Arbeitsrecht

Streitigkeit um Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  Au 6 K 19.1615

Datum:
15.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 57428
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 4 Abs. 5, § 5 Abs. 1 Nrn. 1 u. 2
VwGO § 113 Abs. 5

 

Leitsatz

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist. Dies ist der Fall, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Unerheblich ist, ob „schädliche“ öffentliche Mittel, zu denen insbesondere die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gehören, tatsächlich in Anspruch genommen werden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 113 Abs. 5 VwGO). Er kann auch keinen Anspruch auf erneute Entscheidung über seinen Antrag geltend machen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis.
1. Nach § 8 Abs. 1 AufenthG finden auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis dieselben Vorschriften Anwendung wie auf die Erteilung. Vorliegend sind bereits die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt.
a) Der Lebensunterhalt des Klägers ist nicht gesichert und ein atypischer Sachverhalt, auf den der Regelversagungsgrund nicht anzuwenden wäre, liegt nicht vor.
(1) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Nach § 2 Abs. 3 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Unerheblich ist, ob „schädliche“ öffentliche Mittel, zu denen insbesondere die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gehören, tatsächlich in Anspruch genommen werden. Nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an, da dann auch eine Inanspruchnahme dieser Mittel zu erwarten oder jedenfalls nicht auszuschließen ist (BVerwG, U.v. 26.8.2008 – 1 C 32.07 – juris Rn. 21). Das in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck kommende grundlegende staatliche Interesse an der Vermeidung neuer Belastungen für die öffentlichen Haushalte (BTDrucks 15/420 S. 70) verlangt zudem die nachhaltige Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Von einer Sicherung des Lebensunterhalts kann nur ausgegangen werden, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen, was nicht allein durch eine punktuelle Betrachtung des jeweils aktuellen Beschäftigungsverhältnisses beurteilt werden kann. Es muss unter Berücksichtigung der Berufschancen und der bisherigen Erwerbsbiografie eine gewisse Verlässlichkeit des Mittelzuflusses gewährleistet sein, die unter dem Gesichtspunkt der Dauerhaftigkeit eine positive Prognose zulässt (BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 10 ZB 16.1850 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt: Der Kläger hat zwar einen Mittelschulabschluss und auch eine Ausbildung als Fachlagerist abgeschlossen. Er ist aber ausweislich des Rentenversicherungsverlaufs (Bl. 688 der Behördenakte) bisher lediglich kurzzeitigen Beschäftigungen nachgegangen und hat überwiegend Leistungen nach dem SGB II bezogen. Er hat auf dem Arbeitsmarkt bisher nie langfristig Fuß fassen können. Zuletzt war er vom 28. Juni 2017 bis zum 21. August 2017 beschäftigt, seitdem ist er erneut arbeitslos. Er hat auch in der mündlichen Verhandlung angegeben, aktuell keiner Beschäftigung nachzugehen (Protokoll vom 15.1.2020, S. 2). Nach Überzeugung des Gerichts wird der Kläger deshalb in Zukunft dauerhaft auf den Bezug von öffentlichen Mitteln angewiesen sein, zumal seine Erwerbsaussichten wegen seiner Drogenabhängigkeit gering sind.
(2) Ein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis steht dem Kläger schließlich auch nicht deshalb zu, weil sein Fall atypische Umstände aufweist, die ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gebieten würden.
Eine solche Ausnahme – deren Vorliegen der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt – ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 3.08 – juris Rn. 10 ff., 13; U.v. 26.4.2008 – 1 C 32.07 – juris Rn. 27) dann anzunehmen, wenn besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder wenn die Erteilung des Aufenthaltstitels aufgrund von Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK; zur notwendigen Beachtung der Gewährleistungen der EMRK bei der Auslegung und Anwendung ausländerrechtlicher Vorschriften vgl. auch BVerfG, B.v. 105. 2007 – 2 BvR 304/07 – juris Rn. 37) geboten ist.
Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Das Gericht nimmt in vollem Umfang Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheids und sieht insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO). Lediglich ergänzend wird ausgeführt, dass ein zugunsten des Klägers in Betracht kommendes Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG und auf Achtung seines Privatlebens aus Art. 8 EMRK es für sich genommen ebenfalls nicht gebietet, vom Erfordernis der Lebensunterhaltssicherung abzusehen. Der Kläger ist zwar in Deutschland geboren und hier aufgewachsen. Der Kläger hat es während seines langjährigen Aufenthalts aber weder geschafft, sich nachhaltig wirtschaftlich zu integrieren, noch sind derzeit irgendwelche tiefergehenden persönlichen oder sonstigen Bindungen ans Bundesgebiet dargelegt worden oder sonst ersichtlich. Der Kläger ist auch nicht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei zum Daueraufenthalt berechtigt. Hierzu wird auf die späteren Ausführungen verwiesen.
b) Darüber hinaus verwirklicht der Kläger ein Ausweisungsinteresse nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG.
