Arbeitsrecht

Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren über Rückforderung von Anwärterbezügen

Aktenzeichen  AN 1 K 20.01566

Datum:
19.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2468
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 79 Abs. 1 Nr. 2
BayVwVfG § 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1. Die Annahme, dass ein Beamter aufgrund seiner rechtlichen Kenntnisse grundsätzlich in der Lage sein müsse, ein Vorverfahren selbst zu führen, steht nicht in Einklang mit der Rechtsprechung des BVerwG. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist nicht notwendig, wenn es sich aufdrängt, dass für eine positive Entscheidung im Widerspruchsverfahren alleine eine nochmalige Darstellung oder Vertiefung des Sachverhaltes oder die Vorlage von Unterlagen ausreichen könnte. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 verpflichtet, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
3. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte durch die Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsätzen vom 12. Oktober 2020 und 9. November 2020 und der Beklagte mit Schriftsätzen vom 30. September 2020 und 8. Dezember 2020 zugestimmt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist begründet.
Dabei ist der Klageantrag im Schriftsatz vom 12. Oktober 2020 dahingehend auszulegen, dass lediglich Satz 2 der Ziffer 2 des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2020 aufzuheben ist, nicht aber die Kostengrundentscheidung der Ziffer 2 Satz 1 des Widerspruchsbescheides. Die Bevollmächtigte des Klägers machte diesbezüglich in allen Schriftsätzen deutlich, dass lediglich die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren angegriffen werden soll, nicht aber die Entscheidung, dass der Freistaat Bayern die Kosten des Widerspruchsverfahrens trägt.
Der Kläger hat Anspruch darauf, den Beklagten unter Aufhebung der Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern vom 10. Juli 2020 zu verpflichten, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären. Die in Ziffer 2 Satz 2 des Widerspruchsbescheids des Bayerischen Landesamtes für Steuern insoweit getroffene Ablehnungsentscheidung konnte daher keinen Bestand haben (§ 113 Abs. 5 Satz 1, § 79 Abs. Abs. 1 Nr. 2 VwGO).
Mit der Entscheidung über die Kosten des erfolgreichen Widerspruchsverfahrens hat der Beklagte zugleich darüber zu entscheiden, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war (Art. 80 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG).
Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren hängt von der Prüfung im Einzelfall ab und ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen (BVerwG, U.v. 28.4.2009 – 2 A 8.08 – NJW 2009, 2968 = BayVBl 2009, 735; B.v. 21.8.2003 – 6 B 26.03 – NVwZ-RR 2004, 5; B.v. 14.1.1999 – 6 B 118.98 – NVwZ-RR 1999, 357). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Beschwerdeführer bestimmt (BVerwG, B.v. 27.2.2012 – 2 A 11/08 – juris Rn. 5).
Aus dem Begriff der „Notwendigkeit“ der Zuziehung eines Rechtsanwalts folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit im Vorverfahren eine Ausnahme bleiben müsste; der Gesetzeswortlaut gibt für eine solche Einschränkung keinen Anhaltspunkt. Insoweit ist nicht das Begriffspaar „Regel/Ausnahme“ maßgeblich, sondern vielmehr die gesetzgeberische Differenzierung, dass die Erstattungsfähigkeit nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen ist (BVerwG, B.v. 21.12.2011 – 1 WB 51/11 – juris Rn. 19 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 15.9.2005 – 6 B 39.05 – Buchholz 448.0 § 17 WPflG Nr. 12 und B.v. 1.6.2010 – 6 B 77.09 – juris Rn. 6).
Für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt der Bevollmächtigung abzustellen (BVerwG, B.v. 21.8.2018 – 2 A 6/15 – juris Rn. 5).
Dem entsprechend konnte es von dem Kläger zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung nicht erwartet werden, das Vorverfahren selbst zu führen.
Aufgrund der Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger in Hinblick auf die Höhe des Rückforderungsbetrages von 8.032,35 EUR und wegen der Schwierigkeit der Rechtsmaterie, die sich für das Gericht aus der Kombination von Auflagen nach Art. 75 Abs. 2 BayBesG und der Verweisung des Art. 15 Abs. 2 BayBesG auf die Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung ergibt, war es dem Kläger nicht zuzumuten, das Vorverfahren selbst zu führen.
Eine Änderung dieser Bewertung ist auch nicht unter Berücksichtigung, dass der Kläger seit 1. Oktober 2015 eine Ausbildung für die Dritte Qualifikationsebene der Fachlaufbahn Verwaltung und Finanzen mit dem fachlichen Schwerpunkt Steuer absolviert hat, veranlasst, denn aufgrund des erst einige Monate andauernden Fachhochschulstudiums konnten vertiefte Kenntnisse des Beamtenrechts beim Kläger nicht vorausgesetzt werden. Ansonsten würde die Annahme, dass ein Beamter aufgrund seiner rechtlichen Kenntnisse grundsätzlich in der Lage sein müsse, ein Vorverfahren selbst zu führen, zur Folge haben, dass bei einem Rechtsstreit eines Beamten über bzw. anlässlich seines Beamtenverhältnisses grundsätzlich nie die Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 3 BayVwVfG bzw. § 162 Abs. 3 Satz 2 VwGO vorliegen könnten. Diese Annahme steht jedoch schon nicht in Einklang mit der Rechtsprechung, dass z.B. bei der Anfechtung einer Regelbeurteilung die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren in der Regel nicht unvernünftig ist (BVerwG, U.v. 28.4.2009 – 2 A 8/08 – juris Rn. 21).
Gleiches gilt hinsichtlich der rechtlichen Kenntnisse aus dem Studium der Rechtswissenschaften, bei dem Beamtenrecht weitgehend nicht zum Ausbildungsinhalt gehört, da ansonsten in Fällen, in denen z.B. ein Rechtsanwalt als Kläger auftritt, die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten grundsätzlich ausgeschlossen wäre (vgl. hierzu Kunze in: BeckOK VwVfG, § 80 Rn. 99b).
Letztlich musste sich dem Kläger auch nicht aufdrängen, dass für eine für ihn positive Entscheidung im Widerspruchsverfahren alleine eine nochmalige Darstellung oder Vertiefung des Sachverhaltes oder die Vorlage von Unterlagen ausreichen könnte. Denn dann wäre die Zuziehung eines Bevollmächtigten gerade nicht notwendig gewesen (Neumann/Schaks in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 162 Rn. 103).
Der Kläger hat im Rahmen der Anhörung mit Schreiben vom 14. November 2019 u.a. vorgetragen, dass er sich intensiv auf die Prüfungen vorbereitet habe und den Wunsch gehabt habe, die Prüfungen zu bestehen, wegen seines Scheiterns im dem Fachhochschulstudium vorausgehenden Studium der Rechtswissenschaften und wegen der Angst, erneut zu scheitern, aber während der Zwischenprüfung und der Wiederholungsprüfung blockiert gewesen sei.
Der Beklagte setzte sich mit diesen Einlassungen im Rückforderungsbescheid vom 12. Dezember 2019 auch ausdrücklich auseinander, sodass der Kläger davon ausgehen musste, dass der Beklagte die von ihm vorgetragenen Gründe nicht ausreichen lassen würde, um von einer Rückforderung abzusehen. Dabei war für den Kläger auch nicht ersichtlich, dass der Beklagte bei der Entscheidung eine Bewertung der Dienststelle, der der Kläger zur Ausbildung zugewiesen war, noch nicht berücksichtigt hat und eine Beteiligung der Dienststelle erst nach Einlegung des Widerspruches vorgenommen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe, die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor (§ 124, § 124a VwGO).


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben