Baurecht

Anfechtung der Baugenehmigung für Neubau eines Mobilfunkmastes

Aktenzeichen  1 CS 22.24

Datum:
11.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 1950
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3

 

Leitsatz

1. Eine Baugenehmigung kann von Nachbarn nur angegriffen werden, wenn diese die Verletzung einer drittschützenden Vorschrift geltend machen kann. Eine Klage bzw. ein Antrag nach § 80a Abs. 3 iVm § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig, wenn die von den Nachbarn behaupteten Rechte offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihr zustehen können. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nach seinem objektivrechtlichen Gehalt schützt das Gebot der Rücksichtnahme die Nachbarschaft vor unzumutbaren Einwirkungen, die von einem Vorhaben ausgehen, wobei es eine besondere gesetzliche Ausformung in § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BauGB mit dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen gefunden hat. Es betrifft jedoch auch Fälle, in denen sonstige nachteilige Wirkungen in Rede stehen, wozu die Rechtsprechung „optisch bedrängende“ Wirkungen, die von einem Bauvorhaben auf bewohnte Nachbargrundstücke ausgehen, zählt (vgl. BVerwG BeckRS 2007, 20399). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gegenstand einer Standortbescheinigung für eine Mobilfunksendeanlage ist die Feststellung, dass bei Einhaltung des definierten standortbezogenen Sicherheitsabstands der Schutz von Personen vor elektromagnetischen Feldern, die infolge des innerhalb eines bestimmten Frequenz- und Leistungsspektrums beantragten und im Übrigen gesetzlich vorgegebenen Betriebs der Anlage entstehen, in ausreichendem Maß gewährleistet ist, so dass ein Betrieb in diesem Umfang zulässig ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
4. Durch das Nebeneinander von Baugenehmigung und Standortbescheinigung entsteht keine Rechtsschutzlücke für betroffene Dritte, da die Standortbescheinigung einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
5. Bei § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB handelt es sich um keine drittschützende Vorschrift, sondern sie rekrutiert aus dem Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 SN 21.5652 2021-11-10 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die der Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung vom 20. August 2021 für den Neubau eines 35 m hohen Stahlgittermastes mit zwei Plattformen sowie Outdoortechnik auf Fundamentenplatte. Der Standort des Vorhabens liegt im Außenbereich in einer Waldfläche; das Grundstück der Antragstellerin liegt etwa 100 m von dem Vorhabenstandort entfernt in einem allgemeinen Wohngebiet. Am 9. November 2021 wurde die Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur erteilt.
Den Antrag, die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage anzuordnen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 10. November 2021 als unzulässig ab. Die Antragstellerin könne sich als nicht unmittelbar angrenzende Nachbarin nicht auf die Möglichkeit der Verletzung von drittschützenden Normen und eigener Rechte berufen. Sowohl eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs als auch des Rücksichtnahmegebots seien ausgeschlossen. Insbesondere sei die Standortbescheinigung nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens und es bestehe keine Prüfpflicht der Baugenehmigungsbehörde; eine Konzentrationswirkung des Baugenehmigungsverfahrens bestehe nicht. Die Standortbescheinigung liege außerdem vor, die dort festgelegten Sicherheitsabstände würden eingehalten.
Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, dass eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme jedenfalls möglich sei. Vorliegend habe zum Zeitpunkt der Baugenehmigung noch die Standortbescheinigung gefehlt, es habe noch keine Gefahrenprüfung mit Ausweisung von Sicherheitsabständen stattgefunden. Eine Auflage im Baugenehmigungsbescheid, dass eine Standortbescheinigung vor Baubeginn bzw. Inbetriebnahme vorgelegt werden müsse, fehle; das mache die Baugenehmigung auch unbestimmt. Bei Nichtübereinstimmung der Standortbescheinigung mit der erteilten Baugenehmigung sei eine Rechtsverletzung durch schädliche Umwelteinwirkungen möglich. Die beim Augenschein vorgelegte Standortbescheinigung habe nicht mehr angemessen überprüft werden können. Zudem bestehe keine Ausweichmöglichkeit in der Blickbeziehung insbesondere vom aufwendig gestalteten Garten aus, das eingereichte Lichtbild mit Baukran verdeutliche die tatsächlichen Dimensionen. Auch bedürfe es des gewählten Standorts nicht für eine ausreichende Versorgung, ein staatlicher Versorgungsauftrag wie für das Festnetz bestehe für das Mobilfunknetz nicht.
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung der Beschwerde und tritt dem Vorbringen entgegen.
Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2022 nahm die Antragstellerin nochmals Stellung.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die der Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung zu Recht abgelehnt, da der Antragstellerin die Antragsbefugnis fehlt.
Die Baugenehmigung kann von der Antragstellerin als Nachbarin nur angegriffen werden, wenn sie die Verletzung einer drittschützenden Vorschrift geltend machen kann. Ihre Klage bzw. ihr Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig, wenn die von ihr behaupteten Rechte offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihr zustehen können (vgl. BVerwG, B.v. 22.12.2016 – 4 B 13.16 – juris Rn. 7). Das ist vorliegend der Fall, die behauptete Verletzung des Rücksichtnahmegebots liegt offensichtlich nicht vor. Soweit sich die Antragstellerin darauf bezieht, dass das Verwaltungsgericht einen Augenschein durchgeführt habe, war dieser durch die Klage bzw. den Antrag des Umweltschutzverbands veranlasst. Eine Antragsberechtigung folgt auch nicht daraus, dass die Baugenehmigung nach Art. 66 Abs. 2 Satz 4 BayBO durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt wurde; die Antragsbefugnis ist im Gerichtsverfahren individuell zu prüfen.
Nach seinem objektivrechtlichen Gehalt schützt das Gebot der Rücksichtnahme die Nachbarschaft vor unzumutbaren Einwirkungen, die von einem Vorhaben ausgehen. Eine besondere gesetzliche Ausformung hat es in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB mit dem Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen gefunden. Es betrifft jedoch auch Fälle, in denen sonstige nachteilige Wirkungen in Rede stehen. Dazu zählt die Rechtsprechung „optisch bedrängende“ Wirkungen, die von einem Bauvorhaben auf bewohnte Nachbargrundstücke ausgehen (vgl. BVerwG, B.v. 11.12.2006 – 4 B 72.06 – NVwZ 2007, 336). Von dem genehmigten Bauvorhaben gehen aber weder schädliche Umwelteinwirkungen aus noch erzeugt es eine optisch bedrängende bzw. erdrückende Wirkung auf die ca. 100 m entfernt liegende Wohnbebauung.
Die Gefahr einer Gesundheitsgefährdung durch elektromagnetische Felder kann durch die angefochtene Baugenehmigung nicht hervorgerufen werden, da mit dieser der Betrieb der Antennen nicht genehmigt wird. Ortsfeste Funkanlagen sind der speziellen bundesrechtlichen Genehmigungspflicht des § 4 Abs. 1 BEMFV unterworfen. Erst nach Erteilung der sog. Standortbescheinigung darf der Betrieb einer solchen Anlage aufgenommen werden. Gegenstand dieser Bescheinigung ist die Feststellung, dass bei Einhaltung des definierten standortbezogenen Sicherheitsabstands der Schutz von Personen vor elektromagnetischen Feldern, die infolge des innerhalb eines bestimmten Frequenz- und Leistungsspektrums beantragten und im Übrigen gesetzlich vorgegebenen Betriebs der Anlage entstehen, in ausreichendem Maß gewährleistet ist, so dass ein Betrieb in diesem Umfang zulässig ist (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2021 – 22 CS 21.2284 – juris). Durch das Nebeneinander von Baugenehmigung und