Bankrecht

Kein Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gem. § 5a Abs. 1 VVG in der Direktversicherung

Aktenzeichen  2 O 6595/20

Datum:
25.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 27785
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 5a (idv bis zum 7.12.2004)
BetrAVG § 2

 

Leitsatz

1. Hat der Arbeitgeber im Rahmen betrieblicher Altersversorgung eine Direktversicherung auf das Leben des Arbeitnehmers als versicherte Person abgeschlossen, so steht dem Arbeitnehmer weder ein eigenes noch ein übernommenes Widerspruchsrecht gem. § 5a Abs. 1 VVG (idF bis zum 7.12.2004) zu, wenn der Versicherungsvertrag nach mehr als einem Jahr auf ihn übertragen wird. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein ewiges Widerspruchsrecht abweichend von § 5a Abs. 2 S. 4 VVG (idF bis zum 7.12.2004) kommt nur in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer Verbraucher ist. (Rn. 25 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Widerspruch des Arbeitnehmers gem. § 5a Abs. 1 VVG (idF bis zum 7.12.2004) wäre gem. § 2 Abs. 2 S. 4, S. 5 Hs. 1 BetrAVG analog nichtig, weil er dem Versorgungszweck der betrieblichen Altersversorgung widerspräche. (Rn. 39 – 43) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. 
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.  – Beschluss – Der Streitwert wird auf 89.827,54 € festgesetzt.
Beschluss
Der Streit wird auf 89.827,54 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist – soweit zulässig – unbegründet.
I. Die mit Klageantrag Ziff. 1 erhobene Zwischenfeststellungsklage (§ 256 Abs. 2 ZPO) ist allerdings bereits unzulässig.
1. Soweit der Kläger die Feststellung der Wirksamkeit des Widerrufs begehrt, kann dieser Antrag zwar dahingehend ausgelegt werden, dass die Feststellung, dass sich das Versicherungsvertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat, begehrt wird. Dabei handelt es sich um ein Rechtsverhältnis. Unter einem Rechtsverhältnis ist eine bestimmte, rechtlich geregelte Beziehung einer Person zu anderen Personen oder einer Person zu einer Sache zu verstehen. Dazu können einzelne auf einem umfassenderen Rechtsverhältnis beruhende Ansprüche oder Rechte gehören (BGH Urt. v. 23.4.2013 – II ZR 74/12, BeckRS 2013, 9176 Rn. 27). Ein etwaiges Rückgewährschuldverhältnis stellt eine solche Beziehung zwischen den Parteien dar, die subjektive Rechte für die Parteien enthält.
2. Zutreffend weist die Klage zwar darauf hin, dass ein Feststellungsinteresse im Rahmen einer Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 Abs. 2 ZPO nicht erforderlich ist. Die – hier unschwer zu bejahende – Vorgreiflichkeit macht das sonst für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse entbehrlich (BGH Urt. v. 23.4.2013 – II ZR 74/12, BeckRS 2013, 9176 Rn. 28). Die Zulässigkeit der Zwischenfeststellungsklage setzt aber weiterhin voraus, dass das streitige Rechtsverhältnis über den gegenwärtigen Prozess hinaus zwischen den Parteien Bedeutung gewinnen kann (BGH, Urteil vom 10.12.1993 – V ZR 158/92, NJW 1994, 655). Hierzu trägt die Klage aber nichts vor und ist auch für die Kammer nichts ersichtlich: Im Erfolgsfalle der Klage wären die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien endgültig geklärt bzw. abgewickelt.
3. Ungeachtet dessen kann die Feststellungsklage aber auch im Falle ihrer Unzulässigkeit als unbegründet abgewiesen werden.
Es ist anerkannt, dass das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO nur für ein stattgebendes Urteil Sachurteilsvoraussetzung ist (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2010 – IX ZR 24/10). Das Rechtsschutzbedürfnis hat als Prozessvoraussetzung gerade die Funktion zu verhindern, dass Gegner und Gericht ohne ausreichendes Interesse an gerichtlichem Rechtsschutz durch ein Verfahren belastet werden. Dem würde es widersprechen, wenn die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses als Zulässigkeitsvoraussetzung auch dann gefordert würde, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Unbegründetheit eines Antrags bereits feststeht (BGH NJW 1996, 193, 195).
