Arbeitsrecht

Statusrechtliche Beurteilung eines Facharztes für Anästhesie

Aktenzeichen  L 14 R 5089/16

Datum:
6.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 151101
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 7 Abs. 1, § 7a, § 121 Abs. 5
KHEntgG § 2 Abs. 1

 

Leitsatz

Statusrechtliche Beurteilung einer als “Honorarärztin” tätigen, nicht niedergelassenen, Fachärztin im Krankenhaus.
1 Ob eine Honorararzttätigkeit abhängig oder selbstständig ausgeübt wird, beurteilt sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine selbständige Tätigkeit als Anästhesist liegt dann nicht vor, wenn die Tätigkeit in den Räumen des Auftraggebers unter Nutzung von dessen Betriebsmitteln ausgeübt und zudem auch nur die Patienten des Auftraggebers behandelt werden unter Einbindung in die organisatorischen Strukturen des Krankenhauses. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Tätigkeit einer Anästhesistin im Operationssaal einer Klinik ist regelmäßig geprägt durch Einbindung in arbeitsteilige Abläufe in einem Team. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 2 R 954/14 2016-05-13 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.05.2016 aufgehoben und die Klagen gegen die Bescheide vom 13.03.2014 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.08.2014 werden abgewiesen.
II. Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Beigeladene zu 1) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 13.06.2016 war daher aufzuheben und die Klagen gegen die Bescheide der Beklagten vom 13.03.2014 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.08.2014 abzuweisen.
Der Senat ist auf Grund der hier vorzunehmenden Gesamtabwägung vom Vorliegen einer Beschäftigung der Beigeladenen zu 1 beim Kläger überzeugt, insbesondere lag eine Eingliederung der Beigeladenen zu 1 in die Arbeitsorganisation des Klägers sowie ein Weisungsrecht des Klägers vor.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV).
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 KR 17/11 R -, juris; mwN).
Die jeweilige Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. selbstständigen Tätigkeit setzt dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegen-einander abgewogen werden (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 KR 17/11 R -, juris; mwN).
Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist da-her zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder es sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Ein im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 4; SozR 3-4100 § 168 Nr. 18). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSGE 45, 199, 200 ff; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13; BSGE 87, 53, 56). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (vergleiche hierzu insgesamt BSG, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7 Rdnr. 17, 25.01.2006, B 12 KR 30/04 R; 28.05.2008, B 12 KR 13/07 R).
Die vorstehend angesprochenen allgemeinen Grundsätze gelten uneingeschränkt auch für die Beurteilung einer ärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus. Dabei kommt es auf die Umstände des konkreten Einzelfalles an, ob eine Honorararzttätigkeit als abhängig oder selbstständig beurteilt wird.
Nach den hier zu berücksichtigenden Umständen war die Beigeladene zu 1 eindeutig als abhängig Beschäftigte tätig. Sie wurde ausschließlich in den Räumen der Klinik, insbesondere in den dortigen Operationssälen, tätig und nutzte die dortigen Betriebsmittel des Klägers für ihre Arbeit. In den Operationsbetrieb der beiden Kliniken des Klägers war sie voll eingegliedert. Die Tätigkeit einer Anästhesistin im Operationssaal einer Klinik ist regelmäßig geprägt durch Einbindung in arbeitsteilige Abläufe in einem Team, so auch im vorliegenden Fall. Der Einsatz der Beigeladenen zu 1 hatte nach den vertraglichen Vereinbarungen grundsätzlich in Abstimmung mit dem zuständigen Chefarzt zu erfolgen. Sie war im Dienstplan der Kliniken des Klägers eingetragen und nach außen nicht als externer Mitarbeiterin erkennbar. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Beigeladene zu 1 keine eigenen Patienten behandelte, sondern ausschließlich solche des Klägers. Selbstverständlich hatte sie sich auch an die organisatorischen Regelungen der Kliniken des Klägers zu halten und war auch verpflichtet, die bei der Untersuchung oder Behandlung erhobenen Befunde und Protokolle, die Dokumentation der Aufklärung sowie Röntgenaufnahmen oder ähnliche Unterlagen und Aufzeichnungen, dem zuständigen leitenden Abteilungsarzt zur Verfügung zu stellen (§ 3 des Vertrages), was ebenfalls seine Eingliederung in die Arbeitsorganisation der klägerischen Kliniken deutlich macht. Gleiches gilt für den Umstand, dass sie als Vertreter eines beim Kläger angestellten Arztes eingesetzt wurde. Entsprechend verrichtete sie die gleichen Arbeiten wie fest angestellte Anästhesisten des Klägers. Sie musste sich insoweit auch an die von der Klinik vorgegebenen Arbeitszeiten (Beginn stets um 7.30 Uhr) halten.
Soweit angegeben wurde, dass die Beigeladene zu 1 im Krankenhaus ihre eigene Berufskleidung getragen habe, ist dies wohl nur bei einer Tätigkeit auf der Station möglich gewesen. Denn aufgrund von Hygienevorschriften ist das Tragen eigener Kleidung im Operationssaal untersagt. Die Tätigkeit auf der Station war im vorliegenden Fall aber nur eine untergeordnete, da die Beigeladene zu 1 überwiegend als Anästhesistin im Operationssaal eingesetzt war. Die Beigeladene zu 1 hat auch Bereitschaftsdienste übernommen. Dazu ist festzustellen, dass sich der Kläger nach dem Honorarvertrag verpflichtet hatte, hierfür kostenfrei ein Dienstzimmer zur Verfügung zu stellen. Die kostenlose Bereitstellung des Dienstzimmers ist auch bei abhängig beschäftigten Ärzten üblich. Insofern unterschied sich die Beigeladene zu 1 auch bei der Ableistung des Bereitschaftsdienstes nicht von den angestellten Ärzten des Klägers.
Die Beigeladene zu 1 war zwar in fachlicher Hinsicht grundsätzlich eigenverantwortlich und weisungsfrei tätig. Gleichwohl hatte sie nach den vertraglichen Vereinbarungen (§ 3 des Vertrages) sich an Anweisungen und Vorgaben der Chefärzte zu halten, was eine trotz großer fachlicher Freiheiten bestehende Weisungsgebundenheit zum Ausdruck bringt, die ein erhebliches Indiz für eine abhängige Beschäftigung darstellt.
Die Tätigkeit durfte nach § 2 des Vertrags von der Beigeladenen zu 1 nur höchstpersönlich erbracht werden, was ebenfalls kennzeichnend für eine abhängige Beschäftigung ist. Wie ein Arbeitnehmer hatte die Beigeladene zu 1 auch dann nicht für Ersatz zu sorgen, wenn sie kurzfristig ausfiel.
Ein nennenswertes Unternehmerrisiko der Beigeladenen zu 1 ist nicht erkennbar. Ihre Vergütung erfolgte auf Basis des vorab vereinbarten Stundensatzes, wie dies auch für Beschäftigte typisch ist. Es war keine Vertragsstrafe für Schlechtleistung vereinbart bzw. es erfolgte kein Abzug vom vereinbarten Stundensatz. Damit hing die Vergütung der Beigeladenen zu 1 grundsätzlich nicht vom Ergebnis ihrer Tätigkeit ab, sondern nur von ihrem zeitlichen Einsatz.
Die Haftpflichtversicherung des Krankenhauses deckte auch die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 ab. Soweit vorgetragen worden ist, dass die Beigeladene zu 1 durchaus bei Behandlungsfehlern persönlich hätte in Anspruch genommen werden können, ist dem entgegenzuhalten, dass auch beschäftigte Ärzte dieses Risiko zu tragen haben.
Nur wenige Umstände sprechen hier für eine selbstständige Tätigkeit. Zu erwähnen ist insbesondere die Möglichkeit, angebotene Dienste abzulehnen. Zudem haben die Vertragsparteien in § 2 des Vertrages klar zum Ausdruck gebracht, dass sie ein Beschäftigungsverhältnis gerade nicht vereinbaren wollten. Dies kann gleichwohl im Rahmen der Gesamtwürdigung nicht den Ausschlag geben, weil für den Senat aufgrund der umfassenden betrieblichen Eingliederung der Beigeladenen zu 1 insgesamt sehr deutlich die Merkmale überwiegen, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen.
