Arbeitsrecht

Erstattung von Gebärdensprachdolmetscherkosten

Aktenzeichen  AN 15 K 17.00663

Datum:
23.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 38602
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX § 33, § 102 Abs. 4
SchwAV § 17 Abs. 1a
JVEG § 9

 

Leitsatz

1 Bei der Frage, in welcher Höhe ein Anspruch auf Kostenerstattung für eine notwendige Arbeitsassistenz für schwerbehinderte Menschen nach § 102 Abs. 4 SGB IX iVm § 17 Abs. 1a SchwbAV besteht, ist ein Ermessen der Behörde nicht gegeben. Die Gewährung der Leistungen steht lediglich unter dem Vorbehalt, dass Mittel aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Anspruch ist der Höhe nach allein durch den in § 102 Abs. 4 SGB IX enthaltenen Begriff der Notwendigkeit begrenzt. Insoweit ist auch nicht auf die Bestimmungen des JVEG abzustellen. Für die Beurteilung der Notwendigkeit können die Empfehlungen des Zentrums Bayern Familie und Soziales (ZBFS) herangezogen werden. (Rn. 20 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Mai 2016 bis 31. Oktober 2016 keinen Anspruch auf Gewährung von Gebärdensprachdolmetscherleistungen im Rahmen einer Arbeitsassistenz unter Zugrundelegung der Stundensätze des Justizvergütungs- und – entschädigungsgesetzes (JVEG). Der Bescheid vom 2. August 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2017 ist demnach rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Nicht streitig ist zwischen den Beteiligten, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz in der Form von Gebärdensprachdolmetscherleistungen besitzt. Rechtsgrundlage hierfür ist § 102 Abs. 4 SGB IX i.V.m. § 17 Abs. 1a SchwbAV sowie § 33 Abs. 1, Abs. 3 Nrn. 1 und 6 und Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 SGB IX a.F.. Nach diesen Vorschriften besteht ein Anspruch auf eine notwendige Arbeitsassistenz für schwerbehinderte Menschen, soweit dem örtlich zuständigen Integrationsamt Mittel der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehen.
In Bezug auf die zwischen den Beteiligen strittige Frage, in welcher Höhe die Kosten für die Assistenzleistungen in der Form der Gebärdensprachdolmetscherleistungen zu gewähren sind, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach dem eindeutigen Wortlaut der vorstehend genannten Vorschriften ein Ermessen des Beklagten nicht besteht. Vor diesem Hintergrund ist klarzustellen, dass es sich bei den von dem Beklagten herangezogenen Verwaltungsvorschriften insoweit nicht um ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften handelt. Die Vollzugshinweise konkretisieren vielmehr die Anspruchsnorm in tatbestandlicher Hinsicht und sollen damit einen einheitlichen Verwaltungsvollzug innerhalb Bayerns sicherstellen. Die Gewährung der streitgegenständlichen Leistungen steht lediglich unter dem Vorbehalt, dass Mittel aus der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehen. Dass dies nicht der Fall sein könnte, hat der Beklagte nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich.
Eine gesetzliche Vorgabe, in welcher Höhe die beantragten Leistungen gewährt werden, folgt weder aus § 33 Abs. 3 und Abs. 8 SGB IX a.F. noch aus § 102 Abs. 4 SGB IX. Auch aus der Schwerbehindertenabgabenverordnung lässt sich insoweit nichts entnehmen. § 17 Abs. 1a SchwbAV enthält lediglich eine wortgleiche Regelung wie § 102 Abs. 4 SGB IX. Soweit die Klägerseite meint, es sei zur Bestimmung der Höhe der Gebärdensprachdolmetscherleistungen das JVEG heranzuziehen, in dem in § 9 Abs. 3 als Honorar ein Stundensatz von 75,00 EUR für das simultane Dolmetschen festgelegt ist, folgt das Gericht dem nicht. Die Kammer schließt sich in diesem Zusammenhang vielmehr der überzeugenden Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz vom 30. Mai 2016 (Az.: 7 A 1083/15 – juris) an, in der ausgeführt wird, dass für die Höhe der Gebärdensprachdolmetscherleistungen eine Anwendung des § 9 JVEG i.V.m. § 19 Abs. 2 Satz 4 SGB X und § 17 Abs. 2 Satz 2 SGB I nicht möglich ist. Denn Bezugspunkt für die Verweisung auf das Justizvergütungs- und – entschädigungsgesetz ist nach der gebotenen sprachlichen, teleologischen und historischen Auslegung die Ausführung von Sozialleistungen und nicht die Sozialleistung selbst.
