Baurecht

Änderung der Nutzung von Einzel- zu Großhandel

Aktenzeichen  1 ZB 19.2258

Datum:
27.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14657
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 2
BauGB § 29
VwZVG Art. 31 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Der Wechsel von Großhandel zum Einzelhandel und umgekehrt stellt eine Nutzungsänderung dar, denn das Baurecht unterwirft, wie sich aus den Vorschriften der Baunutzungsverordnung über zulässige Nutzungen in den Baugebieten ergibt, Einzelhandel und Großhandel unterschiedlichen Regelungen (vgl. BVerwG, BeckRS 9998, 45088). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 18.737 2019-05-09 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 9. Mai 2019 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf jeweils 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin betreibt in den Räumen eines ehemaligen Lebensmittelmarkts einen Großhandel für den Vertrieb von Käse. Die aus verschiedenen europäischen Ländern sowie von regionalen Erzeugern gelieferten Käse-Rohlinge werden in Kühlräumen gelagert, affiniert und an Hotels, Gaststätten, eigene Einzelhandelsgeschäfte und Privatkunden versendet. In einem kleinen Verkaufsraum wird die Ware auch direkt abgegeben. Den gestellten Bauantrag nahm die Klägerin zurück, nachdem ihr von dem Beklagten mitgeteilt worden ist, dass die Nutzungsänderung nicht genehmigungsfähig sei. Mit Bescheid vom 16. Januar 2018 untersagte der Beklagte die Nutzung als Betrieb für Produktion und Versand von Käsewaren mit Seminar- und Schulungsangebot. Von der Nutzungsuntersagung ausgenommen ist die Nutzung des Verkaufsraumes. Die erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Mai 2019 ab. Die verfügte Nutzungsuntersagung sei rechtmäßig und das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 10.000 Euro nicht überhöht. Die von der Klägerin ausgeübte Nutzung liege außerhalb der Variationsbreite der Nutzung, die für den Betrieb des „Kaiser-Markts“ genehmigt worden sei, ihr komme aus dem Blickwinkel der maßgeblichen öffentlichrechtlichen Vorschriften eine andere Qualität zu als der bisherigen Nutzung. Das Vorhaben sei auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor oder werden bereits nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, das der Bescheid des Beklagten vom 16. Januar 2018 rechtmäßig ist.
Eine Nutzungsänderung im bauplanungsrechtlichen Sinn liegt vor, wenn durch die Verwirklichung eines Vorhabens die einer genehmigten Nutzung eigene Variationsbreite verlassen wird und durch die Aufnahme dieser veränderten Nutzung bodenrechtliche Belange neu berührt werden können, so dass sich die Genehmigungsfrage unter bodenrechtlichem Aspekt neu stellt (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2010 – 4 C 10.09 – BVerwGE 138, 166; U.v. 18.5.1990 – 4 C 49.89 – NVwZ 1991, 264). Jede Änderung der Nutzungsweise einer baulichen Anlage, die die Genehmigungsfrage neu aufwirft, stellt eine Nutzungsänderung im Sinn des § 29 BauGB dar. Das trifft für den Wechsel von Großhandel zum Einzelhandel und umgekehrt zu, denn das Baurecht unterwirft, wie sich aus den Vorschriften der Baunutzungsverordnung über zulässige Nutzungen in den Baugebieten ergibt, Einzelhandel und Großhandel unterschiedlichen Regelungen (vgl. BVerwG, U.v. 3.2.1984 – 4 C 25.82 – BVerwGE 68, 360; OVG NW, B.v. 11.2.1997 – 10 B 3206/96 – juris Rn. 7). Bodenrechtlich relevant ist eine Änderung der Nutzungsweise auch dann, wenn sie für die Nachbarschaft erhöhte Belastungen mit sich bringt (vgl. BVerwG, B.v. 7.11.2002 – 4 B 64.02 – juris Rn. 6).
Nach diesen Maßstäben liegt eine Nutzungsänderung vor, da der genehmigte kleinere Lebensmittelmarkt (Verkaufsfläche ca. 340 m²) überwiegend eine Nutzung als Großhandel erhält, der bauplanungsrechtlich nicht mehr als Laden oder Einzelhandelsbetrieb, sondern als sonstiger Gewerbebetrieb einzustufen ist. Die Nutzung als Großhandel hatte die Klägerin in ihrem Bauantrag angegeben, sie ergibt sich auch aus der Betriebsbeschreibung vom 6. März 2017. Die Klägerin beliefert nicht nur ihre eigenen zahlreichen Filialen, sondern auch Hotels und Restaurants in Deutschland und Österreich. Bei dem Verkauf bzw. Versand an gewerbliche Verbraucher handelt es sich nicht um Einzelhandel (vgl. BVerwG, U.v. 3.2.1984 a.a.O.). Soweit die Klägerin vor Ort einen Laden betreibt, hat der Beklagte diesen aus der Nutzungsuntersagung ausgenommen. Der Beklagte ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass die Ware in den Betriebsräumen nicht nur gelagert und versandfertig gemacht wird, sondern auch behandelt wird. Die von der Klägerin mittlerweile für einen anderen Betriebsstandort beantragte Genehmigung wurde als Einbau eines Produktions-/Lagerbetriebs für Käse erteilt (vgl. Baugenehmigung vom 23.1.2020). Die Nutzung eines großen Teils der ehemaligen Verkaufsfläche für die Lagerung und das Affinieren des Käses führt auch dazu, dass es zu Geruchsbelästigungen für die Wohnungen in den Obergeschossen kommen kann. Dies zeigen die zahlreichen Nachbarbeschwerden sowie die im Baugenehmigungsverfahren eingeholte immissionsschutzrechtliche Stellungnahme. Durch diese Immissionen und den Lieferverkehr bzw. LKW-Verkehr werden bodenrechtliche Belange neu berührt. Soweit die Klägerin mit dem Vortrag, dass das Verwaltungsgericht eigene Feststellungen zu „Geruch“ und „Lärm“ hätte treffen müssen, eine Verletzung der Aufklärungspflicht als Verfahrensfehler geltend machen will, wird dem Darlegungserfordernis nicht ansatzweise genügt. Es ist nicht maßgeblich, wie vorgetragen wird, dass auch ein Supermarkt Käse verkauft, auch von einem Supermarkt Lärm und Geruch ausgehen können und ob ein Online-Handel Bestandteil eines Supermarkts sein kann. Die Klägerin hat in den Betriebsräumen eine neue Nutzung aufgenommen, die nach städtebaulichen Gesichtspunkten anders als bisher zu beurteilen ist. Auf die Frage, ob auch bauordnungsrechtlich andere Anforderungen gelten, kommt es nicht mehr entscheidungserheblich an.
Die Klägerin wendet sich weiter ohne Erfolg dagegen, dass die Nutzung zu Seminar- und Schulungszwecken untersagt wurde. Die pauschale Behauptung, seit „über zwei Jahren“ keine Seminar- und Schulungsangebote mehr abgehalten zu haben, spricht nicht gegen eine beabsichtigte Nutzung zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses. Das Verwaltungsgericht hat hier zutreffend auf die Betriebsbeschreibung und die durchgeführten Veranstaltungen Bezug genommen.
Für die Nutzungsuntersagung reicht grundsätzlich die formelle Baurechtswidrigkeit aus; etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die nicht genehmigte Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist. Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass das Vorhaben bereits nicht offensichtlich genehmigungsfähig sei, da ihm nach der Stellungnahme des fachlichen Immissionsschutzes nur bei Einhaltung diverser Nebenbestimmungen zugestimmt werden könnte. Die Klägerin übersieht bei ihrem Einwand, die diversen Nebenbestimmungen seien inhaltlich nicht bestimmt, dass es sich vorliegend nicht um das Baugenehmigungsverfahren handelt. Aus der Stellungnahme ergeben sich auch konkrete Feststellungen, so u.a. zu den Betriebsvorgängen und zu den gebäudetechnischen Gegebenheiten. Es wird darauf hingewiesen, dass unabhängig von der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens Voraussetzung für die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens wäre, dass die geruchsführenden Durchbrüche und Versorgungsschächte innerhalb des Gebäudes geruchsdicht ausgeführt würden, was im Baugenehmigungsverfahren nachzuweisen wäre. Auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass es unabhängig davon auch nicht offensichtlich sei, dass sich das Vorhaben nach der Art der Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge, kommt es bereits nicht mehr entscheidungserheblich an. Im Übrigen kann der Einlassung der Klägerin, dass es sich bei dem Ortsteil O* … in historischer und topographischer Hinsicht um ein „Dorf“ handle, so dass der gesamte Ortsteil die nähere Umgebung im Sinn von § 34 Abs. 1 BauGB darstelle, und der Betrieb der Klägerin jedenfalls als Laden im Sinn von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO anzusehen sei (vgl. dazu die Ausführungen oben) nicht gefolgt werden.
Substantiierte Einwendungen gegen die festgesetzte Zwangsgeldhöhe liegen nicht vor. Das Zwangsgeld soll den Pflichtigen effektiv zur Befolgung einer Anordnung anhalten, es soll eine „Beugewirkung“ auf den Pflichtigen ausgeübt werden (vgl. BayVGH, B.v. 19.7.2017 – 10 ZB 16.133 – juris Rn. 12). Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG gibt hierzu als eine Ermessenserwägung vor, dass diese Wirkung vor allem erzielt wird, wenn durch das Zwangsgeld ein wirtschaftlicher Vorteil abgeschöpft wird, der im Fall der Nichterfüllung der Nutzungsuntersagung sonst beim Pflichtigen verbliebe. Damit muss die Behörde bei der Bemessung des Zwangsgeldes jedoch nicht einen Nachweis des wirtschaftlichen Vorteils führen (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2008 – 15 CS 08.455 – juris Rn. 19).
2. Auf die geltend gemachten besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache kommt es entweder nicht entscheidungserheblich an oder die auftretenden Fragen können anhand der einschlägigen Rechtsprechung beantwortet werden. Auf die Rechtsausführungen im Beschluss wird Bezug genommen.
3. Den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hat die Klägerin bereits nicht ausreichend dargelegt (vgl. zur Darlegungslast z.B. BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Im Übrigen sind die gestellten Fragen auch nicht entscheidungserheblich.
4. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.4 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Abänderungsbefugnis des Senats für die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 GKG. Der wirtschaftliche Schaden der Nutzungsuntersagung bzw. die getätigte, noch nicht amortisierte Aufwendung der Klägerin liegt jedenfalls in Höhe der Zwangsgeldandrohung vor.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben