Arbeitsrecht

Erstattungsfähige Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts

Aktenzeichen  Au 5 M 16.949

Datum:
6.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 151, § 162, § 165
ZPO ZPO § 91

 

Leitsatz

Die durch Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwaltes entstehenden Kosten sind notwendig und damit erstattungsfähig (§ 162 Abs. 1 VwGO), wenn eine Vergleichsbetrachtung ergibt, dass durch einen im Gerichtsbezirk ansässigen Anwalt entsprechende oder sogar höhere Fahrtkosten zu einem Augenscheinstermin entstanden wären.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 13. Juni 2016 wird geändert und wie folgt ergänzt:
Als außergerichtliche Aufwendungen der Beklagten (Erinnerungsführerin) werden zusätzlich Fahrtkosten in Höhe von 58,50 EUR zuzüglich 19% MWSt anerkannt.
II.
Der Kläger (Erinnerungsgegner) hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 58,50 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger (Erinnerungsgegner) hat unter dem Az. Au 5 K 12.1542 ein Klageverfahren geführt, mit dem Ziel die Beklagte (Erinnerungsführerin) zur Erteilung einer isolierten Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans für die Errichtung einer Zufahrt zu verpflichten.
Die vorbezeichnete Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 31. Juli 2013 abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens Au 5 K 12.1542 wurden dem Kläger (Erinnerungsgegner) auferlegt.
Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. August 2014 wurde auf den Zulassungsantrag des Klägers (Erinnerungsgegner) hin die Berufung zugelassen (Az. 15 ZB 13.1911).
Mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. November 2015 (Az. 15 B 14.1840) wurde die Berufung zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 21. März 2016 beantragten die Bevollmächtigten der Beklagten des Verfahrens Au 5 K 12.1542 die Festsetzung ihrer außergerichtlichen Aufwendungen. Hierbei wurde u. a. ein Betrag von 58,50 EUR zuzüglich MWSt für die Kfz-Benutzung für einen vom Gericht angesetzten Ortsaugenschein am 15. Mai 2013 geltend gemacht.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. Juni 2016 setzte die Urkundsbeamtin des Gerichts diese Kosten nicht als erstattungsfähig fest. Nach § 162 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) seien die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig. Dabei seien die Reisekosten eines Rechtsanwalts in der Regel nur dann erstattungsfähig, wenn er seine Kanzlei am Sitz oder im Bezirk des angerufenen Gerichts oder am Wohnort seines Mandanten oder in dessen Nähe habe. Mehrkosten, die dadurch entstünden, dass die Kanzlei – wie hier – ihren Sitz an einem dritten Ort habe, seien nur erstattungsfähig, sofern die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig gewesen sei (§§ 162 Abs. 1, 173 VwGO i. V. m. § 91 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO). Hierzu gehöre insbesondere, dass ein Rechtsanwalt über besondere Fachkenntnisse verfüge, die kein am Gerichtsort oder am Wohnsitz ansässiger Anwalt in vergleichbarem Maße habe oder wenn aufgrund besonderer Umstände, die mit der Streitsache im Zusammenhang stünden, ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehe. In vorliegendem Verwaltungsrechtsstreit seien die durch die Zuziehung eines Anwalts aus … entstandenen Mehrkosten nicht notwendig und damit als nicht als erstattungsfähig anzuerkennen. Es könne davon ausgegangen werden, dass in der Umgebung des Gerichtssitzes bzw. des Sitzes der Beklagten Rechtsanwälte in ausreichender Zahl und Qualität zur Verfügung stünden, die eine sachgerechte Prozessvertretung gewährleisteten.
Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2016 beantragten die Bevollmächtigten der Beklagten des Verfahrens Au 5 K 12.1542 die Entscheidung des Gerichts. Die von der Urkundsbeamtin gestrichenen Fahrtkosten in Höhe von 58,50 EUR seien erstattungsfähig und gegen den Kläger (Erinnerungsgegner) festzusetzen. Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO seien Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts als Prozessbevollmächtigten stets erstattungsfähig. Es habe grundsätzlich keine Notwendigkeitsprüfung stattzufinden, da § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht auf § 162 VwGO verweise.
Die Urkundsbeamtin beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Auf ihre Stellungnahme vom 1. Juli 2016 wird Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 165, 151 VwGO zulässige Erinnerung ist begründet.
Gegenstand der Erinnerung nach §§ 165, 151 VwGO ist der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. Juni 2016, soweit darin die Festsetzung von Reisekosten in Höhe von 58,50 EUR zzgl. Mehrwertsteuer abgelehnt wurde. Hierüber entscheidet gemäß § 56 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG der Einzelrichter.
Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind die Auslagen eines Rechtsanwalts grundsätzlich erstattungsfähig. Eine gesetzliche Beschränkung des Kostenerstattungsanspruchs bei der Inanspruchnahme eine auswärtigen Anwalts, der seine Kanzlei nicht am Gerichtssitz hat, ist in § 162 Abs. 1 und 2 VwGO anders als in § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht ausdrücklich vorgesehen. Gleichwohl entspricht es allgemeiner Meinung, dass auch im Verwaltungsprozess die durch die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts entstehenden Mehrkosten nur dann zu erstatten sind, wenn sie im Sinne des § 162 Abs. 1 VwGO notwendig sind. Einem Beteiligten steht es zwar frei, sich in jeder Lage des Verfahrens durch einen von ihm auszuwählenden Rechtsanwalt vertreten zu lassen (§ 67 Abs. 2 VwGO); daraus folgt jedoch nicht, dass auch alle Aufwendungen für jeden