Baurecht

Abwehranspruch eines für Wohnzwecke genutzten Grundstücks gegen die Erweiterung einer bestehenden Tankstelle.

Aktenzeichen  AN 9 K 15.01988

Datum:
12.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 30 Abs. 1
BauNVO BauNVO § 8 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, § 15
BayBO BayBO Art. 66 Abs. 1

 

Leitsatz

Im Rahmen eines Nachbarrechtsbehelfs kann die Geltendmachung eines Verstoßes gegen Art. 66 Abs. 1 BayBO nicht zum Erfolg führen, da es sich um eine reine Verfahrensvorschrift handelt, die keinen Drittschutz vermittelt. (redaktioneller Leitsatz)
Der Begriff der Grünfläche ist ein spezifisch bauplanungsrechtlicher Begriff. Eine Grünfläche in diesem Sinn kann nur von der Gemeinde kraft ihrer Planungshoheit festgesetzt werden, und nicht durch einen Grundstückseigentümer durch die Gestaltung seines Grundstücks. (redaktioneller Leitsatz)
Der Begriff der erheblichen Belästigung ist stets in Bezug zu dem jeweiligen Baugebiet zu setzen; so ergibt sich bei Gewerbegebieten aus der besonderen Zweckbestimmung, dass dem Wohnen gegenüber einem Gewerbebetrieb ein nachrangiger Stellenwert und damit ein niedrigeres Schutzniveau zu teil wird. (redaktioneller Leitsatz)
Die fortwährende Nichteinhaltung von Lärmgrenzwerten bei einer Tankstelle durch Anlieferungen von Benzin bzw. Diesel oder Staubsaugerbetrieb am Sonntag, macht eine Baugenehmigung an sich nicht rechtswidrig. Vielmehr ist ein bauaufsichtliches Einschreiten notwendig. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte oder der Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1.
Die mit der Klage angegriffene Baugenehmigung des Landratsamts … vom 24. September 2015 verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Gemäß Art. 68 Abs. 1 BayBO darf die Baugenehmigung nur versagt werden, wenn das zur Genehmigung gestellte Vorhaben gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Die Nachbarn jedoch können die Baugenehmigung mit dem Ziel der Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn sie rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen sind, sondern gerade dem Schutz eines von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreises, namentlich der betroffenen Nachbarn zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Das ist der Fall, wenn sie in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen sind (st. Rspr., vgl. BVerwG, U. v. 26.9.1991 – 4 C 5.87; BVerwGE 89, 69; BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – m. w. N., juris). Hinzu kommt, dass ein Verstoß gegen eine solche Vorschrift nur insoweit in Betracht kommt, als die Baugenehmigung hierzu auch Feststellungen trifft (vgl. BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris, Rn. 22). Dies ist davon abhängig, ob die entsprechende Vorschrift im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen war. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung ist darauf beschränkt, ob durch die angegriffene Baugenehmigung Vorschriften verletzt sind, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, und die zum Prüfungsmaßstab der Baugenehmigung gehören.
Im vorliegenden Fall kann die Kammer einen solchen Verstoß nicht erkennen.
1.1
Soweit die Kläger vortragen, sie seien nicht ordnungsgemäß an dem Genehmigungsverfahren beteiligt worden, verhilft das ihrem Nachbarrechtsbehelf nicht zum Erfolg. Art. 66 Abs. 1 BayBO ist eine reine Verfahrensvorschrift, die den Nachbarn zwar reflexartig begünstigt, aber nicht drittschützend ist. Es kommt alleine darauf an, ob das genehmigte Vorhaben gegen materielles Baurecht verstößt und den Nachbarn insofern in seinen Rechten verletzt (vgl. BayVGH, B. v. 2.2.2001 – 26 ZS 00.2347 – juris, Rn. 12; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl., 2012, Art. 66, Rn. 35).
1.2
Der Beklagte hat der Baugenehmigung das falsche Baugenehmigungsverfahren zugrunde gelegt. Das streitgegenständliche Vorhaben stellt nämlich – anders als von dem Beklagten angenommen – einen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 Nr. 19 BayBO dar, weil es sich bei der geplanten Tankstelle um eine bauliche Anlage handelt, deren Nutzung durch Umgang mit oder Lagerung von Stoffen mit Explosions- oder erhöhter Brandgefahr verbunden ist. Das Landratsamt … hätte daher das Baugenehmigungsverfahren nach Art. 60 BayBO durchführen müssen. Die Kläger können sich hierauf indes nicht berufen, da die Wahl des richtigen Verfahrens für sich nicht nachbarschützend ist.