Standortbescheinigung entsteht auch keine Rechtsschutzlücke für betroffene Dritte, da die Standortbescheinigung einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 16.12.2021 – 1 CS 21.2410 – juris Rn. 16; B.v. 19.10.2017 – 1 ZB 15.2081 – juris Rn. 6; B.v. 8.6.2015 – 1 CS 15.914 – juris Rn. 13). Soweit im Hinblick auf diese Rechtsprechung vorgetragen wird, dass die Standortbescheinigung zum Zeitpunkt der Baugenehmigung vorliegen müsse, übersieht die Antragstellerin bereits, dass es im Rahmen der Nachbarklage nicht allein auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Behördenentscheidung ankommt, nachträgliche Änderungen zugunsten des Bauherrn sind zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.2010 – 4 B 43.10 – BauR 2011, 499; B.v. 23.4.1998 – 4 B 40.98 – NVwZ 1998, 1179). Die am 9. November 2021 erteilte Standortbescheinigung konnte daher bei der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung berücksichtigt werden. Gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es nach dieser Bescheinigung ausgeschlossen sei, dass die Sicherheitsabstände auf dem Grundstück der Antragstellerin liegen, werden im Beschwerdeverfahren keine substantiierten Einwände erhoben.
Soweit auf die baulich erdrückende Wirkung der Mobilfunksendeanlage Bezug genommen wird, konnte das Verwaltungsgericht seine Feststellung treffen, ohne sich einen Eindruck des Vorhabenstandorts vom Grundstück der Antragstellerin aus zu machen. Masten können für Wohngebäude nur in Extremfällen eine erdrückende Wirkung entfalten, die für den Eigentümer unzumutbar sind (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2021 – 4 A 14.19 – juris Rn. 69; U.v. 14.3.2018 – 4 A 5.17 – BVerwGE 161, 263). Der Vorhabenstandort liegt entgegen dem Beschwerdevorbringen ca. 100 m von dem Grundstück der Antragstellerin entfernt. Dies ergibt sich aus einer Messung aus BayernAtlas sowie dem von der Antragstellerin im Antragsverfahren vorgelegten Plan. Angesichts der erheblichen Entfernung und der Lage am Rand einer Waldfläche, so dass die Bäume bereits jetzt einen Teil des Mastes verdecken (vgl. auch die vorgelegte Bildaufnahme), ist eine erdrückende Wirkung offensichtlich ausgeschlossen. Das Interesse der Eigentümer von Wohngrundstücken, die Aussicht in eine bisher unbebaute Landschaft nicht beeinträchtigt zu bekommen, ist baurechtlich nicht schützenswert. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Grundstücksmarkt möglicherweise auf eine solche Veränderung mit einer Minderung des Verkehrswerts reagiert (vgl. BVerwG, B.v. 9.2.1995 – 4 NB 17.94 – NVwZ 1995, 895).
Das Vorhaben ist auch nicht rücksichtslos, wie die Antragstellerin meint, weil eine fehlerhafte Standortwahl vorliege. Die Antragstellerin kann sich im Klage- bzw. Antragsverfahren nur darauf berufen, dass die bauliche Anlage gegen baurechtliche Vorschriften verstößt, die auch ihrem Schutz zu dienen bestimmt sind. Bei § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB handelt es sich um keine drittschützende Vorschrift, sondern sie rekrutiert aus dem Gebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichs. Bei der Prüfung der Ortsgebundenheit der Anlage kommt es darauf an, ob dem Bauherrn ein Ausweichen auf einen ebenfalls geeigneten Standort im Innenbereich zumutbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 4 C 2.12 – BVerwGE 147, 37). Eine Standortalternativenprüfung findet im baurechtlichen Verfahren nicht statt; steht fest, dass ein Vorhaben an dem vom Bauherrn gewählten Standort Rechte des Nachbarn nicht verletzt, kann dieser die Baugenehmigung nicht durch einen Hinweis auf seines Erachtens besser geeignete Alternativstandorte zu Fall bringen (vgl. BVerwG, B.v. 26.6.1997 – 4 B 97.97 – NVwZ-RR 1998, 357). Auch auf eine mögliche Verletzung von Umweltbelangen kann sich die Antragstellerin nicht berufen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vorm Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben