Arbeitsrecht

Vertrags(zahn) arztangelegenheiten

Aktenzeichen  S 38 KA 165/19

Datum:
21.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2896
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
BMV-Ä § 57
HKaG Art. 18 Ab. 1 Ziff. 3

 

Leitsatz

1. Nach § 57 BMV-Ä bzw. § 10 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns und Art. 18 Abs. 1 Ziffer 3. Heilberufekammergesetz (HKaG) besteht für den Vertragsarzt eine allgemeine Dokumentationspflicht. Es ist so zu dokumentieren, dass ein fachkundiger Außenstehender ohne weiteres in der Lage ist, zu beurteilen, ob die jeweiligen Leistungsbestandteile erfüllt sind. (Rn. 32)
2. Die Nichtvorlage ausreichender Dokumentationen stellt eine Verletzung vertragsärztlicher Pflichten dar. Denn sie führt dazu, dass die KV ihre Verpflichtung aus § 75 Abs. 2 SGB V nicht wahrnehmen kann und letztendlich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abrechnung vereitelt wird (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.11.2013, Az L 24 KA 69/12). (Rn. 33)
3. Das zugelassene medizinische Versorgungszentrum hat die volle Verantwortung für die korrekte Organisation der Behandlung und für die Leistungsabrechnung. Diese Kernaufgaben des MVZs werden in personam des ärztlichen Leiters wahrgenommen. (Rn. 34 – 35)
4. Aufgrund der Gesamtverantwortung des ärztlichen Leiters eines MVZs, die auch die Richtigkeit der Abrechnung mit umfasst, besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit, vorrangig disziplinarrechtlich gegen angestellte Ärzte im MVZ und allenfalls subsidiär gegen den ärztlichen Leiter vorzugehen, auch wenn diese die Leistungen nicht entsprechend der rechtlichen Vorgaben erbracht haben sollten. (Rn. 35)
5. Kooperationsformen müssen so „gelebt“ werden, wie dies dem Zulassungsstatus/Genehmigungsstatus entspricht. Wer sich für eine bestimmte Kooperationsform entscheidet, muss sich daran festhalten lassen. (Rn. 37)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich aber als unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 06.09.2019 ist als rechtmäßig anzusehen.
Der vorliegende Rechtsstreit konnte durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Voraussetzungen nach § 105 Abs. 1 SGG vorliegen. Der Kläger wurde auf die Absicht des Gerichts, auf diese Weise zu entscheiden, hingewiesen.
Rechtsgrundlage für die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme in Form einer Geldbuße über € 8.000 ist § 81 Abs. 5 SGB V i.V.m. § 18 der Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns vom 22.06.2002, letztmalig geändert durch Beschluss am 24.07.2020. Danach kann bei Verletzung vertragsärztlicher Pflichten je nach Schwere der Verfehlung eine Verwarnung, ein Verweis oder eine Geldbuße bis zu € 10.000.-, nach der aktuellen Fassung der Satzung vom 24.07.2020 sogar bis zu 50.000.-€, oder das Ruhen der Zulassung bzw. der vertragsärztlichen Beteiligung bis zu 2 Jahren ausgesprochen werden. Für das streitgegenständliche Verfahren gilt die Rechtslage zum Zeitpunkt der dem Kläger zur Last gelegten Pflichtverletzungen.
Die formellen Voraussetzungen (§§ 18 Abs. 2 Satz 1, 18 Abs. 3 der Satzung der KVB) liegen vor. Disziplinarmaßnahmen können nicht mehr beantragt werden, wenn seit dem Bekanntwerden der Verfehlung bei der KVB zwei Jahre oder seit der Verfehlung fünf Jahre vergangen sind (§ 18 Abs. 3 der Satzung der KVB). Als maßgeblichen Zeitpunkt für das Bekanntwerden und damit für den Fristbeginn sieht das Gericht das Datum 20.04.2016 (Angebot einer Rückzahlungsvereinbarung) an. Denn Grundlage für eine solche Rückzahlungsvereinbarung ist die Kenntnis über einen die Rückzahlung rechtfertigenden Sachverhalt. Insofern ist die Zweijahresfrist des § 18 Abs. 3 der Satzung der KVB gewahrt.
Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme setzt als objektiven Tatbestand eine Pflichtverletzung voraus, die sowohl in einem bloßen Tun, als auch in einem Unterlassen bestehen kann. Eine solche Pflichtverletzung im Sinne von § 81 Abs. 5 SGB V ist dann gegeben, wenn es sich um Verstöße gegen vertragsärztliche Pflichten handelt, also um Verstöße gegen vertragsarztrechtliche Vorschriften, wie Gesetze, Satzungen, Verträge und Richtlinien (vgl. Schneider, Handbuch des Kassenarztrechts, Köln 1994, Rn 833, 884). Zum einen ist durch die Gerichte uneingeschränkt überprüfbar, ob ein bestimmtes Verhalten des Klägers eine disziplinarisch zu ahndende Pflichtverletzung darstellt (BSGE 62, 127), ob von einem richtigen und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen worden ist und sich die Beklagte von sachgerechten Gründen hat leiten lassen (vgl. BayLSG, Urteil vom 15.1.2014, Az L 12 KA 91/13).
Der Disziplinarbescheid ist nur dann rechtswidrig, wenn eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (§ 54 Abs. 2 SGG).
Bei der Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung handelt es sich um eine Grundpflicht und eine der tragenden Säulen des vertrauensbasierten Vertragsarztsystems. Diese Pflicht ist aus der Überlegung heraus entwickelt worden, dass nur ein geringer Teil der Abrechnungen überprüft werden kann. Hiergegen hat der Kläger unter mehreren Aspekten verstoßen.
Zum einen wurde die zulassungsrechtlich genehmigte Kooperationsform einer Praxisgemeinschaft von beiden MVZs rechtsmissbräuchlich genutzt. Denn die Zusammenarbeit, wie sie zwischen den MVZs tatsächlich praktiziert wurde, entsprach eher der einer Gemeinschaftspraxis als einer Praxisgemeinschaft. Dies hat auch in der großen Anzahl gemeinsamer Patienten seinen Niederschlag gefunden. Aber auch das gleichzeitige Einlesen bzw. das Doppeleinlesen der Versichertenkarte in einem MVZ und das Vorhandensein umfangreicher Dokumente wie Aufklärungsbögen für den operativen Eingriff in dem anderen MVZ sind untypisch für zwei wirtschaftlich unabhängige ärztliche Einrichtungen. Ferner kam es dazu, dass in manchen Fällen Überweisungen in das andere MVZ stattfanden, denen sich dann dort entsprechende Behandlungen anschlossen, was nicht nachvollziehbar war. Aus dem Protokoll zum Plausibilitätsgespräch ergab sich, dass dies in drei der angeforderten Fälle so von der Beklagten beurteilt wurde.
Soweit in diesem Zusammenhang vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgetragen wurde, das Protokoll sei unrichtig, steht dem die ausführliche Stellungnahme der Beklagten entgegen, die sich auf die Beurteilung durch den medizinischen Fachexperten beruft. Insofern mögen eventuell die Ausführungen im Protokoll missverständlich sein, jedoch hat das Gericht keine Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung durch die Beklagte in den genannten Fällen, wonach die Behandlung der Patienten in beiden MVZ´s nicht nachvollziehbar ist, auch wenn sich die MVZ´s in ihrem Leistungsspektrum – so wie vom Prozessbevollmächtigten des Klägers dargestellt – unterscheiden sollten. Dass lediglich drei Fälle übrig blieben führt nicht dazu, von keiner Pflichtverletzung auszugehen. Anders als im vorausgegangenen Verfahren, betreffend die Plausibilitätsprüfung unter dem Aktenzeichen S 43 KA 133/18 (Urteil vom 05.01.2020), in dem in Zweifel gezogen wurde, ob diese Fälle ausreichen, die Rückforderung in dem festgesetzten Umfang zu begründen, kommt es in dem streitgegenständlichen Verfahren zunächst nicht darauf an. Dies kann allenfalls eine Rolle spielen bei der Art der Disziplinarmaßnahme und deren Höhe. Unabhängig davon zeigt der Vorschlag der 43. Kammer zur vergleichsweisen Erledigung des Plausibilitätsverfahrens, dem die Beteiligten schließlich gefolgt sind, wie der dortige Spruchkörper das Prozessrisiko einschätzte (keine Änderung hinsichtlich der Richtigstellung der GOP 30760 – Reduzierung der Honorarkürzung auf die Hälfte bei der Richtigstellung hinsichtlich des Vorwurfs des Missbrauchs der Kooperationsformen). Die Rückforderung wurde von 78.674,68 € auf 58.085,07 € ermäßigt.