beliebigen Rechtsanwalt in vollem Umfang vom unterlegenen Prozessgegner zu erstatten sind. Ob eine Vertretung durch einen auswärtigen Rechtsanwalt als notwendig im Sinne des § 162 Abs. 1 VwGO anzusehen ist, hat sich vielmehr an Sinn und Zweck dieser Kostenbegrenzungsnorm zu orientieren. Notwendig sind danach nur Aufwendungen, die eine verständige, weder besonders ängstliche noch besonders unbesorgte Partei in ihrer Lage und im Hinblick auf die Bedeutung und die rechtliche und sachliche Schwierigkeit der Sache vernünftigerweise für erforderlich halten durfte (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 162 Rn. 3). Dabei hat die Partei die – aus dem Prozessrechtsverhältnis und den Grundsätzen von Treu und Glauben sich ergebende – Pflicht, die Kosten niedrig zu halten (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl. 2015, § 91 Rn. 29).
In welchem Umfang nach diesen Maßstäben Mehrkosten durch die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts erstattungsfähig sind, lässt sich nicht allgemein, sondern nur unter Berücksichtigung des Einzelfalles entscheiden. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts, z. B. insbesondere dann in Betracht kommt, wenn dieser über Spezialkenntnisse verfügt, die kein Anwalt im jeweiligen Gerichtsbezirk vorweisen kann (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2006 – 2 N 04.2476 – juris). Außerdem wird es überwiegend als unzumutbar angesehen, nur zum Zwecke der Kostenersparnis einen Anwaltswechsel zu vollziehen, wenn zwischen dem Mandanten und dem auswärtigen Anwalt bereits seit längerem ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2009 – 4 M 09.1721 – juris).
Ungeachtet dessen, dass es sich bei dem hier zugrunde liegenden Verwaltungsstreitverfahren mit dem Az. Au 5 K 12.1542 um eine Rechtsstreitigkeit handelt, die vom Bevollmächtigten keine besonderen Spezialkenntnisse erfordert und es darüber hinaus auch an einem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen der ursprünglichen Beklagten (Erinnerungsführerin) und ihren Bevollmächtigten offensichtlich fehlt, erachtet die Kammer die geltend gemachten Fahrtkosten in Höhe von 58,50 EUR zuzüglich MWSt für erstattungsfähig. Dies ergibt sich aus der Überlegung, dass es der Beklagten grundsätzlich frei gestanden hätte, ohne Kostenrisiko einen Rechtsanwalt aus dem Gerichtsbezirk des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg mit der Wahrnehmung ihrer Interessen zu beauftragen. Im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts Augsburg, der den Regierungsbezirk Schwaben umfasst (Art. 1 Abs. 2 Nr. 6 Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung – AGVwGO) sind auch Rechtsanwälte ansässig, die ihren Kanzleisitz beispielsweise im Allgäu oder Lindau haben, wodurch bei Wahrnehmung von Augenscheinsterminen durchaus Fahrtkosten im Umfang entstehen können, die den geltend gemachten Fahrtkosten der Bevollmächtigten entsprechen bzw. diese übersteigen (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 14.8.2014 – 15 C 13.1504 – juris Rn. 10 a.E.). Bei Beauftragung beispielsweise eines Rechtsanwalts aus Lindau, der seinen Sitz unstreitig im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts Augsburg hat, wären Fahrtkosten für eine Entfernung zum streitigen Augenscheinstermin in … von einfach 123 km angefallen. Mit der Beauftragung einer Kanzlei aus der Münchner Altstadt fiel vergleichsbetrachtend demgegenüber nur eine Entfernung zum Ort des Augenscheins von ca. 100 km einfach an. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon gesprochen werden, dass die entstandenen Reisekosten ein unkalkulierbares Kostenrisiko für die Beklagte (Erinnerungsführerin) darstellten. Vielmehr durfte sie mit der Erstattung dieser Aufwendungen durch den Unterlegenen rechnen.
Zwar mag es zutreffen, dass auch die Beauftragung eines Rechtsanwalts beispielsweise aus Lindau für eine Rechtsstreitigkeit im Landkreis Augsburg in einem Fall, der keine besonderen Spezialkenntnisse erfordert, gegen das Prinzip der Kostenminimierung verstößt, jedoch wird im Rahmen des § 162 VwGO gerade nicht auf den Gerichtssitz (Augsburg) und dessen nähere Umgebung, sondern auf den gesamten Gerichtsbezirk abgestellt, der in die Zuständigkeit des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg fällt. Im Übrigen wäre es mit großen Abgrenzungsschwierigkeiten verbunden, nochmals innerhalb des Gerichtsbezirks zu differenzieren, bis zu welcher Entfernung vom Gerichtssitz bzw. vom Ort der Beweisaufnahme Reisekosten noch als erstattungsfähig zu beurteilen sind bzw. ab welcher Entfernung eine Kostenerstattung ausgeschlossen ist. Mit dem Abstellen auf den jeweiligen Gerichtsbezirk und der vorgenommenen hypothetischen Vergleichsbetrachtung sieht das Gericht eine im Einzelfall praktikable Vorgehensweise zur Ermittlung, ob Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts in Fällen nicht erforderlicher Spezialkenntnisse und einem fehlenden Vertrauensverhältnis erstattungsfähig sind.
Aufgrund der dargestellten Vorgehensweise erachtet die Kammer daher die von dem Bevollmächtigten der Beklagten (Erinnerungsführerin) geltend gemachten Fahrtkosten zum Augenscheinstermin vom 15. Mai 2013 für ausnahmsweise erstattungsfähig und war der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin entsprechend abzuändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger des Verfahrens Au 5 K 12.1542 (Erinnerungsgegner) die Kosten dieses Verfahrens zu tragen.
Die Festsetzung des Wertes des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Dieser Beschluss ist gemäß § 146 Abs. 3 VwGO unanfechtbar (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 165 Rn. 5).


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