Arbeitsrecht

Sozialgerichtliches Verfahren – Rechtsanwaltsvergütung – beigeordneter Rechtsanwalt – Terminsgebühr – Gebührenanfall bei Erlass eines Gerichtsbescheids

Aktenzeichen  L 4 AS 527/21 B

Datum:
7.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt 4. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LSGST:2022:0307.L4AS527.21B.00
Normen:
Nr 3106 S 1 Nr 2 RVG-VV
§ 2 Abs 2 S 1 RVG
§ 3 Abs 1 S 1 RVG
§ 45 Abs 1 RVG
§ 105 Abs 1 SGG
… mehr
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Nach Nr 3106 Nr 2 VV RVG (juris: RVG-VV) entsteht die Terminsgebühr nur, wenn der Gerichtsbescheid nicht mit dem Rechtsmittel der Berufung angegriffen werden kann (Streitwert unter 750 €) und die Beantragung einer mündlichen Verhandlung statthafter Rechtsbehelf ist. (Rn.21)

Verfahrensgang

vorgehend SG Dessau-Roßlau, 1. September 2021, S 34 SF 198/19 E, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Streitgegenständlich ist das Rechtsanwaltshonorar nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdeführer für ein Klageverfahren nach Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Landeskasse als Beschwerdegegner zusteht.
In dem seit dem 26. Februar 2015 beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) anhängigen und mittlerweile erledigten Klageverfahren S 22 AS 381/15 vertrat der Beschwerdeführer eine Klägerin im Streit um Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Gewährung von Leistungen für Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten nach § 24 Abs. 3 SGB II, welche das beklagte Jobcenter abgelehnt hatte.
Der Beschwerdeführer begründete die Klage bei Erhebung und fertigte nach Einsichtnahme in die Verwaltungsakte weitere Stellungsnahmen vom 24. August 2015, 29. Oktober 2015, 1. März 2016 und 1. November 2016.
Mit Beschluss vom 6. März 2017 bewilligte das SG PKH und ordnete den Beschwerdeführer bei.
Die für den 7. Dezember 2018 und 15. Februar 2019 geladenen Erörterungstermine wurden jeweils wegen Verhinderung des Beschwerdeführers aufgehoben. Auf einen richterlichen Hinweis fertigte der Beschwerdeführer eine weitere Stellungnahme vom 4. April 2019. Mit Schreiben vom 8. Mai 2019 wies das SG darauf hin, dass es eine Entscheidung des Rechtsstreits durch Gerichtsbescheid in Betracht ziehe und dies bedeute, dass keine mündliche Verhandlung stattfinde. Mit Gerichtsbescheid vom 16. Juli 2019 wies das SG die Klage ab. Die Berufung sei zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstands (Anschaffungswert der benötigten Möbel und Elektrogeräte) 750 € übersteige.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 26. August 2019 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung seiner Vergütung aus der PKH wie folgt:
Anrechnung Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 (4) VV RVG
– 150,00 €
Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG
280,00 €
Post- und Telekom.Pauschale Nr. 7002 VV RVG
20,00 €
Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG
19,00 €
Anrechnung Beratungshilfe § 58 RVG
– 42,50 €
Zwischensumme
426,50 €
Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG
81,04 €
Kostenforderung
507,54 €
Mit PKH-Festsetzungsbeschluss vom 13. September 2019 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des SG (UdG) die PKH-Vergütung auf 174,34 € fest und wies diesen Betrag an den Beschwerdeführer an. Eine fiktive Terminsgebühr entstehe bei Entscheidungen durch Gerichtsbescheid nur in den Fällen, in denen mündliche Verhandlung beantragt werden könne. Die Vergütung berechne sich wie folgt:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG
300,00 €
 Anrechnung Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 (4) VV RVG
– 150,00 €
 Anrechnung Beratungshilfe § 58 RVG
– 42,50 €
 Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG
19,00 €
 Post- und Telekom.Pauschale Nr. 7002 VV RVG
20,00 €
 Zwischensumme
146,50 €
 Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG
27,84 €
 Kostenforderung
174,34 €
Am 29. November 2019 hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt. Die Terminsgebühr sei zu Unrecht nicht berücksichtigt worden. Maßgeblich sei, dass die Klägerin jederzeit eine mündliche Verhandlung habe beantragen können. Ein solcher Antrag sei nur im Falle eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Mit Beschluss vom 1. September 2021 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die allein streitige fiktive Terminsgebühr sei nicht anzusetzen. Eine solche entstehe nach Nr. 3106 Ziff. 2 des Vergütungsverzeichnisses (VV) der Anlage 1 des RVG, wenn nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entschieden werde und eine mündliche Verhandlung beantragt werden könne. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift sei erforderlich, dass bei dem Gericht erster Instanz die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt werden könne. Nur in diesem Fall solle ein Unterlassen der Beantragung einer mündlichen Verhandlung honoriert werden. Eine mündliche Verhandlung habe hier nicht beantragt werden können, da der Streitgegenstand über 750 € gelegen habe und damit die Berufung gegen den Gerichtsbescheid zulässig gewesen sei. Auch im Rahmen der richterlichen Anhörung vom 8. Mai 2019 habe die Klägerin keine mündliche Verhandlung erzwingen können, da der Erlass des Gerichtsbescheids nicht von deren Zustimmung abhängig gewesen sei.