Somit ist der streitgegenständliche Anspruch der Höhe nach allein durch den in § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 a.F. und § 102 Abs. 4 SGB IX enthaltenen Begriff der Notwendigkeit begrenzt. Entgegen der Auffassung des Beklagten bezieht sich das Tatbestandsmerkmal der Notwendigkeit dabei nicht nur auf die Erforderlichkeit der Unterstützungsleistung „Arbeitsassistenz“, sondern begrenzt den Anspruch auch der Höhe nach (vgl. VG Berlin, U.v. 19.7.2017 – 22 K 38.15 – juris -; VG Lüneburg, U.v. 14.11.2017 – 4 A 100/16 – juris).
Maßgeblich für die Frage der Notwendigkeit der Kosten ist die allgemeine Marktsituation für derartige Leistungen, wobei unangemessen hohe Vergütungen – beispielsweise aufgrund einer Monopolstellung eines Dienstleisters – unberücksichtigt bleiben (vgl. VG Berlin, U.v. 19.7.2017, a.a.O). Darüber hinaus erfährt der streitgegenständliche Anspruch eine weitere Begrenzung durch den haushaltsrechtlich gebotenen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (VG Lüneburg, U.v. 14.11.2017, a.a.O.)
In Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze ist der durch den Beklagten auf der Grundlage der ZBFS-Empfehlungen dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde gelegte Stundensatz von 65,00 EUR für die Dolmetschzeit und 55,00 EUR für Fahr- und Wartezeiten nicht zu beanstanden. Dies folgt maßgeblich daraus, dass die Klägerin durchaus in der Lage war, nach ihrem Umzug nach Bayern Verträge mit Gebärdensprachdolmetschern auf Basis dieses Stundensatzes abzuschließen. Beispielhaft sind in diesem Zusammenhang die in der vorgelegten Behördenakte befindliche Rechnung der Gebärdensprachdolmetscherin … vom 21. Oktober 2016 und die Rechnung der Gebärdensprachdolmetscherin … vom 1. November 2016 zu nennen. Darüber hinaus befinden sich in der vorgelegten Behördenakte noch Rechnungen von mindestens zwei weiteren Gebärdensprachdolmetschern, die ihre Leistungen ebenfalls mit einem Stundensatz von 65,00 EUR in Rechnung gestellt haben. Somit wird deutlich, dass die Übersetzungsleistungen zu dem in der Verwaltungsvorschrift festgesetzten Stundensatz zumindest in Bayern ohne Weiteres am Markt erhältlich sind. Auch hat die Klägerin nicht dargetan, dass es ihr in Bayern nur unter Schwierigkeiten möglich wäre, einen Gebärdensprachdolmetscher zu einem Stundensatz von 65,00 EUR zu beauftragen. Unberücksichtigt bleiben müssen bei der Frage der Marktüblichkeit die in der Behördenakte befindlichen Rechnungen, die von Gebärdensprachdolmetschern außerhalb Bayerns gestellt wurden und bei denen ein Stundensatz in Höhe von 75,00 EUR in Rechnung gestellt wurde, da die Klägerin seit dem 1. Mai 2016 in Bayern berufstätig ist und sie somit in Bayern ansässige Gebärdensprachdolmetscher beauftragen kann. Nach alledem stellen sich die in dem streitgegenständlichen Bescheid enthaltenen Stundensätze zumindest in Bayern als marktüblich dar mit der Folge, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung eines Stundensatzes von 75,00 EUR gegenüber dem Beklagten nicht besitzt.
Soweit die Klägerseite die Auffassung vertritt, die dem streitgegenständlichen Bescheid zugrunde gelegten Vollzugshinweise seien in Ermangelung der Gesetzeskompetenz des Beklagten nicht anwendbar, geht dieser Einwand bereits deshalb ins Leere, da Verwaltungsvorschriften keine Gesetzesqualität besitzen und es vor diesem Hintergrund auf die Frage der Gesetzgebungskompetenz nicht ankommen kann. Zwar besitzen Verwaltungsvorschriften demnach auch keine Bindungswirkung für das erkennende Gericht. Dennoch konnten die Verwaltungsvorschriften für die Frage, in welcher Höhe die Klägerin einen Erstattungsanspruch besitzt, aufgrund der vorstehend dargestellten Marktüblichkeit der Stundensätze herangezogen werden. Hinzu kommt, dass die Höhe der Stundensätze in den ZBFS-Empfehlungen auch keinesfalls willkürlich durch den Beklagten festgelegt wurde. Denn wie die Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung – ohne dass die Klägerseite dem entgegentrat – darlegte, erfolgte vor Erlass der Vollzugshinweise eine Abklärung mit den maßgeblichen Interessenvertretern. Dabei ist zum Ausdruck gekommen, dass ein Stundensatz von 65,00 EUR für die Dolmetscherstunde als angemessen erscheint. Somit kann entgegen der Auffassung der Klägerseite von einer willkürlichen Festlegung der Vergütungshöhe nicht die Rede sein.
Die Klägerin besitzt somit den geltend gemachten Anspruch nicht mit der Folge, dass die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen war. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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