Arbeitsrecht

Versorgungsausgleich – verlängerter schuldrechtlicher Ausgleich eines zu Unrecht schuldrechtlich ausgeglichenes Anrechts in der gesetzlichen Rentenversicherung

Aktenzeichen  9 UF 177/18

Datum:
27.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2020, 1908
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1585b Abs. 3
VersAusglG § 20, § 22, § 25, § 51, § 27
FamFG § 68 Abs. 3 S. 2, § 111 Nr. 7
SGB X § 103 Abs. 1, § 104 Abs. 1
SGB XII § 2, § 19, § 61, § 95

 

Leitsatz

1 Zu den Voraussetzungen des Bestehens eines unmittelbar gegen den Versorgungsträger gerichteten Anspruchs auf Durchführung des verlängerten schuldrechtlichen Ausgleichs gem. § 25 VersAusglG gehört nicht, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den diesem Anspruch zugrunde liegenden schuldrechtliche Versorgungsausgleich vorgelegten haben und die Entscheidung hierüber richtig war (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 F 807/17 2017-12-29 Bes AGANSBACH AG Ansbach

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Ansbach vom 29.12.2017 (Az: 2 F 807/17) aufgehoben.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller für U… S…, geb. am …1934, verst. am 30.03.2018, aus der Versicherung des B…, geb. am …1936, verst. am 23.04.2013, über dessen Tod hinaus einen Betrag i.H.v. 13.000,- € zu zahlen.
3. Die Antragsgegnerin trägt 70 % der Kosten beider Instanzen, der Antragsteller 30 %.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 18.579,25 € festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch als Versorgungsträgerin des am 23.04.2013 verstorbenen … S… auf Leistung einer schuldrechtlichen Hinterbliebenenversorgung nach § 25 VersAusglG für die am …2018 verstorbene … S….
I.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Ansbach hatte mit Endurteil vom 01.12.2005 (Az.: 3 F 677/05) die am 1958 geschlossene Ehe der ehemaligen Eheleute U… S… und B… S… geschieden und den Versorgungsausgleich wie folgt durchgeführt:
Der Antragsgegner hat an die Antragstellerin im Wege des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs eine monatliche Ausgleichsrente ab Rechtskraft der Scheidung in Höhe von 239,81 EUR, jeweils monatlich im Voraus, spätestens bis zum 3. eines jeden Monats, zu zahlen.
Der zur Zahlung der Ausgleichsrente verpflichtete Antragsgegner wird hierdurch verpflichtet, seine Ansprüche auf Zahlung einer Rente gegen die Deutsche Rentenversicherung Oberfranken und Mittelfranken in Höhe der Ausgleichsrente an die Antragstellerin abzutreten.
Zur Begründung führte das Gericht aus, die Voraussetzungen für die Durchführung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs lägen vor, weil beide Ehegatten bereits Rentner seien. Die damalige Antragstellerin hatte bei der Deutschen Rentenversicherung Oberfranken und Mittelfranken einen ehezeitlichen Rentenanspruch in Höhe von 547,77 € monatlich erworben und aus einer betrieblichen Altersversorgung bei der Firma F… GmbH & Co KG eine Rente von 84,31 €, insgesamt also 632,08 €. Davon stehe dem Antragsgegner 316,05 € monatlich zu. Der Antragsgegner hatte bei der Deutschen Rentenversicherung Oberfranken und Mittelfranken ehezeitlich 1.111,72 € monatlich erlangt, wovon die Antragstellerin 555,86 € zu beanspruchen habe. Die Saldierung ergab den Ausgleichsbetrag in Höhe von 239,81 €.
Gegen diese Entscheidung hat keiner der Beteiligten Rechtsmittel eingelegt. Das Urteil ist seit dem 13.01.2006 rechtskräftig.
In der Folgezeit zahlte die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern aufgrund der – wenn auch rechtlich unzutreffenden – Versorgungsausgleichsentscheidung des Familiengerichts Ansbach an die ehemalige Ehefrau U… S… den ausgewiesenen Rentenbetrag i.H.v. monatlich 239,81 €. Nach dem Tod des geschiedenen Ehemannes B… S… am 23.04.2013 stellte die Antragsgegnerin, die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern, die Zahlungen an U… S… mit dem Monat Mai 2013 ein. Der Antragsteller, der Bezirk Mittelfranken, erbrachte zu dem Zeitpunkt bereits als überörtlicher Leistungsträger Leistungen gem. SGB XII an die Leistungsberechtigte, U… S… im Rahmen der Hilfe zur Pflege.
Er vereinnahmte im Rahmen des Aufwendungsersatzes die Altersrentenansprüche der Leistungsberechtigten sowie die schuldrechtlich übertragene Ausgleichsrente des geschiedenen Ehemannes. Nachdem der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Einstellung der Zahlungen moniert hatte, erließ die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern am 23.01.2014 einen Bescheid, wonach der Antrag auf Gewährung eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs an U… S… aus der Versicherung des B… S… über dessen Tod hinaus abgelehnt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, mit dem Tod des Versicherten am 23.04.2013 habe dessen Anspruch auf Rente geendet. Ein abtretbarer Betrag lasse sich daher nicht mehr realisieren. Auch der Anspruch der ehemaligen Ehefrau auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich sei mit dem Tod des geschiedenen Ehegatten erloschen. Durch die Anordnung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs habe keine Übertragung von Rentenanwartschaften aus der Versicherung des Ausgleichspflichtigen auf die Ausgleichsberechtigte stattgefunden. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.08.2014 wies die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern den Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid vom 23.01.2014 mit derselben Begründung zurück. Daraufhin erhob der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin unter dem 24.09.2014 Klage beim Sozialgericht Nürnberg gegen den Widerspruchsbescheid. Der Antragsteller beantragte neben der Aufhebung der Bescheide der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern die Verpflichtung des Antragsgegners, an U… S… eine Hinterbliebenenversorgung zu leisten.
Das Sozialgericht Nürnberg (Az: S 15 R 936/14) trennte die beiden Klageanträge mit Beschluss vom 20.10.2016 ab und führte den Klageantrag Nr. 1 weiter.
Mit Beschluss vom 09.06.2017 erklärte es den Sozialrechtsweg hinsichtlich der Ziffer 2 des Klageantrags für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht – Familiengericht – Ansbach. Zur Begründung führte es aus, die Klagepartei mache einen Anspruch nach § 25 VersAusglG geltend. Dieser sei privatrechtlicher Natur und unterliege daher nicht dem öffentlichen Recht.
Nach mündlicher Verhandlung vom 26.09.2017 hat das Amtsgericht – Familiengericht – Ansbach den Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 29.12.2017 abgewiesen. Zur Begründung hat das Familiengericht im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag sei zulässig, insbesondere werde die Aktivlegitimation des Antragstellers bejaht gem. § 95 SGB XII. Der Antrag sei jedoch unbegründet, weil ein Anspruch nach § 25 VersAusglG nicht bestehe. Grund hierfür sei, dass bei der Scheidung der Eheleute S… im Jahr 2005 die Voraussetzungen für die Durchführung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs dem Grunde nach nicht vorgelegen hätten. Das damals zuständige Familiengericht Ansbach hätte vielmehr ein Rentensplitting (§ 1587 b Abs. 1 BGB a.F.) durchführen müssen. Auf die Beschlussgründe wird vollumfänglich Bezug genommen.
Die Zustellung der Entscheidung an den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers erfolgte am 05.01.2018. Mit Anwaltsschriftsatz vom 05.02.2018, eingegangen beim Erstgericht am selben Tag, hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt.
Zunächst kündigte der Antragsteller den Antrag an, den angefochtenen Beschluss vom 29.12.2017 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, an U… S… zu Händen des Antragstellers eine (unbezifferte) Hinterbliebenenversorgung zu leisten. Nach dem Tod der Leistungsberechtigten U… S… am 30.03.2018 beantragte der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung einer Hinterbliebenenversorgung bis zum 30.03.2018. Danach beantragte der Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung eines Betrages i.H.v. 18.579,25 €.
Zuletzt stellte der Antragsteller folgenden Antrag:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller für Frau U… S…, geb. …1934, verst. 30.03.2018, aus der Versicherung des B… S…, geb. …1936, verst. 23.04.2013, über dessen Tod hinaus einen Betrag in Höhe von 15.980,76 € zu bezahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller ist weiterhin der Auffassung, der leistungsberechtigten U… S… habe bis zu deren Tod ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach § 25 VersAusglG zugestanden. Dieser Anspruch stehe seit dem Tod nun ihm, dem Antragsteller als Sozialhilfeträger zu und zwar in Höhe der Differenz der sich aus den neuen Versorgungsausgleichsauskünften der Versorgungsträger ergebenden Entgeltpunkte für den Zeitraum von Mai 2013 (nach Beendigung der Zahlung durch die Antragsgegnerin) bis zum Tod der Leistungsberechtigten am 30.03.2018.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, es fehle an der Aktivlegitimation des Antragstellers und am Vorliegen des Tatbestands des § 25 VersAusglG. Voraussetzung für einen Anspruch auf Teilhabe an der Hinterbliebenenversorgung sei, dass zum Zeitpunkt der Scheidung die Voraussetzungen für einen schuldrechtlichen Versorgungsausgleich dem Grunde nach vorgelegen haben. Daran fehle es hier, weil das damalige Familiengericht den schuldrechtlichen Ausgleich zu Unrecht angeordnet habe. Zudem könne ein etwaiger Erstattungsanspruch nur ein Nettobetrag sein. Von der geltend gemachten Forderung seien die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Abzug zu bringen. Der Antragsteller habe die betriebliche Altersversorgung der verstorbenen Ehefrau von dem errechneten Betrag in Abzug zu bringen. Außerdem seien zwischenzeitliche Änderungen der gesetzlichen Rentenversicherung und in der betrieblichen Altersvorsorge zu berücksichtigen. Hilfsweise macht die Antragsgegnerin Verwirkung geltend.
Auf die gewechselten umfangreichen Schriftsätze wird zur Vermeidung Wiederholungen Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung, weil davon zusätzliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG. Vorliegend handelt es sich um eine Versorgungsausgleichssache nach § 111 Nr. 7, §§ 217 ff FamFG. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung steht im Ermessen des Gerichts. Eine zweite mündliche Verhandlung ist bei Tatsachenentscheidungen dann entbehrlich, wenn ohne eigene Tatsachenermittlungen aufgrund der Aktenlage entschieden werden kann (BGH FamRZ 2017, 478; BT-Drucksache 16/6308, S. 207).
In Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit bedarf es für den Verzicht auf die Verhandlung keines vorherigen Hinweises an die Beteiligten (BGH FamRZ 2017, 1668). Es kann daher sogar gegen den Willen eines Beteiligten ohne erneuten Erörterungstermin entschieden werden (BGH FamRZ 2017, 1668).
Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich aus dem Beschwerdevorbringen oder aus sonstigen Quellen ein neuer Sachverhalt ergibt, der noch nicht erörtert wurde. Dies ist hier nicht der Fall. Die Beteiligten haben die aufgetretenen Probleme seit spätestens 2014, gerichtlich seit September 2014 diskutiert. Es handelt sich ausschließlich um Rechtsprobleme, nicht um solche tatsächlicher Art.
Die gemäß §§ 58 ff, 63 ff FamFG zulässige Beschwerde des Antragstellers hat auch in der Sache Erfolg. Dem zuletzt gestellten Antrag ist dem Grunde nach stattzugeben, der Höhe nach im Wesentlichen. Das Beschwerdegericht beziffert den Anspruch des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin auf 13.000,- €.
1. Der Antragsteller, der Bezirk Mittelfranken, ist im vorliegenden familiengerichtlichen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Versorgungsausgleich (§ 111 Nr. 7, §§ 217 ff. FamFG) als Träger der Sozialhilfe in gesetzlicher Verfahrensstandschaft für die ehemals Leistungsberechtigte U… S… kraft gesetzlicher Ermächtigung durch das materielle Recht gemäß § 95 SGB XII prozessführungsbefugt.
Nach § 95 SGB XII kann der erstattungsberechtigte Träger der Sozialhilfe die Feststellung einer Sozialleistung betreiben und Rechtsmittel einlegen. Der Bezirk Mittelfranken ist vorliegend Sozialhilfeträger, denn er leistete für U… S… seit 01.08.2012 Hilfe zur Pflege gemäß § 19 Abs. 3, § 61 SGB XII (Bescheid vom 28.08.2012).
Seine Erstattungsberechtigung besteht aufgrund des in § 2 SGB XII normierten Nachrangs der gewährten Sozialhilfe gegenüber einem Anrecht der Leistungsberechtigten in der gesetzlichen Rentenversicherung bei der Antragsgegnerin. Der Erstattungsanspruch muss gegenüber demjenigen Sozialleistungsträger bestehen, demgegenüber der Sozialhilfeträger die Sozialleistung feststellen lassen will (BGH XII ZB 98/16). Bei der Sozialleistung, deren Feststellung hier begehrt wird, handelt es sich um eine gesetzliche Rentenversicherung.
