Arbeitsrecht

Gegenstandswert in Verfahren betreffend die Zustimmung des Integrationsamts zur Schwerbehindertenkündigung

Aktenzeichen  12 C 19.2335

Datum:
28.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1203
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 23 Abs. 1 S. 2, § 33
GKG § 52

 

Leitsatz

1. In nach § 188 VwGO gerichtskostenfreien Verfahren bildet § 33 Abs. 1 i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 2 RVG den Ausgangspunkt der Gegenstandswertfestsetzung. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Klagen betreffend die Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ist die Festsetzung des Auffangstreitwerts i.H.v. 5.000 Euro regelmäßig angemessen, da mittelbare Auswirkungen einer gerichtlichen Entscheidung, wie sie sich in einem solchen Fall für den Bestand des Arbeitsverhältnisses ergeben können, bei der Bemessung des Gegenstandswerts nicht zu berücksichtigen sind. (Rn. 6 – 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 15 K 19.1382 2019-10-29 VGMUENCHEN VG München

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

1. Die Bevollmächtigten der Klägerin wenden sich im eigenen Namen gegen die Festsetzung des Wertes des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf 5.000,- ? im Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 29. Oktober 2019 im Hinblick auf die Klage ihrer Mandantin gegen die Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses. Sie verfolgen mit ihrer Beschwerde, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 14.165,31 ? weiter. Die Landesanwaltschaft Bayern ist der Beschwerde entgegengetreten und erachtet ihrerseits die Festsetzung in Höhe des Auffangstreitwerts von 5.000,- ? für rechtmäßig.
2. Die Beschwerde erweist sich als zulässig, jedoch der Sache nach unbegründet.
2.1 Die Beschwerde wurde nach § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG fristgemäß erhoben. Sie erfüllt darüber hinaus auch die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG, wonach der Wert des Beschwerdegegenstands 200 ? übersteigen muss.
2.2 Das Verwaltungsgericht hat den Gegenstandwert im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung der Bevollmächtigten der Klägerin im Ergebnis zutreffend mit 5.000 ? bemessen (vgl. zum Nachfolgenden bereits die den Bevollmächtigten der Klägerin bekannten Beschlüsse des Senats vom 11.3.2019 – 12 C 18.1823, 12 C 18.1824 und 4.4.2019 – 12 C 19.674; dazu Mayer, FD-RVG 22019, 415145).
2.2.1 Ausgangspunkt der Gegenstandswertfestsetzung bildet § 33 Abs. 1 RVG in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 2 RVG (vgl. zur Gegenstandswertfestsetzung in nach § 188 VwGO gerichtskostenfreien Verfahren OVG Lüneburg, B.v. 30.5.2018 – 10 OA 194/18 – BeckRS 2018, 10698 Rn. 2; Laube in Hartmann/Touissant, Kostenrecht, 49. Aufl. 2019, § 52 GKG Rn. 3). Nach letzterer Bestimmung richtet sich der Gegenstandswert in Verfahren, in denen die Kosten nach dem Gerichtskostengesetz erhoben werden, in entsprechender Anwendung der Wertvorschriften des Kostengesetzes, wenn für das Verfahren keine Gerichtsgebühr oder eine Festgebühr bestimmt ist. Demgegenüber scheidet die Anwendung von § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG für die Gegenstandswertbestimmung (vgl. zur gegenteiligen Auffassung VGH Kassel, B.v. 5.6.2013 – 10 E 849/13 – BeckRS 2013, 54876) aus. Zugleich ist für die Bestimmung des Gegenstandswerts auch nicht auf § 23 Abs. 3 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 99 Abs. 2 GNotKG abzustellen.
2.2.2 Für die Bemessung des Gegenstandswerts ist in der Folge – worauf die Bevollmächtigten der Klägerin zu Recht hinweisen – zunächst entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auf § 52 Abs. 1 GKG als Grundnorm abzustellen. Danach ist in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Beantragt hat die Klägerin im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht München, den Bescheid des Integrationsamts vom 1. März 2019 aufzuheben und den Antrag des Beklagten auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zurückzuweisen. Demzufolge ist allein die Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung der Klägerin Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens, nicht hingegen