II. Die Klage kann auch im Übrigen als vollumfänglich unbegründet abgewiesen werden.
Im Falle einer Stufenklage darf das Gericht zwar grundsätzlich zunächst nur über den Auskunftsanspruch (hier: Klageantrag Ziff. 2) verhandeln und durch Teilurteil hierüber entscheiden. Eine Entscheidung über den auf der letzten Stufe der Klage verfolgten Anspruch ist grundsätzlich nicht zulässig (BGH NJW-RR 2011, 189, 191). Eine einheitliche Entscheidung über die mehreren in einer Stufenklage verbundenen Anträge kommt nur dann in Betracht, wenn schon die Prüfung des Auskunftsanspruchs ergibt, dass dem Hauptanspruch die materiell-rechtliche Grundlage fehlt (BGH NJW 2002, 1042, 1043; BGH NJW 1985, 2405, 2407). Dies ist, wie nachfolgend zu zeigen ist, der Fall. Dem Kläger stehen die begehrten Rückzahlungsansprüche aus keinem Rechtsgrund zu.
B.
I. Der Kläger kann dem streitgegenständlichen Vertrag nicht nach § 5a Abs. 1 S. 1 VVG (in der vom 01.08.2001 bis 07.12.2004 geltenden Fassung, im Folgenden a.F.) widersprechen. § 5a Abs. 1, 2 VVG a.F. lautet:
(1) Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen, so gilt der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von vierzehn Tagen nach Überlassung der Unterlagen in Textform widerspricht. Satz 1 ist nicht auf Versicherungsverträge bei Pensionskassen anzuwenden, die auf arbeitsvertraglichen Regelungen beruhen. § 5 bleibt unberührt.
(2) Der Lauf der Frist beginnt erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Der Nachweis über den Zugang der Unterlagen obliegt dem Versicherer. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs. Abweichend von Satz 1 erlischt das Recht zum Widerspruch jedoch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie.
II. Dem Kläger steht kein eigenes, „originäres“ Widerspruchsrecht zu.
Der Kläger war zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses 2003 nicht Adressat einer etwaigen erforderlichen Belehrung. § 5a VVG a.F. ist seinem Wortlaut nach insoweit eindeutig. Dass – wie durchaus in anderen Normen des VVG üblich, bei der Benennung des Versicherungsnehmers gleichzeitig auch die versicherte Person umfasst ist – kann hier nicht gelten: Vertragspartner ist ausschließlich der Versicherungsnehmer, nicht die versicherte Person. Insbesondere ist es der Versicherungsnehmer, der dem Versicherer die vereinbarten Prämien schuldet (§ 1 Abs. 2 VVG). Damit muss es dem Versicherungsnehmer vorbehalten bleiben, durch rechtsverbindliche Erklärungen auf den Bestand des Vertrages in seiner Gesamtheit einzuwirken (i.E. ebenso OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Mai 2020 – 7 U 499/19 -, juris).
Auch durch den späteren Eintritt des Klägers in die Rolle des Versicherungsnehmers hat dieser kein eigenes Widerspruchsrecht erworben. Insoweit ist es nicht zum Abschluss eines neuen Versicherungsvertrages mit neuer, eigenständiger Belehrungspflicht gekommen (OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Mai 2020 – 7 U 499/19 -, juris unter zutreffendem Hinweis auf BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – IV ZR 365/13 -, juris Rn. 15).
III. Der Kläger kann sich auch nicht erfolgreich darauf berufen, durch die Übernahme des Vertrages als Versicherungsnehmer ein in der Person seines Arbeitgebers bei dessen Vertragsschluss als Versicherungsnehmer entstandenes – und von diesem bislang noch nicht ausgeübtes – Widerspruchsrecht „übernommen“ zu haben.
Die Arbeitgeberin P B GmbH & Co KG als ursprüngliche Versicherungsnehmerin war Nicht-Verbraucherin und deshalb nicht Subjekt eines „ewigen Widerspruchsrechts“ im Sinne der Rechtsprechung des BGH zu § 5a Absatz 2 S. 4 VVG a.F.. Die Kammer schließt sich auch insoweit der überzeugenden Rechtsprechung des OLG Stuttgart an (OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Mai 2020 – 7 U 499/19 -, juris):
„Selbst wenn bei Abschluss des gegenständlichen Vertrags der vormaligen Arbeitgeberin des Klägers ein Recht zum Widerspruch gemäß § 5a Abs. 1 VVG zustand, so würde im Verhältnis zwischen der vormaligen Arbeitgeberin als Versicherungsnehmerin und der Beklagten § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. greifen. Danach ist das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie und damit vorliegend im Jahr 2004 erloschen.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. unter Beachtung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19.12.2013, (C-209/12) richtlinienkonform einschränkend auszulegen ist (BGH, Urteil vom 07.05.2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101). Danach ist § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. bei Lebens- und Rentenversicherungen im Hinblick auf Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung 90/619 EWG i.V.m. Art. 31 und Erwägungsgrund 23 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung 92/96/EWG richtlinienkonform im Wege der teleologischen Reduktion grundsätzlich nicht anwendbar.
Der Bundesgerichtshof hat dabei festgestellt, die Regelung des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. stehe in Widerspruch zu dem mit dem Gesetz verfolgten Grundanliegen, die Dritte Richtlinie Lebensversicherung ordnungsgemäß umzusetzen. Dabei habe die Verbraucherinformation eingeführt werden sollen, weil bei den unter die Dritte Richtlinie fallenden Versicherungsunternehmen die Bedingungen und Berechnungsgrundlagen nicht mehr Teil des vorab zu genehmigenden Geschäftsplanes gewesen seien. Das insofern maßgebliche Informationsbedürfnis, das in Art. 31 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung 92/96/EWG festgeschrieben wird und dem mit der Umsetzung in § 5a VVG a.F. Rechnung getragen werden sollte, wird im 23. Erwägungsgrund zur Dritten Richtlinie Lebensversicherung 92/96/EWG wie folgt beschrieben: „Im Rahmen eines einheitlichen Versicherungsmarkts wird dem Verbraucher eine größere und weiter gefächerte Auswahl von Verträgen zur Verfügung stehen. Um diese Vielfalt und den verstärkten Wettbewerb voll zu nutzen, muss er im Besitz der notwendigen Informationen sein, um den seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auszuwählen.“
Daher weist die Regelung der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, aufgrund derer die Bestimmung des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. nicht zur Anwendung kommen kann, einen eindeutigen und unmissverständlichen Bezug zur Information des Verbrauchers in der „Verbraucher“-Information und damit zu einem hiermit vornehmlich bezweckten Schutz des Verbrauchers auf.
Entsprechend hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner Entscheidung vom 19.12.2013 (C-209/12) ausdrücklich Bezug genommen auf sein Urteil in der Rechtssache Heiniger (Urteil vom 13.12.2001 – C-481/99) und festgestellt, dass die Gefahren, die zum einen für den Verbraucher mit dem Abschluss eines Vertrags außerhalb der Geschäftsräume seines Vertragspartners und zum anderen für den Versicherungsnehmer mit dem Abschluss eines Versicherungsvertrags bei Fehlen einer den Anforderungen des Art. 31 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung entsprechenden Belehrung verbunden seien, vergleichbar seien.
Dies zugrunde gelegt kann die Rechtsprechung, wonach die Regelung des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. nicht zur Anwendung kommen kann, nur solche Fälle betreffen, in denen die beschriebene Gefährdungssituation besteht. Das ist beim Abschluss eines Versicherungsvertrags durch einen Nicht-Verbraucher indes nicht der Fall. Vor diesem Hintergrund kann sich der Kläger hier nicht auf eine Unanwendbarkeit von § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. berufen.
