zu beauftragen; letzterer Nachweis gelingt dann, wenn der beauftragte Anwalt Spezialkenntnisse hat und der Fall Fragen aus dem Fachgebiet von solcher Schwierigkeit aufgeworfen hat, dass ein verständiger Beteiligter die Hinzuziehung eines solchen Anwalts für ratsam habe erachten können. Soweit es um die vernünftige und kostenbewusste Auswahl eines für die „zweckentsprechende“ Rechtsverfolgung oder -verteidigung geeigneten Rechtsanwalts geht, kann diese zum einen nur aus der ex-ante-Sicht und zum anderen vom mit vertretbarem Aufwand erreichbaren Kenntnisstand des Rechtsuchenden aus vorgenommen werden, der in aller Regel nicht juristisch ausgebildet ist (BayVGH, B.v. 10.6.2015 – 22 C 14.2131 – juris Rn. 11 f.; vgl. auch Kunze in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, 56. Edition, Stand: 1.1.2021, § 162 Rn. 77.1 m.w.N.).
Zwar hat der Bevollmächtigte der Erinnerungsführer – wie gerichtsbekannt – als Fachanwalt für Migrationsrecht und langjährig im Bereich des Asylrechts praktizierender Rechtsanwalt mit Mandanten vornehmlich aus dem Bereich der Russischen Föderation besonders gute Kenntnisse sowohl hinsichtlich des Asylrechts als auch hinsichtlich der Situation im Herkunftsland der Erinnerungsführer. Allerdings ist zum einen zu berücksichtigen, dass das konkrete Verfahren der Erinnerungsführer in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine wesentlichen Schwierigkeiten aufwies. Vielmehr handelte es sich bei dem von ihnen geschilderten Verfolgungsschicksal (tschetschenische Volkszugehörige, die von Blutrache bedroht sind) um eine Konstellation, wie sie grundsätzlich vergleichsweise häufig vorkommt und die in Rechtsprechung (vgl. etwa VG Bremen, B.v. 15.5.2020 – 6 K 1446/17; VG Potsdam, U.v. 8.3.2017 – 6 K 4546/16.A; VG Stade, U.v. 21.7.2015 – 3 A 1633/13; jeweils m.w.N., alle juris) und Erkenntnismitteln (vgl. die im Urteil vom 15.7.2020 im Verfahren B 9 K 18.31231 in Bezug genommenen Erkenntnismittel) zur Genüge behandelt wird. Zudem sind dem Gericht aus der Vielzahl von Verfahren russischer Asylbewerber, die beim Verwaltungsgericht Bayreuth anhängig sind oder waren, im Hinblick auf den konkreten Fall hinreichend qualifizierte Rechtsanwälte mit Sitz im Gerichtsbezirk bekannt. Es war daher schon ex ante nicht erkennbar, weshalb es im konkreten Verfahren auf die besondere Sachkenntnis des Bevollmächtigten der Erinnerungsführer in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht hätte ankommen sollen. Diese Einschätzung wird dadurch bestätigt, dass sich die Tätigkeit des Bevollmächtigten im gerichtlichen Verfahren im Wesentlichen auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 23. Juni 2020, mit denen er zwei Beweisanträge in Bezug auf den Gesundheitszustand des Erinnerungsführers zu 1 und – unter Verweis auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes – die Finanzierbarkeit einer medikamentösen Behandlung ankündigte, die Übersendung eines ärztlichen Attestes und die Teilnahme an der 45 Minuten dauernden mündlichen Verhandlung am 2. Juli 2020 beschränkte. Auch im Hinblick darauf, dass es sich um ein Verfahren handelt, in dem der Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO Anwendung findet, ist nicht erkennbar, inwieweit es für die Erinnerungsführer auf Spezialkenntnisse ihres Bevollmächtigten angekommen wäre, die ein im Gerichtsbezirk ansässiger Rechtsanwalt – gegebenenfalls nach der gebotenen Einarbeitung – nicht hätte haben können.
Ebenso ist nicht ersichtlich, weshalb die vom Bevollmächtigten angeführte zusätzliche Qualifikation auf psychoanalytischem bzw. psychotherapeutischem Gebiet relevant gewesen wäre. Zum Gesundheitszustand der Erinnerungsführer hatten diese bereits dem Bundesamt im behördlichen Verfahren ärztliche Bescheinigungen vorgelegt; auch der frühere Bevollmächtigte der Erinnerungsführer hatte hierzu mit Schriftsatz vom 12. Juli 2018 weitere ärztliche Atteste vorgelegt. Es ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar, dass der Bevollmächtigte der Erinnerungsführer derjenige gewesen sei, der „zunächst überhaupt die massive psychische Störung und damit Erkrankung des Klägers zu 1), aufgrund der mit Schriftsatz vom 30.12.2020 mitgeteilten besonderen Qualifikation, erkannte und so das Verfahren vor diesem Hintergrund qualifiziert führen konnte“ (Schriftsatz vom 25.1.2021). Die psychischen Erkrankungen des Erinnerungsführers zu 1 waren bereits weit vor Beauftragung des Bevollmächtigten Gegenstand des Verfahrens.
bb) Auch ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Erinnerungsführern und ihrem Bevollmächtigten, das geeignet wäre, Mehraufwendungen eines auswärtigen Rechtsanwaltes als notwendig i.S.d. § 162 Abs. 1 VwGO erscheinen zu lassen (vgl. hierzu Kunze in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, 56. Edition, Stand: 1.1.2021, § 162 Rn. 77.2 m.w.N.), ist hier nicht ersichtlich. Voraussetzung wäre, dass es sich von üblichen Mandatsverhältnissen abhebt und gute Gründe dafür vorliegen, dass es unzumutbar wäre, den Kläger auf einen gleichwertigen, aber kostengünstigeren, weil im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalt zu verweisen, weil sich der Bevollmächtigte bereits vor Klageerhebung erheblich und über das gewöhnliche Maß hinaus für die Belange des Klägers einsetzt (vgl. VG Würzburg, B.v. 6.11.2012 – W 6 M 12.30232 – juris Rn. 20). Ein solches Vertrauensverhältnis mag in Betracht zu ziehen sein, wenn der Bevollmächtigte bereits im behördlichen Verfahren beauftragt war (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 25.4.2014 – 14 K 6285/13.A – juris Rn. 19; a.A. VG Würzburg, B.v. 17.7.2017 – W 3M 15.30112 – juris Rn. 19 f.). Schon dies war hier aber nicht der Fall. Die Erinnerungsführer hatten am 6. Februar 2013 in Deutschland Asyl beantragt; über diesen Antrag hat das Bundesamt mit Bescheid vom 18. Mai 2018 entschieden. Während des behördlichen Verfahrens wurden die Erinnerungsführer vom ersten von ihnen beauftragten Rechtsanwalt vertreten. Mit Schriftsatz ihres zweiten Bevollmächtigten vom 27. Juni 2018 ließen die Erinnerungsführer Klage gegen den Bescheid vom 18. Mai 2018 erheben. Der jetzige, dritte Bevollmächtigte zeigte seine Beauftragung jedoch erstmals mit Schriftsatz vom 17. Juli 2018 an. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass ein besonderes Vertrauensverhältnis im oben beschriebenen Sinn zum dritten im selben Verfahren tätigen Rechtsanwalt besteht. Die Verhältnisse sind insoweit aber jedenfalls nicht, wie von Erinnerungsführerseite dargestellt, mit einer Eheschließung vergleichbar. Der – mehrfache – Wechsel des Bevollmächtigten während des Verfahrens spricht zumindest als Indiz gegen ein besonderes Vertrauensverhältnis, da dadurch eine längerdauernde Zusammenarbeit als Grundlage für ein besonders ausgeprägtes Vertrauen zwischen Rechtsanwalt und Mandant grundsätzlich unwahrscheinlicher erscheint als bei einer durchgehenden Vertretung durch den selben Bevollmächtigten. Insoweit bedürfte es umso deutlicherer Anhaltspunkte dafür, dass gerade das Verhältnis zu diesem Anwalt von einem besonderen Vertrauen geprägt war, das es insbesondere von den Beziehungen zu den zuvor tätigen Bevollmächtigen abhebt. Aber auch insoweit ergibt sich aus dem Ablauf des Verfahrens B 9 K 18.31231 nichts, das für ein besonderes Vertrauensverhältnis in diesem Sinne spräche. Auch die vom Bevollmächtigten angeführte zusätzliche Qualifikation auf psychoanalytischem bzw. psychotherapeutischem Gebiet war hierfür nicht ausschlaggebend. Denn der zuvor beauftragte Bevollmächtigte, der nicht über solche Qualifikationen verfügte, war im gerichtlichen Verfahren in der Lage, die Klage mit Schriftsatz vom 12. Juli 2018 umfassend zu begründen und dabei insbesondere auch auf die psychischen Erkrankungen des Erinnerungsführers zu 1 einzugehen.
cc) Ist die Notwendigkeit der Einschaltung eines auswärtigen Rechtsanwalts danach zu verneinen, muss sich der Kostengläubiger mit der Erstattung der „fiktiven“ Reisekosten eines Anwalts am Sitz des Gerichts oder an seinem Wohnsitz zufriedengeben (Olbertz in Schoch/Schneider, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: 39. EL Juli 2020, § 162 Rn. 52 m.w.N.). Dabei sind der Ansatz von Fahrtkosten für eine fiktive einfache Fahrt innerhalb des Gerichtsbezirks des Verwaltungsgerichts Bayreuth von maximal 135 km einfach (vgl. Schneider, Gerichtsbezirke 2020, S. 90) und damit von 2 x 135 km x 0,30 €/km = 81,00 € (Nr. 7003 VV RVG) sowie ein Abwesenheitsgeld für einen Zeitraum von vier bis acht Stunden (Nr. 7005 VV RVG) von 40,00 € nicht zu beanstanden. Insgesamt ergeben sich so Kosten der Erinnerungsführer von insgesamt 1.485,96 €. Für die Erinnerungsgegnerin wurde eine Pauschale für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen (Nr. 7002 VV RVG) von 20,00 € geltend gemacht. Nach der Kostenentscheidung im Urteil vom 15. Juli 2020 im Verfahren B 9 K 18.31231 haben von den Verfahrenskosten die Erinnerungsführer ¼ und die Erinnerungsgegnerin ¾ zu tragen. Somit sind den Erinnerungsführern 1.114,47 € (¾ von 1.485,96 €) zu erstatten, während diese der Erinnerungsgegnerin 5,00 € (¼ von 20,00 €) zu erstatten haben. Insgesamt ergibt sich somit ein den Erinnerungsführern zu erstattender Gesamtbetrag von 1.109,47 € (1.114,47 € – 5,00 €).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Zwar fallen für das Erinnerungsverfahren selbst keine Gerichtsgebühren an, es sind jedoch die Auslagen des Gerichts (Teil 9 Abs. 1 Halbsatz 2 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes – GKG) und die außergerichtlichen Aufwendungen der Beteiligten zu erstatten. Eine Kostenentscheidung ist deshalb veranlasst (BayVGH, B.v. 3.12.2003 – 1 N 01.1845 – juris Rn. 21; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 165 Rn. 10).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben