Bankrecht

Verwirkung des Rückabwicklungsanspruchs aus fondsgebundener Lebensversicherung

Aktenzeichen  1 O 2449/20

Datum:
10.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43463
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 346, § 242, § 812, § 818
ZPO § 256
VAG § 10a (idF bis zu 7.12.2004)
VVG § 5a, § 8 (idF bis zum 7.12.2004)

 

Leitsatz

1. Dem Rückgewähr- oder bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruch aus einer fondsgebundenen Lebensversicherung nach Rücktritt oder Widerspruch steht der Einwand der Verwirkung entgegen, wenn vom Versicherungsnehmer der Wunsch nach Lösung vom Vertrag erst nach 15 oder mehr Jahren nach Vertragsbeginn geäußert wird und in der Zwischenzeit eine individuelle Änderung des Fondsmanagements vorgenommen, der Vertrag zeitweise stillgelegt und beitragsfrei gestellt sowie eine Bezugsberechtigung im Todesfall eingeräumt wurde. (Rn. 47 – 54) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Zwischenfeststellungsklage auf Feststellung der Wirksamkeit eines Widerspruchs gegen eine Lebensversicherung ist unzulässig, weil die Wirksamkeit des Widerspruchs nur eine Vorfrage zu dem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis der Wirksamkeit des geschlossenen Vertrags ist (Anschluss an BGH BeckRS 2018, 33784). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist nur teilweise zulässig; sie erweist sich Im Übrigen als vollumfänglich unbegründet.
Die klägerseits erhobene Zwischenfeststellungsklage ist bereits unzulässig; jedenfalls steht dem Kläger gegenüber der Beklagten hinsichtlich beider Verträge mangels fristgerechten Widerspruchs bzw. Rücktritts kein Leistungsanspruch und damit bereits aus diesem Grund auch kein Auskunftsanspruch zu, losgelöst davon, ob überhaupt ein Auskunftsanspruch besteht, weswegen die Klage im Übrigen auch unbegründet ist.
I. Zulässigkeit
Die im Übrigen zulässige Klage ist hinsichtlich der Zwischenfeststellungsklage unzulässig.
Voraussetzung bzw. Ziel einer Zwischenfeststellungsklage ist die Klärung über ein für die Hauptklage vorgreifliches, streitiges Rechtsverhältnis herbeizuführen bzw. einen rechtskräftigen Ausspruch hierüber, § 256 ZPO. Die Zulässigkeit einer Zwischenfeststellungsklage setzt aber weiterhin voraus, dass das streitige Rechtsverhältnis über den gegenwärtigen Prozess hinaus zwischen den Parteien Bedeutung gewinnen kann (BGH, Urteil vom 10.12.1993, V ZR 158/92, Juris Rn 5) und damit über das erfasste Rechtsschutzziel der Klagepartei hinausgehen kann (BGH, Urteil vom 19.12.2018, IV ZR 2 55/17, juris RN 17). Dies ist vorliegend erkennbar nicht der Fall. Der Kläger behauptet letztlich, ihm stehe ein Widerspruchsrecht zu, weswegen ihm Ansprüche, die er mit der Ziffer 4. nach Auskunft geltend machen will, auf Rückzahlung der geleisteten Beiträge wie auch der begehrten Nutzungsentschädigung hinsichtlich beider Verträge nach Maßgabe der §§ 812, 818 BGB bzw. nach § 346 BGB zustünden. Damit ist bereits nach dem klägerischen Sachvortrag nicht ersichtlich, inwieweit die Frage des wirksamen Widerspruchs/Rücktritts nach begehrter endgültiger Rückabwicklung der Verträge im Falle eines Bestehens des behaupteten Leistungsanspruches zwischen den Parteien für die Zukunft noch Bedeutung haben kann. Eine weitergehende Bedeutung ist weder ersichtlich, noch wird eine solche klägerseits behauptet.
Damit ist die Zwischenfeststellungsklage als unzulässig zurückzuweisen; im Übrigen ist die Klage unbegründet.
II. Auskunfts- bzw. Leistungsanspruch infolge Widerspruchs
Die Stufenklage war vollumfänglich abzuweisen, da dem Kläger kein Auskunftsanspruch zusteht, da ihm bereits hinsichtlich beider Verträge kein Leistungsanspruch zusteht. Damit musste der Auskunftsanspruch zurückgewiesen und die Stufenklage insgesamt abgewiesen werden, da der Auskunftsanspruch mangels entsprechenden Zahlungsanspruchs für den Kläger keine Bedeutung mehr hat (für die Zulässigkeit der vollumfänglichen Klageabweisung BGH, Urteil v. 13.12.89, IVb ZR 22/89, Juris Rn 8).
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung geleisteter Beiträge wie auch der begehrten Nutzungsentschädigung weder aus §§ 812, 818 noch aus § 346 BGB, da die zwischen den Parteien abgeschlossenen Verträge, einmal Rentenversicherungsvertrag, V-…, einmal Lebensversicherungsvertrag, V-…, jeweils einen Rechtsgrund für die Zahlungen darstellen. Der Kläger konnte das Widerrufsrecht bzw. Rückttrittsrecht aufgrund Verfristung im Jahre 2019 nicht mehr wirksam ausüben, weil ihm eine formell und inhaltlich ordnungsgemäße Rücktrittsbelehrung erteilt wurde, die ihm überlassenen Verbraucherinformationen jeweils vollständig waren und einem Anspruch jweils die Verwirkung entgegensteht.
1. Übergebene Unterlagen
Der Kläger hat zunächst – schematisch – behauptet, er habe außer dem Versicherungsantrag nebst Versicherungsschein V-… und dem Versicherungsschein V-… keine weiteren Unterlagen seitens der Beklagten erhalten, nämlich weder die Versicherungsbedingungen noch die vollständigen Verbraucherinformationen. Hiermit kann der Kläger nicht gehört werden.
a) Versicherungsvertrag V-…
Der Vertrag kam zur Überzeugung des Gerichtes im sog. Antragsmodell zustande. Dem Kläger sind insoweit sämtliche erforderlichen Unterlagen bereits vor Antragsstellung ausgehändigt worden. Der Kläger hat – gesondert – im Antragsformular per Unterschrift bestätigt, mit der Kopie des Antragsformulars die Schlusserklärung, die Bedingungen für die fondsgebundene Rentenversicherung, besonderen Bedingungen für die fondsgebundene Rentenversicherung, die Steuerinformationen, das Merkblatt zur Datenverarbeitung, die besonderen Bedingungen für die Versicherung mit planmäßiger Erhöhung der Beiträge und Leistungen sowie die Bedingungen für die Berufsunfähgikeitszusatzversicherung erhalten zu haben. Er hat den diesbezüglichen Abschnitt – überschrieben mit gesetzlicher Verbraucherinformationen – im Antragsformular unterschrieben (vgl. Anlage BLD 2, DB 3).
Darüber hinaus hat der Kläger, obwohl er behauptet hat, er habe nur den Versicherungsantrag und Versicherungsschein erhalten, bereits mit der Anlage DB 3, wenn auch teilweise schlecht kopiert, die Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen, die er nicht erhalten haben will, vorgelegt. Schließlich hat der Kläger darüber hinaus im Rahmen der Sitzung ein Geheft, indem sich auch eine Durchschrift seines Antrags vom 27.06.2002 befand, jeweils im Original die Bedingungen für die fondsgebundene Rentenversicherung die besonderen Bedingungen für die fondsgebundene Rentenversicherung, die Bedingungen für die fondsgebundene Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, das Merkblatt zur Datenverarbeitung, die Steuerinformationen, wie auch die besonderen Bedingungen für die fondsgebundene Rentenversicherung mit planmäßiger Erhöhung der Beiträge und Leistungen vorgelegt (vgl. Originalgeheft, Anlage zu Protokoll) übergeben.
b) Versicherungsvertrag V-…
Dieser Vertrag ist zwischen den Parteien unstreitig im Policenmodell zustande gekommen.
Diesbezüglich hat der Kläger behauptet, nur den Versicherungsschein erhalten zu haben.
Zur Überzeugung des Gerichts hat der Kläger jedoch sämtliche erforderlichen Unterlagen erhalten. Der Kläger ist bereits dem dezidierten Vorbringen der Beklagten, wozu er jedoch verpflichtet gewesen wäre, wonach dem Policenanschreiben vom 27.10.2004 neben dem Versicherungsschein auch die allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen gemäß § 10 a VAG a.F. beigefügt waren, nicht entgegen getreten. Er hat sich auch zu dem weiteren Vorbringen der Beklagten, wonach der isolierte Versand des Policenbegleitschreibens und des Versicherungsscheins technisch ausgeschlossen sei, da die Vertragsunterlagen in einem einheitlichen Vorgang ausgefertigt, kuvertiert und versandt wurden, nicht geäußert. Insofern ist bereits darauf hinzuweisen, dass der Kläger gleichzeitig mit der Vorlage des Versicherungsscheins als Anlage DB 10 auch die entsprechenden Bedingungen vorgelegt hat, die er angeblich nie erhalten haben will. Auch wurde dem Kläger entgegen seines Sachvortrags eine Durchschrift seines Antrags bei Antragsstellung ausgehändigt, wie an der Vorlage der Originaldurchschrift im Termin ersichtlich ist (Anlage zu Protokoll).
Mithin hat der Kläger in beiden Versicherungsverträgen neben dem Antrag jeweils auch die jeweiligen Bedingungen und Verbraucherinformationen erhalten.
2. Rücktritts-/Widerspruchsbelehrung:
a) Versicherungsvertrag V-…
Nachdem der diesbezügliche Vertrag im sog. Antragsmodell zustande kam, musste der Kläger über sein Rücktrittsrecht belehrt werden. Dies ist im Rahmen der Antragsstellung erfolgt (vgl. Anlage DB 9, DB 3, BLD 2). Nachdem der Antrag am 27.06.2002 gestellt wurde, richten sich die gesetzlichen Anforderungen bezüglich der Belehrung an § 8 V VVG (in der Fassung vom 21.07.1994, gültig bis 07.12.2004). Der Kläger wurde danach in der streitgegenständlichen Rücktrittsbelehrung zutreffend über sein 14-tägiges Rücktrittsrecht, den Hinweis zur Fristwahrung aufgrund der rechtzeitigen Absendung der Rücktrittserklärung wie auch den Beginn belehrt, wonach die Frist erst zu laufen beginnt, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer über sein Rücktrittsrecht belehrt und der Versicherungsnehmer die Belehrung durch Unterschrift bestätigt hat.
Nach dem Gesetzestext war entgegen der klägerischen Behauptung – im Gegensatz zur Widerspruchsbelehrung nach § 5 a VVG a.F. – nicht über die Form des Rücktritts zu belehren.
Ebenso war eine drucktechnisch hervorgehobene Gestaltung nach den gesetzlichen Vorgaben nicht gefordert. Die vorliegende optische Gestaltung der Belehrung genügt den von der Rechtsprechung aufgestellten formalen Anforderungen. Die Belehrung musste vielmehr (nur) so gestaltet sein, dass sie dem Aufklärungsziel Rechnung trägt und darauf angelegt ist, aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers einen solchen aufmerksam zu machen und das maßgebliche Wissen zu vermitteln (BGH, Beschluss vom 17.05.2017, IV ZR 501/15; BGH, Urteil vom 25.01.2017, IV ZR 173/15). Diesen Anforderungen genügt die streitgegenständliche Belehrung.
Die Belehrung wurde durch das fettgedruckte Wort „Rücktrittsrecht“ hervorgehoben, wobei das Wort noch in vergrößerter Schrift abgedruckt wurde; Die Unterschrift befindet sich unmittelbar unter dem Belehrungsblock, weswegen durch den äußerst engen räumlichen Bezug zur Unterschrift diese Gestaltung geeignet ist, einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer auf die Belehrung aufmerksam zu machen.
