Baurecht

Anfechtung einer Baugenehmigung für Errichtung einer Doppelhaushälfte

Aktenzeichen  1 ZB 15.606

Datum:
5.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 40764
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 20 Abs. 4, § 22 Abs. 2

 

Leitsatz

Soweit eine Terrasse einer Doppelhaushälfte, die Teil des Hauptbaukörpers ist, mit einem Höhenunterschied errichtet wird, wird die Doppelhausqualität nicht in Frage gestellt solange die beiden grenzständigen Gebäude nach wie vor als Einheit wahrgenommen werden. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 K 13.1210 2015-01-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Die Berufung ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Die Rüge der Kläger, das Verwaltungsgericht habe im Verfahren nicht erörterte Gesichtspunkte zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, so dass die Entscheidung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinn von Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO beruhe, ist unbegründet.
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verbietet, dass ein Beteiligter durch eine gerichtliche Entscheidung im Rechtssinne „überrascht“ wird. Eine Überraschungsentscheidung im Rechtssinne liegt vor, wenn das Gericht seiner Entscheidung tragend eine Rechtsauffassung zugrunde legt, die weder im Verwaltungs- noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erörtert wurde und die etwa in ihrer Spezialität zunächst als fernliegend anzusehen ist und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (BVerwG, U. v. 19.7.1985 – 4 C 62.82 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 170; B. v. 15.5.2008 – 2 B 77.07 – NVwZ 2008, 1025 m. w. N.). Die Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (BVerwG, U. v. 11.11.1970 – 6 C 49.68 – BVerwGE 36, 264; B. v. 4.7.2007 – 7 B18.07 – juris Rn. 5). Ansonsten muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (st. Rspr., vgl. etwa BVerwG, B. v. 29.1.2010 – 5 B 21.09 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 61 Rn. 18 und B. v. 26.2.2013 – 4 B 53.12 – juris Rn. 4; B. v. 13.10.2015 – 4 B 24.15 – juris Rn. 8).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben:
Die Kläger stimmten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht sowohl der Anordnung des Ruhens des Verfahrens als auch einer eventuellen Fortsetzung des Rechtsstreits ohne weitere mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren zu. Aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht geht die Darstellung der Kläger nicht hervor, dass das Verwaltungsgericht nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Ortseinsicht davon ausgegangen sei, es sei eine Abstandsflächenrelevanz der streitgegenständlichen erhöhten Terrasse des Beigeladenen zu bejahen. Insoweit handelt es sich – wie der Beigeladene vorträgt – wohl um eine subjektive und offenbar unrichtige Einschätzung des Verlaufs der mündlichen Verhandlung seitens der Kläger. Wie vom Beigeladenen letztlich unbestritten im Berufungszulassungsverfahren vorgetragen, hat das Verwaltungsgericht zu keinem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung – auch nicht nach Unterbrechung und Beratung der Kammer – erkennen lassen, dass es der Klage Erfolgsaussichten beimesse.
Das Urteil beruht auch nicht – wie von den Klägern vorgetragen – lediglich auf Vermutungen. Das Verwaltungsgericht weist aus der Sicht des Senats zutreffend darauf hin, dass auch die Kläger zum nördlichen Grundstück hin eine Stützmauer errichtet haben und sich die Terrassentüren der Kläger und der Beigeladenen jeweils im Norden auf ähnlich hohem Niveau befinden. Dies bedeute, dass die Kläger ursprünglich ebenfalls vorgehabt hätten, eine erhöhte Terrasse – vermutlich in ähnlicher Höhe wie die Beigeladenen – zu bauen. Wie sich aus den Akten ergebe, hätten sie sich jedoch im Nachhinein entschlossen, an der Grenze zum Grundstück der Beigeladenen einen Lichtschacht (richtig: Lichtgraben) für ein Fenster im Keller zu errichten (s. hierzu im Einzelnen unter 2.).
