Arbeitsrecht

Erstattungsfähigkeit von Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

Aktenzeichen  M 6 M 19.3977

Datum:
17.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 43105
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 91 Abs. 2, § 162 Abs. 2 S. 1
RVG § 5
VV RVG Nr. 3104

 

Leitsatz

1. Die Regelung des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig sind, gilt auch hinsichtlich eines Rechtsanwalts, der eine juristische Person des öffentlichen Rechts vertritt, die über Mitarbeiter mit der Befähigung zum Richteramt verfügt, sodass auch in derartigen Fällen grundsätzlich nicht zu prüfen ist, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich war (VGH München BeckRS 2016, 51739 Rn. 17). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur dann, wenn die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts (ausnahmsweise) gegen Treu und Glauben verstößt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu den gemäß § 162 Abs. 3 VwGO zu erstattenden Kosten gehört auch die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG, die nach § 5 RVG auch dann anfällt, wenn ein dem Rechtsanwalt zugewiesener Referendar den Termin wahrnimmt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Reisekosten des Rechtsanwaltes sind der Höhe nach ersatzfähig, wenn sich der Sitz seiner Kanzlei innerhalb des Gerichtsbezirks befindet; es besteht unter kostenrechtlichen Gesichtspunkten keine Obliegenheit einer Partei, eine Kanzlei in unmittelbarer Nähe zum Gerichtsort zu wählen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Erinnerung des Erinnerungsführers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17. Mai 2019 wird zurückgewiesen.
II. Der Erinnerungsführer hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Kläger und Erinnerungsführer hatte am 6. Oktober 2017 Klage gegen die Festsetzungsbescheide des Erinnerungsgegners vom 4. März 2016, 1. Juli 2016, 4. November 2016, 2. Januar 2017, 1. April 2017 und 3. Juli 2017 sowie den seine Widersprüche zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 28. August 2017 erhoben, die mit Urteil der Kammer vom 5. Dezember 2018 abgewiesen wurde.
Mit Schriftsatz vom 24. April 2019 beantragten die Bevollmächtigten des Erinnerungsgegners die Festsetzung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 269,54 €. Dem Antrag wurde mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3. Mai 2019 (dem Erinnerungsführer zugestellt am 7. Mai 2019) entsprochen, gegen den der Erinnerungsführer mit bei Gericht am 20. Mai 2019 eingegangenem Schriftsatz die Entscheidung des Gerichts beantragte. Mit von Amts wegen erlassenem Berichtigungsbeschluss vom 17. Mai 2019 wurde der Beschluss vom 3. Mai 2019 korrigiert und die beantragten Fahrtkosten sowie das Tage- und Abwesenheitsgeld entsprechend dem Antrag vom 16. Mai 2019 auf jeweils 1/3 gekürzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, am Tag der mündlichen Verhandlung hätten noch zwei weitere Termine stattgefunden, bei denen die Kanzlei beteiligt gewesen sei. Festgesetzt wurde nunmehr ein Betrag von 220,91 €. Auch gegen diesen Beschluss beantragte der Kläger mit bei Gericht am 26. Mai 2019 eingegangenem Schriftsatz
eine gerichtliche Entscheidung.
Zur Begründung führte er aus, die Hinzuziehung einer Rechtsanwaltskanzlei mit Sitz in A… (richtigerweise: B…) trotz eigener Syndikusanwälte verstoße gegen Treu und Glauben, da dem Erinnerungsgegner aufgrund der Vielzahl seiner Verfahren bekannt gewesen sei, dass das Gericht in vergleichbaren Fällen zu seinen Gunsten entschieden habe. Außerdem sei zum Termin ein Referendar erschienen, der nur dann zur Abrechnung eine Vergütung berechtige, wenn er der Kanzlei zur Ausbildung zugewiesen worden sei; dies werde mit Nichtwissen bestritten. Gleiches gelte für die Entstehung von Fahrtkosten, falls der Referendar von C… aus zur Verhandlung erschienen sei.
Die Kostenbeamtin half der Erinnerung nicht ab und legte sie dem Gericht mit Schreiben vom 2. August 2019 zur Entscheidung vor. Zur Begründung führte sie aus, im Kostenfestsetzungsverfahren sei grundsätzlich nicht zu prüfen, ob die Streitsache die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erfordere. Dies gelte auch für beklagte juristische Personen des öffentlichen Rechts. Die Fahrtkosten seien festzusetzen, da ein Vertreter der Kanzlei in der Verhandlung anwesend gewesen sei und sich die Kanzlei nicht am Gerichtsort befände. Die Benutzung eines PKWs sei nicht zu beanstanden, da eine Bahnfahrt nicht kostengünstiger gewesen wäre.