Nachdem auch die Verbraucherinformationen vollständig waren (siehe nachfolgende Ausführungen) erfolgte der erst mit Schreiben vom 28.11.2019 erklärte Widerspruch, der als Rücktritt aufzufassen ist, zweifelsfrei nicht innerhalb der Rücktrittsfrist und war mithin verfristet.
b) Versicherungsvertrag V-…
Der Vertrag wurde zwischen den Parteien unstreitig im Policenmodell aufgrund Antrags vom 08.10.2004 (vgl. Originaldurchschrift, Anlage zu Protokoll) mit Versicherungsbeginn zum 01.11.2004 abgeschlossen. Damit hatte sich die vorzunehmende Widerspruchsbelehrung nach der vom 01.08.2001 bis 07.12.2004 geltenden Fassung des § 5 a VVG vom 13.07.2001 zu richten. Zwischen den Parteien unstreitig, nahm die Beklagte die Widerspruchsbelehrung im Versicherungsschein vor. Die Belehrung erfolgte hierbei im zweiseitigen Versicherungsschein als letzter Absatz auf der zweiten Seite, wobei der Absatz mit dem fettgedruckten und unterstrichenen Wort „Widerspruchsbelehrung“ überschrieben war (vgl. Anlage DB 10). Die Belehrung ist bis auf die unterlassene Belehrung zur Form der Einlegung des Widerspruchs in Textform, ordnungsgemäß. Der Kläger wurde über sein 14-tägiges Widerspruchsrecht, das Erfordernis der ihm vorzulegenden Unterlagen in Form des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen die auch hingewiesen, dass zur Wahrung der Frist; die rechtzeitige Absendung ausreichend sei, belehrt. Aufgrund der Positionierung der Widerspruchsbelehrung als letzter Absatz im zweiseitigen Versicherungsschein und der deutlich hervorgehobenen Belehrung ist auch von einer ausreichend drucktechnischen hervorgehobenen Gestaltung auszugehen.
Soweit der Hinweis auf die Textform fehlt, ist jedoch die Rechtsprechung; des EuGH zu berücksichtigen, wonach auch bei einer fehlerhaften Belehrung, wenn diese dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit nimmt, sein Rücktrittsrecht im wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, es unverhältnismäßig ist bzw. wäre, sich von den Verpflichtungen aus einem im guten Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen (EuGH, Urteil vom 19.12.2019, C-355/18-C-357/18 und C-497/18). Nach den Rechtsausführungen des EuGH beginnt die Rücktrittsfrist (nur) dann nicht zu laufen, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer überhaupt keine Informationen über sein Rücktrittsrecht mitgeteilt hat oder die mitgeteilten Informationen derart fehlerhaft sind, dass dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht unter im wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben; dann beginnt die Rücktrittsfrist selbst dann nicht zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer auf anderem Weg von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung und der konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls wurde der Kläger aufgrund der vorliegenden Widerspruchsbelehrung im Versicherungsschein gerade nicht gehindert, seinen Widerspruch in Textform binnen 14 Tagen zu erklären, auch wenn der Hinweis auf die Textform fehlt. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist aufgrund der vorliegenden Belehrung klar, dass er eine Widerspruchserklärung abgeben muss, die er auch absenden muss, wobei zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung genügt. Hieraus kann der Versicherungsnehmer entnehmen, dass er in irgendeiner textlichen Form, sei es Brief, E-Mail, Fax etc. seinen Widerspruch erklären muss und diesen an den Versicherer absenden muss. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass dem „Durchschnittsbürger“ der Unterschied zwischen Schriftform und Textform ohnehin nicht geläufig ist. Aufgrund der vorliegenden Belehrung wäre der Kläger in einer Gesamtschau mithin nicht gehindert gewesen, seinen Widerspruch zu erklären.
3. Vollständige Verbraucherinformationen
Nach dem unstreitigen Sachstand handelt es sich bei beiden Versicherungen um fondsgebundene Versicherungsverträge. Entgegen der Darlegung der Klägerseite bedurfte es demzufolge nicht der Angabe der garantierten Rückkaufswerte. Zwar gehört zu den notwendigen Verbraucherinformationen nach § 10 a I VAG a.F. bei Lebensversicherungen die Angabe der Garantie der Rückkaufswerte.
Es bedurfte insofern jedoch keinerlei weiterer Angaben, als das eine Garantie im Hinblick auf den Umstand, dass es sich um eine fondsgebundene Versicherung handelt, nicht abgegeben wurde und daher Rückkaufswerte nicht garantiert werden können. Dementsprechend ist in den Bedingungen für die fondsgebundene Rentenversicherung unter § 1 II auch ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass der Wert der Leistung im Hinblick auf die Nichtvorhersehbarkeit der Entwicklung der Werte der Anlagestöcke nicht garantiert werden kann. Eine entsprechende Belehrung findet sich auch im Vertrag V-…, wie den beigefügten Bedingungen zur Anlage DB 10 entnommen werden kann (dort Bedingungen für die fondsgebundene Lebensversicherung, § 1 II). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 25.03.2020, IV ZR 20/19).
Der Kläger kann mit dem Einwand nicht vollständiger Verbraucherinformationen auch nicht gehört werden soweit gerügt wird, dass die Prämien für die eingeschlossene Zusatzversicherung, jeweils eine Berufsunfähigkeitsversicherung, nicht gesondert ausgewiesen worden seien. Dies ist nicht erforderlich, da es sich vorliegend um eine unselbstständige Berufsunfähigkeitszusatzversicherung handelt. Nachdem vorliegend nicht zwei selbstständige Versicherungsverträge vorliegen, bedurfte es auch nicht einer gesonderten Prämienausweisung bezüglich der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BGH, Urteil vom 24.06.2020, IV ZR 275/19).
4. Verwirkung
Dem klägerischen Anspruch steht jedenfalls in beiden Verfahren der Einwand der Verwirkung entgegen.
Hierbei ist neben dem sehr langen Zeitablauf zwischen Vertragsschluss und Erklärung des Widerspruchs bzw. des Rücktritts auch der Vertragsverlauf zu berücksichtigen. So hat der Kläger bei dem Vertrag V-… mit Schreiben vom 08.10.2005 (Anlage BLD 4) eine individuelle Änderung des Fondsmanagements vorgenommen und hierbei auch die prozentuale Aufteilung vorgegeben. Bei beiden Verträgen hat er mit gefaxtem Schreiben vom 19.03.2008 beantragt, beide Verträge mit sofortiger Wirkung für sechs Monate stillzulegen (Anlage BLD 5). Mit Schreiben vom 03.08.2009 hat der Kläger hinsichtlich der Bezugsberechtigung im Todesfall für beide Verträge seine Ehefrau benannt (Anlage BLD 6) und schließlich mit Schreiben vom 23.05.2019 die Beitragsfreistellung beider Verträge mit sofortiger Wirkung beantragt (Anlage BLD 7).
Die Verwirkung stellt einen Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens dar. Grundsätzlich ist zwar widersprüchliches Verhalten zulässig, jedoch dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung aus treuwidrig erscheinen lassen. Die Rechtsausübung kann bereits deshalb unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Dementsprechend ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet hat und sich darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend machen werde, wobei sowohl auf den zeitlichen Ablauf, als auch die vorliegenden Umstände abzustellen ist. Dies ist vorliegend der Fall.
Im konkreten Fall ist sowohl das erforderliche Zeitmoment als auch das Umstandsmoment für eine Verwirkung gegeben. An letzteres sind, je länger sich der Zeitablauf zwischen dem Vertragsabschluss und dem erklärten Widerspruch darstellt, geringe Anforderungen zu stellen, selbst wenn besondere Umstände vorhanden sein müssten, da im Falle der Widerspruchsbelehrung der Hinweis auf die Textform fehlte. Im Rahmen der Gewichtung und der Frage des Rechtsmissbrauchs kommen jedoch bei einer besonders langen Vertragsdurchführung auch an sich eher geringer zu gewichtende Umstände in Betracht und können – wie vorliegend – zur Annahme der Verwirkung führen.