Gegen den ihm am 6. September 2021 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 20. September 2021 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, der Anspruch auf die Terminsgebühr entstehe nur für denjenigen Rechtsanwalt, der zulässigerweise eine mündliche Verhandlung habe beantragen können. Dieser solle seine Entscheidung auf den Verzicht der mündlichen Verhandlung nicht von finanziellen Anreizen abhängig machen, sondern allein nach verfahrensbezogenen Gesichtspunkten treffen. Nur infolge des Einverständnisses der Beteiligten habe das SG letztlich ohne mündliche Verhandlung entscheiden können.
Der Beschwerdegegner hat auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Beschluss und die Gesetzesbegründung zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRMoG) verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Gegen die Entscheidung des SG über die Erinnerung ist abweichend von § 178a SGG der weitere Rechtsbehelf der Beschwerde zum LSG eröffnet (§ 73a Abs. 1 SGG; § 1 Abs. 3 RVG) i.V.m. § 56 Abs. 2 RVG, § 33 Abs. 3 bis 8 RVG; vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3. März 2017, L 4 AS 141/16 B). Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nicht die Festsetzung einzelner Gebührentatbestände, sondern der gesamte Kostenfestsetzungsbeschluss des UdG vom 13. September 2019 in der Fassung des Beschlusses des SG vom 1. September 2021. Aufgrund des Rechtsbehelfs des Beschwerdeführers ist die gesamte Kostenfestsetzung noch nicht rechtskräftig.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200 € übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist zudem fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) eingelegt worden.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist jedoch unbegründet. Das SG hat die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen richtig festgesetzt. Die – hier allein streitige – Terminsgebühr ist nicht angefallen.
Grundlage des Erstattungsbegehrens des Beschwerdeführers ist § 45 Abs. 1 RVG. Danach sind dem im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalt die gesetzlichen Gebühren aus der Landeskasse zu erstatten. In den Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, entstehen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren. Gemäß § 2 Abs. 2 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem VV der Anlage 1.
Nach Nr. 3106 Ziff. 2 VV RVG in der seit dem 1. August 2013 geltenden und hier anzuwendenden Fassung entsteht eine Terminsgebühr dann, wenn nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Da hier der Gerichtsbescheid mit dem statthaften Rechtsmittel der Berufung hätte angefochten werden können, weil der Wert der Beschwer für die Klägerin 750 € überstieg, war die Beantragung einer mündlichen Verhandlung nach § 105 Abs. 2 Satz 2 des SGG nicht statthafter Rechtsbehelf (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 105 Rn. 16 1. Spiegelstrich; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. September 2015, L 8 AS 417/15 B KO, juris Rn. 15).
Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus Sinn und Zweck dieser Gebührenvorschrift. Der Gebührentatbestand spricht davon, dass “eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann”. Damit ist naheliegenderweise nur der Fall gemeint, dass der Gerichtsbescheid nicht mit dem Rechtsmittel der Berufung angefochten werden kann, weil der Wert der Beschwer 750 € nicht übersteigt. Würde man den Wortlaut der Gebührenvorschrift anders verstehen, würde es sich bei der Antragsmöglichkeit nicht um eine Tatbestandsvoraussetzung, sondern um eine überflüssige Beifügung handeln, da eine mündliche Verhandlung vor jedem Erlass eines Gerichtsbescheids ohne Weiteres beantragt werden “kann”, denn Anträge können vor Gericht bekanntlich immer gestellt werden, seien sie auch nur im Sinne einer Anregung zu verstehen oder gar rechtsmissbräuchlich (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. September 2016, L 15 SF 113/16 E, juris Rn. 25).
Der Gesetzgeber wollte durch die Neuregelung die Entstehung der Terminsgebühr, ohne dass ein Termin stattgefunden hat (sog. fiktive Terminsgebühr), auf Fälle beschränken, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann, weil nur in diesem Fall die beabsichtigte Steuerungswirkung notwendig sei (vgl. amtl. Begründung in BT-Drucksache 17/11471, Seiten 148 und 275 [zu Nr. 28 lit. a]). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers war der Erlass des Gerichtsbescheids nicht vom Einverständnis der Beteiligten abhängig. Diese sind gemäß § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG vor Erlass des Gerichtsbescheids lediglich anzuhören. Mithin konnte der Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung nicht erzwingen.
Die weiteren Gebühren- und Auslagentatbestände (Verfahrensgebühr, Auslagenpauschale und Umsatzsteuer auf die Vergütung) sind nicht streitig und der Höhe nach zutreffend festgesetzt.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar; eine Beschwerde zum BSG ist nicht gegeben (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).


Ähnliche Artikel

Mobbing: Rechte und Ansprüche von Opfern

Ob in der Arbeitswelt, auf Schulhöfen oder im Internet – Mobbing tritt an vielen Stellen auf. Die körperlichen und psychischen Folgen müssen Mobbing-Opfer jedoch nicht einfach so hinnehmen. Wir klären Rechte und Ansprüche.
Mehr lesen

Das Arbeitszeugnis

Arbeitszeugnisse dienen dem beruflichen Fortkommen des Arbeitnehmers und helfen oft den Bewerbern in die engere Auswahl des Bewerberkreises zu gelangen.
Mehr lesen


Nach oben