Bankrecht

Anforderungen an die Verbraucherinformation nach § 10a VAG aF bei Vertragsschluss im sog. Policenmodell

Aktenzeichen  25 U 373/18

Datum:
17.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 53955
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG aF § 5a
VAG aF § 10a

 

Leitsatz

1. Abschnitt I Nr. 1 Buchst. e der Anlage Teil D zum VAG aF fordert nicht die Angabe eines Gesamtbetrages, der sich aus allen Prämien zusammensetzt, die über die gesamte Laufzeit des Vertrages gezahlt werden. Auch ein Einzelausweis des auf eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung entfallenden Anteils der Prämie ist nicht erforderlich, da diese Zusatzversicherung gerade keinen selbständigen Versicherungsvertrag darstellt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einem Vertragsschluss nach dem Policenmodell ist auch eine Information über die Frist, während der der Antragsteller an den Antrag gebunden sein soll (Abschnitt I Nr. 1 Buchst. f der Anlage Teil D zum VAG aF), nicht erforderlich (so auch OLG Köln BeckRS 2016, 13400 Rn. 15). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

23 O 6657/17 2017-12-19 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19.12.2017, Az. 23 O 6657/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Einwendungen des Klägers in der Berufungsbegründung führen zu keiner abweichenden Beurteilung.
1. Nach Auffassung des Senats war die im Policenbegleitschreiben vom 29.07.1996 (Anlage K 3) erteilte Widerspruchsbelehrung ordnungsgemäß und die Verbraucherinformation vollständig.
a) Der Kläger wurde in der erforderlichen „drucktechnisch deutlichen“ Form belehrt.
Die Belehrung befindet sich in dem lediglich einseitigen Anschreiben, mit dem der Versicherungsschein übersandt wurde und von dem jedenfalls zu erwarten ist, dass es zumindest „überflogen“ wird, in einem eigenen Absatz am Ende des insgesamt gut eine halbe Seite umfassenden eigentlichen Textes. In der Überschriftszeile zu diesem Absatz ist das Wort „Widerspruchsrecht“ in deutlichem Fettdruck hervorgehoben, im Belehrungstext selbst im ersten Satz die Passage „innerhalb von 14 Tagen“, im zweiten die Passage „Die Frist beginnt mit Zugang dieses Schreibens,“ Da im Text des Anschreibens ansonsten weder Worte noch Passagen durch Fettdruck oder in sonstiger Weise drucktechnisch hervorgehoben sind, fällt schon der erste Blick eines unbefangenen Lesers dieses Schreibens sofort und zwanglos auf das Fettgedruckte; die hervorgehobenen Schlagworte „Widerspruchsrecht“, „innerhalb von 14 Tagen“ und „Die Frist beginnt mit Zugang dieses Schreibens“ vermitteln unmittelbar, um welche Thematik es geht und dass diese auch ggf. wegen der Fristsetzung einer raschen Überprüfung bedarf. Die Gestaltung ist ersichtlich darauf angelegt, dass der Versicherungsnehmer, der mit diesem Schreiben die Vertragsunterlagen für eine über 16 Jahre laufende Lebensversicherung mit einer Versicherungssumme von immerhin 22.225 DM erhält, auf die Belehrung aufmerksam wird, und diese, durch die Schlagworte neugierig gemacht, nun auch insgesamt liest – und zwar sofort. Sinn und Zweck der gesetzlichen Verpflichtung zur drucktechnischen Hervorhebung ist damit Genüge getan. Es wird hinreichend sichergestellt, dass der Versicherungsnehmer die Belehrung zur Kenntnis nimmt, selbst wenn er nicht nach einer Widerspruchsmöglichkeit sucht.
Entgegen der Auffassung des Berufungsführers steht dem nicht entgegen, dass die Belehrung nicht insgesamt in Fettdruck gehalten ist. Den für diese Ansicht herangezogenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 07.09.2016 – IV ZR 174/14 – und Urteil vom 14.10.2015 – IV ZR 284/12) lagen andere Gestaltungen der Vertragsunterlagen zugrunde, die der hiesigen nicht vergleichbar waren. So befand sich in beiden Entscheidungen die als drucktechnisch nicht ausreichend hervorgehoben angesehene Belehrung nicht in einem gesonderten Anschreiben, sondern in „Allgemeinen Informationen“ auf der sechsten Seite des Versicherungsscheins, wobei nur die Überschrift „Widerspruchsrecht“ und der erste Satz der Belehrung durch Fettdruck hervorgehoben waren, nicht jedoch die Folgesätze. Ob der dortigen (wenig lebensnah erscheinenden) Einschätzung des Bundesgerichtshofs richtigerweise zu folgen ist, kann dahinstehen. Die hiesige Fallgestaltung ist jedenfalls entscheidend anders. Denn es ist für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer offensichtlich, dass die fettgedruckten Schlagworte als bloße Satzteile keine vollständige Belehrung enthalten, sondern in erster Linie bezwecken, seine Aufmerksamkeit auf den betroffenen, aus lediglich vier Sätzen bestehenden Absatz der Belehrung insgesamt zu lenken und ihn zum Lesen desselben zu bewegen.