1.3
Die Baugenehmigung vom 24. September 2015 steht im Einklang mit dem materiellen Baurecht, soweit dieses nachbarschützend ist und die Kläger sich auf einen Verstoß berufen könnten.
1.3.1
Ein Gebietserhaltungsanspruch, der grundsätzlich unabhängig von einer besonderen persönlichen Betroffenheit Nachbarn desselben Plangebiets die Möglichkeit einräumt, das Eindringen gebietsfremder Nutzungen abzuwehren, steht den Klägern nicht zur Seite. Gegen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 30 Abs. 1 BauGB bestehen im festgesetzten Gewerbegebiet nämlich keine durchgreifenden Bedenken. Tankstelle und Waschanlage sind nach der Art der baulichen Nutzung allgemein zulässig.
1.3.2
Der Vortrag der Kläger, das genehmigte Bauvorhaben verstoße gegen die Festsetzung über die maximal zulässige Höhe von Einfriedungen in § 5 des Bebauungsplans Nr. … der Stadt …, kann nicht durchdringen. Die Kammer vermag der Argumentation des Beklagten und des Beigeladenen zwar nicht zu folgen, wonach die entlang der Grenze zwischen den Grundstücken FlNr. … und … genehmigte Betonmauer, die im Osten den Abschluss der Industriehalle bildet, eine Höhe von 1 m nicht überschreite. Beide Grundstücke fallen von der … im Süden bzw. Südosten nach Norden bzw. Nordwesten hin ab, so dass an der nördlichen Außenwand der geplanten Industriehalle nach den Planunterlagen ein Niveauunterschied von 1,55 m zum dort eingezeichneten Ausgangspunkt im südlichen Grundstücksbereich besteht. Dieses Gefälle wird durch den Beigeladenen auf seinem Grundstück durch entsprechende Aufschüttung ausgeglichen, wobei die genannte Mauer auch als Stützmauer zum Nachbargrundstück dient. Von seinem – neuen – Grundstücksniveau aus gemessen mag die Betonmauer zwar nur 1 m aufragen. Aus Sicht der Kläger hat sie jedoch vom hier maßgeblichen natürlichen Bodenniveau aus in deren nördlichem Grundstücksteil eine Höhe von 2,55 m. Die Kläger können sich darauf indes nicht berufen. Was einen Verstoß gegen die Festsetzung in § 5 des Bebauungsplans Nr. … der Stadt … angeht, so ist schon dessen Tatbestand nicht erfüllt. Bei dem Garten der Kläger handelt es sich nämlich nicht, wie diese meinen, um eine Grünfläche im Sinne der Festsetzung. Der Begriff der Grünfläche ist neben seiner Verwendung im alltäglichen Sprachgebrauch ein spezifisch bauplanungsrechtlicher Begriff. Er findet beispielsweise Verwendung in § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB. Wenn der Bebauungsplan den Begriff verwendet, so muss von der spezifisch baurechtlichen Bedeutung ausgegangen werden, und davon, dass damit nur durch den Bebauungsplan selbst festgesetzte Grünflächen im bauplanungsrechtlichen Sinne gemeint sind. Eine solche Festsetzung kann aber nur die Gemeinde kraft ihrer Planungshoheit vornehmen, und nicht auch faktisch die Grundstückseigentümer durch entsprechende Gestaltung ihres Grundstücks.
Selbst wenn man vom Vorliegen einer Grünfläche im baurechtlichen Sinne ausginge, würde die Festsetzung den Klägern keinen Drittschutz vermitteln. Festsetzungen im Bebauungsplan haben – mit Ausnahme der Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, U. v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – juris) – nicht schon aus sich heraus drittschützende Wirkung. Dies gilt auch für Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung, zu denen die vorliegende zählt. Im Regelfall dienen solche Festsetzungen nur der Gestaltung des Ortsbildes. Ob ihnen ausnahmsweise Drittschutz zukommt, ist maßgeblich vom Willen der planenden Gemeinde abhängig, der durch Auslegung zu ermitteln ist (vgl. BVerwG, B. v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris). Ihr Wille, dass der Schutz eines bestimmbaren und von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreises, namentlich der Nachbarn, bezweckt ist, muss mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan oder anderen, objektiv erkennbaren Umständen hervortreten. Für eine solche Absicht finden sich im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Die genannte Festsetzung über die maximal zulässige Höhe von Einfriedungen wird überhaupt nicht näher begründet, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Stadt … bei Aufstellung des Bebauungsplans durch sie abweichend von der Regel den speziellen Schutz der Nachbarn bezwecken wollte.
