Arbeitsrecht

Tätigkeit als Musikerin in einem Orchester – Kein Beschäftigungsverbot für die Stillzeit

Aktenzeichen  14 Ca 7775/17

Datum:
20.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 145661
Gerichtsart:
ArbG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Arbeitsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242, § 618
MuSchArbV § 1 Abs. 1
MuSchG idF bis 31.12.2017 § 11 Abs. 1 S. 1
Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) § 61

 

Leitsatz

1. Eine Tätigkeit als Musikerin in einem Orchester mit Diensten ab 20 Uhr und einem möglichen Geräuschpegel von über 80 Dezibel begründet für eine stillende Mutter keine Gesundheitsgefährdung im Sinne des § 4 Abs. 1 MuSchG weshalb durch den Arbeitgeber auch kein Beschäftigungsverbot für die Stillzeit gem. § 6 Abs. 3 MuSchG hätte erteilt werden müssen (Rn. 51 – 56)
2. Ein Schadensersatzanspruch wegen unterlassener mutterschutzrechtlicher Gefährdungsbeurteilung für eine stillende Mutter ist schon nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber nicht verpflichtet war, ein Beschäftigungsverbot zu erteilen. (Rn. 50)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf € 75.860,81 festgesetzt.

Gründe

i. 1. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG eröffnet.
2. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts folgt aus § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 48 Abs. 1 ArbGG. Der gewöhnliche Arbeitsort der Klägerin ist in der Staatsoper in A-Stadt.
3. Die Klage ist zulässig, §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 495, 253 ZPO.
II.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch wegen behaupteter Verletzung mutterschutzrechtlicher Verpflichtungen durch die Arbeitgeberin zu.
1. Der geltend gemachte Anspruch ist wegen der tarifvertraglichen Ausschlussfrist gem. § 61 des Tarifvertrags für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) teilweise, in Höhe von 56.474,12 € verfallen.
1.1 Der Beklagte kann sich auf die Ausschlussfrist des § 61 TVK berufen. Ein Verstoß gegen § 242 BGB liegt nicht vor. Selbst das Vorliegen eines Pflichtenverstoßes des Beklagten bzw. der Arbeitgeberin würde nichts an der Geltung der tarifvertraglichen Ausschlussfrist ändern, da dadurch keine Verwirkung eingetreten ist.
1.2 Gemäß § 61 TVK verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Musiker oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. Maßgeblich für die Fälligkeit des Anspruchs ist nicht der Zeitpunkt, zu dem die Klägerin von einer anderen Mitarbeiterin auf die Frage des Beschäftigungsverbots angesprochen wurde, sondern die Fälligkeit des streitgegenständlichen Anspruchs. Es ist von einer monatlichen Fälligkeit des Mutterschutzlohns entsprechend der Vergütung auszugehen. Die Vergütung ist gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 TVK am 15. des laufenden Monats zu zahlen. Die Klägerin hat ihre behaupteten Ansprüche gegenüber der Arbeitgeberin erstmals mit Schreiben vom 27.03.2017, das am 28.03.2017 zugegangen ist, geltend gemacht. Mutterschutzlohnansprüche (auch im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs) bis einschließlich September 2016, die bis spätesten 15.09.2016 fällig waren, sind aufgrund der Ausschlussfrist gem. 61 TVK verfallen; das bedeutet dass aus dem geltend gemachten Anspruch in Höhe von 75.860,81 € ein Betrag in Höhe von 56.474,12 € [= (9 Monate x 6.321,73 €) – (6.321,73 € ./. 30 Tage x 2 Tage) ] bereits erloschen ist. Aber auch hinsichtlich der nicht verfallenen 19.386,69 € besteht kein Anspruch, siehe dazu unter II.2.
2. Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines Schadensersatzanspruchs besteht unabhängig von § 61 TVK grundsätzlich nicht.
2.1 Ein Anspruch ergibt sich nicht aus § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG a.F.
Danach sind nur Arbeitnehmerinnen anspruchsberechtigt, die wegen eines Beschäftigungsverbots nach dem MuSchG mit der Arbeit aussetzen (vgl. Erfurter Kommentar, 17. Aufl. 2017, § 11 MuSchG Rn. 4). Abgesehen davon, dass es sich bei § 11 MuSchG nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, liegen die Voraussetzungen hier nicht vor. Die Klägerin hat sich zuletzt wohl auch nicht mehr auf diese Anspruchsgrundlage berufen.
2.2 Ein Schadensersatzanspruch in Höhe des entgangenen Mutterschutzlohns ergibt sich auch nicht aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 3 MuSchG a.F.
2.2.1 Auf die Frage, ob eine Pflichtverletzung der Arbeitgeberin vorliegt, weil diese eine Gefährdungsbeurteilung für die Stillzeit der Klägerin hätte vornehmen müssen und ob sie die Klägerin hierüber hätte informieren müssen, unabhängig davon, ob die Klägerin bereits mitgeteilt hatte, dass sie ihr Kind stillen werde, kommt es letztendlich nicht an. Ein Verstoß gegen eine etwaige bestehende Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung für die Stillzeit der Klägerin hätte nur dann einen Schadensersatzanspruch in Höhe des entgangenen Mutterschutzlohns zur Folge, wenn die Arbeitgeberin nach Durchführung der Gefährdungsbeurteilung verpflichtet gewesen wäre, der Klägerin für die Stillzeit ein (betriebliches) Beschäftigungsverbot zu erteilen. Dies ist jedoch nicht der Fall.