(1) Das Ausweisungsinteresse wiegt nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG schwer, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Ein Rechtsverstoß ist demnach immer dann beachtlich, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat stellt nach der Rechtsprechung grundsätzlich keinen geringfügigen Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift dar (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2017 – 10 C 17.1434 – juris Rn. 6; B.v. 5.7.2016 – 10 ZB 14.1402 – juris Rn. 14 m.w.N.; BVerwG, B.v. 18.11.2004 – 1 C 23.03 – juris Rn. 19 ff.; U.v. 24.9.1996 – 1 C 9.94 – -1.Lszu § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG a.F.).
Die letzten abgeurteilten Straftaten des Klägers sind alle vorsätzlich begangen worden und stellen demnach keine nur geringfügigen Verstöße gegen Rechtsvorschriften i.S.d. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG dar. Des Weiteren zeigt die Häufigkeit der Verstöße, dass diese nicht vereinzelt, sondern vielmehr in gewisser Regelmäßigkeit begangen wurden: Durch Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 4. Mai 2017 (Az.: …) wurde der Kläger wegen Erschleichens von Leistungen in vier tatmehrheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts … vom 23. Mai 2018 (Az. …) wurde der Kläger wegen vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt. Mit weiterem Strafbefehl des Amtsgerichts … (Az. …) vom 30. Mai 2018 wurde der Kläger wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts … (Az. …) vom 3. April 2019 wurde der Kläger erneut wegen Erschleichens von Leistungen zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt.
(2) Ein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis steht dem Kläger schließlich auch nicht deshalb zu, weil sein Fall atypische Umstände aufweist, die ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gebieten würden. Ein solcher Ausnahmefall ist nicht gegeben (vgl. oben). Der Kläger ist auch nicht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei zum Daueraufenthalt berechtigt. Hierzu wird auf die späteren Ausführungen verwiesen.
2. Dem Kläger steht auch kein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei zu.
a) Der Kläger war ursprünglich gemäß Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4) – ARB 1/80 – zum Daueraufenthalt berechtigt. Der Kläger war Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, der die Genehmigung erhalten hatte, zu ihm zu ziehen, weil er bei diesem seit mindestens drei Jahren seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz hatte.
b) Dieses Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 ist aber erloschen.
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union können die Aufenthaltsrechte nach Art. 7 ARB 1/80 nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden: Entweder stellt die Anwesenheit des türkischen Staatsangehörigen wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 dar oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 6/08 – juris Rn. 24).
Hier ist die erste Variante gegeben:
Nach Überzeugung der Kammer ist das Daueraufenthaltsrecht des Klägers mit dessen bestandskräftigen Ausweisung aus dem Bundesgebiet vom 21. Januar 2008 rückwirkend zum Zeitpunkt der Zustellung des Bescheids erloschen. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ergibt sich aus dem Wortlaut des im Klageverfahren (Au 6 K 08.218) gegen die Ausweisung geschlossenen Vergleichs vom 8. Juli 2009 (Bl. 514 der Behördenakte) sowie aus der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 18. August 2015 bis zum 17. August 2018 (Bl. 600, 605 der Behördenakte) sowie einer etwaigen Selbstbindung der Verwaltung nichts anderes:
Wäre das Verwaltungsgericht 2009 davon ausgegangen, dass das Daueraufenthaltsrecht des Klägers nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht erloschen ist – wie der Klägerbevollmächtigte meint – dann hätte das Verwaltungsgericht den Beteiligten keine Bewährungsduldung vorschlagen dürfen, sondern hätte dem Kläger vielmehr sein Daueraufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei bescheinigen lassen müssen (§ 4 Abs. 5 AufenthG), da der Kläger aufenthaltsberechtigt und nicht ausreisepflichtig gewesen wäre.
Auch der Wortlaut der Ziffer IV des Vergleichs spricht davon, dass dem Kläger eine Bescheinigung nach § 4 Abs. 5 AufenthG oder eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, sofern deren Voraussetzungen gegeben sind. D.h. dem Kläger soll auch nach dem Wortlaut des Vergleichs nicht automatisch eine Bescheinigung über das Bestehen eines Daueraufenthaltsrechts nach dem Assoziationsabkommen erteilt werden, sondern nur dann, wenn dessen Voraussetzungen auch materiell und erst nach Ablauf der Duldungszeit erfüllt sind.