Der weit auszulegende Begriff der „Feststellung“ umfasst auch die Erhebung einer Leistungsklage (Beck’scher Kommentar zum Sozialrecht, von Koppenfels-Spies, § 95 SGB XII Rn 3). Der Antragsteller war ursprünglich nicht aktiv legitimiert, weil ihm die eingeklagte Forderung auf Erhalt einer Hinterbliebenenversorgung materiell-rechtlich nicht selbst zustand, sondern in der Hand der Leistungsberechtigten verblieb. Aber er war berechtigt, die Leistung im eigenen Namen als richtiger Antragssteller mit dem Ziel der Zahlung an U… S… geltend zu machen (JurisPraxisKommentar SGB XII, Armbruster, § 95 Rn 52, 59, 61, 63, 71; Zöller/Vollkommer, ZPO, vor § 50 Rn 18 ff).
Nach dem Tod von U… S… kann der Antragsteller die Zahlung an sich beanspruchen (§ 104 SGB X). § 104 Abs. 1 SGB X bestimmt, dass wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, derjenige Leistungsträger erstattungspflichtig ist, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
2. Die materiellen Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 VersAusglG lagen in der Person der leistungsberechtigten U… S… vor. Danach kann die ausgleichsberechtigte Person vom Versorgungsträger der verstorbenen ausgleichsverpflichteten Person die Hinterbliebenenversorgung verlangen, die sie erhielte, wenn die Ehe bis zum Tod der ausgleichspflichtigen Person fortbestanden hätte, wenn ein noch nicht ausgeglichenes Anrecht besteht. Die Voraussetzungen sind also, dass beim Tod des Ausgleichspflichtigen
-ein noch nicht ausgeglichenes Anrecht besteht, also ein im Wertausgleich bei der Scheidung unberücksichtigt gebliebenes Anrecht,
-dass das auszugleichende Anrecht eine Hinterbliebenenversorgung beinhaltet und
-dass der Berechtigte die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt.
Hier steht fest, dass die Witwe des Verstorbenen, U… S…, die persönlichen Voraussetzungen zum Bezug der Rente erfüllte und dass die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern eine Hinterbliebenenversorgung vorsieht. Das in Frage stehende Anrecht des verstorbenen geschiedenen Ehemannes B… S… war noch nicht (vollständig) ausgeglichen. Denn im Rahmen der Scheidung (Amtsgericht Ansbach 3 F 677/05) wurde im Endurteil vom 01.12.2005 kein Rentensplitting durchgeführt, sondern (nur) der schuldrechtliche Versorgungsausgleich mit der Verpflichtung zur Anspruchsabtretung angeordnet, der lediglich zum Teil, nämlich zu Lebzeiten des Verpflichteten, realisiert wurde.
Der Einwand der Beschwerdegegnerin, dass diese Entscheidung materiell-rechtlich falsch war, weil zum Zeitpunkt der familiengerichtlichen Entscheidung die Voraussetzungen für den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich nach §§ 1587f bis 1587n BGB (a.F.), §§ 1 und 2 VAHRG (a.F.) nicht vorgelegen haben, sondern das Rentensplitting gemäß § 1587a Abs. 2 Nr. 2, § 1587 b Abs. 1 BGB (a.F.) hätte durchgeführt werden müssen, ist zutreffend. Dass bei beiden Ehegatten bei Ehezeitende bereits der Versorgungsfall eingetreten war, sie also bereits Altersrente bezogen hatten, hinderte die Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs (nach altem Recht) nicht. Die Versorgungsausgleichsentscheidung des Amtsgerichts Ansbach vom 01.12.2005 war falsch. Sie ist aber rechtskräftig.
Die von der Beschwerdegegnerin und vom Familiengericht Ansbach hieraus gezogene Konsequenz, deshalb sei der Anspruch nach § 25 VersAusglG ausgeschlossen, ist unrichtig. Zu den Voraussetzungen des Bestehens dieses Anspruchs, bei dem es sich um einen eigenständigen, direkten Anspruch gegen den Versorgungsträger handelt, gehört nicht, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich seinerzeit vorgelegten haben und daher eine entsprechende Entscheidung richtig war. Die von der Beschwerdegegnerin hierzu herangezogene Kommentarstelle bei Wick (Wick, Der Versorgungsausgleich, Rn. 733) trägt die Argumentation nicht. Sie ist ungenau. Zwar ist dort formuliert „die Voraussetzungen für die Durchführung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs müssen dem Grunde nach vorgelegen haben“. Unmittelbar davor schreibt der Autor aber, dass es sich „um ein im Wertausgleich bei der Scheidung unberücksichtigt gebliebenes Anrecht handeln muss, das durch eine Ausgleichsrente nach § 20 VersAusglG (oder durch eine Kapitalzahlung nach § 22 VersAusglG) auszugleichen wäre, wenn der Verpflichtete nicht gestorben wäre“. Zusätzlich legt Wick dar, es genüge, „wenn die künftige Versorgung des Ausgleichsverpflichteten vor seinem Tod bereits gesichert war, also nicht mehr verfallbar war“.
Vorliegend handelt es sich um Anrechte, die nicht durch den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich ausgeglichen wurden, obwohl dies hätte erfolgen müssen, sondern bei denen stattdessen der schuldrechtliche Versorgungsausgleich angeordnet wurde. Die ausgleichsberechtigte Ehefrau hat durch die seit 13.01.2006 rechtskräftige, von keinem der damaligen Verfahrensbeteiligten angefochten familiengerichtliche Entscheidung des Amtsgerichts Ansbach vom 01.12.2005 den Anspruch auf Erhalt einer Ausgleichsrente erworben, die ohne den Tod der Verpflichteten weiter zu zahlen gewesen wäre. Dass sie bereits vor dem Tod des Pflichtigen diese schuldrechtliche Rente bezog, schadet im Rahmen des § 25 VersAusglG nicht (Palandt/Brudermüller, § 25 VersAusglG, Rn 3). Auch in anderen Kommentierungen findet die Rechtsansicht der Beschwerdeführerin keine Stütze (vgl. Borth, Versorgungsausgleich, S. 360 ff).
Dass die Entscheidung vom 01.12.2005 rechtsfehlerhaft war, führt nicht zum Ausschluss des Anspruchs der Berechtigten auf die Hinterbliebenenversorgung nach § 25 VersAusglG.
Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH XII ZB 340/11, recherchiert in juris, FamRZ 2013, 1548) entschieden, dass Rentenanrechte, die dem Wertausgleich bei der Scheidung nach §§ 9-19 VersAusglG unterfallen, nicht Gegenstand von Ausgleichsansprüchen nach der Scheidung gemäß §§ 20 ff VersAusglG sein können – ebenso wenig sei das Abänderungsverfahren nach § 51 VersAusglG eröffnet – und dass dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich weder eine generelle Auffangfunktion noch die Aufgabe einer Fehlerkorrektur unter Durchbrechung der Rechtskraft zukommt. Es handelt sich hierbei um eine Grundsatzentscheidung zur Reichweite sowohl des § 51 VersAusglG als auch zu der der §§ 20 ff VersAusglG. Allerdings beziehen sich diese Ausführungen ausdrücklich auf im Ausgangsverfahren vergessene, übersehene und verschwiegene Anrechte.
Die Entscheidung behandelt indes nicht den Fall einer fehlerhaften Rechtsanwendung außerhalb von übergangenen und verschwiegenen Anrechten, wie sie hier vorliegt. In einem der hiesigen Fallgestaltung ähnlichen Sachverhalt hat der Bundesgerichtshof (BGH XII ZB 167/15, recherchiert in juris, FamRZ 2017, 197) schließlich konstatiert, dass auch bei einer fehlerhaften Versorgungsausgleichsentscheidung des Amtsgerichts keine über die mit der Entscheidung getroffene Aussage hinausgehende Rechtskraft folgt. Für den Umfang der Rechtskraft komme es nicht auf die Richtigkeit der Entscheidung an.
Zwar behandelt der dort entschiedene Fall eine Situation, in der das Splitting durchgeführt wurde und hinsichtlich eines in Wahrheit bestehenden und unverfallbaren Anrechts des Ehemannes aus einer betrieblichen Altersversorgung vom Versorgungsausgleich als „derzeit nicht berücksichtigungsfähig“ abgesehen wurde und die Ehefrau später den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich begehrte. Hierzu entschied der Bundesgerichtshof, dass die Rechtskraft der fehlerhaften Entscheidung dem späteren schuldrechtlichen Ausgleich nicht entgegensteht, auch wenn diesem an sich keine generelle Auffangwirkung zukomme (BGH), denn die Verneinung der Auffangwirkung habe – wie der Bundesgerichtshof zuvor entschieden hat (BGH FamRZ 2013, 1548; FamRZ 2014, 1614) – Bedeutung für im Ausgangsverfahren vergessene, übersehene und verschwiegene Anrechte. Etwas anderes gelte aber, wenn im Ausgangsverfahren der Ausgleich des betreffenden Rechts, auch wenn zu Unrecht, vorläufig nicht erfolgen sollte.
Diese zuletzt zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist nach der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg auf die vorliegende Fallkonstellation anwendbar. Wäre der dortige Fall seinerzeit vom Familiengericht richtig entschieden worden, dann hätte die Ehefrau nicht nur aus dem durchgeführten Rentensplitting (§ 1587 b Abs. 1 BGB a.F.) Anrechte übertragen bekommen, sondern darüber hinaus im Wege des erweiterten Splittings nach § 3 b Abs. 1 Nr. 1 VAHRG (a.F.) bis zu der dort festgelegten Höchstgrenze weitere Rentenanwartschaften zum (Teil-)Ausgleich der betrieblichen Altersversorgung des Ehemannes erhalten. Obwohl dies zu Unrecht unterblieb und der schuldrechtliche Versorgungsausgleich keine Auffangfunktion hat, wurde der Ehefrau im Nachhinein hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung vom Bundesgerichtshof das Recht auf Erhalt der schuldrechtlichen Ausgleichsrente zuerkannt. Der Ausgleichsrente kam in dem entschiedenen Fall also durchaus Ersatzfunktion zu. Hätte das Amtsgericht Ansbach den vorliegenden Fall richtig behandelt, hätte es auf das Versicherungskonto der Frau S… im Wege des Rentensplittings Anrechte übertragen. Die Ehefrau wäre auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich nicht angewiesen gewesen. Die Rechtsfolge der unrichtigen „Reduzierung“ ihrer Rechte durch Anordnung der Zahlung einer bloßen Ausgleichsrente (§§ 1587 f, 1587 g, 1587 i BGB (a.F.)) muss nach Auffassung des erkennenden Senats auch hier dazu führen, dass als „Ersatz“ der „verlängerte“ schuldrechtliche Ausgleich in Form der Teilhabe an der Hinterbliebenenversorgung nach § 25 VersAusglG zum Zuge kommt.
Der verfahrensgegenständliche Sachverhalt ist ebenso wenig wie der Entscheidung BGH, Az. XII ZB 167/15 beurteilte Fall mit der Situation des vergessenen, übersehenen oder verschwiegenen Anrechts vergleichbar, in der der Bundesgerichtshof (FamRZ 2013, 1548) die nachträgliche Durchführung des schuldrechtlichen Ausgleichs verneint hat.
3. Die Höhe der zustehenden Teilhabe an der Hinterbliebenenversorgung nach § 25 Abs. 1 VersAusglG beläuft sich grundsätzlich auf die beiderseitigen gesetzlichen Rentenansprüche der verstorbenen ehemaligen Eheleute. Diese ergeben sich aus den Auskünften der Antragsgegnerin vom 16.07.2018.
Danach hatte der ehemalige Ehemann in der gesetzlichen Rentenversicherung ehezeitlich (01.07.1958-31.05.2005) in der allgemeinen Rentenversicherung 42,4529 Entgeltpunkte erworben, woraus sich ein Ausgleichswert in Höhe von 21,2265 Entgeltpunkten ergab. Die ehemalige Ehefrau hatte ehezeitlich (01.07.1958-31.05.2005) 24,0030 Entgeltpunkte erlangt, woraus sich der Ausgleichswert mit 12,0015 Entgeltpunkten errechnete. Die Differenz der Entgeltpunkte beträgt 9,225 Entgeltpunkte, der mit dem jeweiligen aktuellen Rentenwert von Mai 2013 bis einschließlich März 2018 wie folgt zu multiplizieren ist:
21,2265 EP Ehemann ./. 12,0015 EP Ehefrau = 9,225 EP Differenz
5-6/2013
aktueller
RW 28,07 × 9,225 EP
=
258,95 × 2 Mon
517,89
7/2013-6/2014
aktueller
RW 28,14 × 9,225 EP
=
259,59 × 12 Mon
3.115,10
7/2014-6/2015
aktueller
RW 28,61 × 9,225 EP
=
263,93 × 12 Mon
3.167,13
7/2015-6/2016
aktueller
RW 29,21 × 9,225 EP
=
269,46 × 12 Mon
3.233,55
7/2016-6/2017
aktueller
RW 30,45 × 9,225 EP
=
280,90 × 12 Mon
3.370,82
7/2017-3/2018
aktueller
RW 31,03 × 9,225 EP
=
286,25 × 9 Mon
2.576,26
15.980,76.