Im konkreten Fall liegen zwischen dem Vertragsabschluss bzw. Vertragsbeginn zum 01.08.2002 bzw. 01.11.2004 15 bzw. 17 Jahre. Im Rahmen der Bewertung dieses Zeitraums kann auch die Wertung des § 124 III BGB miteinbezogen werden. Danach kann selbst bei arglistiger Täuschung oder widerrechtlicher Drohung, bei ersterer selbst dann, wenn der Getäuschte von den Umständen der Täuschung keine Kenntnis hatte, nach Ablauf von 10 Jahren keine Anfechtung mehr erfolgen. Mit den vorliegenden 15 bzw. 17 Jahre wehrenden Zeitraum ist folglich die 10-jährige Frist des § 124 III BGB deutlichst überschritten. Dies kann im Rahmen der Wertung nicht unberücksichtigt bleiben.
Denn je länger sich der Zeitablauf bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts darstellt, umso höher ist das schutzwürdige Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand des Vertrages und umso mehr Gewicht kommt diesem Vertrauen zu, während umgekehrt der gesetzliche Schutzzweck für die Einräumung des Widerspruchsrechts, dem Vertrag (im zeitlichen Zusammenhang mit seinem Abschluss) widersprechen zu können, mit zunehmenden Zeitablauf immer mehr zurücktritt (ständige Rechtsprechung OLG München, z.B. Beschluss vom 14.08.2020, 25 U 2963/20).
Mithin ist unter Würdigung des Zeitablaufes sowie des vorgenannten Vertragsverlaufes von einer Verwirkung auszugehen. Auch bestand entsprechend auf der Beklagtenseite ein entsprechendes schutzwürdiges Vertrauen. Der Kläger hat über die gesamte Vertragslaufzeit den vereinbarten Versicherungsschutz genossen, dies betrifft sowohl den Berufsunfähigkeitsschutz als auch den einer Todesfallleistung mit seiner Ehefrau als Bezugsberechtigter.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände dringt mithin die Beklagte mit dem Verwirkungseinwand hinsichtlich beider Verträge durch, weswegen dem Kläger unter diesem Gesichtspunkt jedenfalls keinerlei Leistungsanspruch zusteht.
5. Europarechtswidrigkeit des Policenmodells
Entgegen der klägerischen Auffassung ist das sog. Policenmodell mit den Vorgaben des Art. 31 Abs. 1 der dritten Richtlinie Lebensversicherung und des Art. 15 Abs. 1 S. 1 der zweiten Richtlinie Lebensversicherung vereinbar (BGH, Urteil vom 16.07.2014, IV ZR 73/13).
Im Übrigen stünde einem etwaigen Anspruch der Klägerin jedenfalls der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens aus Treu und Glauben, § 242 BGB, entgegen, worauf bereits unter Ziffer 4 hingewiesen wurde.
6. Auskunftsanspruch
Darüberhinaus stünde dem Kläger per se kein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zu.
Ein Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben nach § 242 BGB kann grundsätzlich nur dann bestehen, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann (BGH, Urteil vom 06.02.2007, X ZR 117/04; Palandt Rn 4, 7 zu § 260 BGB). Eine entschuldbare Ungewissheit liegt dann nicht vor, wenn sich der Berechtigte die erforderlichen Informationen selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann. Dies ist vorliegend der Fall.
Hierbei ist auch die feststehende Rechtsprechung des BGH zu berücksichtigen, wonach der Kläger – im Falle eines Widerspruchs bzw. Rücktritts – die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlich gezogenen Nutzungen trägt, wobei er seinen Tatsachenvortrag nicht ohne Bezug zur Ertragslage des jeweiligen Versicherers auf eine tatsächliche Vermutung einer Gewinnerzielung in bestimmter Höhe stützen kann (BGH, Urteil vom 11.11.2015, IV ZR 513/14). Dementsprechend wäre es Aufgabe des Klägers selbst konkret zu den gezahlten Prämien zu den hieraus seitens des Versicherers gezogenen Nutzungen unter Bezug auf die konkrete Ertragslage des Versicherers vorzutragen.
7. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Nachdem dem Kläger in der Hauptsache kein Anspruch zusteht, teilen die Nebenforderungen das Schicksal der Hauptforderung. Die Klage war dementsprechend ebenfalls abzuweisen.
III. Kosten, vorläufige Vollstreckbarkeit:
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.


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