Bankrecht

Beweis des Zugangs der Belehrung über das Widerspruchsrecht

Aktenzeichen  26 O 18553/19

Datum:
10.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34201
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 5a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, S. 4
VVG aF § 5a Abs. 1 S. 1
BGB § 242, § 260, § 812

 

Leitsatz

1. Hat der Versicherungsnehmer den Versicherungsschein erhalten und ist bewiesen, dass die Police stets fest verbunden mit einem die Belehrung enthaltenden Policenbegleitschreiben versandt wird, so ist der Zugang der Belehrung bewiesen. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Belehrung über die Widerspruchsfrist ist ausreichend, wenn sie verständlich darstellt, dass der Widerspruch innerhalb von vierzehn Tagen “ab Erhalt dieser Unterlagen” in Textform abgesendet werden muss. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Auskunft noch auf Rückzahlung rechtsgrundlos geleisteter Zahlungen und gezogener Nutzungen gem. § 812 Abs. 1 BGB, weil er dem Versicherungsvertrag mit der Erklärung vom 06.06.2018 nicht mehr wirksam widersprechen konnte.
1. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Auskunftsanspruch. Der aus § 260 BGB oder § 242 BGB entwickelte Auskunftsanspruch zur Bezifferung eines Zahlungsanspruchs setzt das Bestehen eines solchen Zahlungsanspruchs dem Grunde nach gem. § 812 BGB voraus (vgl. statt vieler Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., München 2020, § 812, Rz. 74). Besteht kein Anspruch auf Leistung, d.h. Zahlung, so kann der Kläger auch entsprechend keine Auskunft verlangen.
2. Vorliegend hat der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung der von ihm erbrachten Prämien und auf Zahlung gezogener Nutzungen aus ungerechtfertigter Bereicherung gem. § 812 Abs. 1 BGB, weil er dem streitgegenständlichen Lebensversicherungsvertrag mit seiner Erklärung vom 06.06.2018 nicht mehr wirksam widersprechen konnte und daher die von ihm geleisteten Prämienzahlungen nicht rechtsgrundlos erfolgt sind, die Beklagte also dadurch nicht ungerechtfertigt bereichert wurde. Denn der Kläger wurde bei Vertragsschluss ausreichend und ordnungsgemäß gem. § 5a VVG in der damals geltenden Fassung (VVG a.F.) belehrt, so dass die Frist zur Ausübung seines Widerspruchsrechts mit dem Erhalt des Versicherungsscheins nebst allgemeinen Versicherungsbedingungen und sonstigen Verbraucherinformationen zu laufen begann und entsprechend nach Ablauf von vierzehn Tagen – noch im April 2004 – endete. Daher konnte er im Juni 2018 nicht mehr wirksam dem Vertragsschluss widersprechen.
2.1 Nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der damals gültigen Fassung (VVG a.F.) gilt ein Versicherungsvertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb einer Frist von 14 Tagen – bzw. bei Lebensversicherungsverträgen 30 Tagen – nach Überlassung der Unterlagen in Textform widerspricht. Der Lauf dieser Frist beginnt gem. § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen – Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformation – vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Zugleich muss er darüber belehrt werden, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt, § 5a Abs. 2 Satz 3 VVG a.F. Erfolgt diese Belehrung nicht, so wird der Lauf der Frist nicht in Gang gesetzt.
Nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. soll das Recht zum Widerspruch zwar jedenfalls spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlöschen. Allerdings hat der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren tenoriert (Urteil v. 19.12.2013 – Az.: C-209/12; alle Entscheidungen, auch im Folgenden und soweit nicht anders gekennzeichnet, zitiert nach juris-Datenbank), dass „Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG in der durch die Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10. November 1992 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96 […] dahin auszulegen [ist], dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der ein Rücktrittsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Versicherungsprämie erlischt, wenn der Versicherungsnehmer nicht über das Recht zum Rücktritt belehrt worden ist.“ Dementsprechend ist § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. teleologisch dahingehend einzuschränken, dass er im Anwendungsbereich der vorgenannten gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien und für die davon erfassten Lebens- und Rentenversicherungen keine Anwendung findet und deshalb grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat (BGH v. 07.05.2014 – IV ZR 76/11 – Rz. 27 ff.; BGH v. 29.07.2015 – IV ZR 384/14 – Rz. 29 f.).