Eine Veranlassung für eine richtlinienkonforme teleologische Reduktion besteht nicht. Ein Informationsgefälle, das im Vorfeld des Vertragsschlusses das Verhältnis des Versicherers zum Verbraucher als späterem Versicherungsnehmer prägt und deswegen eine besondere „Verbraucher“-Information erfordert, ist bei einem Versicherungsnehmer, der nicht Verbraucher ist, typischerweise nicht im gleichen Maße gegeben. Gerade von einem Arbeitgeber, der vielfach für Arbeitnehmer Verträge mit ähnlicher Zielrichtung abschließt, kann erwartet werden, dass er sich die notwendige Kenntnis verschafft und auch bei nicht zutreffender Widerspruchsbelehrung innerhalb eines Jahres nach Zahlung der ersten Prämie eine informierte Entscheidung darüber treffen kann, ob er dem Zustandekommen des Vertrages widersprechen will oder nicht. Das ist auch unabhängig davon, ob der Nicht-Verbraucher als Versicherungsnehmer einen Vertrag zu eigenen Zwecken oder zugunsten eines Dritten abschließt, mag die versicherte Person Verbraucher sein oder nicht.“
Ergänzend sei hierzu lediglich noch folgendes angemerkt: Zwar mag man mit dem OLG Karlsruhe davon ausgehen, „dass das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG keine Verbrauchereigenschaft des Widersprechenden [Hervorhebung durch die Kammer] voraussetzt“ (OLG Karlsruhe, Urteil vom 27. September 2019 – 12 U 78/18 -, juris Rn. 43), wohl aber ist die Verbrauchereigenschaft Voraussetzung für eine zuvor überhaupt erforderliche Belehrung.
IV. Schließlich bestünde ein Widerrufsrecht des Klägers auch deshalb nicht, weil die Belehrung bei Vertragsschluss 2003 durch die Beklagte ordnungsgemäß war.
1. Das von der Beklagten übersandte Policen-Begleitschreiben enthielt folgende Belehrung:
„Dieser Vertrag gilt als geschlossen, wenn sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen in Textform (z. B. Schriftlich, per Telefax oder E-Mail) widersprechen. Um diese Frist einzuhalten, genügt es, ihren Widerspruch rechtzeitig abzusenden.“
2. Inhaltlich genügt diese Belehrung den insoweit zu stellenden Anforderungen.
Die hiergegen mit der Klageschrift S. 39 f. vorgebrachten Einwendungen sind unbrauchbar und betreffen ersichtlich nicht die streitgegenständliche Belehrung, sondern sind Textbausteine zu anderen Fallkonstellationen. So werden in der streitgegenständlichen Belehrung eben doch die relevanten Unterlagen ausdrücklich genannt (Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen, Verbraucherinformationen); die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs ist als ausreichend mitgeteilt; es wird Textform und eben nicht Schriftform gefordert. Für den Vertragspartner wird so verständlich erläutert, unter welchen Bedingungen er sich durch Widerspruch vom Vertrag lösen kann.
3. Die Belehrung ist auch in drucktechnisch deutlicher Form erfolgt. Bei der Widerspruchsbelehrung muss sichergestellt sein, dass der Versicherungsnehmer die Belehrung zur Kenntnis nimmt, selbst wenn er nicht nach einer Widerspruchsmöglichkeit sucht. Dies ist gewährleistet, wenn sich die in einem gesonderten Absatz enthaltene Widerspruchsbelehrung durch Kursivdruck vom übrigen Text des Begleitschreibens abhebt (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2015 – IV ZR 388/13, r+s 2015, 598).
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Belehrung im Policenbegleitschreiben optisch so gehalten war, wie das durch die Beklagte als Anlage BLD 3 als Vergleichsmuster vorgelegte. Entsprechend der vorzitierten BGH-Rechtsprechung ist auch im Streitfall die Belehrung die einzige, die in einem gesonderten Absatz in dem einseitigen, übersichtlichen Policenbegleitschreiben durch Kursivdruck optisch hervorgehoben ist. Eine zusätzliche Hervorhebung etwa durch Fettdruck oder Einrahmung ist hierzu nicht erforderlich.
