Baurecht

Abgewiesene Nachbarklage im Streit um Bauvorbescheid

Aktenzeichen  M 8 K 14.4131

Datum:
7.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 29, § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO BauNVO § 3 Abs. 4, § 15 Abs. 1 S. 1
BayBO BayBO Art. 6, Art. 71

 

Leitsatz

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kostenschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da die Klägerin durch die Beantwortung der Einzelfragen des Vorbescheids vom 8. August 2014 nicht in ihren nachbarschützenden Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung – und insoweit auch einen Vorbescheid – nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn der angefochtene Vorbescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22).
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 BauGB. Das Vorhaben liegt im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplanes, der teilweise Baulinien und Baugrenzen festsetzt. Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich daher im Übrigen nach § 34 BauGB.
II.
Im Einzelnen ist zu der Beantwortung der einzelnen Vorbescheidsfragen im Bescheid von 8. August 2014 Folgendes festzustellen:
1. Frage 1
Mit der Frage 1 wurde die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach den Kriterien der Grundflächen- und Geschossflächenzahl (GFZ und GRZ) abgefragt. Die Beantwortung dieser Frage hat die Beklagte richtigerweise abgelehnt und darauf hingewiesen, dass sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des abgefragten Vorhabens nach den Kriterien des § 34 BauGB beurteile, da es in einem unbeplanten Innenbereich verwirklicht werden solle. Eine Verletzung drittschützender Rechte der Klägerin kommt vorliegend nicht in Betracht.
2. Frage 2
Hier wurde das streitgegenständliche Vorhaben hinsichtlich seiner Lage und Ausrichtung auf den Baugrundstücken positiv beurteilt. Die positive Beantwortung dieser Frage verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
2.1 Zwar wurde hier eine Befreiung wegen Überschreitung der rückwärtigen Baugrenze nach § 31 Abs. 2 BauGB in Aussicht gestellt. Dies führt jedoch nicht zu einer Nachbarrechtsverletzung, da es sich um eine Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Vorschrift handelt.
Bei der Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ist hinsichtlich des Nachbarschutzes danach zu unterscheiden, ob die Vorschrift, von der befreit werden soll, nachbarschützend ist oder nicht (vgl. Jäde in: Jäde/Dirnberger/Weiss, 7. Aufl. 2013, BauGB/BauNVO, § 29 BauGB, Rn. 59). Während im ersteren Fall bereits das Fehlen der objektiven Befreiungsvoraussetzungen zu einer Verletzung von Nachbarrechten führt, stellt im letzteren Fall die unzutreffende Annahme des Vorliegens der Befreiungsvoraussetzungen keinen unmittelbaren Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften dar, so dass ein Nachbarschutz hier nur im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme in Betracht kommt (BVerwG, U. v. 19.9.1986 – 4 C 8.84, NVwZ 1987, 409 – juris Rn. 17).
Bezüglich der Befreiung für die Überschreitung des Bauraums bzw. der rückwärtigen Baugrenze nach § 31 Abs. 2 BauGB ist hinsichtlich des Nachbarschutzes zu berücksichtigen, dass es sich um eine Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Norm handelt, da Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche grundsätzlich nur städtebaulichen Charakter haben (vgl. BVerwG, B. v. 8.7.1998 – 4 B 64/98, BayVBl. 1999, 26 – juris Rn. 6; BayVGH, B. v. 21.11.2008 – 15 CS 08.2683 – juris Rn. 8; BayVGH, B. v. 20.8.2008 – 1 CS 08.2201 – juris Rn. 14). Eine andere Bewertung derartiger Festsetzungen kommt nur dann in Betracht, wenn der Satzungsgeber eine nachbarschützende Funktion einer solchen Festsetzung gewünscht und dieser normgeberische Wille auch in entsprechenden Begründungen seinen Niederschlag gefunden hat. Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche vermitteln Drittschutz somit nur dann, wenn sie nach dem Planungswillen der Gemeinde diese Funktion haben sollen (vgl. BVerwG, B. v. 19.10.1995 – 4 B 215/95, NVwZ 1996, 888 – juris Rn. 3).
Vorliegend sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Festsetzung der rückwärtigen Baugrenze über ihre städtebauliche Funktion hinausgehend nach dem Willen des Plangebers einen drittschützenden Charakter haben sollte.
2.2 Eine fehlerhafte Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung kann dem Nachbarn einen Abwehranspruch nur insoweit vermitteln, als die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung nicht die gebotene Rücksichtnahme auf dessen Interessen genommen hat (BVerwG, B. v. 8.7.1998 – 4 B 64/98, BayVBl. 1999, 26 – juris Rn. 5). Die im streitgegenständlichen Bescheid in Aussicht gestellte Befreiung wegen Überschreitung der rückwärtigen Baugrenze ist gegenüber dem Anwesen der Klägerin nicht rücksichtslos.
In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U. v. 13.3.1981 – 4 C 1/78, DVBl. 1981, 928 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U. v. 23.5.1986 – 4 C 34/85, NVwZ 1987, 34 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B. v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770, BayVBl. 2009, 751 – juris Rn. 23; B. v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u. a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Für die Annahme einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (BayVGH, B. v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B. v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9).
Hier befindet sich das mit einem Reiheneckhaus bebaute Grundstück der Klägerin südöstlich des geplanten Baukörpers. Durch die Verwirklichung des Bau-vorhabens soll die rückwärtige Baugrenze nach Osten hin um ca. 2 m überschritten werden. Daher rückt das Vorhabengebäude durch die Überschreitung der rückwärtigen Baugrenze näher an das Grundstück der Klägerin heran. Es geht von dem streitgegenständlichen Vorhaben jedoch keine einmauernde bzw. erdrückende Wirkung gegenüber dem Anwesen der Klägerin aus. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass der geplante Baukörper trotz Überschreitung der rückwärtigen Baugrenze in einer Entfernung von ca. 14 m von dem Gebäude der Klägerin liegen soll. Zum anderen kann das streitgegenständliche Gebäude aufgrund seiner Lage auf dem Grundstück von dem Anwesen der Klägerin nur eingeschränkt in den Blick genommen werden, da das Vorhabengebäude – von dem klägerischen Grundstück her gesehen – nach Westen versetzt situiert ist und seine Schmalseite etwa auf der Höhe der Nordwestecke des Grundstücks der Klägerin endet. Dem Grundstück der Klägerin ist damit nur die Süd-Ost-Ecke des Vorhabengebäudes in einer Entfernung von ca. 14 m zugewandt. Zu beachten ist schließlich, dass die Reihenhauszeile …-straße 53-53c, zu der das Reiheneckhaus der Klägerin gehört, über ähnliche Außenmaße verfügt, wie das streitgegenständliche Gebäude, weshalb schon kein erheblicher Größenunterschied der Baukörper vorliegt.
2.3 Ferner kann eine Nachbarrechtsverletzung nicht aus einer etwaigen Verletzung der Abstandsflächenvorschriften der Bayerischen Bauordnung (BayBO) abgeleitet werden. Der streitgegenständliche Vorbescheid und insbesondere die Beantwortung der Frage 2 enthält keine positive Aussage hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO. Die Beklagte hat vielmehr bei der Beantwortung der Frage 2 darauf hingewiesen, dass die geplante Fluchttreppe im südwestlichen Bereich des Vorhabens die Abstandsflächenvorschriften offensichtlich nicht einhalte, weshalb dieser Bauteil nicht genehmigungsfähig sei. Im Übrigen wurde die Zulässigkeit des Vorhabens im Hinblick auf die Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften weder abgefragt noch von der Beklagten positiv beurteilt. Da die Bindungswirkung eines Vorbescheids nach Art. 71 BayBO für das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren nur so weit reicht, wie die einzelnen Vorbescheidsfragen von der Bauaufsichtsbehörde positiv beantwortet wurden, kann eine fehlende bzw. negative Beantwortung einer Vorbescheidsfrage keine Nachbarrechtsverletzung begründen.
2.4 Auch die Beantwortung der Frage hinsichtlich der geplanten Art der baulichen Nutzung verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zwar wurde im streitgegenständlichen Vorbescheid die Zulässigkeit des Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung nicht explizit abgefragt. Jedoch enthält die Beantwortung der Frage 2 auf Seite 2 des Bescheids eine Feststellung, dass die geplante Nutzungsart – Wohnheim für geistig behinderte Menschen – im reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig sei.
Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf einen ihr zustehenden bauplanungsrechtlichen Gebietserhaltungsanspruch berufen. Dieser ist im Ergebnis darauf gerichtet, Vorhaben zu verhindern, die weder regelmäßig noch ausnahmsweise in diesem Gebiet zulässig sind und setzt voraus, dass die Grundstücke in einem festgesetzten oder faktischen Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung liegen (vgl. BVerwG, U. v. 16.9.1993 – 4 C 28/91, BVerwGE 94, 151 – juris Rn. 13). Er gewährt dem Eigentümer eines Grundstückes hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung des Nachbarn ihn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht (BayVGH, U. v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211, BayVBl 2013, 51 – juris Rn. 27 m. w. N.). Der Grundsatz, dass sich ein Nachbar im Plangebiet auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden kann, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird, lässt sich auf den Nachbarschutz im faktischen Baugebiet übertragen (BVerwG, B. v. 22.12.2011 – 4 B 32/11, BauR 2012, 634 – juris Rn. 5; BayVGH, B. v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris Rn. 5).
