Bankrecht

Beginn der Verjährung des Rechtsschutzanspruchs und offensichtliche Unrichtigkeit eines Stichentscheids

Aktenzeichen  25 U 4144/18

Datum:
26.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
VuR – 2020, 160
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 84
BGB § 199 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, § 242
VVG § 125

 

Leitsatz

1. Ein Stichentscheid muss in einer der Komplexität des Streitfalls entsprechenden Weise mit dem Streitstoff,der Beweissituation und der Argumentation des Versicherers auseinandersetzen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat sich aber zu einer diskussionswürdigen Frage – der Notwendigkeit eines Hinweises auf Schiffsgläubigerrechte bei der Prospekthaftung – noch keine herrschende Meinung gebildet, besteht im Regelfall eine hinreichende Erfolgsaussicht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Deckungsanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer kann erst fällig werden, wenn er angemeldet und geltend gemacht worden ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

26 O 5884/18 2018-09-18 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 18.09.2018, Az. 26 O 5884/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass die hinreichenden Erfolgsaussichten für das erstinstanzliche Klageverfahren vor dem Landgericht Hamburg (Az. 318 O 332/17) im Sinne von § 18 (1) der ARB (Anlage K2) aufgrund des formal und inhaltlich wirksamen Stichentscheids vom 20.11.2017 (Anlage K8) zu bejahen waren und die Beklagte daher Deckungsschutz für dieses Verfahren schuldete.
Ein Stichentscheid ist nach § 18 (2) Satz 2 der ARB für beide Parteien bindend, es sei denn, dass er offenbar von der wirklichen Sach- oder Rechtslage erheblich abweicht. Ein Stichentscheid weicht – in Anlehnung an die zu § 84 VVG entwickelten Auslegungsgrundsätze – offenbar erheblich von der wirklichen Sach- und Rechtslage ab, wenn sich seine Unrichtigkeit einem Sachkundigen nach der gebotenen Prüfung mit aller Deutlichkeit aufdrängt. Die Bindung des Versicherers an eine dem Versicherten günstige Stellungnahme bedeutet, dass der Versicherer sich nicht mehr auf das Fehlen der Erfolgsaussicht berufen kann (Prölss/Martin, vvg, 30. Aufl., ARB 2010 § 3a, Rn. 40 f.).
Inhaltlich muss ein Stichentscheid den Streitstoff darstellen, auf die Beweissituation eingehen, sich im Rahmen der rechtlichen Würdigung auch mit etwaigen Gegenargumenten auseinandersetzen und insbesondere erkennen lassen, in welchen Punkten der Anwalt die Ansicht des Versicherer für unrichtig hält. Er muss sich mit den Argumenten des Versicherers befassen. Im Einzelnen hängt der erforderliche Umfang von der Komplexität des Streitstoffes, von den schon bisher in der Korrespondenz mit dem Versicherer ausgetauschten Argumenten und dem Stadium ab, in dem sich die Interessenwahrnehmung gerade befindet (BGH, Urteil vom 17. Januar 1990 – IV ZR 214/88, NJW-RR 1990, 922).
Nach diesen Maßstäben lässt sich nicht feststellen, dass sich aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht die Unrichtigkeit des Stichentscheids vom 20.11.2017 (Anlage K8) einem Sachkundigen nach der gebotenen Prüfung mit aller Deutlichkeit aufgedrängt hätte. Insbesondere setzte sich der Stichentscheid nach vorangegangenem E-Mail-Verkehr, aus dem sich der Streitstoff ergab, ausführlich mit den von der Beklagten gegen die Prospektfehler vorgebrachten Argumenten auseinander. Dass das Landgericht Hamburg den Argumenten aus dem Stichentscheid, die sich im Verfahren wiederfinden, nicht gefolgt ist, spielt keine Rolle, da nicht die ex-post-Sicht entscheidend ist. Im Einzelnen:
1. Bezüglich des Zwischengewinns der verflochtenen Verkäufergesellschaft beim Erwerb des Fondsschiffes sieht die Beklagte zwar keinen Erläuterungsbedarf im Prospekt, im Stichentscheid ist jedoch nachvollziehbar ausgeführt, dass es einen Interessenkonflikt der Gründungsgesellschafter begründe, wenn sie ihren Gewinn bereits im Gründungsstadium und nicht erst bei der Durchführung des Fonds erwirtschafteten. Der Zwischengewinn ergebe sich aus dem Jahresabschluss der Verkäufergesellschaft, da die 25 u 4144/18 – Seite 3 Anschaffungskosten danach nicht wie prospektiert rund € 36 Mio., sondern lediglich rund € 34 Mio. betragen hätten. Hinsichtlich der von der Beklagten eingewandten Verjährung führt der Stichentscheid zu einer fehlenden Kenntnis der Klagepartei aus und verweist auf das Urteil des BGH vom 06.02.2013, Az. XI ZR 498/11. Der entsprechende Sondervorteil sei nicht ausgewiesen, möge der Prospekt auch hinsichtlich der rechtlichen und personellen Verflechtungen ansonsten fehlerfrei sein.
2. Im Hinblick auf die aufklärungspflichtigen Weichkosten verweist der Stichentscheid zum Argument der Beklagten, dass das Agio bei der Prüfung einer 15%-Grenze außer Betracht zu bleiben habe, auf das Urteil des BGH vom 19.10.2017, Az. III ZR 565/16, aus dem sich das Gegenteil ergibt.
3. Zur Frage, ob Schiffsgläubigerrechte neben dem Totalverlustrisiko als solchem aufklärungspflichtig sind, verweist der Stichentscheid auf die fehlende höchstrichterliche Rechtsprechung und erwähnt die divergierenden Entscheidungen einzelner Instanzgerichte, so wie es letztlich auch das LG Hamburg in seinem erstinstanzlichen Urteil vom 19.09.2018 getan hat. Hat sich aber zu einer diskussionswürdigen Frage noch keine herrschende Meinung gebildet, besteht im Regelfall eine hinreichende Erfolgsaussicht, so dass eine offenbare Abweichung von der wirklichen Rechtslage von vornherein ausscheidet (Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., ARB 2010, § 3a, Rn. 43).
4. Bei den Schiffsbetriebskosten kontert der Stichentscheid das Argument der Beklagten, wonach Prognosen im Prospekt optimistisch sein dürfen, damit, dass bereits zum Zeitpunkt der Prospektherausgabe Steigerungen von 2,5% unrealistisch gewesen seien, da eine Studie der … N.bank und anderer Beteiligter auf voraussichtliche Steigerungen von rund 10% hingewiesen habe. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung stamme aus einem früheren Zeitraum.
5. Im Hinblick auf Zins- und Tilgungsleistungen für das Darlehen verweist der Stichentscheid auf die ausführlichen Darstellungen ab Seite 19 der Klageschrift sowie in Anlage K8 und führt nachvollziehbar aus, dass diese mit den Prognosen im Prospekt nicht zur Deckung zu bringen seien.
6. Was die Kosten der Eigenkapitalvermittlung angeht, führt der Stichentscheid aus, dass sich eine Quote von 16,45% des Nominalbetrags der übernommenen Kommanditbeteiligungen inklusive Agio aus dem Eingekapitalvermittlungsvertrag vom 22.08.2007 ergebe. Er tritt damit dem Vorwurf des fehlenden Nachweises entgegen und berücksichtigt die Rechtsprechung zur Einrechnung des Agio.
7. Bezüglich des Marktumfelds verweist der Stichentscheid wiederum nachvollziehbar darauf, dass das Fehlen einer Anschlusscharter bereits zum Prospektierungszeitpunkt absehbar gewesen sei, weil beispielsweise Lloyd’s schon zu diesem Zeitpunkt im Größensegment der „MS H. W.“ erhebliche Überkapazitäten vorausgesagt habe. Ein 25 u 4144/18 – Seite 4 Verjährungseintritt aufgrund übersandter Unterlagen und Geschäftsberichte sei auszuschließen, weil insoweit keine Information gerade über die im Prospekt enthaltenen Fehler erfolgt sei.
8. Was die Übergabe des Prospektes angeht, bestand zwischen den Parteien zuletzt ohnehin keine Meinungsverschiedenheit mehr, weil im Stichentscheid – offenbar nach nochmaliger Rücksprache mit dem Versicherten – erläutert wird, dass der Emissionsprospekt in der Beratung vorgelegt, durchgesprochen und übergeben worden sei.
II.
Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung gegen den Deckungsanspruch greift nicht durch. Soweit sie sich auf die kenntnisunabhängige zehnjährige Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB beruft, beginnt diese mit der Entstehung des Anspruchs zu laufen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist unter der Entstehung des Anspruchs der Zeitpunkt zu verstehen, an welchem er Anspruch erstmals geltend gemacht und im Wege der Klage durchgesetzt werden kann. Bei der Rechtsschutzversicherung kann ohne eine Anmeldung und Anspruchsgeltendmachung durch den Versicherungsnehmer ein Versicherungsanspruch nicht fällig werden und den Verjährungsbeginn nicht auslösen (Schneider, in: Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl., ARB 2010, § 14, Rn. 7, 9 m.w.N.). Folglich hat entgegen der Auffassung der Beklagten die Verjährung des Anspruchs auf Rechtsschutzdeckung nicht schon im Jahr 2007, sondern erst mit der Deckungsanfrage im Jahr 2017 zu laufen begonnen. Für die Anspruchsentstehung nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 gilt bei der kenntnisabhängigen dreijährigen Verjährungsfrist nichts anderes (Schneider, a.a.O.).
Eine Verwirkung nach § 242 BGB scheidet mangels Umstandsmoment aus, weil die Klagepartei keinerlei Vertrauenstatbestand gesetzt hat, durch den sich die Beklagte auf die Nichtgeltendmachung des Deckungsanspruchs hat einrichten dürfen. Vielmehr hat die Klagepartei durch den vorgerichtlichen E-Mail-Verkehr und den Stichentscheid laufend auf eine Deckungszusage gedrängt.
III.
Da die Berufung nach alledem keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht der beklagten Partei aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
IV.
Die in der Berufungserwiderung der Kläger vom 07.02.2019 (Bl. 94/116 d.A.) enthaltene klageerweiternde Anschlussberufung (vgl. bgh, Urteil vom 22.1.2015 – I zr 127/13, njw 2015, 1608) dürfte unzulässig sein, da eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz nach § 533 Nr. 2 ZPO nur auf Tatsachen gestützt werden kann, die der Entscheidung über die Berufung nach § 529 ZPO zugrunde zu legen sind. Dies ist beim Vorbringen der Kläger 25 u 4144/18 – Seite 5 zur Deckung für das Ausgangsverfahren in der dortigen zweiten Instanz nicht der Fall, weil mit dem dortigen Stichentscheid für die zweite Instanz (Anlage BB 2) vollkommen neue Tatsachen eingebracht werden, die für die Entscheidung über die Berufung ohne Belang sind.
V.
Sofern die Berufung zurückgenommen oder nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird, verliert die Anschlussberufung nach § 524 Abs. 4 ZPO ihre Wirkung.


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