Was das Argument des Prozessbevollmächtigten zur historischen Entwicklung der beiden MVZs betrifft, ist zunächst zutreffend, dass als erstes das MVZ M. gegründet wurde, die bis dahin im Anstellungsverhältnis tätigen Ärzte nach fünf Jahren die Anstellung in eine Vollzulassung umwandeln konnten und daraus letztendlich das MVZ P. entstand. Die historische Entwicklung, die vom Prozessbevollmächtigten angeführt wird, mag zwar eine große Anzahl gemeinsamer Patienten in beiden MVZs erklären, berechtigt aber nicht dazu, Kooperationsformen missbräuchlich zu nutzen.
Ein weiterer Pflichtverstoß des Klägers, nämlich ein Verstoß gegen die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung ist darin zu sehen, dass die Voraussetzungen für die Abrechnung der GOP 30760 nicht vorlagen. Deren Leistungsinhalt ist damit umrissen, dass eine Überwachung im Anschluss an die Gebührenordnungsposition 30710 … stattfindet, was zu dokumentieren ist. Zum obligatorischen Leistungsinhalt der GOP 30760 gehört das kontinuierliche EKG-Monitoring, die kontinuierliche Pulsoxymetrie, Zwischen- und Abschlussuntersuchung(en), Dauer mindestens 30 Minuten.
Es trifft zwar zu, dass die Leistungslegende keine konkreten Hinweise enthält, wie und in welcher Form zu dokumentieren ist. Aus dem bloßen Ansatz einer Gebührenordnungsposition folgt jedoch nicht, dass die Leistung erbracht wurde und dass der Leistungsinhalt erfüllt ist. Vielmehr ist so zu dokumentieren, dass ein fachkundiger Außenstehender ohne weiteres in der Lage ist, zu beurteilen, ob die jeweiligen Leistungsbestandteile erfüllt sind. Nach § 57 BMV-Ä bzw. § 10 Abs. 1 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns und Art. 18 Abs. 1 Ziffer 3. Heilberufekammergesetz (HKaG) besteht eine allgemeine Dokumentationspflicht. Was die Leistung nach der GOP 30760 betrifft, umfasst die Leistungslegende hier ausdrücklich auch die Dokumentation. Der Dokumentation ärztlicher Leistungen kommt große Bedeutung zu. Sie dient vor allem dem Patienten im Rahmen von Strafverfahren oder im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses, aber auch dem Vertragsarzt im Rahmen der Abrechnung vertragsärztlicher Leistungen zur Nachweisführung. Erfolgt keine Dokumentation oder kann der Nachweis einer Dokumentation nicht geführt werden, gelten die Leistungen als nicht erbracht (BayLSG, Urteil vom 7.7.2004, Az L 3 KA 510/02; SG Marburg, Urteil vom 13.9.2017, S 12 KA 349/16; SG München, Urteil vom 25.07.2018, Az S 38 KA 645/16).
Das MVZ M. wäre nach §§ 295 Abs. 1, 1a SGB V verpflichtet gewesen, angeforderte Dokumentationen über den Kläger in seiner Eigenschaft als ärztlichen Leiter zur Verfügung zu stellen. Dem wurde jedoch nicht nachgekommen, obwohl die Beklagte bereits im Einleitungsschreiben vom 24.02.2014 die angeblich vorhandenen handschriftlichen Dokumentationen angefordert hatte. Auch dadurch werden vertragsärztliche Pflichten verletzt, da bei Nichtvorlage ausreichender Dokumentationen die Beklagte ihre Verpflichtung aus § 75 Abs. 2 SGB V nicht wahrnehmen kann und letztendlich die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abrechnung vereitelt wird (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.11.2013, Az L 24 KA 69/12).
Ebensowenig überzeugt der Einwand des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dieser habe die Leistungen nicht erbracht, etwaige Abrechnungsfehler seien ihm daher nicht zuzurechnen. Die sozialgerichtliche Rechtsprechung hat sich wiederholt mit der Frage zu beschäftigen gehabt, welche Pflichtenstellung ein ärztlicher Leiter eines MVZs auch gegenüber einer Kassenärztlichen Vereinigung einnimmt. Unstrittig ist mittlerweile, dass dem ärztlichen Leiter eines MVZ eine besondere Pflichtenstellung hinsichtlich des ordnungsgemäßen Ablaufs der vertragsärztlichen Versorgung im MVZ zukommt und er die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe und eine Gesamtverantwortung gegenüber der KÄV hat (vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az L 7 KA 169/09 B ER; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.02.2016, Az L 11 KA 59/15 B ER; Landessozialgericht Bayern, Urteil vom 27.01.2016, Az L 12 KA 69/14).
Durch die Gesundheitsreform im Jahr 2003 (Gesetz vom 14.11.2003 BGBl I S. 2190) wurde die Möglichkeit eröffnet, dass neben zugelassenen Ärzten/Zahnärzten, ermächtigten Ärzten/Zahnärzten und ermächtigten Einrichtungen auch zugelassene medizinische Versorgungszentren an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen. Unter dem „Dach“ des MVZ sind Ärzte (fachgruppenidentisch oder auch fachgruppenunterschiedlich) entweder im Angestelltenverhältnis oder als Vertragsärzte tätig (§ 95 Abs. 1 S. 2 SGB V). Für angestellte Ärzte im MVZ ist eine Genehmigung erforderlich (§ 95 Abs. 2 S. 7 SGB V). Mit der Zulassung des MVZ wird dieses zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung verpflichtet und berechtigt (§ 95 Abs. 3 S. 2 SGB V). Dem MVZ steht gemäß § 95 Abs. 1 S. 2 SGB V ein ärztlicher Leiter vor, der seinerseits entweder als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt im MVZ tätig sein muss (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2011, Az B 6 KA 33/10 R). Das Rechtsinstitut des MVZ bietet den angestellten Ärzten nicht nur den Vorteil, dass sie anders als ein zugelassener Vertragsarzt kein unternehmerisches Risiko tragen und zu vertraglich festgelegten Arbeitszeiten tätig sind, sondern auch, dass für sie technisch-administrative Aufgaben entfallen. Wie das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.02.2016, Az L 11 KA 58/15 B ER) ausführt, korrespondiert der Verminderung der Verantwortung des einzelnen Arztes „die volle Verantwortung des MVZ für die korrekte Organisation der Behandlung und für die Leistungsabrechnung“. Hierbei handle es sich um den Kern der Aufgaben des MVZ. Diese Aufgaben des MVZs werden in personam des ärztlichen Leiters wahrgenommen. Dementsprechend ist eine Abrechnungssammelerklärung fehlerhaft, wenn sie vom ärztlichen Leiter nicht unterschrieben ist. Er garantiert auch mit seiner Unterschrift, dass die Abrechnungen ordnungsgemäß, d. h. auch vollständig entsprechend der Leistungslegende erbracht wurden. Daraus folgt, dass der ärztliche Leiter letztendlich die Gesamtverantwortung gegenüber der KVB für die von den angestellten Ärzten erbrachten Leistungen trägt. Nachdem das MVZ nicht Mitglied der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung wird, sondern nur natürliche Personen (vgl. § 77 Abs. 3 SGB V), unterfällt es auch nicht der Disziplinargewalt der Kassenärztlichen Vereinigung. Nach § 18 Abs. 1 der Satzung der KVB können Disziplinarmaßnahmen nur gegenüber Mitgliedern der KVB verhängt werden. Aufgrund dieser Zusammenhänge und, da ein ärztlicher Leiter entweder angestellter Arzt im MVZ oder Vertragsarzt ist, ist ein disziplinarrechtlicher Durchgriff auf ihn nicht nur zulässig, sondern auch notwendig (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.01.2016, Az L 12 KA 69/14). Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Leistungen seien vom ärztlichen Leiter nicht erbracht worden, sondern von den angestellten Ärzten. Zwar sind auch angestellte Ärzte im MVZ nach § 95 Abs. 3 S. 2 SGB V Mitglieder der KVB, sodass Pflichtverstöße auch ihnen gegenüber disziplinarrechtlich verfolgt werden können. Aufgrund der Gesamtverantwortung des ärztlichen Leiters eines MVZs, die auch die Richtigkeit der Abrechnung mit umfasst, besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit, vorrangig disziplinarrechtlich gegen angestellte Ärzte im MVZ und allenfalls subsidiär gegen den ärztlichen Leiter vorzugehen, auch wenn diese die Leistungen nicht entsprechend der rechtlichen Vorgaben erbracht haben sollten. Das Einstehenmüssen entspricht auch der herausgehobenen Stellung des ärztlichen Leiters eines MVZ´s ähnlich der des Vorstands einer Aktiengesellschaft – Haftung des Vorstands nach § 93 AktG-, in der Regel verknüpft mit deutlich höheren Einkünften. Hinzu kommen auch Praktikabilitätserwägungen bei der Prüfung fehlerhafter Abrechnungen. Dass zu hohe Anforderungen gestellt werden, ist nicht ersichtlich. Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 11.08.2010, Az L 1 KA 54/09) Bezug nimmt, wonach sich der ärztliche Leiter eines MVZ´s nur eigenes Fehlverhalten zurechnen lassen muss, ist darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidung durch die nachfolgende Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 14.12.2011, Az B 6 KA 33/10 R) aufgehoben wurde.
Unabhängig davon, ist, worauf die Beklagte hinweist, eine eigene Pflichtverletzung des ärztlichen Leiters auch darin zu sehen, dass er entgegen seiner Verpflichtung aus §§ 295 Abs. 1, 1a SGB V der Aufforderung der Beklagten nicht nachgekommen ist, angeforderte Dokumentationen zur Verfügung zu stellen.
Die erst kürzlich vom Prozessbevollmächtigen des Klägers eingeführten weiteren Aspekte sind nach Auffassung des Gerichts nicht zu berücksichtigen. So wurde vorgetragen, für die in Bayern relativ einzigartige Konstellation gebe es eine Versorgungsrelevanz (insbesondere medizinische Versorgung von Unfällen und akuten Schmerzzuständen in der Region) im Hinblick auf die D-ärztliche Versorgung von Arbeitsunfällen, die zulassungsrechtlich an einen Hauptstandort gebunden und an einer neben Betriebsstätte nicht möglich sei. Eine BAG zwischen den medizinischen Versorgungszentren P. und M. hätte die Schließung eines D-Arzt Standortes mit jeweils mehr als 1.000 Arbeitsunfällen zur Folge. Ferner wurde darauf aufmerksam gemacht, beide Versorgungszentren nähmen an dem KV-Notdienst teil. Diese Aspekte würden zwar aus Gründen der Versorgung gegen eine BAG zwischen beiden MVZs sprechen. Sie sind jedoch für das streitgegenständliche Verfahren ohne Belang, da ein Zusammenhang nicht zu erkennen ist. So ist nicht Ziel der Disziplinarmaßnahme, einen Zusammenschluss der MVZs im Rahmen einer überörtlichen BAG herbeizuführen. Vielmehr geht es darum, dass Kooperationsformen so „gelebt“ werden, wie dies dem Zulassungsstatus/Genehmigungsstatus entspricht. Wer sich für eine solche Kooperationsform entscheidet, muss sich daran festhalten lassen und kann nicht wie eine überörtliche BAG in Erscheinung treten.
Voraussetzung für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme ist ferner ein Verschulden als subjektiver Tatbestand, wobei ein fahrlässiges Verhalten genügt (vgl. Hesral in: Disziplinarrecht und Zulassungserziehung, Hrsg. Ehlers, zweite Auflage 2013, RdNr. 219 ff.). Es ist zumindest von Fahrlässigkeit auszugehen, indem der Kläger in seiner Eigenschaft als ärztlicher Leiter unter mehreren Aspekten gegen seine Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen hat.
Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die verhängte Disziplinarmaßnahme in Form der ausgesprochenen Geldbuße von € 8.000.-. Die in § 81 Abs. 5 Satz 2 SGB V genannten Disziplinarmaßnahmen sind abschließend. Sie stehen nicht willkürlich nebeneinander, sondern in einem Stufenverhältnis (vgl. BSG, Urteil vom 3.9.1987, 6 RKa 30/86) und bestimmen sich nach § 81 Abs. 5 Satz 2 SGB V „je nach der Schwere der Verfehlung“. Insofern besteht für die Beklagte ein Auswahlermessen zwischen den einzelnen Disziplinarmaßnahmen. Sie hat die Gesamtumstände abzuwägen und das Fehlverhalten in innerem und äußerem Zusammenhang zu würdigen, sowie die jeweilige Disziplinarmaßnahme an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auszurichten. Die Disziplinarmaßnahme muss geeignet, erforderlich sein und darf nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck stehen. Zusätzliche Ermessenserwägungen sind bei der Verhängung einer Geldbuße bzw. bei der Anordnung des Ruhens der Zulassung anzustellen, da der Gesetzgeber in § 81 Abs. 5 SGB V einen Rahmen vorgegeben hat.
Gemessen an diesen Voraussetzungen erscheint nach Auffassung des Gerichts die Geldbuße in Höhe von € 8.000.- tat-und schuldangemessen. Die Beklagte hat ausweislich des angefochtenen Disziplinarbescheides die erforderlichen Abwägungen in der Form vorgenommen, dass sie einerseits berücksichtigte, dass die Klägerin bislang nicht disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten war. Andererseits hat sie ausführlich dargestellt, dass angesichts der Verstöße gegen elementare Grundpflichten andere mildere, in § 81 Abs. 5 SGB V genannte Disziplinarmaßnahmen wie Verwarnung und Verweis oder eine niedrigere Geldbuße als € 8.000.-nicht in Betracht zu ziehen sind.
Trotz bestehender Zweifel im vorausgegangenen Plausibilitätsverfahren, ob die Beklagte ihr Schätzungsermessen bezüglich des Vorwurfs des Missbrauchs der Kooperationsformen zutreffend ausgeübt hat, ist der streitgegenständliche Disziplinarbescheid nicht als rechtswidrig anzusehen. Nach der sozialgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 24.03.2009, Az L 4 KA 3/08) ist ein Disziplinarbescheid nicht rechtswidrig, wenn zwar einige der ihm zugrunde liegenden Vorwürfe entfallen, die übrigen aber die ausgesprochene Maßnahme nach Art und Höhe rechtfertigen und die im Bescheid dargelegten Ermessenserwägungen dem nicht entgegenstehen. Nach Auffassung des Gerichts sind die festzustellenden Pflichtverletzungen insgesamt ausreichend, die ausgesprochene Geldbuße in Höhe von 8.000 € zu begründen. Ein Ermessensfehler ist nicht festzustellen.
In Gesamtschau unter Berücksichtigung der o.g. Gesichtspunkte erscheint die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme verhältnismäßig und angemessen. In dem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass § 18 Abs. 1 der Satzung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns in der aktuellen Fassung sogar Geldbußen bis zu einer Höhe von € 50.000.- vorsieht.
Aus diesen Gründen war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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