Arbeitsrecht

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Aktenzeichen  S 2 R 60/18

Datum:
2.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 52154
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Soweit der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung begehrt, ist die Klage unzulässig. Nach § 54 Abs. 4 SGG kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsaktes gleichzeitig die Leistung verlangt werden, wenn der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Dies setzt eine Entscheidung der Beklagten über die begehrte Leistung voraus, also, dass die Beklagte gerade über die materiellen Voraussetzungen des Anspruchs entschieden hat.
Vorliegend hat die Beklagte die begehrte Rente indessen nur bis zur Nachholung der Mitwirkung versagt. Gegen einen solchen Versagungsbescheid ist grundsätzlich nur die (isolierte) Anfechtungsklage eröffnet, vgl. BSG B 1 KR 4/02 R, B 4 AS 78/08 R, Bay. LSG L 18 SO 38/18 und L 19 R 550/16.
Die Anfechtungsklage, deren Streitgegenstand vorliegend ausschließlich die Frage ist, ob die Beklagte die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung zurecht wegen fehlender Mitwirkung vorläufig versagt hat, ist unbegründet.
Nach § 62 SGB I hat sich ein Antragsteller auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen zu unterziehen, soweit diese für die Entscheidung der Leistung erforderlich sind.
Ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung setzt unter anderem voraus, dass der Versicherte erwerbsgemindert ist. Zur Prüfung dieser medizinischen Voraussetzung ist die Ermittlung des aktuellen Leistungsvermögens des Antragstellers erforderlich. Die Beklagte durfte daher zu Recht die Mitwirkung des Klägers an einer ärztlichen Untersuchung einfordern.
Diese war auch nicht entbehrlich, weil – wie der Kläger vorträgt – bereits rechtsverbindlich die Feststellung getroffen worden sei, er sei nur unter 3 Stunden täglich einsatzfähig. Die hierzu vom Kläger angeführten Entscheidungen der Sozialgerichtsbarkeit konnten vom Gericht mangels Einverständniserklärung des Klägers nicht beigezogen werden. Die überlassenen Fragmente der Entscheidungen L AS 467/15 (Seite 1 und 4) und L 808/15 ER (Seite 4) sowie S 17 AS 54/15 (Seite 2) enthalten keine Aussage zu einem aktuellen Leistungsvermögen von weniger als 3 Stunden täglich. Im Verfahren L 11 AS 467/15 – erstinstanzlich S 17 AS 54/15 – T. gegen Jobcenter S. wurde – soweit ersichtlich – ausgeführt, dass das SG die Klage gegen den Bescheid vom 5.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2014 zu Recht abgewiesen habe. Nachdem sich der EGVVA durch Zeitablauf erledigt habe – der Geltungszeitraum endete am 9.5.2015 – sei die dagegen gerichtete Anfechtungsklage unzulässig geworden. Eine Umstellung der Klage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage habe der Kläger nicht vorgenommen. Einer solchen Klage würde zudem ein berechtigtes Feststellungsinteresse fehlen. Der Beklagte habe keine Sanktion aus dem EGV-VA festgestellt. Da unklar sei, ob der Kläger aktuell überhaupt noch Leistungen vom Beklagten beziehe, erscheine auch keine Wiederholungsgefahr hinreichend wahrscheinlich. Zudem wäre jeweils der aktuelle Gesundheitszustand des Klägers im Gültigkeitszeitraum einer EGV zu beachten, sodass nicht erkennbar sei, dass eine gleiche Ausgangslage nochmals gegeben sein könnte.
Die überlassene Seite 2 der Entscheidung des SG Bayreuth S 17 AS 54/16 wies ebenfalls keine aktuelle Einschätzung des klägerischen Leistungsvermögens aus, schon gar nicht lässt sich dieser ein unter 3-stündiges Leistungsvermögen täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entnehmen.