4. Nach dem Vorstehenden kommt es auf die Beantwortung der Frage, ob ein etwaiges Widerrufsrecht des Klägers verwirkt wäre, da jedenfalls ein über alle Vertragsmodalitäten voll informierter Versicherungsnehmer, der deutlich macht, dass er den Vertrag unbedingt fortsetzen will, rechtsmissbräuchlich handeln kann, wenn er sich nach jahrelanger Prämienzahlung auf eine nicht ordnungsgemäße Belehrung über sein Widerspruchsrecht beruft (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 2015 – IV ZR 117/15, BeckRS 2016, 02173), nicht mehr entscheidungserheblich an.
Insoweit sei deshalb lediglich beispielhaft auf die Erklärung des Klägers in seinem Schreiben an die Beklagte vom 14.01.2011 hingewiesen. Dort schreibt der Kläger ausdrücklich: „Bitte setzen Sie den Vertrag wieder in Kraft.“ Mit E-Mail vom 21.06.2011 schreibt der Kläger an die Beklagte: „Wir möchten keine Nachteile haben, dass auch nichts verfällt und nichts kündigen.“
V. Zuletzt würde ungeachtet des Vorstehenden ein Widerspruch des Klägers, mit dem dieser die Rückabwicklung des Versicherungsvertrages erreichen will, jedenfalls an § 2 Abs. 2 S. 4, 5 Hs. 1 BetrAVG analog scheitern.
1. Zwischen den Parteien ist nicht im Streit, dass es sich beim streitgegenständlichen Versicherungsvertrag um ein Instrument der betrieblichen Altersversorgung handelt, wobei der Kläger, der den Versicherungsvertrag fortführt, bereits eine unverfallbare Anwartschaft erworben hat.
§ 2 Abs. 2 S. 4, 5 Hs. 1 BetrAVG lautet sowohl in der aktuellen als auch der im Zeitpunkt des Vertragsschlusses 2003 geltenden Fassung in den wesentlichen Passagen wie folgt:
„Der ausgeschiedene Arbeitnehmer darf die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag in Höhe des durch Beitragszahlungen des Arbeitgebers gebildeten geschäftsplanmäßigen Deckungskapitals oder, soweit die Berechnung des Deckungskapitals nicht zum Geschäftsplan gehört, des … berechneten [Zeit-]Werts weder abtreten noch beleihen. In dieser Höhe darf der Rückkaufswert auf Grund einer Kündigung des Versicherungsvertrags nicht in Anspruch genommen werden; “
2. Die Kammer bleibt insoweit bei ihrer bereits mit Urteil vom 06.09.2018 (Az.: 2 O 5504/17, r+s 2018, 528, bestätigt durch OLG Nürnberg, Urteil vom 18.07.2019, Az. 8 U 8013/18), geäußerten Rechtsauffassung (zustimmend Langohr-Plato, jurisPR-ArbR 41/2018 Anm. 5; ablehnend Frohnecke r+s 2018, 649):
„Die sozialpolitische Funktion der betrieblichen Altersversorgung erfasst das staatliche Interesse, dass ein Arbeitnehmer im Alter nicht der Allgemeinheit zur Last fällt und dient auch der notwendigen Ergänzung der durch die Sozialversicherung gewährten Sicherung der Arbeitnehmer im Alter (BAG Urt. v. 26.4.2018 – 3 AZR 586/16, NJW 2018, 2346 unter Hinweis auf BT-Drs. 7/1281 S. 19). Mit ihrer Hilfe soll der Lebensstandard des Arbeitnehmers oder gegebenenfalls seiner Hinterbliebenen nach Ausscheiden aus dem Berufs- bzw. Erwerbsleben zumindest teilweise gesichert werden, da das beständig sinkende Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung zu Versorgungslücken führt. Insoweit liegt es auch im Interesse des einzelnen Arbeitnehmers, seine betriebliche Altersversorgung aufrecht zu erhalten (BAG Urt. v. 26.4.2018 – 3 AZR 586/16, NJW 2018, 2346). Dem Betriebsrentengesetz liegt dabei die Intention zugrunde, Betriebsrentenanwartschaften angesichts ihrer zunehmenden Bedeutung für die spätere Alterssicherung der Arbeitnehmer möglichst lückenlos bis zum Eintritt des Versorgungsfalls zu sichern und zu erhalten (BAG aaO, vgl. auch BT-Drs. 15/2150 S. 52; BT-Drs. 7/1281 S. 26). Es soll verhindert werden, dass unverfallbare Anwartschaften – wie die des Klägers – vor Eintritt des Versorgungsfalls ausgezahlt und für die Vermögensbildung, den Ausgleich von Schulden oder den Konsum statt für die vorgesehene Versorgung verwendet werden (BAG Urt. v. 26.4.2018 – 3 AZR 586/16, NJW 2018, 2346).