Selbst wenn dem Kläger im August 2015 eine Bescheinigung nach § 4 Abs. 5 AufenthG ausgestellt worden ist, kann der Kläger hieraus für sich keinen Vertrauensschutz ableiten und dies führt auch zu keiner Selbstbindung der Verwaltung. Die Bescheinigung nach § 4 Abs. 5 AufenthG a.F. wirkt lediglich deklaratorisch und nicht konstitutiv: Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 AufenthG a.F. hat ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Daueraufenthaltsrecht zusteht, das Bestehen dieses Aufenthaltsrechts durch eine Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum DaueraufenthaltEG besitzt. Nach Satz 2 der Vorschrift wird die Aufenthaltserlaubnis als deklaratorischer Aufenthaltstitel zum Nachweis des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts auf Antrag ausgestellt (vgl. BVerwG, U.v. 22.5. 2012 – 1 C 6/11 – juris, Rn. 27). D.h. zum Zeitpunkt der Bescheinigung hätte materiell ein Daueraufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei bestehen müssen. Die materiellen Voraussetzungen haben zum Zeitpunkt der Ausstellung aber nicht bestanden, weil der Kläger zum August 2015 kein Daueraufenthaltsrecht erworben hatte (siehe hierzu sogleich).
c) Der Kläger hat ein Daueraufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei auch nach dessen Verlust (vgl. oben) nicht neu erworben.
(1) Der Kläger hat kein Daueraufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworben.
Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 begünstigt türkische Arbeitnehmer und gewährt ihnen nach Erreichen einer Anwartschaftsfrist ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht. Die in den drei Varianten aufgestellten Anforderungen müssen nacheinander erfüllt sein. Der Kläger erfüllt bereits die Voraussetzungen der ersten Stufe des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 nicht.
Nach Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt. Der EuGH verlangt bei demselben Arbeitgeber eine ununterbrochene Beschäftigungsdauer von einem Jahr (vgl. EuGH, U.v. 29.5.1997 – Eker, C -386/95, juris Rn. 22). Weitere Voraussetzung ist, dass die „Beschäftigung ordnungsgemäß“ ist. Die Beschäftigung muss im Einklang mit den geltenden inländischen aufenthaltsund arbeitsgenehmigungsrechtlichen Vorschriften ausgeübt worden sein (vgl. Huber AufenthG, 2. Auflage, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 17). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt:
Der Kläger absolvierte zwar vom 14. September 2009 bis zum 30. Juni 2011 eine Ausbildung und war daher über ein Jahr beim selben Arbeitgeber beschäftigt. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger aber lediglich geduldet. Türkische Arbeitnehmer, deren Abschiebung zeitweise ausgesetzt wird, fallen aber nicht unter den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Mit der Duldung wird grundsätzlich lediglich ein vorübergehender Verbleib im Bundesgebiet ermöglicht bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Abschiebungshindernisse entfallen. Die Ausreisepflicht bleibt aber grundsätzlich bestehen (§ 50 Abs. 1 AufenthG). Auch eine erlaubte Arbeitsaufnahme während dieser Zeit stellt demnach keine ordnungsgemäße Beschäftigung i.S.d. Assoziationsratsbeschlusses dar (vgl. Huber AufenthG, 2. Auflage, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 30).
Zwar war der Kläger seit 18. August 2015 bis zum 17. August 2018 wieder im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. In dieser Zeit hat er aber die in Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 geforderte Anwartschaftsfrist nicht erreicht. Zeiten lediglich kurzfristiger Beschäftigungen bei unterschiedlichen Zeitarbeitsfirmen wechselten sich mit dem Bezug von Arbeitslosengeld I ab. Der Kläger war nie länger als wenige Monate beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt, so dass er bereits die erste Stufe des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 nicht erreichen konnte.
Für die Zeit nach dem 17. August 2018 fehlt es dem Kläger erneut an einer ordnungsgemäßen Beschäftigung. Vorliegend ist der Beklagte von einer Fiktionswirkung des Aufenthaltstitels ausgegangen. Der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde mit streitgegenständlichem Bescheid aber abgelehnt. Im Falle der Ablehnung des Antrags gelten jene Beschäftigungen, die während des Verwaltungsverfahrens ausgeübt worden sind, nicht als ordnungsgemäß i.S.d. Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 (vgl. Huber AufenthG, 2. Auflage, Art. 6 ARB 1/80 Rn. 31). Längerfristige Beschäftigungen beim selben Arbeitgeber sind darüber hinaus auch in diesem Zeitraum nicht gegeben.
(2) Der Kläger hat auch kein Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 er worben. Voraussetzung ist, dass der Kläger Familienangehöriger gewesen ist.
Weder Art. 7 ARB 1/80 noch sonstige Vorschriften des ARB 1/80 definieren näher, wer Familienangehöriger iS dieser Vorschrift ist, insbesondere, ob volljährige Kinder anspruchsberechtigt sind. Der ARB 1/80 ist in starkem Maße den zum Zeitpunkt seines Erlasses geltenden einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen nachgebildet. Es ist konsequent, die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, die sich mit dem Status von Familienangehörigen befassen, als Auslegungshilfe heranzuziehen. Freizügigkeitsberechtigt waren gemäß des Art. 10 Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 bzw. sind gemäß Art. 2 Nr. 2 der RL 2004/38 EG der Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind (vgl. Huber AufenthG, 2. Auflage, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 4).
Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben war der Kläger mit Vollendung seines 21. Lebensjahres am 21. Oktober 2008 kein Familienangehöriger seines assoziationsberechtigten Vaters mehr im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80.
(3) Dem Kläger steht auch kein Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu.
Nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 können sich Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben, sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt war. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt:
Anders als Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 gilt Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zwar auch für volljährige Kinder (Hailbronner, Ausländerrecht, 104. Aktualisierung November 2017, D.5.2, Art. 7 ARB 1/80, Rn. 44; vgl. EuGH, U.v. 16.2.2006 – Torun, C-502/04, juris Rn. 27). Der Kläger hat vom 14. September 2009 bis zum 30. Juni 2011 auch eine Ausbildung absolviert und diese abgeschlossen. Der Vater des Klägers war seit drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigt.
Der Kläger war aber zum Zeitpunkt der Berufsausbildung nur geduldet und nicht erlaubt im Bundesgebiet. Nach Überzeugung der Kammer reicht eine Duldung nicht aus, um ein Daueraufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu erwerben, vielmehr ist ein rechtmäßiger Aufenthalt zu fordern. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Zwar ist dem Klägerbevollmächtigten zuzugestehen, dass der Wortlaut des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 dies nicht ausdrücklich fordert. Aus dem vom Klägerbevollmächtigten zitierten Urteil des EuGH in der Rechtssache „Akman“ (EuGH, U.v. 19.11.1998 – Akman, C -210/97, juris) ergibt sich nach Ansicht des Gerichts aber nichts anderes:
Das Urteil befasst sich mit der Frage, ob der als Arbeitnehmer beschäftigte Elternteil sich zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind seine Berufsausbildung abgeschlossen hat und ein Stellenangebot annehmen will, noch im Bundesgebiet aufhält oder gar noch im Beschäftigungsverhältnis steht oder ob es ausreicht, dass der türkische Elternteil zu einem früheren Zeitpunkt mindestens drei Jahre lang ordnungsgemäß beschäftigt war. Dies hat der EuGH dahingehend beantwortet, dass der Elternteil in der Vergangenheit mindestens drei Jahre lang ordnungsgemäß in diesem Staat beschäftigt gewesen sein muss und zu dem Zeitpunkt, zu dem sein Kind im fraglichen Mitgliedstaat in das Arbeitsleben eintreten will, nicht mehr dort zu arbeiten oder zu wohnen braucht. Der Unterschied zum streitgegenständlichen Fall ist, dass der Kläger im Fall „Akman“ zum Zeitpunkt der Berufsausbildung im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen ist und nicht – wie der Kläger hier – lediglich geduldet war. Mit der Frage, ob eine Duldung ausreichend ist, musste sich der EuGH gar nicht beschäftigen.