der Bestand ihres Arbeitsverhältnisses selbst, über den gegebenenfalls in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren entschieden wird. Mittelbare Auswirkungen einer gerichtlichen Entscheidung, wie sie sich im vorliegenden Fall aus der Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung der Klägerin für den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses ergeben können, sind bei der Bemessung des Gegenstandswerts nicht zu berücksichtigen (vgl. hierzu unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung Toussaint in BeckOK Kostenrecht, § 52 GKG Rn. 9; ferner Laube in Hartmann/Touissant, Kostenrecht, 49. Aufl. 2019, § 52 GKG Rn. 8: “Umstände, die über den konkreten Antrag hinausgehen, bleiben außer Betracht.”, Rn. 11: “Außer Betracht bleiben die Auswirkungen der Entscheidung auf andere Beteiligte oder andere Verfahren.”). Dies gilt im vorliegenden Fall auch, soweit die Bevollmächtigten der Klägerin gegenüber dem Verwaltungsgericht auf die drohende Verhängung einer Sperrzeit von 12 Wochen für den Bezug von Arbeitslosengeld nach § 159 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) verweisen. Insoweit erschließt sich dem Senat selbst ein mittelbarer Zusammenhang zum Klagegegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht.
Auch die Bezugnahme der Bevollmächtigten der Klägerin auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen (LSG-Niedersachsen-Bremen, B.v. 28.1.2019 – L 2 BA 18/18 – BeckRS 2019, 9281), das bei der Streitwertbemessung nach § 52 Abs. 1 GKG die “eigenen wirtschaftlichen Interessen des Klägers” auch dann berücksichtigt wissen möchte, wenn diese sich “erst in Zukunft realisieren werden”, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn die zitierte Entscheidung steht der Auffassung des Senats nicht entgegen, wonach die wirtschaftlichen Interessen des Klägers nur im Rahmen des jeweiligen Streitgegenstands berücksichtigt werden können und mittelbare Auswirkungen der Streitentscheidung, sofern diese nicht ausdrücklich gesetzlich von der Streitwertbestimmung erfasst werden (wie z.B. in § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG), keine Berücksichtigung finden können, zumal dann nicht, wenn – wie im vorliegenden Fall – über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses der Klägerin in einem eigenen, arbeitsgerichtlichen Verfahren entschieden wird. Demgegenüber ergab sich in der landessozialgerichtlichen Entscheidung die aus der streitgegenständlichen Qualifikation eines Arbeitsverhältnisses folgende Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen unmittelbar aus dem Gesetz; sie war daher nicht mittelbare, sondern unmittelbare Folge der gerichtlichen Entscheidung.
Weiter kommt es im vorliegenden Fall auch nicht darauf an, dass § 52 Abs. 6 GKG für Verfahren, die das Bestehen, Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses zum Gegenstand haben, als Streitwert regelmäßig die Jahresbezüge vorsieht. Dies gilt gleichermaßen für § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG, wonach in arbeitsgerichtlichen Verfahren, die das Bestehen, Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses betreffen, als Streitwert höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend ist. Ferner scheidet auch ein Rückgriff auf § 99 Abs. 2 GNotKG aus. Denn verfahrensgegenständlich ist bei einem Streit über die Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers gerade nicht der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses als solches oder seine Kündigung, sondern nur die Zulässigkeit der Kündigung als öffentlich-rechtliche Vorfrage.
