Arbeitsrecht

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Aktenzeichen  RO 12 K 20.1040

Datum:
9.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4106
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBhV § 7
BayBhV § 18

 

Leitsatz

Medizinische Notwendigkeit bioidentischer Schilddrüsenhormone.

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde (53,83 €), wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird der Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Landesamtes für Finanzen vom 20.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesamtes für Finanzen vom 14.05.2020 verpflichtet, der Klägerin weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 158,90 € zu gewähren.
Darüber hinaus wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens tragen zu ¼ die Klägerin und zu ¾ der Beklagte.
IV. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung.
Soweit die Klage mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 15.02.2021 hinsichtlich der ursprünglich auch noch begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung weiterer Beihilfeleistungen in Höhe von 53,83 € zurückgenommen wurde, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Insoweit ist die Entscheidung unanfechtbar.
Soweit aufrechterhalten, ist die Klage zulässig, aber nur teilweise begründet. Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 20.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2020 ist, soweit noch angefochten, rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit nicht bei der Klägerin eine Eigenbeteiligung in Höhe von 3,00 € einzubehalten ist. Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 158,90 €; darüber hinaus war die Klage abzuweisen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gemäß Art. 96 Abs. 1 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) erhalten u. a. (Ruhestands-)Beamte und (Ruhestands-)Beamtinnen für sich, (unter gewissen Voraussetzungen) den Ehegatten und die im Familienzuschlag nach dem Bayerischen Besoldungsgesetz berücksichtigungsfähigen Kinder Beihilfen als Ergänzung der aus den laufenden Bezügen zu bestreitenden Eigenvorsorge, solange ihnen laufende Besoldung oder Versorgungsbezüge zustehen. Beihilfeleistungen werden nach Art. 96 Abs. 2 Satz 1 BayBG zu den nachgewiesenen medizinisch notwendigen und angemessenen Aufwendungen in Krankheits-, Geburts- und Pflegefällen und zur Gesundheitsvorsorge gewährt. Das Nähere ist durch das Staatsministerium der Finanzen und für Heimat durch Rechtsverordnung zu regeln (Art. 96 Abs. 5 Satz 1 BayBG). Von dieser Ermächtigung wurde durch Erlass der Bayerischen Beihilfeverordnung (BayBhV) Gebrauch gemacht.
Die Klägerin ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 2 BayBhV beihilfeberechtigt. Die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen richtet sich nach §§ 7, 18 BayBhV in der anzuwendenden Fassung. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 02.04.2014 – 5 C 40/12, Rn. 9). Die Aufwendungen gelten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV in dem Zeitpunkt als entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Die Präparate wurden alle am 04.10.2019 in der Apotheke erworben, so dass die BayBhV in der Fassung gültig ab 01.01.2019 bis 31.12.2020 Anwendung findet.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind Aufwendungen nach den folgenden Vorschriften der BayBhV beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig (Nr. 1) und der Höhe nach angemessen sind (Nr. 2) und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr. 3).
Nach § 18 Satz 1 BayBhV sind die aus Anlass einer Krankheit bei ärztlichen oder zahnärztlichen Leistungen oder Heilpraktikerleistungen nach §§ 8 bis 17 BayBhV verbrauchten oder nach Art und Umfang schriftlich verordneten apothekenpflichtigen Arzneimittel nach § 2 des Arzneimittelgesetzes (Nr. 1), Verbandmittel (Nr. 2), Harn- und Blutstreifen (Nr. 3) sowie Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nrn. 1 bis 3 des Medizinproduktegesetzes zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt sind (Nr. 4) beihilfefähig. Nicht beihilfefähig sind nach § 18 Satz 4 BayBhV Aufwendungen für Mittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, zur Rauchentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen (Nr. 1), für Mittel, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen (Nr. 2), Vitaminpräparate, die keine Fertigarzneimittel im Sinn des Arzneimittelgesetzes darstellen (Nr. 3) und Geriatrika und Roborantia (Nr. 4).
Der Begriff der beihilferechtlichen Notwendigkeit von Aufwendungen als Voraussetzung für die Beihilfengewährung ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach sind Aufwendungen dem Grund nach notwendig, wenn sie für eine medizinisch gebotene Behandlung entstanden sind, die der Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung von Leiden sowie der Beseitigung oder zum Ausgleich körperlicher Beeinträchtigungen dient. Entsprechend dem Zweck der Beihilfengewährung müssen die Leiden und körperlichen Beeinträchtigungen Krankheitswert besitzen. Die Behandlung muss darauf gerichtet sein, die Krankheit zu therapieren. Zusätzliche Maßnahmen, die für sich genommen nicht die Heilung des Leidens herbeiführen können, können als notwendig gelten, wenn sie die Vermeidung oder Minimierung von mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Behandlungsrisiken und Folgeleiden bezwecken (BVerwG, Beschluss v. 30.09.2011 – 2 B 66/11, juris Rn. 11). Die Kosten lediglich nützlicher, aber nicht notwendiger Behandlungen muss der Beihilfeberechtigte hingegen aus eigenen Mitteln bestreiten. Maßgebend ist, ob die Maßnahme im Einzelfall objektiv medizinisch notwendig war. Kommen nach medizinischen Gesichtspunkten verschiedene vertretbare Möglichkeiten in Betracht, ist die vom Arzt gewählte Methode medizinisch notwendig, wenn er sie nach ärztlich-wissenschaftlichem Maßstab dafür halten konnte. Auch die Höhe der Kosten darf nicht außer Betracht bleiben. Zwar wird man nicht davon ausgehen können, dass der Beihilfeberechtigte allgemein verpflichtet ist, die Kosten möglichst gering zu halten, jedoch ist er auf Grund der Treuepflicht gehalten, extrem hohe Kosten zu Lasten des Dienstherrn zu vermeiden, wenn andere weniger kostenaufwendige, aber medizinisch gleichwertige Behandlungsmethoden möglich sind (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Bd. 1 § 6 BBhV Anm. 2 (2) zu Abs. 1; 179. AL. Juli 2019).
Dies zu Grunde gelegt, ist die Behandlung der Klägerin und ihrer Tochter A. mit bioidentischen Schilddrüsenhormonen – anders als vom Beklagten vertreten – medizinisch notwendig.
Bei der Klägerin und ihrer Tochter A. wurden eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse in Form einer Hashimoto Thyreoiditis Erkrankung diagnostiziert (Atteste Dr. N. v. 26.09.2019) und beide wegen einer bestehenden Hypothyreose therapiert (Attest Dr. N. v. 02.12.2019), die gemäß ärztlichem Attest des behandelnden Hausarztes Dr. N. vom 25.07.2019 bei der Klägerin und ihrer Tochter zunächst von 2010 bis 2018 leitlinienkonform mit synthetischen Schilddrüsen-Hormonpräparaten behandelt worden ist. Eine Verbesserung der Symptomatik konnte gemäß Attest auch nach längerer medikamentöser Therapie nicht erreicht werden. Diese Behandlung war gemäß Attest bei der Klägerin und ihrer Tochter nicht ausreichend und die Indikation für die Umstellung auf bioidentische Schilddrüsenextrakte zweifelsfrei vorhanden. Erst nach Umstellung auf bioidentische Schilddrüsenextrakte konnte eine deutliche Verbesserung der Beschwerden erzielt werden. Dieser Vortrag der Klägerin wird durch den Beklagten auch nicht angezweifelt. Zwar sind die Kosten für bioidentische Schilddrüsenhormone (deutlich) höher als für synthetische Schilddrüsenhormone, doch war die Behandlung im zu Grunde liegenden Einzelfall objektiv medizinisch notwendig, da der behandelnde Arzt sie nach ärztlich-wissenschaftlichem Maßstab dafür halten durfte, nachdem – anders als aktuell mit den bioidentischen Hormonen – konventionelle Schilddrüsenpräparate auch nach längerer medikamentöser Therapie bei der Klägerin und ihrer Tochter zu keiner Verbesserung der Symptomatik geführt haben.