1.3.3
Die Kläger können sich auch nicht mit Aussicht auf Erfolg auf das baurechtliche Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme in seiner subjektiv-rechtlichen Ausprägung berufen. Insbesondere sind von dem streitgegenständlichen Bauvorhaben auch nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck keine für die Kläger unzumutbaren Lärmimmissionen zu erwarten. Für Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans gemäß § 30 Abs. 1 BauGB findet das Rücksichtnahmegebot über § 15 BauNVO Eingang in die Zulässigkeitsprüfung (vgl. BVerwG, U. v. 5.8.1983 – 4 C 96.79 – juris). Danach ist eine bauliche Anlage im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des jeweiligen Baugebiets widerspricht, oder wenn von ihr Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung, die die jeweiligen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt, ist ausschlaggebend, was dem Rücksichtnahmeberechtigten, aber auch, was dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten in der jeweiligen Grundstückssituation zumutbar ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden, je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, U. v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – juris). Zur Bestimmung dieser Grenze der Zumutbarkeit können die Wertungen und Begriffsbestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) herangezogen werden, dessen Zielrichtung darin besteht, schädliche Umwelteinwirkungen von Anlagen nach Möglichkeit zu vermeiden oder auf ein zumutbares Maß zu beschränken (vgl. Ebd.; BayVGH, B. v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris, Rn. 29). Gemäß § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. § 5 Nr. 1 BImSchG bestimmt, dass Anlagen so zu betreiben sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Diese unbestimmten Rechtsbegriffe werden unter anderem konkretisiert durch die Richtwerte der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum BImSchG (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm – TA Lärm). Hält der Emittent die dort genannten Grenzwerte ein, bei denen davon auszugehen ist, dass sie im Grundsatz dem entsprechen, was in dem jeweiligen Gebiet entsprechend seiner Zweckbestimmung vom Durchschnittsbürger als zumutbar angesehen wird, kann demnach auch keine Verletzung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme angenommen werden (vgl. BVerwG, U. v. 30.9.1983 – 4 C 74.78; BayVGH, B. v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris).
Überschreiten allerdings die bei der Nutzung der Anlage hervorgerufenen Immissionen bei regelmäßigem Betrieb die für den rücksichtnahmeberechtigten Nachbarn maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze, muss die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden. Tut sie es nicht, ist hierin ein Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme zu erblicken (vgl. BayVGH, U. v. 18.7.2002 – B 98.2945, Rn. 53 ff.; B. v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2305 – juris, Rn. 31). Zugrunde zu legen ist dabei das Gesamtvorhaben in seiner geänderten Form (vgl. BVerwG, B. v. 4.2.2000 – 4 B 106.99 – juris, Rn. 2), da die bestehende Anlage und der Erweiterungsbau auf demselben Grundstück liegen und eine betriebliche Einheit bilden.