Deshalb widerspräche z.B. eine Berechtigung des Arbeitnehmers, die Beendigung des Direktversicherungsvertrags durch den Arbeitgeber vorzeitig zu erzwingen und das angesparte Kapital zur Tilgung von Schulden zu verwerten, grundsätzlich dem Versorgungszweck der betrieblichen Altersversorgung (BAG aaO).
Auch durch die Verfügungsbeschränkungen des § 2 BetrAVG soll im Rahmen des rechtlich Möglichen die bestehende Anwartschaft für den Versorgungszweck erhalten bleiben (BGH, Urteil vom 08. Juni 2016 – IV ZR 346/15, r+s 2016, 416 Rn. 28 unter Hinweis auf BT-Drucks. 7/1281 S. 26). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen durch § 2 Abs. 2 Satz 5 BetrAVG in Ergänzung von § 2 Abs. 2 Satz 4 BetrAVG gerade dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer Verfügungen, die den Versorgungszweck gefährden könnten, verboten sein (BGH aaO m.w.N.). Der Versorgungszweck der Anwartschaften soll also möglichst lückenlos gesichert werden (BGH, Beschluss vom 05. Dezember 2013 – IX ZR 165/13, r+s 2014, 189). § 2 Abs. 2 S. 4, 5 BetrAVG stellen deshalb gesetzliche Verbote i.S.d. § 134 BGB dar (Schipp in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 8. Aufl., § 2 BetrAVG Rn. 40; Hübner in Uckermann/Fuhrmanns/Ostermayer/Doetsch, Das Recht der betrieblichen Altersversorgung § 2 Rn. 82).
II. Nach seinem Wortlaut ist die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 4, 5 1. Hs BetrAVG auf den hier streitgegenständlichen Fall eines Widerspruchs nach § 5 VVG a.F. nicht anwendbar. Vom Wortlaut werden lediglich Abtretung, Beleihung und Kündigung des Versicherungsvertrages erfasst.
Die Kammer ist allerdings der Ansicht, dass die hier im Raum stehende Konstellation eine analoge, d.h. entsprechende Anwendung der § 2 Abs. 2 Satz 4, 5 1. Hs BetrAVG erfordert und zulässt. Voraussetzung der entsprechenden Anwendung einer Vorschrift sind eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes und eine vergleichbare Interessenlage (st. Rspr. z.B. BGH, Urteil vom 13. März 2018 – II ZR 158/16, NJW-RR 2018, 738).
1. Ob eine derartige Lücke im Gesetz vorhanden ist, die im Wege der Analogie ausgefüllt werden kann, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Das Gesetz muss also, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, unvollständig sein (BGH, Urteil vom 13. März 2018 – II ZR 158/16, NJW-RR 2018, 738). Lücken im Gesetz können auch nachträglich dadurch entstehen, dass infolge der technischen oder der wirtschaftlichen Entwicklung neue Fragen auftauchen, die im Rahmen des Regelungszwecks nunmehr der Regelung bedürfen, die aber der Gesetzgeber noch nicht gesehen hat (BGH aaO).