b) Über den Fristbeginn wird ordnungsgemäß belehrt.
Die Formulierung „mit Zugang“ ist nicht zu beanstanden. Dass bei einer Ereignisfrist wie hier die Benennung des Ereignisses als fristauslösendes Moment genügt, wenn nicht durch verfälschende Zusätze der Eindruck erweckt wird, dass der Tag des Ereignisses bei der Fristberechnung mitgezählt wird, hat der Bundesgerichtshof bereits mit Urteil vom 11.02.2015 – IV ZR 311/13 zur Formulierung „nach Erhalt“ klargestellt: „Der Versicherungsnehmer kann hieraus entnehmen, dass die Frist zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem er die Unterlagen erhalten hat. Unschädlich ist es demgegenüber, dass kein ausdrücklicher Hinweis auf die Berechnung der Frist gemäß § 187 Abs. 1 BGB erfolgt ist. Es muss insbesondere nicht ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass die Widerrufsfrist erst einen Tag nach Erhalt der Unterlagen zu laufen beginnt. So hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Belehrung, der Lauf der Frist beginne mit (Hervorhebung durch den Senat) der Aushändigung eines Durchschlages des Bestellscheins mit der schriftlichen Widerrufsbelehrung, für ausreichend erachtet (VII ZR 6/10, BGHZ 187, 97 Rn. 26).“ (BGH aaO Rn. 18 bei juris). Dabei ist unerheblich, ob an das fristauslösende Ereignis, das punktuell ist und irgendwann in den Lauf eines Tages fällt, mit dem Begriff „mit“, „nach“ oder auch z.B. „ab“ angeknüpft wird. Entsprechend hält der Senat derartige Formulierungen in Widerspruchsbelehrungen in ständiger Rechtsprechung für ordnungsgemäß (vgl. z.B. Beschlüsse vom 28.11.2017 und 12.01.2018 im Verfahren 25 U 3174/17, in dem die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers die dortige Klägerin vertraten).
Auch die fristauslösenden Unterlagen sind zutreffend benannt. Der Fristbeginn mit Zugang „dieses Schreibens“ ist im weiteren Satzteil nach dem Komma wie folgt erläutert: „, nachdem Ihnen nunmehr der Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen (im Sinne des § 10 a des Versicherungsaufsichtsgesetzes) vollständig vorliegen.“ Damit ist entgegen der Behauptung des Berufungsführers eindeutig klargestellt, dass das vollständige Vorliegen von Police, Bedingungen und Verbraucherinformation für den Anlauf der Frist erforderlich ist. Überobligatorisch wird dies im letzten Satz der Belehrung sogar nochmals wiederholt.
c) Die Verbraucherinformation im Sinne des § 10a VAG a.F. war vollständig.
Abgesehen davon, dass eine rechtliche Bewertung, wie sie für diese Beurteilung erforderlich ist, nicht unstreitig gestellt werden kann, war die Verbraucherinformation nur nach Behauptung des Klägers unvollständig; die Beklagte hat sich hingegen darauf berufen, dem Kläger sämtliche erforderlichen Verbraucherinformationen erteilt zu haben, insbesondere den zu zahlenden Betrag ausgewiesen zu haben.
aa) Die Rüge, die Angabe des insgesamt zu bezahlenden Betrages gemäß Anlage D, Abschnitt I, Nr. 1.e) VAG a.F. würde fehlen, ist unberechtigt. Die Angabe der Prämienhöhe von monatlich 125,00 DM und der Beitragszahlungsdauer von 16 Jahren in Versicherungsantrag und Versicherungsschein genügte.
Nr. 1.e) in Anlage D, Abschnitt I VAG a.F. lautete:
„Angaben über die Prämienhöhe, wobei die Prämien einzeln auszuweisen sind, wenn das Versicherungsverhältnis mehrere selbständige Versicherungsverträge umfassen soll, und über die Prämienzahlungsweise sowie Angaben über etwaige Nebengebühren und -kosten und Angabe des insgesamt zu zahlenden Betrages“.
Die der Regelung zugrunde liegende Richtlinie 2002/83/EG schreibt in Anhang III. A. insoweit zum einen unter Buchstabe a.7 die Information über Prämienzahlungsweise und Prämienzahlungsdauer vor, zum anderen unter Buchstabe a.10 Informationen über die Prämien für jede Leistung, und zwar sowohl Haupt- als auch Nebenleistungen, wenn sich derartige Informationen als sinnvoll erweisen. In diesem Sinne ist auch die Formulierung „insgesamt zu zahlender Betrag“ auszulegen. Auch die Preisangabenverordnung (PAngV), auf die die Gesetzesbegründung zum VAG ergänzend verweist, stellt für die Begrifflichkeit der „Gesamtpreise“ auf den Preis einschließlich Umsatzsteuer und sonstiger Preisbestandteile ab (vgl. dort § 1 Grundvorschriften).
Die zitierte Vorschrift in der Anlage zum VAG a.F. erfordert entgegen der Ansicht des Klägers weder nach Wortlaut noch nach Zweck, einen Gesamtbetrag anzugeben, der sich aus allen Prämien zusammensetzt, die über die gesamte Laufzeit des Vertrages gezahlt werden. Zweck der Regelung ist es, den potentiellen Versicherungsnehmer über die Höhe der für die Versicherung zu zahlenden Prämie zu informieren und ihm aufzuzeigen, ob Nebengebühren oder Nebenkosten enthalten sind, nicht dem Versicherungsnehmer mitzuteilen, welchen Gesamtbetrag er in der gesamten Vertragslaufzeit (voraussichtlich) zahlen wird. Denn vergleichbar werden die Angebote verschiedener Versicherer durch die Angaben zur (hier: monatlich zu zahlenden) Prämie, zur Laufzeit und zur versprochenen Versicherungsleistung (vgl. auch Senat, Beschlüsse vom 28.11.2017 und 12.01.2018 im Verfahren 25 U 3174/17). Auch ein Einzelausweis des auf die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung entfallenden Anteils der Prämie war nicht erforderlich, da diese Zusatzversicherung gerade keinen selbständigen Versicherungsvertrag darstellte; es handelte sich dabei auch nicht um Nebengebühren oder Nebenkosten.
bb) Die fehlende Angabe einer Antragsbindungsfrist (Anlage D, Abschnitt I, Nr. 1.f) VAG a.F.: Angaben über die Frist, während der der Antragsteller an den Antrag gebunden sein soll) schadet nicht. Bei einem Vertragsabschluss nach dem Policenmodell wie hier gibt es typischerweise aufgrund des Widerspruchsrechts keine solche Frist und damit nichts, worüber zu belehren wäre (ständige Spruchpraxis des Senats, z.B. Beschluss vom 02.11.2016 – 25 U 4229/16; ebenso OLG Köln, Urteil vom 27.11.2015 – 20 U 143/15, Revision zurückgewiesen vom BGH mit Urteil vom 13.07.2016 – IV ZR 541/15). Zudem ergibt sich inzident, aber für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne Weiteres verständlich, schon aus der Belehrung über das Widerspruchsrecht, dass der Versicherungsnehmer bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist an seinen vorangegangenen Antrag gerade nicht gebunden ist.
cc) Die Ausführungen in der Berufungsbegründung zu sog. Teilinformationen und insbesondere der Entscheidung des BGH vom 23.09.2015, Az. IV ZR 179/14, sind nicht recht verständlich. Dort äußert sich der Bundesgerichtshof lediglich dazu, dass dann, wenn bei Antragstellung nur ein Teil der erforderlichen Verbraucherinformation erteilt wird und die restlichen erst mit der Police, von einem Vertragsschluss im Policenmodell, nicht im Antragsmodell auszugehen ist. Die auszugsweise zitierte Rn. 11 des Urteils lautet vollständig wie folgt:
„Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Vertrag im sogenannten Policenmodell und nicht – wie die Revisionserwiderung meint – im Antragsmodell zustande gekommen. Unstreitig hat der Versicherer bei Antragstellung die nach § 10a VAG erforderliche Verbraucherinformation d. VN nicht vollständig ausgehändigt, sondern die Garantiewerte und die garantierten beitragsfreien Versicherungssummen erst mit dem Versicherungsschein übermittelt. Der Wortlaut des § 5a VVG a.F. ist zwar nicht eindeutig, weil es dort nur heißt „oder eine Verbraucherinformation nach § 10a Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen“. Schon der Wortlaut der Überschriften zu den Ziffern 1 und 2 des Abschnitts I der Anlage D zum VAG zeigt aber, dass die aufgezählten Einzelinformationen sprachlich zusammengefasst werden und die zu erteilende Verbraucherinformation als Gesamtheit zu verstehen ist. Die Erteilung lediglich von Teilinformationen würde auch dem Sinn und Zweck der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung und dem Schutz der Versicherungsnehmer nicht gerecht. Danach kommt es grundsätzlich auch dann zur Anwendung des Policenmodells, wenn nur einzelne Informationen bei Antragstellung dem Versicherungsnehmer nicht erteilt worden sind. Denn sonst hätte es der Versicherer in der Hand, bestimmte Informationen zunächst nicht zu übergeben, mit der Belehrung über das Rücktrittsrecht die Rücktrittsfrist auszulösen und nach deren Ablauf eine Bindung an den Vertrag zu schaffen.“
Inwiefern sich aus diesen Ausführungen des BGH ein Widerspruchsrecht des Klägers ergeben soll, weil „für das Policenmodell … Entsprechendes gelten muss“, kann der Senat derzeit schon im Ansatz nicht nachvollziehen.
2. Da der Kläger ordnungsgemäß belehrt wurde und ihm mit der Policenübersendung die erforderlichen Verbraucherinformationen vollständig vorlagen, lief die Widerspruchsfrist entsprechend der Belehrung 14 Tage nach Zugang der Unterlagen ab.
Er konnte im Jahr 2015 keinen wirksamen Widerspruch mehr erklären, selbst unterstellt, nicht nur § 5a Abs. 2 Satz 4 VAG a.F., sondern das Policenmodell als solches sei europarechtswidrig. Denn dann war es dem Kläger gemäß ständiger Rechtsprechung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z. B. Urteil vom 16.07.2014 – Az. IV ZR 73/13, VersR 2014,1065; Entscheidungen vom 08.03.2017 – Az. IV ZR 98/16, 10.06.2015 – Az. IV ZR 105/13, VersR 2015,876, vom 17.08.2015 – Az. IV ZR 310/14 und vom 16.09.2015 – Az. IV ZR 142/13, BeckRS 2015, 16559), bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht (Entscheidung vom 02.02.2015 – Az. 2 BvR 2437/14, VersR 2015, 693; Beschluss vom 04.03.2015 – Az. 1 BvR 3280/14; Beschluss vom 23.05.2016 – Az. 1 BvR 2230/15 und 1 BvR 2231/15) jedenfalls nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten.
3. Im Übrigen würde der Senat selbst bei unterstellt nicht ordnungsgemäßer Belehrung im vorliegenden Fall die Auffassung des Landgerichts teilen, dass die Ausübung des Widerspruchsrechts und das Geltendmachen von Bereicherungsansprüchen ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich wäre. Denn bei Gesamtwürdigung der Einzelumstände wäre sowohl das erforderliche Zeit- wie auch das Umstandsmoment für eine Verwirkung erfüllt.
Der Kläger hat dem zum 01.09.1996 abgeschlossenen Kapitallebensversicherungsvertrag, der bis zum 01.09.2012 laufen sollte, erst am 03.11.2015, also nach mehr als 19 Jahren und über drei Jahre nach vorgesehenem Vertragsende widersprochen. Dabei hatte er ihn zuvor bereits im Juli 2006 über einen dafür beauftragten Makler gekündigt, wobei er von diesem – wie der Beklagten mitgeteilt wurde – auch über die finanziellen und Absicherungsverluste informiert worden war (vgl. Anlage K 4); die Beklagte hatte die Versicherung daraufhin zum 01.09.2006 abgerechnet und den Rückkaufswert zzgl. Gewinnen (6.921,00 € bei einer Beitragssumme von insgesamt 7.669,20 €) ausgekehrt (vgl. Anlage K 5). Darüber hinaus ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass allenfalls ein marginaler Belehrungsfehler angenommen werden könnte. Denn lediglich in Hinblick auf die drucktechnische Gestaltung erscheint die Annahme, dass die Widerspruchsbelehrung – anders als der Senat es sieht – nicht hinreichend deutlich hervorgehoben ist, zumindest vertretbar. Hingegen sind die inhaltlichen Beanstandungen der Belehrung klar unbegründet und liegt die behauptete Unvollständigkeit der Verbraucherinformation eindeutig nicht vor.
Die Kündigung als solche steht zwar grundsätzlich der Ausübung eines aus europarechtlichen Gründen fortbestehenden, sog. „ewigen“ Widerspruchsrechts nicht entgegen. Die bereits erfolgte einvernehmliche vollständige Abwicklung des Versicherungsvertragsverhältnisses im Jahr 2006 aufgrund Kündigung des Klägers führt aber dazu, dass spätestens mit Ablauf der Verjährungsfrist für Ansprüche aus der Abrechnung (Ende 2009) die Beklagte von einer vollständigen, beiderseitigen Erfüllung sämtlicher Vertragspflichten aus dem streitgegenständlichen Versicherungsverhältnis ausgehen sowie darauf vertrauen durfte; spätestens ab Verjährungseintritt mussten weder sie noch die Gemeinschaft der Versicherten damit rechnen, dass das Vermögen des Versicherers viele Jahre später – 2015 – mit etwaigen Nachforderungen daraus wegen eines dann erst erklärten Widerspruchs belastet werden würde. Daher geht der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 23.01.2018, Az. XI ZR 298/17, WM 2018, 614, der den Widerruf von Verbraucherdarlehensverträgen wegen unzureichender Belehrung bei vorheriger einvernehmlicher Vertragsbeendigung betraf, zutreffend davon aus, dass der Zeitraum zwischen Vertragsbeendigung und dem Widerruf nicht (nur) das Zeitmoment betrifft, sondern bei der Prüfung des Umstandsmoments zu berücksichtigen ist (vgl. Rn. 13, 14). In der Entscheidung wird auch hervorgehoben, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei dieser Prüfung weder auf die Kenntnis des (dort) Darlehensnehmers vom Fortbestand seines (dort) Widerrufsrechts noch auf ein etwaiges Vertrauen des (dort) Darlehensgebers auf eine solche Kenntnis des Darlehensnehmers ankommt (Rn. 17). Der Senat sieht keinen sachlichen Grund, dies im hier betroffenen Bereich des Widerspruchs gegen einen Lebensversicherungsvertrag grundsätzlich anders zu beurteilen.
Der Umstand, dass der Versicherer in Fällen wie vorliegend mangels ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung „die Situation selbst herbeigeführt“ hat, steht nach der Rechtsprechung auch des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs der Annahme von Rechtsmissbrauch nicht schlechthin entgegen. Insoweit hat er inzwischen mehrfach entschieden, dass auch in solchen Fällen ein Ausschluss des Widerspruchsrechts nach § 5a VVG a.F. oder auch des Rücktrittsrechts nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. in Betracht komme und dass allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlende Belehrung einer Anwendung von § 242 BGB entgegensteht, nicht aufgestellt werden könnten und die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall grundsätzlich dem Tatrichter obliege (vgl. z.B. Beschluss vom 11.11.2015 – IV ZR 117/15 – zu OLG München, Urteil vom 09.12.2014 – 25 U 1381/14; Beschluss vom 27.01.2016 – IV ZR 130/15; Urteil vom 25.01.2017 – IV ZR 173/15; Beschluss vom 27.09.2017 – IV ZR 506/15; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23.01.2018, aaO, Rn. 18).
Der Senat hält nach alledem in der Gesamtschau im streitgegenständlichen Fall bei unterstellt nicht ordnungsgemäßer Belehrung das Zeit- wie das Umstandsmoment einer Verwirkung für erfüllt bzw. „gravierende Umstände“, die einen Verstoß gegen Treu und Glauben begründen, für gegeben: Es kann allenfalls von einem marginalen Belehrungsfehler ausgegangen werden; das Zeitmoment von über 19 Jahren seit Vertragsschluss (davon 10 Jahre Vertragsdurchführung) wiegt erheblich – selbst bei arglistiger Täuschung wird dem Getäuschten auch bei Unkenntnis davon ein Vertragslösungsrecht nur binnen 10 Jahren seit Abgabe der Willenserklärung eingeräumt, § 124 Abs. 3 BGB -, so dass an das Umstandsmoment nur maßvolle Anforderungen zu stellen sind; als vor diesem Hintergrund besonders gravierender Umstand ist zu werten, dass der Kläger den Widerspruch erst mehr als 9 Jahre nach einvernehmlicher Vertragsabwicklung aufgrund eigener Kündigung unter fachkundiger Beratung durch einen Dritten erklärt hat, als die Beklagte längst darauf vertrauen durfte, dass aus dem abgerechneten Vertragsverhältnis keine (Nach-)Forderungen mehr an sie herangetragen würden.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).


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