Aus den Gründen dieses Urteils und weiterer Urteile des EuGH ergibt sich aber, dass auch der EuGH die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Kinder voraussetzt. In der Rechtssache „Akman“ heißt es, dass die Rechte, die Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 den Kindern eines Arbeitnehmers verleiht, nicht von der Dauer ihres Aufenthalts im betreffenden Mitgliedstaat abhängen und nicht verlangt wird, dass die Kinder die Genehmigung erhalten haben, zu ihren Eltern im Aufnahmestaat zu ziehen (vgl. EuGH, U.v. 19.11.1998 – Akman, C -210/97, juris Rn. 36 f. unter Verweis auf das Urteil Eroglu, Rn. 22). In der Rechtssache „Eroglu“ führt der EuGH aus, dass es nicht davon abhängt, aus welchem Grund den Kindern die Einreise- und Aufenthaltsgenehmigung ursprünglich erteilt wurde (vgl. EuGH, U.v. 5.10.1994 – Eroglu, C -355/93, juris Rn. 22) und geht somit davon aus, dass sie im Besitz eines Aufenthaltstitels gewesen sein müssen, der Aufenthalt somit rechtmäßig gewesen sein muss. Im Urteil „Akman“ verweist der EuGH auch auf Art. 9 ARB 1/80, der auszugsweise wie folgt lautet: „Türkische Kinder, die in einem Mitliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen (…)“ (vgl. EuGH, U.v. 19.11.1998 – Akman, C -210/97, juris Rn. 40). Weiter schließt sich der EuGH der Ansicht der Kommission an, die verlangt, dass das Kind rechtmäßig in diesem Staat wohnt (vgl. EuGH, U.v. 19.11.1998 – Akman, C -210/97, juris Rn. 45). Der EuGH führt weiter aus, dass Art. 7 ARB 1/80 vorsieht, dass türkische Staatsangehörige, die sich rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten, das Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung haben (vgl. EuGH, U.v. 19.11.1998 – Akman, C -210/97, juris Rn. 50).
In einer Gesamtschau fordert der EuGH demnach die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts zum Zeitpunkt der Berufsausbildung. Türkische Kinder, deren Abschiebung zeitweise ausgesetzt wird, fallen daher nicht unter den Anwendungsbereich des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80.
Hierfür spricht auch die Systematik des Assoziationsratsbeschlusses: Art. 6 ARB 1/80 verlangt eine ordnungsgemäße Beschäftigung. Die Beschäftigung muss also im Einklang mit den geltenden inländischen aufenthalts- und arbeitsgenehmigungsrechtlichen Vorschriften ausgeübt worden sein (vgl. hierzu oben). Im Rahmen des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 wird gefordert, dass die Familienangehörigen die Genehmigung erhalten haben, zu dem türkischen Arbeitnehmer zu ziehen, sie müssen also entweder ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Familienzusammenführung erhalten haben oder im Besitz eines sonstigen Aufenthaltstitels nach dem Aufenthaltsgesetz sein (vgl. Huber AufenthG, 2. Auflage, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 8). Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 regelt, dass sich Kinder türkischer Arbeitnehmer unabhängig von der Dauer ihres Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben können, also unabhängig von der Dauer ihres rechtmäßigen Aufenthalts. Zwar sind nach der Rechtsprechung des EuGH die in Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 aufgestellten Voraussetzungen strenger als die, die nach Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 nur zugunsten der Kinder eines türkischen Arbeitnehmers gelten, die im Aufnahmemitgliedstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen haben. Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 stellt gegenüber Satz 1 eine günstigere Bestimmung dar, die unter den Familienangehörigen der türkischen Arbeitnehmer die Kinder besonders behandeln wollte, indem sie ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt nach Abschluss einer Berufsausbildung zu erleichtern sucht, damit die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gemäß dem Zweck dieses Beschlusses schrittweise verwirklicht wird (vgl. EuGH, U.v. 19.11.1998 – Akman, C -210/97, juris Rn. 38 sowie EuGH, U.v. 16.2.2006 – Torun, C -502/04, juris Rn. 23). Daraus folgt, dass Satz 2 dieses Artikels nicht restriktiver ausgelegt werden kann als Satz 1 und dass die Rechte, die er den türkischen Staatsangehörigen verleiht, die den Tatbestand dieses Satzes 2 erfüllen, daher umso weniger unter anderen Voraussetzungen als denen, die im Rahmen des Satzes 1 des Artikels anwendbar sind, eingeschränkt werden können (vgl. EuGH, U.v. 16.2.2006 – Torun, C -502/04, juris Rn. 24). Es steht daher mit der Rechtsprechung des EuGH im Einklang, im Rahmen des Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 auch die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts zu verlangen, weil damit Satz 2 gerade nicht restriktiver sondern entsprechend ausgelegt wird wie der Satz 1 (wie hier im Ergebnis auch Hailbronner, Ausländerrecht, 104. Aktualisierung November 2017, D.5.2, Art. 7 ARB 1/80, Rn. 43; Gutmann in GK-AufenthG, Juni 2018, IX -1 Art. 7 ARB 1/80, Rn. 98).