Ausgehend von der Regelungsabsicht des § 2 Abs. 2 Satz 4, 5 1. Hs BetrAVG, wonach die bestehende Anwartschaft für den Versorgungszweck erhalten werden soll, ist ohne weiteres zu konstatieren, dass die Verfügungsbeschränkungen, die sich auf Abtretung, Beleihung und Kündigung beschränken, hinsichtlich des Widerspruchs nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. eine Lücke enthalten. Zwar mag sein, dass der Gesetzgeber die Einbeziehung des Widerspruchs in den „Katalog“ der Verfügungsbeschränkungen bewusst unterlassen hat. Dann läge eine bewusste Lücke vor, die eine Analogie nicht rechtfertigen würde. Ein „normaler“ Widerspruch nach § 5a VVG a.F. wäre aber nach der bis zum Urteil des BGH vom 07.05.2014 (IV ZR 76/11 -, BGHZ 201, 101 = r+s 204, 340) geltenden Rechtswirklichkeit in seinen Wirkungen allenfalls auf einen Zeitraum von einem Jahr beschränkt gewesen (§ 5a Absatz 2 Satz 4 VVG a.F.). Während dieses Prämienzahlungszeitraums hätte es aber schon nicht zu einer unverfallbaren Anwartschaft kommen können, da diese einen längeren Mindestbestandszeitraum erforderte, § 1b Abs. 1 S. 1 BetrAVG.
Es ist hingegen auszuschließen, dass der Gesetzgeber bei seinen Erwägungen die Konstellation eines gutgläubigen, nicht treuwidrig handelnden Arbeitnehmers bzw. Versicherten/Versicherungsnehmers vor Augen hatte, der den Bestand des der betrieblichen Altersversorgung zu Grunde liegenden Versicherungsvertrages buchstäblich noch Jahrzehnte nach Abschluss desselben durch ein „ewiges Widerspruchsrecht“ zu Fall bringen kann.
2. Die Beendigung des Versicherungsvertrages durch Widerspruch und die damit nach der einschlägigen BGH-Rechtsprechung einhergehende weitgehende Rückabwicklung ist in seinen Wirkungen mit dem normierten Tatbestand der Kündigung vergleichbar.
In beiden Fällen stehen die angesparten Prämien nicht mehr für die Erfüllung des Leistungsversprechens des Versicherers zugunsten des versicherten Arbeitnehmers zur Verfügung. Sie werden vielmehr – mehr oder weniger vollständig – an den Versicherungsnehmer ausgekehrt, so dass dieser uneingeschränkt über sie verfügen kann. Der Versicherungsnehmer kann die Anwartschaft liquidieren und für andere Zwecke als den ursprünglich intendierten Versorgungszweck verwenden. Sowohl bei uneingeschränkter Kündigung als auch bei Rückabwicklung nach Widerspruch könnte die Anwartschaft nicht möglichst lückenlos bis zum Eintritt des Versorgungsfalls gesichert und erhalten werden. Kündigung und „ewiges Widerspruchsrecht“ sind deshalb lediglich formal unterschiedliche Ausprägungen einer Konstellation, die der Gesetzgeber durch § 2 Abs. 2 Satz 4, 5 1. Hs BetrAVG gerade vermeiden wollte. Damit ist nach Ansicht der Kammer auch die für eine analoge Anwendung der Norm erforderliche vergleichbare Interessenlage zu bejahen.“
3. Der von dem Kläger erklärte Widerspruch wäre deshalb nichtig (§ 134 BGB). Dies gilt uneingeschränkt, auch wenn die Verfügungsbeschränkungen des § 2 Abs. 2 S. 4 bis 6 BetrAVG sich ausdrücklich nur auf den Teil des Anrechts beziehen, der aus den Beitragszahlungen des Arbeitgebers gebildet wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2021 – XII ZB 134/19 Rn. 18). Im Streitfall war es nämlich so, dass der Kläger ab dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben zum 01.07.2011 den Vertrag beitragsfrei fortführte und keine (eigenen) weiteren Beiträge mehr einzahlte.
VI. Mangels Anspruchs in der Hauptsache hat der Kläger auch keinen Anspruch auf die eingeklagten Nebenforderungen.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.


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