Der Senat merkt an, dass ein Honorararzteinsatz im Krankenhaus wegen der stets dort gegebenen notwendigen betrieblichen Eingliederung – von Ausnahmekonstellationen ab-gesehen – rechtlich kaum möglich sein dürfte.
Insoweit führt auch der Hinweis auf § 2 Abs. 1 Satz 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntG) nicht weiter. Nach dieser Vorschrift sind Krankenhausleistungen insbesondere ärztliche Behandlungen, auch durch nicht fest angestellte Ärztinnen und Ärzte (…), wobei hierzu nicht die Leistungen der Belegärzte gehören (Satz 2). Die Erwähnung von nicht fest angestellten Ärzten in dieser Vorschrift lässt allerdings keinen generellen Rückschluss auf deren sozialversicherungsrechtlichen Status zu. Denn der im Krankenhaus nicht fest angestellte Arzt muss nicht notwendigerweise selbständig tätig sein. Denkbar ist ein Einsatz als unständig beschäftigter Arzt oder als überlassener Arbeitnehmer.
Auch aus § 121 Abs. 5 SGB V ergibt sich nichts anderes. Soweit dort den Krankenhäusern die Möglichkeit eröffnet wird, abweichend von den Vergütungsregelungen in den Absätzen 2 bis 4 mit Belegärzten Honorarverträge abzuschließen, trifft dies auf den vorliegenden Fall nicht zu, weil die Beigeladene zu 1 kein Belegarzt im Sinne des § 121 Abs. 2 SGB V war.
Nach § 121 Abs. 2 SGB V sind Belegärzte nicht am Krankenhaus angestellte Vertragsärzte, die die berechtigt sind, ihre Patienten (Belegpatienten) im Krankenhaus unter Inanspruchnahme der hierfür bereitgestellten Dienste, Einrichtungen und Mittel vollstationär oder teilstationär zu behandeln, ohne hierfür vom Krankenhaus eine Vergütung zu erhalten. Die belegärztliche Tätigkeit stellt sich kraft gesetzlicher und untergesetzlicher Prägung als Fortsetzung der (selbständigen) ambulanten vertragsärztlichen Tätigkeit dar. Das Schwergewicht der Gesamttätigkeit des Arztes verbleibt im ambulanten Sektor (vgl. BSG vom 31.01.2001, Az. B 6 KA 23/99 R = SozR 3-2500 § 121 Nr. 3). Hier war die Beigeladene zu 1 weder Vertragsärztin noch behandelte sie im Krankenhaus eigene Belegpatienten, weshalb ein Honorarvertrag im Sinne von § 121 Abs. 5 nicht vorlag.
Der Begriff des Honorararztes ist im Übrigen nicht gesetzlich definiert. Der Bundesverband der Honorarärzte e.V. definiert diesen Begriff folgendermaßen: „Honorarärztinnen und Honorarärzte sind Fachärztinnen und Fachärzte, die in medizinischen Einrichtungen (zeitlich befristet) freiberuflich auf Honorarbasis tätig sind“. Für die Frage, ob es sich bei einer honorarärztlichen Tätigkeit um eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit handelt, kann jedoch nicht diese selbstgegebene Definition maßgeblich sein. Vielmehr kommt es auch bei Honorarärzten auf die üblichen Kriterien an, insbesondere auf den Grad der Eingliederung in die Gesamtorganisation und Arbeitsabläufe des Krankenhauses. Werden sie zur Vertretung von Chefärzten, Oberärzten oder Assistenzärzten eingesetzt, besteht in aller Regel ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis, da sie im Krankenhausalltag die Vertretung der abhängig beschäftigten Ärzte und damit deren Aufgaben, insbesondere auch Personalverantwortung gegenüber dem Pflegepersonal und als Chefärzte oder Oberärzte gegenüber anderen Ärzten übernehmen (vgl. Segebrecht in: Schle-gel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 7 Abs. 1 SGB IV).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz die 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 197a SGG i. V. m. §§ 52, 53 Abs. 3 Nr. 4 GKG und berücksichtigt, dass im vorliegenden Verfahren zwei Klagen verbunden worden sind.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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