An der medizinischen Notwendigkeit der Verordnung bioidentischer Schilddrüsenhormone ändert vorliegend auch die vom Beklagten eingeholte beratungsärztliche Stellungnahme vom 02.04.2020 nichts. Vielmehr geht aus ihr hervor, dass bioidentische Hormone die gleiche chemische und molekulare Struktur aufweisen, wie die vom menschlichen Körper produzierten Hormone. Weiter wird darin ausgeführt, dass bioidentische Hormone genauso wirksam seien wie synthetisch hergestellte Hormone und deshalb „zumindest“ der Kaufpreis der entsprechenden synthetischen Hormone erstattet werden solle. Die beratungsärztliche Stellungnahme setzt sich erkennbar nicht mit der Stellungnahme des behandelnden Arztes zu dem „gravierende[n] Unterschied von bioidentischen Komplexpräparaten und synthetischen Hormonpräparaten“ auseinander und, dass bei der Klägerin und ihrer Tochter die langjährige Therapie mit synthetischen Schilddrüsenpräparaten die vorhandene Symptomatik nicht verbessert hat. Beide wurden von 2010 bis 2018 mit synthetischen Schilddrüsenhormonen behandelt. Die pauschale Formulierung in der beratungsärztlichen Stellungnahme dahingehend, dass ihm wissenschaftliche Studien, die den Nachweis führten, dass die Anwendung bioidentischer Hormone von Vorteil sei gegenüber der Anwendung synthetischer Hormone mit derselben Hormonwirkung, nicht bekannt seien, ist nicht geeignet, im zu Grunde liegenden Einzelfall die vom behandelnden Arzt nachvollziehbar und plausibel begründete medizinische Notwendigkeit der Umstellung der Therapie auf bioidentische Schilddrüsenhormone in Zweifel zu ziehen.
Die Aufwendungen für die bioidentischen Schilddrüsenhormone sind auch wirtschaftlich angemessen.
Für die Prüfung der wirtschaftlichen Angemessenheit ist nur dann Raum, wenn Aufwendungen in unterschiedlicher Höhe getätigt werden können. Etwas anderes gilt bei feststehenden Kaufpreisen, z.B. Medikamenten. Hier sind Aufwendungen – abgesehen von den (ggfs.) zu berücksichtigenden Eigenbehalten im Sinn des Art. 96 Abs. 3 Satz 5 BayBG – in jedem Fall voll beihilfefähig, wenn das gekaufte Arzneimittel notwendig war, es der ärztlichen Verordnung entspricht und auch keine sonstigen Einschränkungen in Bezug auf die Beihilfefähigkeit bestehen (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Bd. 1 § 6 BBhV Anm. 3 (1) zu Abs. 1; 179. AL. Juli 2019; Bd. 2 § 7 BayBhV Anm. 3 (1) zu Abs. 1; 174. AL. Juni 2018). Die bioidentischen Schilddrüsenhormone waren vorliegend medizinisch notwendig (s.o.) und es sind keine Einschränkungen in Bezug auf die Beihilfefähigkeit ersichtlich (z.B. Höchstbetragsregelung). Dass das gekaufte Arzneimittel nicht der ärztlichen Verordnung entspricht ist nicht erkennbar und wurde vom Beklagten auch nicht behauptet.
Die Beihilfefähigkeit ist auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Weder § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 5 Nr. 1 oder 2 und Anlage 2 noch § 18 BayBhV regeln einen ausdrücklichen Ausschluss bioidentischer Hormone. Insbesondere liegt kein Fall des § 18 Satz 2 BayBhV vor. Die Beihilfefähigkeit der verordneten bioidentischen Schilddrüsenhormone ist darüber hinaus auch nicht nach § 18 Satz 4 BayBhV ausgeschlossen, da sie kein Mittel sind, das geeignet ist, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen (Nr. 2). Ebenso wenig handelt es sich um ein Vitaminpräparat im Sinne der Nr. 3 oder um Geriatrika oder Roborantia (Nr. 4).
Bei den schriftlich verordneten bioidentischen Schilddrüsenhormonen handelt es sich um ein apothekenpflichtiges (vgl. §§ 43 Abs. 1, 44 Arzneimittelgesetz (AMG) und die Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel (AMVerkRV)) Rezepturarzneimittel (§ 2 Abs. 1 AMG, § 1a Abs. 8 Apothekenbetriebsordnung).
Gemäß Art. 96 Abs. 3 Satz 5 BayBG ist die festgesetzte Beihilfe um 3 € je verordnetem Arzneimittel (Eigenbeteiligung) bei der Klägerin zu mindern. Bei ihrer Tochter A. ist, wie in Art. 96 Abs. 3 Satz 6 Nr. 1 BayBG vorgesehen, keine Eigenbeteiligung anzusetzen.
Nach alledem war der Klage – abgesehen von der bei der Klägerin einzubehaltenden Eigenbeteiligung i.H.v. 3,00 € – stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Durch die Rücknahme hat die Klägerin Kosten in Höhe von ¼ zu tragen (53,83 € ./. 215,73 €). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.


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