3. Der Kläger hat auch sonst keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaub nis.
a) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 AufenthG passt tatbestandlich schon nicht, weil der Kläger aktuell keiner Beschäftigung nachgeht, keine anstrebt und im Übrigen die Regelerteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind.
b) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 37 AufenthG kommt hier nicht in Betracht, da die Anwendbarkeit des § 37 AufenthG bereits begrifflich (Wiederkehr) und nach dem eindeutigen Wortlaut im Tatbestand eine vorherige Ausreise des Ausländers voraussetzt. Die Wiederkehr setzt dabei voraus, dass die Ausreise freiwillig erfolgt ist. Der Kläger ist aber trotz Ausweisung in Deutschland geblieben.
c) Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG scheidet aus, weil die Regelerteilungsvoraussetzungen bereits nicht erfüllt sind (vgl. oben). Darüber hinaus begehrt der Kläger keine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis, sondern er strebt einen Daueraufenthalt oder einen zeitlich nicht absehbaren Aufenthalt an.
d) Auch aus § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann der Kläger für sich kein Aufenthaltsrecht herleiten.
Bei § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG handelt es sich um eine eigenständige Möglichkeit der Verlängerung, unabhängig von den Voraussetzungen des § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
Nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG kann eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von § 8 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG verlängert werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt:
Der Aufenthalt des Klägers galt zum Zeitpunkt der Antragstellung zwar als fiktiv fortgeltend und er hält sich auch im Bundesgebiet auf. Nach Überzeugung der Kammer würde für ihn das Verlassen des Bundesgebiets aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls aber keine außergewöhnliche Härte bedeuten:
Die Vorschrift setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur eine besondere Härte, sondern eine außergewöhnliche Härte voraus. Hierfür gelten naturgemäß hohe Anforderungen. Die Beendigung des Aufenthalts in Deutschland muss für den Ausländer mit Nachteilen verbunden sein, die ihn deutlich härter treffen als andere Ausländer in einer vergleichbaren Situation. Die Beendigung des Aufenthalts muss für den Ausländer bei dieser Vergleichsbetrachtung unzumutbar sein (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.2009 – 1 C 40/07 – juris, Rn. 19). Bei der Beurteilung, ob die Beendigung des Aufenthalts eines in Deutschland aufgewachsenen Ausländers eine außergewöhnliche Härte darstellt, kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, inwieweit der Ausländer in Deutschland verwurzelt ist. Das Ausmaß der Verwurzelung bzw. die für den Ausländer mit einer „Entwurzelung“ verbundenen Folgen sind unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG sowie der Regelung des Art. 8 EMRK zu ermitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen. Dabei ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.2009 – 1 C 40/07 – juris, Rn. 20).
Es ist dem Kläger zuzugestehen, dass er hier geboren und aufgewachsen ist und hier seine Prägung erfahren hat. Weiter hat er wohl in der Türkei nur noch wenige Verwandte, zu denen er nach seinen Angaben keinen Kontakt habe. Die Kammer geht davon aus, dass er sich auf Türkisch verständigen kann. Ihm ist auch zugute zu halten, dass er in der Haft seinen Mittelschulabschluss nachgeholt hat sowie eine Berufsausbildung zum Fachlageristen abgeschlossen hat. Eine nachhaltige wirtschaftliche Integration ist dem Kläger aber nicht gelungen. Er war lediglich kurzfristig bei verschiedenen Zeitarbeitsfirmen beschäftigt, Zeiten kurzfristiger Beschäftigungen wechselten mit Zeiten von Arbeitslosigkeit. Seit August 2017 geht der Kläger keiner Erwerbstätigkeit mehr nach, eine berufliche Perspektive ist auch in der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich. Auch eine soziale Integration über seine Familie hinaus ist dem Kläger nicht gelungen, eine eigene Kernfamilie hat er bisher nicht gegründet. Er war seit 2003 teilweise massiv straffällig und wurde zu teils empfindlichen Jugendhaftstrafen verurteilt. Die erfolgte Ausweisung im Jahr 2008 und die in der Folge ermöglichte Bewährungsduldung haben den Kläger nicht davon abgehalten, seit 2016 wieder regelmäßig straffällig zu werden. Der Kläger ist bereits in seiner Jugend in die Drogenszene gerutscht, er ist bis heute drogenabhängig und beging sowohl in der Vergangenheit als auch zuletzt Betäubungsmitteldelikte. Eine Drogentherapie hat er bisher nicht abgeschlossen, von einer nachhaltigen Integration in die Gesellschafts-, Rechts- und Wirtschaftsordnung kann daher nicht gesprochen werden.