Im vorliegenden Fall sind der Betrieb einer Tankstelle und der Betrieb einer Waschanlage als Gewerbebetrieb im Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 3 BauNVO in der maßgeblichen Fassung allgemein zulässig. Die Nutzung des Hauses auf dem Grundstück der Kläger als Betriebsleiterwohnung hingegen ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nur ausnahmsweise zulässig. Entgegen der Ansicht des Beigeladenenvertreters kommt es nicht darauf an, ob das Wohnhaus der Kläger tatsächlich noch als Betriebsleiterwohnung im Sinne der Baunutzungsverordnung genutzt wird. Jedenfalls ist es als „Bürohaus mit Wohnung“ mit bestandskräftiger Baugenehmigung vom 10. April 1996 genehmigt und kann sich dementsprechend grundsätzlich auf das einer Betriebsleiterwohnung zukommende Schutzniveau berufen. Nach § 8 Abs. 1 BauNVO ist es gerade die besondere Zweckbestimmung von Gewerbegebieten, dass dort Gewerbebetriebe untergebracht werden. Dem Wohnen kommt demgegenüber ein nachrangiger Stellenwert und damit ein niedrigeres Schutzniveau zu. Wenn die Kläger sich darauf berufen, dass die Norm davon spricht, dass Gewerbebetriebe nicht erheblich belästigend sein dürften, so verkennen sie, dass der Begriff der erheblichen Belästigung in Bezug zu dem jeweiligen Baugebiet gesetzt werden muss. Nicht geschlossen werden kann daraus, dass von ihnen überhaupt keine das Wohnen belästigende Wirkung ausgehen dürfte. Mit dem Begriff der erheblichen Belästigung in § 8 Abs. 1 BauNVO soll eine Abgrenzung zum Industriegebiet vorgenommen werden, in dem solche Betriebe zulässig sind, die aufgrund ihres Störpotenzials in keinem der anderen Baugebiete zulässig wären. Demzufolge können die Kläger für ihr Grundstück, wenn auf ihm entgegen der Regel Wohnnutzung stattfindet, nicht das gleiche Schutzniveau und die gleiche Rücksichtnahme verlangen, wie etwa in einem Wohngebiet. Insbesondere sind Betriebsgeräusche, Schwerlastverkehr und Geräusche, welche durch die Be- und Entladung, sowie die An- und Abfahrt von Lkw entstehen und für ein Gewerbegebiet typisch sind, grundsätzlich hinzunehmen. Diese Duldungspflicht ist freilich nicht unbegrenzt, sondern wird durch Immissionsrichtwerte der TA Lärm konkretisiert, die das Landratsamt … in nicht zu beanstandender Weise auf den streitgegenständlichen Betrieb angewandt hat. Ziff. 6.1 b) TA Lärm sieht für Gewerbegebiete tagsüber einen Immissionsrichtwert von 65 dB(A) und nachts von 50 dB(A) vor. Im vorliegenden Fall hat das Landratsamt … in der angegriffenen Baugenehmigung von diesen Grenzwerten aufgrund der in dem Beurteilungsgebiet bereits vorhandenen Betriebe richtigerweise Abschläge gemacht und die für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete maßgeblichen Immissionsrichtwerte von tagsüber 60 dB(A) nachts 45 dB(A) zugrunde gelegt. An der Richtigkeit dieser Werte hat die Kammer keinen Zweifel, zumal der Vertreter des Sachgebiets Technischer Immissionsschutz im Landratsamt … in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und widerspruchsfrei dargelegt hat, dass diese Grenzwerte anhand von Erfahrungswerten sowohl aus der langjährigen Verwaltungspraxis als auch aus der Immissionsliteratur festgesetzt worden seien. Das Grundstück der Kläger kommt damit in den Genuss von Grenzwerten aus Baugebieten, in denen dem Wohnen ein höherer Stellenwert zukommt, als im Gewerbegebiet. Auch hat das Landratsamt … richtigerweise als maßgeblichen Immissionsort die Betriebsleiterwohnung auf dem angrenzenden Grundstück der Kläger, FlNr. …, bestimmt. Aus den Lageplänen ergibt sich darüber hinaus eine Entfernung der Westseite des klägerischen Hauses zu der errichteten Grenzmauer von ca. 22 m, zu der offenen Ostseite der Halle von ca. 25 m, und nicht 20 m, wie die Kläger behaupten. Die bestehende Lkw-Tankstelle befindet sich nicht 25 m von der Wohnung entfernt, sondern ca. 50 m.
Die Kammer geht auch davon aus, dass die Einhaltung dieser in der angegriffenen Baugenehmigung enthaltenen Grenzwerte am maßgeblichen Immissionsort bei regelmäßigem Betrieb der Anlage, insbesondere im Hinblick auf das zu erwartende Verkehrsaufkommen durch Kundenfahrzeuge und unter Berücksichtigung, dass es sich um eine Automatentankstelle handelt, auf dem Grundstück des Beigeladenen realistisch ist. Das Landratsamt … hat mit der Frage der von dem Vorhaben ausgehenden Geräuschemissionen das Sachgebiet Technischer Immissionsschutz befasst, das hierzu zwei Fachstellungnahmen abgegeben und die Einhaltbarkeit der Grenzwerte bestätigt hat. Auch ist davon auszugehen, dass in der Fachstellungnahme vom 21. September 2015 nicht nur der Erweiterungsbereich, und damit ein Teil des Gesamtbetriebs bewertet worden ist, sondern auch die bereits bestehende Tankstelle Berücksichtigung gefunden hat. Hierfür spricht, dass das Bauvorhaben entsprechend der Bezeichnung in den Planvorlagen als „Erweiterung einer bestehenden Tankstelle“ bezeichnet wurde, und in der Fachstellungnahme sodann die Rede von dem Gesamtbetrieb, bzw. dem Gesamtvorhaben, ist. In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter des Sachgebiets Technischer Immissionsschutz zudem dargelegt, dass bei einer Anlage dieser Größe die festgesetzten Immissionsgrenzwerte einen gehörigen Sicherheitsspielraum nach oben böten. Dem sind die Kläger bis zuletzt nicht substantiiert entgegengetreten, und die Kammer ist von der Richtigkeit dieser Fachstellungnahmen überzeugt.