Entgegen der Auffassung der Kläger stützt das Verwaltungsgericht diese Meinung nicht lediglich auf Vermutungen. Wie es auf Seite 10/11 der Urteilsgründe darlegt, hat es sich seine Überzeugung aus den Feststellungen während des Ortstermins und den in den Gerichtsakten befindlichen Fotos (Blatt 9 und 36 der Behördenakte Nr. S 2011/5425) gebildet.
2. Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Soweit sich die Kläger diesbezüglich darauf berufen, dass sich das Verwaltungsgericht nicht mit der Rechtsprechung zur drittschützenden Wirkung von planerischen Festsetzungen einer Doppelhausbebauung auseinandersetze und im Übrigen schon gar „keine Doppelhausbeziehung im bauplanungsrechtlichen Sinn“ vorliege, führt auch dies nicht zur Zulassung der Berufung.
Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO werden in der offenen Bauweise die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. Im System der offenen Bauweise gewinnt der Begriff des Doppelhauses seine planungsrechtliche Bedeutung dadurch, dass die bauliche Anlage auf zwei Nachbargrundstücken errichtet wird. Die Festsetzung der offenen Bauweise betrifft allein die Anordnung der Gebäude auf dem Baugrundstück im Verhältnis zu den seitlichen Grenzen der Nachbargrundstücke. Doppelhäuser, die auf verschiedenen Grundstücken errichtet werden, zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie gemeinsame Grundstücksgrenzen ohne seitlichen Grenzabstand überwinden. Sie erscheinen daher in der offenen Bauweise zunächst als systemwidrig. Der Verordnungsgeber hat sich in § 22 Abs. 2 BauNVO für eine „Modifikation“ der offenen Bauweise entschieden, die dem Begriff des Doppelhauses eine eigenständige, das Abstandsflächengebot an der gemeinsamen Grundstücksgrenze überwindende Bedeutung verleiht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ein Doppelhaus im Sinn von § 22 Abs. 2 BauNVO eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden (BVerwG, U. v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – BVerwGE 110, 355; U. v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290; U. v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – BayVBl 2015, 642; B. v. 14.9.2015 – 4 B 16.15 – juris). Dabei ist das Erfordernis der baulichen Einheit nur erfüllt, wenn die beiden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden. Ob zwei grenzständig errichtete Baukörper ein Doppelhaus bilden, lässt sich weder abstrakt-generell noch mathematisch-prozentual bestimmen. Es bedarf einer Würdigung des Einzelfalls unter Betrachtung quantitativer und qualitativer Gesichtspunkte (vgl. zuletzt BVerwG, U. v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – BayVBl 2015, 642; B. v. 14.9.2015 – 4 B 16.15 – juris). Kein Doppelhaus entsteht, wenn ein Gebäude gegen das andere so stark versetzt wird, dass es den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst (BVerwG, U. v. 24.2.2000, a. a. O.). Die Frage, ob zwei an der gemeinsamen Grundstücksgrenze errichtete Gebäude (noch) ein Doppelhaus bilden, beurteilt sich allein nach dem Merkmal des wechselseitigen Verzichts auf seitliche Grenzabstände, mit dem eine spezifisch bauplanerische Gestaltung des Orts- und Straßenbildes verfolgt wird.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die dem Beigeladenen genehmigte Ausführung der Terrasse nicht zu beanstanden. Da die Terrasse, die Teil des Hauptbaukörpers ist (siehe die gesonderte Erwähnung von Terrassen in § 20 Abs. 4 BauNVO), die Doppelhausqualität nicht in Frage stellt, kann sie nach § 22 Abs. 2 BauNVO an der Grundstücksgrenze errichtet werden. Der Höhenunterschied zwischen der Unterkante des Lichtgrabens vor dem Kellerfenster der Kläger und der Terrasse des Beigeladenen ändert nichts daran, dass die beiden grenzständigen Gebäude nach wie vor als Einheit wahrgenommen werden. Angesichts der Höhendifferenz von etwa 1,50 m vermag die Terrasse, die auch vom Grundstück