Denn bei der Zulassung der Kündigung steht die Frage im Vordergrund, ob ein kausaler Zusammenhang zwischen der Schwerbehinderung und dem im Antrag bezeichneten Kündigungsgrund besteht. Der Zweck des besonderen Kündigungsschutzes stellt sich als Ausdruck öffentlich-rechtlicher Pflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Staat und zugleich als im Rahmen des Arbeitsverhältnisses bestehender privatrechtlicher Treue- und Fürsorgepflicht gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer dar, die letzterem ein subjektiv einklagbares Recht verleiht. Diese dem Kündigungsschutz zugrunde liegende Verpflichtung lässt die arbeitsrechtlichen Bestimmungen, insbesondere die Frage, ob eine ausgesprochene Kündigung Wirksamkeit erlangt, unberührt. Aus diesem Grund unterscheidet sich der Prüfungsumfang im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wegen der Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung eines Schwerbehinderten wesentlich von demjenigen, der im arbeitsgerichtlichen Verfahren zu beachten ist (so BayVGH, B.v. 16.9.2005 – 9 C 05.1972 – BeckRS 2005, 17252 Rn. 10). Demzufolge verbietet es sich, für die Bemessung des Gegenstandswerts die für Streitigkeiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses geltenden Regelungen zur Anwendung zu bringen.
Ferner ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, B.v. 16.12.1992 – 5 C 39.89 – BeckRS 1992, 31230900, hierauf aufbauend BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 12 C 10.1026 – BeckRS 2010, 50504; OVG Schleswig, B.v. 11.2.2014 – 3 O 45/12 – BeckRS 2014, 47448), dass angesichts der spezifischen Rechtsschutzsituation eines gekündigten, schwerbehinderten Arbeitnehmers, der sowohl gegen die Kündigung arbeitsrechtrechtlich vorgehen, wie auch vor dem Verwaltungsgericht die Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung anfechten muss, es bei einer Bemessung des Gegenstandswerts für die verwaltungsgerichtliche Streitigkeit nach der Höhe des vierteljährlichen Arbeitsentgelts letztlich zu einer Verdoppelung der Kosten des Rechtsstreits käme, sodass es das dem Gericht nach § 52 Abs. 1 GKG zustehende Ermessen bei der Festsetzung des Gegenstandswerts gebietet, den Streitwert in Höhe des Regelstreitwerts (§ 52 Abs. 2 GKG) festzusetzen. Hiergegen haben die Bevollmächtigten der Klägerin nichts Durchgreifendes vorgetragen.
Schließlich schlägt Ziffer 39.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai und 1. Juni 2012 sowie am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen für Streitigkeiten über die Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers eine Festsetzung in Höhe des Auffangstreitwerts, d.h. von 5.000,- ?, vor. Folgt das Verwaltungsgericht im Rahmen der Gegenstandswertfestsetzung nach § 52 Abs. 1 GKG den Vorschlägen des Streitwertkatalogs, erweist sich dies regelmäßig als pflichtgemäße Ermessensausübung (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2014 – 14 C 13.1209 – BeckRS 2014, 50159 Rn. 4). Denn die Empfehlungen des Streitwertkatalogs, denen zur Gewährleistung von Rechtssicherheit und einer weitest möglichen Gleichbehandlung besonderes Gewicht zukommen (vgl. BVerwG, B.v. 15.9.2015 – 9 KSt 2.15 – BeckRS 2015, 54083, Rn. 4), bieten zur Höhe eines angemessenen Streit- bzw. Gegenstandswerts eine zulässige Orientierungshilfe (vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2018 – 8 C 18.285 – BeckRS 2018, 4336).
Die Gegenstandswertfestsetzung in Höhe von 5.000,- ? im verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 29. Oktober 2019 ist daher nicht zu beanstanden.
2.2.3 Ausgehend von der Rüge der Bevollmächtigten der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe nach Zugang der Beschwerde seine Nichtabhilfeentscheidung nicht begründet, kommt im vorliegend Fall auch keine Aufhebung des Nichtabhilfebeschlusses und Zurückverweisung der Gegenstandswertbeschwerde an das Verwaltungsgericht in Betracht. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis der ständigen Rechtsprechung des Senats zur Höhe des Gegenstandswerts in Streitigkeiten über die Zustimmung des Integrationsamts zur Schwerbehindertenkündigung gefolgt. Rechtliche Gesichtspunkte, die eine andere Einschätzung gebieten würden, haben die Bevollmächtigten der Klägerin, wie vorstehend aufgezeigt, nicht vorgetragen. Eine Zurückverweisung ist daher nicht veranlasst.
3. Einer Kostenentscheidung bedarf es im vorliegenden Fall aus Anlass der Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts nicht, da Gerichtskosten in Angelegenheiten des Schwerbehindertenrechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben und Kosten im Rahmen der Gegenstandswertbeschwerde nach § 33 Abs. 9 Satz 2 RVG nicht erstattet werden.
Dieser Beschluss ist nach § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG unanfechtbar.


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