Soweit die Kläger einwenden, es sei bereits mehrfach zu störenden Benzin- bzw. Dieselanlieferungen durch Tanklaster zur Nachtzeit gekommen, so schlägt dies nicht auf die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung durch. Vielmehr hat der Beigeladene, dem die fortwährende Einhaltung der Lärmgrenzwerte aufgegeben ist, darüber zu wachen, dass solche Anlieferungen – sollten sie nachts zu einer Überschreitung derselben führen – nur tagsüber geschehen. Entsprechendes gilt für den vom Sohn der Kläger behaupteten Staubsaugerbetrieb am Sonntag. Die Kläger sind insoweit darauf zu verweisen, beim Beklagten gegebenenfalls bauaufsichtliches Einschreiten zu beantragen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass gerade der von den Klägern als besonders lärmintensiv gerügte Betrieb der Waschanlage nur zu den immissionsschutzrechtlichen Tagzeiten, also in der Zeit von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr stattfinden darf. Bezüglich ihrer Argumentation, die Baugenehmigung enthalte keine Verpflichtung, die entsprechenden Tore beim Waschvorgang zu schließen, gilt oben Gesagtes. Die Baugenehmigung enthält jedenfalls die Verpflichtung, die Lärmgrenzwerte einzuhalten. Sollte dies nur durch Schließen der Sektional-tore möglich sein, ist der Beigeladene hierzu – ungeachtet der Aussagen seines Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung – verpflichtet, einer gesonderten Anordnung bedurfte es nicht. Dass bei einem solchen Betrieb die Richtwerte für die Tagzeit eingehalten werden können, erscheint realistisch. Die unbelegte Behauptung des Sohnes der Kläger, vor einem Fenster seines Wohnhauses habe er einen Spitzenwert von 70 dB(A) festgestellt, kann nicht zu einer anderen Einschätzung führen, da Immissionsrichtwerte entsprechend Nr. 6.4 TA Lärm im Messverfahren als Mittelungspegel ermittelt werden. Für die Tagzeit findet eine Mittelung über den gesamten Beurteilungszeitraum von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr statt – Einzelereignisse sind insoweit nicht ausschlaggebend. Dies wurde vom Vertreter des Sachgebiets Technischer Immissionsschutz in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Für die Nachtzeit wurde indes ein Betrieb der Waschanlage nicht genehmigt, und ein solcher ist auch nicht geplant. Was den Betrieb der neuen, erweiterten Tankstelle zur Nachtzeit anbelangt, so hat der Beigeladene dem Sachgebiet Technischer Immissionsschutz gegenüber erklärt, dass an den neuen Zapfsäulen keine Lkw, sondern nur Pkw tanken könnten. Die Lärmemissionen durch Lkw werden sich demnach durch den Erweiterungsbau nicht verändern. Die Behauptung der Kläger, es würden sich häufig lange Schlangen von Lkw und Rückstaus in die … bilden, welche es unmöglich machten, nachts bei geöffnetem Fenster zu schlafen, findet jedenfalls in den vom Beigeladenen vorgelegten Tankjournalen keine Bestätigung. Aus ihnen geht vielmehr hervor, dass Lkw die Tankstelle zu den immissionsschutzrechtlichen Nachtzeiten zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr nur vereinzelt aufsuchen. An den untersuchten Tagen tankten nachts maximal zwei Lkw. Dass durch die nun neu geschaffene Tankmöglichkeit für Pkw eine ins Gewicht fallende Verschlechterung eintreten wird, ist nicht zu erwarten. Pkw entwickeln wesentlich niedrigere Geräusche als Lkw, ihre Betankung nimmt deutlich weniger Zeit in Anspruch, die Motoren sind während des Tankvorgangs ausgeschaltet. Dadurch, dass Pkw nun im Erweiterungsbereich tanken können, ist auch zu erwarten, dass sie nicht mehr den vorderen Tankstellenbereich anfahren, und Lkw im Falle eines Aufeinandertreffens nicht mehr – unter Umständen mit laufendem Motor – warten müssen. Auch befindet sich die Tankstelle an einer eher abgelegenen Stelle in dem Gewerbegebiet und nicht etwa an einer befahrenen Durchgangsstraße, so dass auch deswegen nachts nicht mit viel Tankverkehr zu rechnen ist. Für den Fall, dass sich der Tankverkehr insbesondere nachts in relevanter Weise erhöhen könnte, hat der Beklagte weitere Maßnahmen in Aussicht gestellt.
Der Einwand der Kläger, die Zu- und Abfahrt des Tankstellenverkehrs vom Grundstück FlNr. … erfolge abweichend von den Darstellungen in den Planvorlagen nicht nach Osten, sondern über das Grundstück FlNr. …, verhilft der Klage ebenso wenig zum Erfolg. Der Zu- und Abfahrtsverkehr nach Osten ist von den Klägern im Gewerbegebiet grundsätzlich hinzunehmen, sollte er planabweichend nach Westen erfolgen, würde das sogar eine Entlastung der Kläger bedeuten. Der von der Tankstelle bzw. Waschanlage ausgelöste Verkehr auf öffentlichen Straßen ist nach Nr. 7.4 TA-Lärm ohnehin nicht relevant.
Auch hinsichtlich etwaiger beim Betrieb der Waschanlage durch Reinigungsmittel entstehender Geruchsbelästigungen, die von den Klägern erstmals in der mündlichen Verhandlung angesprochen wurden, kann ein Verstoß gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme nicht erkannt werden. Die Kläger können im Gewerbegebiet nicht verlangen, dass von der angrenzenden Tankstelle überhaupt keine Gerüche ausgehen, vielmehr sind solche in dem Gebiet grundsätzlich hinzunehmen. Dass die Schwelle der Zumutbarkeit überschritten werde, ist nicht substantiiert vorgetragen worden.
Nach alledem geht die Kammer davon aus, dass das genehmigte Vorhaben den Klägern gegenüber nicht gegen das baurechtliche Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme verstößt.
1.3.4
Das Vorhaben steht auch im Einklang mit dem Bauordnungsrecht. Es wurde vom Beklagten wegen der fälschlichen Anwendung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens in der Baugenehmigung nicht unter dem Gesichtspunkt des Abstandsflächenrechts gemäß Art. 6 BayBO beurteilt. Richtigerweise hätte das Baugenehmigungsverfahren nach Art. 60 BayBO durchgeführt werden müssen, zu dessen Prüfungsumfang das Abstandsflächenrecht zählt. Dieser Fehler wirkt sich indes nicht auf die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung aus und die Kläger können sich auf ihn nicht berufen, da das Vorhaben jedenfalls nach den genehmigten Plänen nicht gegen abstandsflächenrechtliche Vorschriften verstößt. Als Stützmauer und auch als geschlossene Einfriedung kann die entlang der Grundstücksgrenze zum klägerischen Grundstück FlNr. … errichtete Mauer die Privilegierung in Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO für sich in Anspruch nehmen, wonach solche Mauern im Gewerbegebiet ohne eigene Abstandsflächen und ohne Längenbegrenzung zulässig sind. Auch die Industriehalle hält die Abstandsflächen zum Nachbargrundstück mit 0,25 H im Gewerbegebiet, mindestens 3,0 m gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO ein.
1.3.5
Die Baugenehmigung genügt noch dem Bestimmtheitsgrundsatz. Die Baupläne und die vorgelegte Betriebsbeschreibung sind in der Zusammenschau zu betrachten. Die bauliche Anlage wird durch sie ausreichend konkretisiert. Nicht erforderlich ist es, jeden technischen Ablauf und jedes in dem Betrieb eingesetzte Gerät eigens zu bezeichnen. Durch die vorgelegten Unterlagen werden die geplante Betriebsart und auch der geplante bzw. erwartete Betriebsumfang ausreichend deutlich, so dass die Bauordnungsbehörde auf dieser Grundlage eine Entscheidung über die baurechtliche Zulässigkeit treffen konnte.
2.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Klägern auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil sich dieser durch Stellung eines Antrags gemäß § 154 Abs. 3 VwGO auch dem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
3.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708, 711 ZPO.


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