der Kläger aus betrachtet deutlich niedriger als etwa ein eingeschossiger Anbau ist, nicht den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus zu vermitteln. Darüber hinaus stellt sich die Terrasse auch nicht als rücksichtslos dar. Das Verwaltungsgericht hat sich vor Ort davon überzeugt, dass – wie die Kläger selbst vortragen – die Hochterrasse an der gemeinsamen Grundstücksgrenze etwa 1,15 m höher als das Grundstück der Kläger ist und der Höhenunterschied der Terrasse zum Lichtgraben der Kläger ungefähr 1,50 m beträgt. Insoweit hat es – allerdings bezogen auf die Abstandsflächenproblematik (vgl. hierzu unten) – zu Recht darauf abgestellt, dass die benachbarten Grundstückseigentümer in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs eingebunden sind und sich hieraus gegenseitige Rücksichtnahmepflichten ergeben. Wie unter 1. bereits erörtert, ist den in den Gerichtsakten befindlichen Fotos (Blatt 9 und 36 der Behördenakte – BA (BV-Nr.: S 2011/5425) zu entnehmen, dass auch die Kläger an der östlichen sowie nördlichen Grundstücksgrenze Aufschüttungen vorgenommen haben und auch sie zur Straße hin und zum nördlichen Grundstück Stützmauern errichtet haben (Bild vom 9.5.2012, Bl. 36 der Behördenakte). Wie (auch) dem vom Beigeladenen im Berufungszulassungsverfahren vorgelegten Foto (Bl. 69 der VGH-Akte) unschwer zu entnehmen ist, hatten auch die Kläger ursprünglich beabsichtigt, eine erhöhte Terrasse vermutlich in ähnlicher Höhe wie der Beigeladene zu errichten. Sie haben sich nach Aktenlage allerdings offensichtlich im Nachhinein dazu entschlossen, an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen statt des ursprünglich vorgesehenen, auf Erdgeschossniveau endenden Lichtschachts, wie es in dem, dem Freistellungsverfahren zugrundeliegenden Eingabeplan vorgesehen war, einen Lichtgraben für ein Fenster im Keller zu errichten. Beide Häuser waren daher so konzipiert, dass sie erhöhte Terrassen mit Türen zum nördlichen Bereich erhalten sollten. Zutreffend stellt das Verwaltungsgericht deshalb auch auf die geplante Höhe der Terrasse der Kläger ab und weist darauf hin, dass in einer Gesamtschau von keiner gebäudeartigen Wirkung der Terrasse des Beigeladenen gegenüber der Terrasse der Kläger ausgegangen werden kann, da die Terrasse des Beigeladenen allenfalls geringfügig höher gewesen wäre als die ursprünglich geplante, direkt angrenzende Terrasse der Kläger.
Nach alledem kommt es auf die vom Verwaltungsgericht behandelte Abstandsflächenproblematik nicht an, weil nach Planungsrecht (§ 22 Abs. 2 BauNVO) an die Grenze gebaut werden durfte (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO). Dass das Verwaltungsgericht die Doppelhausproblematik nicht geprüft hat, ändert nichts an der Richtigkeit seines Urteils. Im Übrigen weist es zutreffend darauf hin, dass unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalles nicht von einer gebäudegleichen Wirkung der Terrasse des Beigeladenen im Sinn von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO ausgegangen werden kann. Schließlich führt auch die Auffassung der Kläger, die vom Beklagten geforderte Umwehrung habe vom Verwaltungsgericht hinsichtlich einer etwaigen Abstandsflächenrelevanz mitberücksichtigt werden müssen, nicht weiter, da diese nachträgliche Absturzsicherung gegenüber dem Grundstück der Kläger auf der planabweichenden Abgrabung durch die Kläger entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze beruht.
Angesichts der planungsrechtlichen Zulässigkeit der Terrasse mussten auch die Hilfsanträge der Kläger erfolglos bleiben.
Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Zulassungsverfahrens (§ 154 Abs. 2, § 159 VwGO i. V. m. § 100 ZPO). Sie haben billigerweise auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der sich im Zulassungsverfahren geäußert hat, zu tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 6.7.1 des Streitwertkatalogs.


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