Der Erinnerungsgegner erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme und beantragte mit Schriftsatz vom 21. August 2019,
die Erinnerung zurückzuweisen.
Der Erinnerungsführer hat sich mit am 11. September 2019 bei Gericht eingegangenem Schreiben nochmals geäußert und außerdem gerügt, es stelle einen Interessenskonflikt dar, dass der Prozessbevollmächtigte im Ausgangsverfahren diesen nunmehr auch im Erinnerungsverfahren vertrete.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 VwGO).
II.
Das Gericht legt den Antrag des Erinnerungsführers dahingehend aus, dass er sich (nur mehr) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17. Mai 2019 richtet, mit dessen Erlass sich der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 3. Mai 2019 erledigt hat.
Die Kostenerinnerung ist zulässig, aber unbegründet.
Zur Entscheidung im vorliegenden Erinnerungsverfahren ist die Kammer berufen. Funktionell zuständig für die in § 165 Satz 2, § 151 Satz 1 VwGO vorgesehene Entscheidung über die Kostenerinnerung gegen einen (gemäß §§ 164, 173 VwGO i.V.m. §§ 103 ff. ZPO ergehenden) Kostenfestsetzungsbeschluss ist, wer die zugrundeliegende Kostengrundentscheidung getroffen hat (BVerwG, B.v. 14.2.1996 – 11 VR40/95 – NVwZ 1996, 786, juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 03.12.2003 – 1 N 01.1845 – NVwZ-RR2004, 309, juris Rn. 9-12). Nachdem das zugrunde liegende Klageverfahren in der Kammerbesetzung entschieden wurde, hat diese auch über die Erinnerung zu entscheiden.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Insbesondere wurde er innerhalb der 2-wöchigen Rechtsmittelfrist gestellt (§§ 165,151 VwGO).
Die Kostenerinnerung ist nicht begründet.
Im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens gemäß §§ 164, 173 VwGO i.V.m. §§ 103 ff. ZPO werden auf Antrag durch Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten des ersten Rechtszugs die zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits untereinander zu erstattenden Kosten festgesetzt (§ 164 VwGO).Grundlage des Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 164 VwGO ist die jeweilige vorangegangene Kostenentscheidung (Kostengrund- oder Kostenlastentscheidung) in einem Urteil, Gerichtsbescheid, Beschluss oder gerichtlichem Vergleich, zu dem das Kostenfestsetzungsverfahren nur die zahlenmäßige Ergänzung bildet.
Nach § 162 Abs. 1 VwGO gehören außer den Gerichtskosten auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten zu den erstattungsfähigen Kosten. In Ergänzung hierzu bestimmt § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO, dass die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig sind. Dies gilt auch für Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, der – wie hier – eine juristische Person des öffentlichen Rechts vertritt, die über Mitarbeiter mit der Befähigung zum Richteramt verfügt, sodass auch in derartigen Fällen grundsätzlich nicht zu prüfen ist, ob die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich war (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2016 – 10 C 15.474, 10 C 15.477 – juris). Eine Ausnahme wird nur dann anerkannt, wenn die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch einen Beklagten, der sich durch eigene Juristen vertreten lassen kann, gegen Treu und Glauben verstößt, weil sie offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan ist, dem Gegner Kosten zu verursachen. Angenommen wurde dies etwa für Fälle, in denen der Rechtsstreit faktisch beendet und lediglich noch eine Zustimmung zur Erledigung des Rechtsstreits abzugeben war. Rechtsmissbrauch liegt – entgegen der Ansicht des Erinnerungsführers – aber nicht schon dann vor, wenn der beklagte Träger öffentlicher Verwaltung nach Erhebung der Klage einen Rechtsanwalt beauftragt, obwohl ihm bekannt ist, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in vergleichbaren Fällen bisher zu seinen Gunsten entschieden hat (Schübel-Pfister in: Eyermann, VwGO, § 162, Rn. 18 unter Verweis auf OVG Weimar NVwZ-RR 2014, 701). Eine rechtsschutzsuchende Partei ist gerade im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht daran gehindert, die eigene Klage in Auseinandersetzung mit der (bisherigen) Argumentation des Verwaltungsgerichts mit diesen Entscheidungen zu begründen und insbesondere darzulegen, warum die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht trägt. Würde dem Beklagten umgekehrt abverlangt, sich in Massenverfahren wie der Erhebung von Rundfunkbeiträgen stets selbst zu vertreten, würden die Kosten der Rechtsverteidigung in Höhe der Personalvollkosten weiterer Syndikusanwälte letztlich auch in all denjenigen Fällen auf die Gesamtheit der Beitragszahler umgelegt, in denen der Klage auf Basis der bisherigen Rechtsprechung – in vielen Fällen auch objektiv für die Klagepartei erkennbar – nur wenig Aussicht auf Erfolg beizumessen ist, die Kläger aber aus vom Gericht nicht weiter zu bewertenden Gründen dennoch um Rechtsschutz nachsuchen. Auch vor diesem Hintergrund ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben durch Beauftragung von Prozessbevollmächtigten nicht zu festzustellen.
Zu den gem. § 162 Abs. 3 VwGO zu erstattenden Kosten gehört auch die Terminsgebühr gem. Nr. 3104 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – VV RVG. Gem. § 5 RVG wird die Vergütung für eine Tätigkeit, die der Rechtsanwalt nicht persönlich vornimmt, nach dem RVG bemessen, wenn der Rechtsanwalt durch einen zur Ausbildung zugewiesenen Referendar vertreten wird. Dies war hier der Fall. Die vom Erinnerungsführer mit „Nichtwissen“ bestrittene Terminsvertretung durch einen der Kanzlei zur Ausbildung zugewiesen Rechtsreferendar ist durch Vorlage des Zuweisungsschreiben des Landgerichts Traunstein vom 28. Mai 2018 im Termin zur mündlichen Verhandlung hinreichend belegt. Gem. § 5 RVG sind in diesen Fällen auch die entstandenen Auslagen zu erstatten, zu denen gem. Nr. 7003 VV RVG die anteiligen (vgl. Vorbemerkung 7 Abs. 3 VV RVG) Reisekosten sowie das anteilige Tage- und Abwesenheitsgeld gem. Nr. 7005 VV RVG zählen (vgl. Mayer/Kroiß, RVG, § 5 Rn. 39 f.). Das Gericht hält es nicht für erforderlich, hinsichtlich der vom Erinnerungsgegner getätigten und grundsätzlich plausiblen Angabe der privaten PKW-Benutzung, die vom Erinnerungsführer lediglich mit „Nichtwissen“ bestritten wurden, weitere Ermittlungen anzustellen oder Nachweise zu fordern. Die Kilometerangaben halten sich ausweislich einer Google-Maps-Suche im Toleranzbereich (einfache Strecke von Kanzleisitz 113 km). Wie die Rechtspflegerin zutreffend ausführte, hätte eine Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit ca. 55 € (Quelle: Bahn) zudem ähnliche Kosten verursacht. Ohne Bedeutung ist dabei, ob sich der Wohnsitz des den Termin wahrnehmenden Rechtsreferendars in C… befindet, da die Prozessvertretung es erforderlich macht, sich vor und nach dem Termin zum Sitz der Kanzlei nach B… zu begeben.
Soweit der Erinnerungsführer geltend macht, die volle Erstattung der Auslagen käme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Erinnerungsgegner eine Kanzlei in A… (richtig: B…) beauftragt habe, ist zunächst anzumerken, dass sich der Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts München auch auf den Landkreis B… erstreckt. Unbeschadet des Streits, ob der Rechtsgedanke des § 91 Abs. 2 VwGO trotz der fehlenden Verweisung in § 162 Abs. 2 VwGO überhaupt Anwendung findet oder wiederum nur Verstöße gegen Treu und Glauben rügbar sind (vgl. dazu Mayer/Kroiß, RVG, Vorbemerkung 7 Abs. 1, 2, Rn. 49 ff.), besteht nach Ansicht der Kammer unter kostenrechtlichen Gesichtspunkten jedenfalls keine Verpflichtung des Beklagten, eine (mit der Rechtsmaterie vertraute) Kanzlei mit unmittelbarer Nähe zum Gerichtsort zu wählen – die möglicherweise wegen der typischerweise geringen Streitwerte im Beitragsrecht auch nur unter Abschluss einer die RVG-Sätze übersteigenden Honorarvereinbarung zur Übernahme eines Mandats bereit wäre.
Der Kammer erschließt sich – unbeschadet der fehlenden Entscheidungserheblichkeit – auch nicht, inwiefern die abermalige Bevollmächtigung der vorbefassten Kanzlei einen Interessenkonflikt darstellen sollte.
Die Erinnerung war damit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Gerichtskosten werden im erstinstanzlichen Erinnerungsverfahren nicht erhoben (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 165 Rn. 10).


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