2.2 Vorliegend steht zur Überzeugung des Gerichtes nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger zugleich mit dem Versicherungsschein nebst allgemeinen Versicherungsbedingungen und sonstigen Verbraucherinformationen auch das von der Beklagten vorgetragene Anschreiben erhalten hat.
2.2.1 Der Zeuge …, ein Mitarbeiter der Beklagten und mit den Abläufen und Verfahren bei Zusendung von Versicherungsunterlagen auch im Jahr 2004 vertraut, hat in der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2020 ausgeführt, dass ein eingehender Antrag auf Abschluss einer Versicherung zunächst von einem Sachbearbeiter erfasst und dann im Verwaltungssystem abgelegt werde. Erst in der so. Abendverarbeitung ab ca. 20.00 Uhr prüfe dann ein EDV-Programm den Antrag auf Vollständigkeit und generiere dann den gesamten Dokumentensatz automatisch, d.h. ein Anschreiben, den Versicherungsschein und die Verbraucherinformationen, die dann die Versicherungsbedingungen und auch alle weiteren Belehrungen enthielten. Dann werde der Druckauftrag angelegt und der ganze Vorgang komme in eine große Druckdatei für diesen Tag, in der alle Versicherungsscheine eines Arbeitstages gespeichert und dann ausgedruckt würden. Dabei werde der gesamte Vorgang – alle Versicherungsscheine einschließlich Anschreiben, Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen – komplett ausgedruckt; die einzelnen Versicherungsscheine würden jeweils durch rote Trennblätter voneinander abgetrennt. Dieser Vorgang sei automatisiert und im Anschluss daran werde der gesamte Stapel zur Poststelle verbracht und dort zum Versand vorbereitet. Dazu nehme ein Bearbeiter der Poststelle jeweils den zwischen den roten Trennblättern den Papiersatz heraus, öse ihn bis auf das erste, das Anschreiben enthaltende Blatt, und gebe das ganze Papierkonvolut mit dem oben aufliegenden Anschreiben in ein Fensterkuvert. So werde es dann von der Poststelle versandt.
Dieses System werde seit 1992 praktiziert. Zugleich seien auch Vorkehrungen gegen etwaige Fehler vorgesehen, so etwa, dass sich das Adressfeld nur auf dem Anschreiben finde und dann erst auf Seite 3 an anderer Stelle die Adresse des Versicherten, um so zu verhindern, dass die Unterlagen versehentlich an den Versicherten übersandt würden, sofern der nicht mit dem Versicherungsnehmer identisch sei. Zudem sei vorgesehen, dass alle etwaigen Postrückläufer oder nicht versandten Papiere im EDV-System vermerkt und berichtet würden. Ausweislich der im EDV-System gespeicherten Vertragshistorie für den Kläger seien allerdings keinerlei Abweichungen oder Schwierigkeiten beim Versand aufgetreten. Das Anschreiben werde im Übrigen nur einmal, nämlich beim Versand, generiert, sein Inhalt sei allerdings durch entsprechende Textbausteine standandhaft hinterlegt und könne auch in der Vertragshistorie rekonstruiert werden. Der Inhalt entspreche danach dem Inhalt des als Anlage B1 vorgelegten Muster-Anschreibens.
2.2.2 Der Kläger hat – am 10.09.2020 informatorisch angehört – angegeben, sich an Einzelheiten zum Vertragsschluss und auch an die ihm übersandten Unterlagen nicht mehr erinnern zu können. Es könne durchaus sein, dass er zusammen mit den Vertragsunterlagen für die streitgegenständliche Lebensversicherung im Jahr 2004 auch ein Anschreiben wie das ihm als Anlage B1 vorgehaltene erhalten habe; zumindest könne er das nicht ausschließen. Er meine, dass ihm ein solches Schreiben jedenfalls im Jahr 2013 übermittelt worden sei; das sei kurz nach der Zeit gewesen, als die Welle um die Frage nach der Wirksamkeit der Belehrungen losgegangen sei. Er habe den Vertrag dann gekündigt und der Vertrag sei abgewickelt worden. Den Widerspruch habe er dann erst auf Empfehlung seines Versicherungsberaters erklärt, der die Unterlagen durchgesehen habe und ihm gesagt habe, dass die Belehrungen damals alle falsch gewesen seien und man da noch etwas bekommen könne. Der Versicherungsberater habe auch die ganzen Unterlagen nach seiner Erinnerung mitgenommen, so dass er nicht genau sagen könne, was sich darin befinde.
2.2.3 Das Gericht sieht sowohl nach Würdigung der Aussage des Zeugen als auch unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers den Beweis dafür als geführt an, dass der Kläger nicht nur den Versicherungsschein mit Versicherungsbedingungen und sonstigen Verbraucherinformationen, sondern auch das Anschreiben mit dem Inhalt wie aus dem Muster in Anlage B1 ersichtlich bereits bei Vertragsschluss im April 2004 erhalten hat.
Der Zeuge … war bei seiner Aussage erkennbar um eine möglichst genaue und wahrheitsgemäße Darstellung der Verfahrensabläufe im damaligen Zeitraum bemüht, er machte deutlich, inwieweit er sich auf eigene Erinnerungen oder auf allgemeine Abläufe stützte, und er räumte auch gelegentliche Fehler beim Versand ein, wobei er zugleich auch die Mechanismen zur Vermeidung oder zur Beseitigung der Fehler schilderte. Der Zeuge wirkte glaubwürdig und seine Angaben waren frei von Widersprüchen und gut nachvollziehbar, insgesamt also in vollem Umfang glaubhaft. Sie ließen sich auch zwanglos mit den von den Parteien vorgelegten Unterlagen sowie den vom Zeugen mitgebrachten Ausdrucken in Einklang bringen.
Der Kläger selbst hat – insoweit ebenfalls in bemerkenswert aufrichtiger Weise – eingeräumt, keine Erinnerungen mehr zu haben und nicht ausschließen zu können, dass ihm das Anschreiben tatsächlich mit übersandt wurde. Jedenfalls hat er eingeräumt, dass ihm der Inhalt bekannt vorkommt.
Auf Grund dessen sieht das Gericht den Nachweis als geführt an, dass das Anschreiben nicht nur regelmäßig, sondern auch im konkreten Fall des Klägers mit übersandt wurde. Dafür spricht im Übrigen auch noch eine weitere Überlegung: Zum einen findet sich auf dem Deckblatt des vom Kläger als Anlage K1 vorgelegten Versicherungsscheins keine Adresse; diese findet sich erstmals auf der „Seite 2 zum Versicherungsschein“, was dem dritten Blatt nach dem Anschreiben entspricht. Wie aus der Kopie ersichtlich, waren die einzelnen Blätter mit einer Öse verbunden, so dass eine Postsendung in einem Fensterkuvert ohne Anschreiben gar keine Adresse im Adressfenster gezeigt hätte. Eine Adresse wäre nur dann zu sehen gewesen, wenn das Papierkonvolut ab dem dritten Blatt umgeschlagen gewesen wäre – das allerdings wäre eine sehr auffällige Abweichung von dem Ü blichen, die sich weder aus dem klägerischen Vortrag ergibt noch nach dem als regelhaft geschilderten Verfahren anzunehmen ist.
2.3 Auf Grund dessen legt das Gericht für die weitere Beurteilung den Vortrag der Beklagten zugrunde, wonach dem Kläger ein Anschreiben mit dem Inhalt wie in Anlage B1 zugegangen ist. Dieses enthielt auch eine durch Unterstreichung des ganzen Absatzes gekennzeichnete Belehrung über das Widerspruchsrecht, die somit hinreichend deutlich hervorgehoben ist, um auch bei nur flüchtiger Betrachtung ins Auge zu springen. Dass die Belehrung Inhaltlich unvollständig oder fehlerhaft gewesen wäre, ist weder vom Kläger vorgetragen noch ersichtlich. Denn durch die gewählten Formulierungen wurde in verständlicher Weise erläutert, ab wann die Widerspruchsfrist zu laufen beginnt („innerhalb von vierzehn Tagen nach Erhalt dieser Unterlagen“), welche Unterlagen dazu maßgeblich sind (nämlich entsprechend dem im Anschreiben genannten Inhaltsverzeichnis), wie das Widerspruchsrecht ausgeübt werden kann („in Textform“) und dass zur Wahrung der Frist die fristgerechte Absendung genügt. Damit begann der Lauf der Frist für den Widerspruch mit dem Erhalt der Unterlagen vom 01.04.2004 und endete entsprechend vierzehn Tage später. Zum 06.06.2018 war die Frist daher um mehr als vierzehn Jahre verstrichen.
2.4 Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger nach eigenen Angaben zudem im Jahr 2013 nochmals eine Widerspruchsbelehrung mit dem Inhalt wie im Muster-Anschreiben nach B1 ersichtlich erhalten haben will – dann allerdings wäre zumindest dadurch der Lauf der Frist in Gang gesetzt worden, jedenfalls aber wäre dann ein weiteres Zuwarten um ca. fünf Jahre als rechtsmissbräuchlich anzusehen und das Widerspruchsrecht unter diesem Gesichtspunkt wohl auch verwirkt gewesen.
3. Auf Grund all dessen hat der Kläger weder einen Anspruch auf Auskunft noch auf Rückzahlung, so dass die Klage als unbegründet abzuweisen ist.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit – hinsichtlich der Kosten – beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 BGB.
Verkündet am 10.09.2020


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