Das Grundstück der Klägerin und das Vorhabengrundstück liegen in einem faktischen Reinen Wohngebiet (WR) im Sinne des § 3 BauNVO. Bei dem geplanten Wohnheim für geistig behinderte Menschen handelt es sich um ein nach § 3 Abs. 4 BauNVO in einem Reinen Wohngebiet allgemein zulässiges Wohngebäude, das ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dient. Der Begriff des Wohnens nach § 3 BauNVO ist durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet (BVerwG, B. v. 25.3.1996 – 4 B 302.95 – NVwZ 1996, 893 – juris Rn. 12; B. v. 25.3.2004 – 4 B 15.04, BRS 67 Nr. 70 – juris Rn. 4; B. v. 17.12.2007 – 4 B 54.07 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 4.9.2013 – 14 ZB 13.6 – juris Rn. 12). Nach der durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Baunutzungsverordnung vom 27. Januar 1990 (BGBl. I S. 132) eingeführten Bestimmung des § 3 Abs. 4 BauNVO gehören zu den nach § 3 Abs. 2 sowie den nach §§ 2, 4 bis 7 BauNVO zulässigen Wohngebäuden auch solche, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen. Mit der Bestimmung sollte „klargestellt“ werden, dass zum „Wohnen“ auch das Wohnen mit Betreuung und Pflege gehört (vgl. BR-Drs. 354/89, S. 2). Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung fällt auch „Betreutes Wohnen“ in einem Wohnheim für psychisch Kranke (OVG NRW, U. v. 9.1.1997 – 7 A 2175/95 – juris Rn. 35) unter § 3 Abs. 4 BauNVO. Daher stellt das hier geplante Wohnheim für geistig behinderte Menschen grds. eine im reinen Wohngebiet allgemein zulässige Nutzung dar, gegen die ein Gebietserhaltungsanspruch eines Nachbarn ausgeschlossen ist.
2.5 Eine Nachbarrechtsverletzung der Klägerin folgt vorliegend auch nicht aus einem etwaigen Verstoß des geplanten Vorhabens gegen das Gebot der Rücksichtnahme im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung des geplanten Wohnheims.
Auch eine nach den Vorschriften der BauNVO allgemein zulässige Nutzung ist nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BaNVO im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspricht. Diesbezüglich erfolgte in dem streitgegenständlichen Vorbescheid keine abschließende Beurteilung. Die Beklagte hat bei der Beantwortung der Frage nach der planungsrechtlichen Zulässigkeit des streitgegenständlichen Gebäudes hinsichtlich seiner Lage und Ausrichtung auf dem Grundstück lediglich darauf hingewiesen, dass im Zuge des Baugenehmigungsverfahrens seitens des Beigeladenen nachgewiesen werden muss, dass durch die geplante Nutzungsintensivierung für das Wohngebiet keine Beeinträchtigung entsteht. Eine konkrete Einzelfallprüfung wurde damit ausdrücklich dem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren vorbehalten.
Im Übrigen bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte dafür, dass einer Wohnanlage für geistig behinderte Menschen mit 24 Zimmern ein so hohes Störungspotential innewohnt, dass sie im reinen Wohngebiet im Einzelfall unzulässig wäre.
2.6 Schließlich steht der Klägerin gegen das streitgegenständliche Vorhaben auch kein dem § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO zu entnehmender Abwehranspruch aus dem sogenannten „speziellen Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ zu.
Nach dem speziellen Gebietserhaltungsanspruch wäre ein Vorhaben an sich in dem konkreten Baugebiet entweder allgemein oder ausnahmsweise zulässig, also mit den Vorgaben der Baunutzungsverordnung zur Gebietsart vereinbar, aber gleichwohl (generell) gebietsunverträglich, weil das Vorhaben der allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebietstyps widerspricht (BayVGH, B. v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris Rn. 8; vgl. auch Decker, JA 2007, 55/57; Stühler, BauR 2011, 1576/1580). Erweist sich das zulässige Vorhaben aber (generell) als gebietsunverträglich, soll es vom Dritten, ohne dass dieser konkret und individuell betroffen sein muss, abgewehrt werden können.
Insoweit ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie der Literatur bereits umstritten, ob ein derartiger spezieller Gebietsprägungsanspruch überhaupt existiert (zweifelnd etwa BayVGH, B. v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris Rn. 8; befürwortend BayVGH, B. v. 4.11.2009 – 9 CS 09.2422 – juris Rn. 11 f.; offen lassend BayVGH, B. v. 3.2.2014 – 9 CS 13.1916 – juris Rn. 13; VG München, B. v. 9.8.2012 – M 8 SN 12.2961 – juris Rn. 23; aus der Literatur vgl. Decker, JA 2007, 55; Stühler, BauR 2011, 1576; Hoffmann, BauR 2010, 1859).
In jedem Fall ist davon auszugehen, dass auch der spezielle Gebietsprägungserhaltungsanspruch sich allein auf die Art der baulichen Nutzung im Sinn der Baunutzungsverordnung bezieht (BayVGH, B. v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – juris Rn. 9; BayVGH, B. v. 3.2.2014 – 9 CS 13.1916 – Rn. 13).
Vorliegend hat die Beklagte bei der Beantwortung der Frage 2 zwar festgestellt, dass die geplante Anlage in einem reinen Wohngebiet grds. zulässig ist, eine genaue Prüfung der allgemeinen Gebietsverträglichkeit wurde allerdings ausdrücklich dem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren vorbehalten, so dass eine Bindungswirkung des streitgegenständlichen Vorbescheids diesbezüglich nicht gegeben ist.
Im Übrigen bestehen gegen die allgemeine Gebietsverträglichkeit eines Wohnheims für geistig behinderte Menschen mit 24 Zimmern in einem reinen Wohngebiet keine durchgreifenden Bedenken.
Aus dem in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO genannten Kriterium „Umfang“ folgt, dass eine bauliche Anlage auch wegen ihrer Größe gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig sein kann. Die Bestimmung geht davon aus, dass im Einzelfall Quantität in Qualität umschlagen kann, dass also die Größe einer baulichen Anlage die Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung erfassen und beeinflussen kann (vgl. BayVGH, B. v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; OVG NRW, B. v. 18.3.2014 – 2 B 256/14 – juris Rn. 14). Erforderlich hierfür ist aber, dass aufgrund der Dimensionierung der Anlage eine neue Art der baulichen Nutzung in das Wohngebiet hineingetragen wird. Dies ist vorliegend nicht zu erkennen, da in der näheren Umgebung des Vorhabens Baukörper in ähnlicher Größe bereits vorhanden sind. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere das südlich des Vorhabens liegende Gebäude … Straße 1 sowie die Reihenhausanlage …-straße 53-53c, zu der das Reiheneckhaus der Klägerin gehört.
3. Frage 3
Eine Nachbarrechtsverletzung der Klägerin durch die positive Beurteilung des Vorhabens im Hinblick auf die Dachneigung ist nicht erkennbar.
4. Frage 4
Die Frage betrifft die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach dem Maß der baulichen Nutzung. Es entspricht der ganz herrschenden Meinung, dass die Regelungen des § 34 Abs. 1 BauGB über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht nachbarschützend sind (vgl. BVerwG, B. v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; B. v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 3). Insoweit käme nur eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch die positive Beantwortung der Frage in Betracht. Das Gebot der Rücksichtnahme ist vorliegend jedoch nicht verletzt.
Geplant ist eine zweigeschossige Bebauung mit einem ausgebauten Dachgeschoss, einer Traufhöhe von 7 m sowie einer Firsthöhe von 9,60 m. Damit ist das Reihenhaus der Klägerin nur ca. 2 niedriger als die geplante Bebauung. Ein erheblicher Höheunterschied von mehreren Geschossen, der nach der Rechtsprechung für die Annahme der Rücksichtslosigkeit im dicht bebauten innerstädtischen Bereich erforderlich wäre (vgl. Ziffer 2.2), ist vorliegend nicht gegeben. Zudem liegt das Vorhaben ca. 14 m von dem Gebäude der Klägerin entfernt, so dass eine erdrückende Wirkung des Vorhabens auf das klägerische Anwesen nicht in Betracht kommt.
5. Frage 5
Da der Schutzzweck der Vorschriften der Baumschutzverordnung der Beklagten vom 18. Januar 2013 (BaumSchV) ausschließlich auf die Sicherstellung einer angemessenen innerörtlichen Durchgrünung, Belebung das Ortsbilds, Erhaltung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts sowie Minderung der schädlichen Umwelteinwirkungen gerichtet ist (vgl. § 2 BaumSchV), scheidet eine Nachbarrechtsverletzung durch eine etwaige Verletzung dieser Vorschriften von vornherein aus.
III.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs.1 VwGO abzuweisen.
Es entspricht der Billigkeit, auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen der Klägerin gemäß § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen, da der Beigeladene einen Antrag gestellt und sich somit selbst einem Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Ziffer 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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