Der Einwand des Klägerbevollmächtigten, der Kläger sei aufgrund seiner schwerwiegenden Erkrankungen auf seine Familie angewiesen, greift nicht durch. Zwar ergibt sich aus dem Gutachten im Betreuungsverfahren vom 26. Juni 2019 (Bl. 17 ff. der Gerichtsakte im Verfahren Au 6 S 19.1626), dass der Kläger an einer psychischen Krankheit (§ 1896 BGB) im Sinne einer Polytoxikomanie (ICD 10 F 19.2) und an einer drogeninduzierten Psychose (ICD 10 F 19.5) leidet. Er befindet sich seit 6. April 2016 mit Unterbrechungen und seit dem 27. November 2018 in ambulanter substitutionsgestützter Behandlung wegen einer Polytoxikomanie mit Opiatabhängigkeit. Er erhält täglich Methadon (vgl. Ärztliche Bescheinigung von Dr. … vom 26.9.2019, Bl. 23 der Gerichtsakte im Verfahren Au 6 S 19.1626). Wegen seiner Psychose wird er mit Aripiprazol behandelt (vgl. Ärztliche Bescheinigung von Dr. … vom 7.12.2019). Die Hepatitis C Behandlung ist nach Angaben in der mündlichen Verhandlung abgeschlossen. Es ist indes aber nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass der erwachsene Kläger im Alter von 32 Jahren aufgrund der beschriebenen Erkrankung auf seine Eltern angewiesen ist. Es ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich, dass es sich bei seinen Eltern um unersetzliche Bezugspersonen handelt. Dagegen spricht auch, dass nicht sie, sondern ein Dritter zum Betreuer bestellt wurde.
Darüber hinaus ist auch in der Türkei eine entsprechende Behandlung in therapeutischen Einrichtungen möglich:
Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert.
In der Türkei gibt es zwar keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Sozialleistungen für Bedürftige werden aber über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt und von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besonderen Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 25 f. – im Folgenden: Lagebericht).
Die medizinische Versorgung durch das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert, vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite vor allem in ländlichen Provinzen bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es im Jahr 2017 1.518 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 226.000 Betten, davon ca. 60% in staatlicher Hand. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ unentgeltlich. Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es jedoch (nach wie vor) üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden. Durch die zahlreichen Entlassungen nach dem gescheiterten Putschversuch, von denen auch der Gesundheitssektor betroffen ist, kommt es nach Medienberichten gelegentlich zu Verzögerungen bei der Bereitstellung medizinischer Dienstleistungen (vgl. Lagebericht ebenda S. 26). Psychiater praktizieren und elf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.000 Plätzen standen im Jahr 2017 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen einiger Regionalkrankenhäuser. Auch sind therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige vorhanden (vgl. Lagebericht ebenda S. 26; zur Behandlung psychischer Erkrankungen auch ebenda Anlage I S. 33 f. sowie Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 18.8.2016, Behandlung und Pflege einer schizophrenen Person im Südosten der Türkei, S. 2). Die spezialisierte psychiatrische Fachklinik in Elazig deckt die Versorgung von Patienten in Südost- und Ostanatolien ab und verfügt über insgesamt 488 Betten, stationäre psychiatrische Versorgung ist auch in den Universitätskliniken in Gaziantep, Diyarbakir und Sanliurfa gewährleistet (SFH ebenda S. 3).
Zum 1. Januar 2012 hat die Türkei eine allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt für alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei mit Ausnahmen u.a. für Soldaten/Wehrdienstleistende und Häftlinge. Die obligatorische Krankenversicherung erfasst u. a. Leistungen zur Gesundheitsprävention, stationäre und ambulante Behandlungen und Operationen, Laboruntersuchungen, zahnärztliche Heilbehandlungen sowie Medikamente, Heil- und Hilfsmittel. Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Behandlungen im Ausland möglich. Nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallende türkische Staatsbürger mit einem Einkommen von weniger als einem Drittel des Mindestlohns können von der Beitragspflicht befreit werden. Bei einem Einkommen zwischen einem Drittel und dem doppelten Mindestlohn gelten ermäßigte Beitragssätze. Bis Mitte des Jahres 2014 haben sich rund 12 Mio. Türken einer solchen Einkommensüberprüfung unterzogen, für rund 8 Mio. von ihnen hat der Staat die Zahlung der Beiträge übernommen (vgl. Lagebericht, ebenda S. 27). Die für eine gesundheitliche Versorgung mittelloser türkischer Staatsbürger bisher geltenden „Grünen Karten“ (2011: knapp 9 Millionen Inhaber) sind ausgelaufen, ihre Inhaber sollen in die allgemeine Krankenversicherung überwechseln. Für Kinder bis zum Alter von 18 bzw. 25 Jahren, Ehepartner und (Schwieger-)Elternteile ohne eigenes Einkommen besteht die Möglichkeit einer Familienversicherung. Besondere Beitragsregelungen gelten schließlich auch für Bezieher von Alters- und Erwerbsminderungsrenten (vgl. Lagebericht ebenda S. 28).