Dies entspricht dem zuletzt gestellten Antrag des Antragstellers. Die drei Entgeltpunkte der verstorbenen Ehefrau aus der sogenannten Mütter-Rente sind nicht herauszurechnen.
Allerdings ist die von der Ehefrau bezogene betriebliche Altersversorgung der Firma Fleischmann ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass der Erstattungsanspruch auf einen Nettobetrag gerichtet ist, sodass die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung in Abzug zu bringen sind. Die insoweit die Höhe mindernden Beträge lassen sich durch das Beschwerdegericht nicht feststellen. Beide Beteiligten haben insoweit bei der Berechnung nicht mitgewirkt. Es entspricht daher der Billigkeit, gem. § 27 VersAusglG zu verfahren und einen Abschlag in Höhe von 2.980,76 € vorzunehmen. Der danach geschuldete Betrag beläuft sich somit auf 13.000,- €.
4. Der Anspruch des Antragstellers ist nicht verwirkt. Zwar trifft es im Grundsatz zu, wie die Antragsgegnerin ausführt, dass gem. § 25 Abs. 4 VersAusglG i.V.m. § 20 Abs. 3 VersAusglG die Vorschrift des § 1585 b Abs. 3 BGB Anwendung findet. Hiernach (Unterhalt für die Vergangenheit) kann für eine mehr als ein Jahr vor der Rechtshängigkeit liegende Zeit Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur verlangt werden, wenn anzunehmen ist, dass der Verpflichtete sich der Leistung absichtlich entzogen hat.
Dies ist hier der Fall. Die Antragsgegnerin hat die Leistung an den Antragsteller bzw. an die ehemals Leistungsberechtigte absichtlich nach dem Tod des ehemaligen Ehemannes eingestellt. Zum anderen wurde der Anspruch vom Antragsteller im September 2014 gerichtlich anhängig gemacht und wohl unverzüglich durch das Sozialgericht Nürnberg an die Antragsgegnerin zugestellt (die Nachweise hierzu liegen dem Beschwerdegericht in der Akte nicht vor). Zuvor hatte sich der Antragsteller unmittelbar nach Einstellung der Zahlungen bereits im Juni 2013 außergerichtlich an die Antragsgegnerin gewendet und die Forderung auf Teilhabe an der Hinterbliebenenversorgung geltend gemacht. Das gleiche tat die Leistungsberechtigte selbst. Sodann kam es zur Antwort der Antragsgegnerin noch im Jahr 2013 und schließlich zum Erlass des Bescheids im Januar 2014 und des Widerspruchsbescheids im August 2014. Anschließend wurde das Verfahren beim Sozialgericht Nürnberg von September 2014 bis zur Verweisung an das Amtsgericht – Familiengericht – Ansbach im Juni 2017 nicht betrieben. Diese Verzögerung lag nicht im Verantwortungsbereich des Antragstellers. Für eine Verwirkung ist angesichts der Prozessgeschichte kein Raum. Jede Verwirkung bedarf sowohl eines Zeitmoments als auch eines Umstandsmoments. Neben dem Ablauf einer gewissen Zeit (ein Jahr) ist erforderlich, dass sich der Schuldner aufgrund eines bestimmten Verhaltens des Gläubigers darauf verlassen durfte und auch darauf verlassen hat, der Gläubiger werde seinen Anspruch künftig nicht (weiter) einfordern. Eine dennoch erfolgte Geltendmachung muss sich als ein Fall unzulässiger Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens darstellen. Weder das Zeitmoment noch das Umstandsmoment sind im vorliegenden Fall von der Antragsgegnerin substantiiert vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Die Berufung der Antragsgegnerin auf § 1585 b Abs. 3 BGB entbehrt der Grundlage.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG.
IV.
Die Festsetzung des Verfahrenswerts ergibt sich aus § 40 FamGKG.
V.
Diese Entscheidung ist nicht anfechtbar. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 Nr. 1, 2 FamFG) liegen nicht vor.
Der Beschluss ist rechtskräftig.


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