Bei der Entscheidung L 11 AS 808/15 ER handelt es sich soweit erkennbar um ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz, welches an das örtlich zuständige Sozialgericht Bayreuth verwiesen wurde. Auch dieser überlassenen Seite konnte keine aktuelle Einschätzung des Leistungsvermögens des Klägers entnommen werden.
Überdies handelt es sich bei allen vom Kläger genannten Entscheidungen um solche des Rechtsgebiets AS und richteten sich damit wohl gegen einen Leistungsträger nach dem SGB II.
So weist das Verfahren L 11 AS 467/15 das Jobcenter S. als Beklagten aus. Es ist daher schon fraglich, ob die vom Kläger angeführten Entscheidungen, so sie denn überhaupt die Frage seines Leistungsvermögens betreffen, der Beklagten gegenüber Bindungswirkung entfalten können.
Nach § 141 SGG binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Beteiligte am Verfahren sind nach § 69 SGG der Kläger, der Beklagte und ggf. der Beigeladene.
Die Beteiligten in den übrigen vom Kläger angeführten Entscheidungen sind dem Gericht nicht bekannt. Mit einer Beiziehung war der Kläger nicht einverstanden. Es finden sich auch keine Anhaltspunkte, dass die Beklagte zu den dortigen Verfahren beigeladen war, zumal sich hierfür auch keinerlei Hinweise in der Akte der Beklagten finden und die Beklagte auch nichts hierzu vorgetragen hat.
Es besteht auch keine Tatbestandswirkung dergestalt, dass die Beklagte an die Entscheidung eines Sozialleistungsträgers, dessen Zuständigkeit nicht die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente i.S.d. SGB VI beinhaltet, gebunden ist (so im Ergebnis BayLSG L 19 RJ 426/00 vom 1.8.2001).
Nach § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Leistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt werden, wenn der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.
Es kann dahinstehen ob die Schreiben der Beklagten vom 18.8.2016, 2.3.2017 und 7.4.2017 diesen Anforderungen genügen. Ein schriftlicher Hinweis enthält vor allem eine Appellfunktion und ist deshalb entbehrlich, wenn der Leistungsträger aufgrund eindeutigen Verhaltens des Betroffenen davon ausgehen durfte, dass sich dieser der Folgen seiner Pflichtverletzung konkret bewusst ist (vgl. Bay. LSG L 19 R 550/16, LSG B-B L 4 R 219/10 und BSG 11 BA 129/78).
Die Rentenanträge des Klägers aus dem Jahr 2009, 2010 und 2011 waren nach Angabe der Beklagten bereits mangels Mitwirkung abgelehnt worden. Die Rechtsfolgen mangelnder Mitwirkung waren ihm daher bekannt. Zudem hat der Kläger mehrfach gegenüber der Beklagten seine Weigerung sich untersuchen zu lassen mitgeteilt, zuletzt nach eingeleiteter Begutachtung durch Dr. M.. Die Beklagte durfte daher zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung davon ausgehen, dass ein Hinweis ohnehin ins Leere gehen würde. Dies bestätigt auch das vom Kläger im Klageverfahren gezeigte Verhalten. Es wird insoweit Bezug genommen auf die im Tatbestand aufgezeigten Äußerungen und Darlegungen des Klägers, wonach dieser eine ärztliche Begutachtung ablehnt, weil er davon ausgeht, dass das Vorliegen einer zeitlichen Limitierung seines Leistungsvermögens bereits festgestellt ist und die Beklagte hieran gebunden ist. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Das nach § 66 Abs. 1 SGB I grundsätzlich eröffnete Ermessen der Beklagten hat diese sachgerecht ausgeübt. Ein bedeutsamer Mangel oder Fehlgebrauch des Ermessens durch die Beklagte ist nicht erkennbar.
Der angefochtene Bescheid ist daher rechtmäßig und die Klage war abzuweisen.
Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid war nach § 106 SGG möglich. Die Beteiligten wurden vorab auf die beabsichtigte Form der Entscheidung hingewiesen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

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