Auch eine Substitutionsbehandlung ist nach der durch den Beklagten eingeholten Stellungnahme des … vom 17. Oktober 2019 (Bl. 53 der Gerichtsakte) in der Türkei mit Buprenorphin möglich. Die Behandlung in der Türkei muss nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG der hiesigen nicht gleichwertig sein. Mit entsprechendem Vorlauf kann das Medikament bereits in Deutschland umgestellt werden, so dass es zu keinem abrupten Abbruch der Therapie kommt. Die Hepatitis C Behandlung ist nach Angaben in der mündlichen Verhandlung abgeschlossen. Auch diese Erkrankung wäre in der Türkei behandelbar. Sollten Zuzahlungen zur Krankenversicherung nötig sein, kann der Kläger notfalls auch auf die finanzielle Unterstützung durch seine Familie zurückgreifen.
In der Türkei ist auch eine gesetzliche Betreuung möglich. Nach Auskunft des … besteht die Möglichkeit einer rechtlichen Betreuung innerhalb und außerhalb eines Familienverbandes, wenn der Ausländer allein auf sich gestellt seine alltäglichen Angelegenheiten nicht mehr regeln kann. Für eine rechtliche Betreuung ist in der Türkei ein Gerichtsbeschluss erforderlich. Für einen vom Gericht bestellten Betreuer entstehen dem Ausländer keine Kosten (vgl. Bl. 57 der Gerichtsakte). Im Rahmen der Rückführung muss der Beklagte dafür Sorge tragen, dass eine Übergabe in geeignete Hände erfolgt, um die Weiterbehandlung in der Türkei sicherzustellen sowie, sofern notwendig, eine Betreuung zur Seite zu stellen.
Unter umfassender Würdigung der öffentlichen Interessen des Staates und der privaten Interessen des Klägers im hiesigen Einzelfall ist die Kammer davon überzeugt, dass die Beendigung des Aufenthalts des in Deutschland aufgewachsenen Klägers keine außergewöhnliche Härte darstellt und nicht unverhältnismäßig ist. Zwar ist er in Deutschland aufgewachsen, er hat aber über seine Familie die türkische Sprache und Kultur vermittelt bekommen, so dass ihm ein Leben in der Türkei nicht unzumutbar ist. Eine abgeschlossene, gelungene Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland ist ihm nicht gelungen. Eine Reintegration in der Türkei ist möglich, mag sie auch – was die Kammer nicht verkennt – mit gewissen (überwindbaren) Schwierigkeiten verbunden sein. Zwar hat der Kläger keine wirtschaftlichen Bindungen in der Türkei, so dass er sich eine Arbeit suchen und bis zur Erwerbstätigkeit notfalls soziale Unterstützung seines Herkunftsstaates in Anspruch nehmen müsste. Insoweit unterscheidet sich die Lage aber nicht von der in Deutschland. Es ist ihm zuzumuten, auch niedrig entlohnte Arbeit anzunehmen, um wirtschaftlich Fuß zu fassen und für seinen Lebensunterhalt aufzukommen. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass der Kläger in der Türkei sich nicht nur sprachlich und sozial, sondern auch wirtschaftlich integrieren kann.
Demgegenüber ist das Interesse des Staates an der Rückkehr ausreisepflichtiger Ausländer, die insbesondere straffällig geworden sind, weiterhin drogenabhängig sind und ihren Lebensunterhalt nicht in ausreichendem Maße sichern können, höher zu gewichten.
II. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf erneute Entscheidung über seinen Antrag vom 19. September 2018 auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
Der Beklagte hat in seinem Bescheid umfangreiche und detaillierte Ermessenerwägungen gemacht und dabei alle in Betracht kommenden Belange eingestellt und gewürdigt. Ermessensfehler des Beklagten sind nicht ersichtlich (§ 114 VwGO). Das Gericht nimmt in vollem Umfang Bezug auf die Gründe des angefochtenen Bescheids und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO).
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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