2.2.2 Über § 6 Abs. 3 MuSchG a.F. findet § 4 Abs. 1 MuSchG a.F. auch auf stillende Mütter Anwendung. Ein Beschäftigungsverbot nach § 4 Abs. 1 MuSchG a.F. erfordert regelmäßig eine Gesundheitsgefährdung aufgrund schädlicher Einwirkungen (Erfurter Kommentar, 17. Aufl. 2017, § 4 Rn. 1, 3). Es ist hier nicht ersichtlich, inwiefern sich aus der Tätigkeit der Klägerin als Bratscherin eine Gesundheitsgefährdung aufgrund schädlicher Einwirkungen für die stillende Mutter oder für das gestillte Kind hätte ergeben sollen. Dazu ergeben sich auch keine Anhaltspunkte aufgrund der – aus der aktuellen Schallpegelmessung resultierenden – Annahme, dass der Geräuschpegel bei den Diensten der Klägerin 80 dBA übersteigt. Die Arbeitgeberin ging deshalb zu Recht davon aus, dass keinerlei Gefahrenpotential für die Stillzeit bestanden habe.
(1) Eine Gesundheitsgefährdung für die stillende Mutter aufgrund eines möglichen Geräuschpegels bei den Diensten der Klägerin von über 80 dBA ist nicht erkennbar. Die Klägerin stillt ihr Kind zuhause und nicht in der Oper. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen, dass und inwieweit die Orchestermusik schädigenden Einfluss auf ihre Fähigkeit, ihr Kind zu stillen, oder einen sonstigen mittelbaren schädigenden Einfluss auf ihr Kind hätte haben können. Auch ein schädigender Einfluss ist nicht erkennbar.
(2) Eine Gesundheitsgefährdung für die stillende Mutter aufgrund der Tätigkeit als Bratscherin „ab 20 Uhr und Lärm“ ist ebenfalls nicht gegeben.
a) Zum einen stellt die Uhrzeit ab 20 Uhr schon keine schädliche Einwirkung im Sinne des MuSchArbV (bis 31.12.2017 gültig) dar. Beschäftigungsverbote für stillende Mütter nach 20 Uhr bestehen nicht. Allein deshalb ist die Annahme, eine Gesundheitsgefährdung liege wegen „Tätigkeiten nach 20 Uhr und Lärm“ vor, abzulehnen. Zudem hat die Klägerin nur pauschal auf Lärm – gemeint ist wohl die Orchestermusik – verwiesen und nicht im Einzelnen vorgetragen – dies wäre aber erforderlich gewesen -, bei welchen Lärmschwellenwerten diese Wirkung eintrete.
b) Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 20.12.2017 vortragen lassen, dass durch
„Tätigkeiten ab 20 Uhr und Lärm“ Stresshormone gebildet würden, die wiederum verhindern würden, dass das Schlafhormon gebildet werde und dies wiederum dazu führe, dass sowohl die Mutter als auch das Kind keinen normalen Schlafrhythmus mehr haben würden. Abgesehen davon, dass die Klägerin schon nicht näher ausführt, was es konkret bedeuten solle, wenn die Mutter als auch das Kind keinen „normalen Schlafrhythmus“ mehr haben und inwieweit daraus eine Gesundheitsgefahr resultiere sowie im Hinblick darauf, dass der – im Übrigen von der Beklagten bestrittene – Vortrag viel zu pauschal ist, um die für den Anspruch notwendige Gefährdung der Gesundheit der Mutter oder des Kindes begründen zu können, kann die Entscheidung einer Mutter, ihr Kind zu stillen, aus den unterschiedlichsten Gründen dazu führen, dass an einen „normalen Schlafrhythmus“ nicht mehr zu denken ist. Aber selbst erhebliche Schlafstörungen, die hier von der Klägerin noch nicht einmal behauptet oder im Einzelnen dargelegt werden, würden (noch) keine Gefährdung der Gesundheit der stillenden Mutter darstellen.
c) Ein bloß (hypothetischer) Gesundheitsnachteil durch eventuelle Beeinträchtigung des Nachtschlafs der Mutter reicht für ein Beschäftigungsverbot nicht aus, zumal die Baby- und auch Kleinkindjahre gerichtsbekanntermaßen regelmäßig für Beeinträchtigung des Nachtschlafs der Eltern sorgen, auch unabhängig davon, ob ein Baby gestillt wird oder nicht. Zudem hat die Weiterbeschäftigung der stillenden Mutter durch Umgestaltung der Arbeitsbedingungen oder Umsetzung grundsätzlich Vorrang vor einer Freistellung im Rahmen eines Beschäftigungsverbotes. Die Klägerin kann sich mangels Gesundheitsgefährdung für die stillende Mutter (oder ihr Kind) nicht auf ein zu gewährendes (betriebliches) Beschäftigungsverbot für die Stillzeit berufen. Selbst wenn nur das Vorliegen einer schädlichen Einwirkung der Tätigkeit auf die stillende Mutter erforderlich wäre, könne dies nicht bejaht werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass etwa andere Orchester betriebliche Beschäftigungsverbote für stillende Mütter ausgesprochen haben. Aus Sicht der erkennenden Kammer entbehrt dies ohnehin jeglicher Grundlage. Zudem besteht kein Anspruch der Klägerin auf „Gleichheit im Unrecht“.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Da die Klägerin unterlegen ist, hat sie die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands erfolgte gem. §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 6 Satz 1 ZPO.


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