Baurecht

Antrag auf Anordnung der Stilllegung der Bauarbeiten, Missachtung der gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage, Gerichtliches Ermessen

Aktenzeichen  RO 7 S 21.2293

Datum:
22.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42496
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO i.V.m. § 80a Abs. 3 S. 1
VwGO § 80a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 937,50 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Anordnung der Stilllegung der Bauarbeiten am Bauvorhaben der Beigeladenen.
Der Beigeladenen wurde mit Bescheid vom 13.7.2021 in der Fassung des Bescheides vom 10.9.2021 durch die Antragsgegnerin eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Garagenstellplätzen auf dem Grundstück Fl. Nr. 937/5 der Gemarkung H. erteilt. Die Antragsteller, die Eigentümer der nördlich an das Bauvorhaben angrenzenden Grundstücke Fl. Nrn. 937/32 und 937/16 der Gemarkung H. sind, wandten sich im Klagewege gegen das Bauvorhaben der Beigeladenen und suchten zudem um einstweiligen Rechtschutz nach. Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11.11.2021 (Az. RO 7 S 21.1765) wurde die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen den Bescheid vom 13.7.2021 in der Fassung des Bescheids vom 10.9.2021 (Az. RO 7 K 21.1469 und RO 7 K 21.1930) angeordnet. Das zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben verletze nach Aktenlage die abstandsflächenrechtlichen Regelungen des drittschützenden Art. 6 BayBO, da die Außentreppenanlage entlang der nördlichen Außenwand die erforderliche Abstandsflächentiefe von 0,4 H, mindestens aber 3 m, nicht einhalte. Gegen diesen Beschluss legte die Beigeladene Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ein.
Am 19.11.2021 beantragten die Antragsteller die Einstellung der Bauarbeiten für das Bauvorhaben.
Nach Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht habe die Beigeladene die Bauarbeiten nicht eingestellt. Die Antragsgegnerin sei aufgefordert worden, eine Baueinstellung zu verfügen. Dem Antragstellervertreter sei telefonisch jedoch mitgeteilt worden, dass eine Baueinstellung nicht beabsichtigt sei. Am 19.11.2021 fänden nach wie vor Bauarbeiten statt. Wie die angehängten Lichtbilder zeigten, befänden sich Bauarbeiter auf der Baustelle, die mit mehreren Baufahrzeugen angekommen seien und Arbeiteten verrichteten. Die Beschwerde gegen den Beschluss habe keine aufschiebende Wirkung.
Die Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Beigeladenen mit einem für sofort vollziehbar zu erklärenden Bescheid aufzugeben, von der Genehmigung vom 13.7.2021 in der Fassung des Bescheides vom 10.9.2021 keinen weiteren Gebrauch zu machen, insbesondere die Arbeiten zur Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses mit Tiefgarage insgesamt einzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Die Beigeladene habe sich verpflichtet, sämtliche Arbeiten an den Außenanlagen einstweilen einzustellen. Die Arbeiten seien zwischenzeitlich erklärungsgemäß eingestellt worden. Nachdem das Ziel des Antrags aufgrund der Fertigstellung des Rohbaus verfehlt worden sei, erstrecke sich die Entscheidung lediglich auf die Außenanlagen des Bauvorhabens. Eine Anordnung der Baueinstellung liege im Ermessen der Stadtverwaltung und § 149 VwGO sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Es werde auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17.8.2010 (Az. 15 CS 10.981) verwiesen.
Die Beigeladene stellt keinen eigenen Antrag. In der Sache führt sie aus, dass sich die Beigeladene mit Schreiben vom 17.11.2021 und vom 19.11.2021 gegenüber der Antragsgegnerin verpflichtet habe, keine weiteren Baumaßnahmen an den Außenanlagen des Grundstücks vorzunehmen, so dass kein Bedürfnis für eine gerichtliche Verfügung bestehe. Jedenfalls sei eine etwaige Baueinstellung auf die im Beschluss vom 11.11.2021 allein monierte Abstandsflächenverletzung der Außenanlage zu beschränken. Der seitens des Gerichts nicht mehr behandelte und in seinem Rohbau fertig gestellte Hauptbaukörper könne nicht mehr zum Teil einer Baueinstellung gemacht werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte RO 7 S 21.2293 sowie die beigezogenen Gerichtsakten RO 7 S 20.2454, RO 7 K 20.2337, RO 7 S 21.1429, RO 7 K 21.1469 und RO 7 S 21.1765 nebst der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag gerichtet auf die einstweilige Stilllegung der begonnenen Bauarbeiten hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere gem. § 80a Abs. 3 Satz 1 VwGO i.V.m. § 80a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 VwGO statthaft.
a) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 VwGO). Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen (vgl. § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO). § 123 Absätze 1 bis 3 VwGO gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a VwGO (vgl. § 123 Abs. 5 VwGO), so dass bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung auch hinsichtlich der Maßnahmen zur Sicherung der Rechte Dritter ausschließlich § 80a VwGO gilt (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.1993 – 14 AS 93.790, BeckRS 1993, 11347, beck-online).
b) Dem Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen steht nicht entgegen, dass es grundsätzlich der Bauaufsichtsbehörde obliegt, im Rahmen ihres Ermessens das Erforderliche zur Sicherung der Rechte der Antragsteller zu veranlassen. Denn wenn – wie hier – die Bauaufsichtsbehörde der in Ziffer I. des gerichtlichen Beschlusses vom 11.11.2021 angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klagen nicht in der gebotenen Weise Rechnung trägt (s.u.), kann das Gericht die Behörde zu entsprechenden Sicherungsmaßnahmen verpflichten.
c) Auch die zwischenzeitlich durch die Beigeladene eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11.11.2021 (Az. RO 7 S 21.1765) ändert daran nichts.
Unabhängig von der Frage, ob der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 11.11.2021 mangels vollstreckbarer Beschlussformel nicht der Bestimmung des § 149 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2010 – 15 CS 10.981, Rn. 18) entfaltet die Entscheidung des Gerichts über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ihre rechtsgestaltende Wirkung mit Wirksamwerden der Entscheidung durch Bekanntgabe der Beteiligten (vgl. Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, VwGO § 149 Rn. 1; a.A. ohne weitergehende Begründung BayVGH, B.v. 17.8.2010 – 15 CS 10.981 -, Rn. 18, juris). Die Beschwerde gegen den Beschluss hindert wegen des Suspensiveffekts zwar den Eintritt der formellen Rechtskraft, ändert jedoch bis zu einer abweichenden Entscheidung des Beschwerdegerichts nichts an der Wirksamkeit des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses, mit dem die aufschiebende Wirkung der Klagen angeordnet wurde.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
a) Zwar ist der erforderliche Sicherungsgrund gegeben.
Allein der Umstand, dass die Beigeladene auf Grund der streitgegenständlichen Baugenehmigung bereits mit den Bauarbeiten begonnen hat, genügt nicht für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, da grundsätzlich zu erwarten ist, dass die Beteiligten eine gerichtliche Entscheidung auf Aussetzung der Vollziehung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch ohne Sicherungsmaßnahmen respektieren (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2009 – 2 CS 09.2121 -, Rn. 11 ff., juris). Für die von diesem Grundsatz abweichende Annahme, dass die Beigeladene und die Antragsgegnerin als Bauaufsichtsbehörde der in Ziffer I. des gerichtlichen Beschlusses vom 11.11.2021 angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klagen nicht in der gebotenen Weise Rechnung tragen, gibt es im konkreten Fall aber hinreichende Anhaltspunkte.
Die Antragstellerin trug unter Vorlage von Lichtbildern vor, dass insbesondere am 19.11.2021, also nach Zustellung des Beschlusses vom 11.11.2021, die Bauarbeiten auf dem Grundstück Fl. Nr. 937/5 der Gemarkung H. fortgesetzt wurden. Dass nach wie vor Bauarbeiten am streitgegenständlichen Bauvorhaben stattfinden, bestätigen die Erklärungen der Beigeladenen gegenüber der Antragsgegnerin vom 17.11.2021 und vom 19.11.2021, in denen sie sich lediglich verpflichtet, sämtliche Arbeiten an den nördlichen und südlichen Außenanlagen des Vorhabens bis zu einer obergerichtlichen Klärung einzustellen (vgl. Anlage 1 zum Schriftsatz der Beigeladenen vom 19.11.2021).
b) Die vorgenannten Verpflichtungserklärungen führen mangels Teilbarkeit des Bauvorhabens betreffend die Außenanlagen nicht dazu, dass der Sicherungsgrund entfällt.
Eine Baugenehmigung ist nicht teilbar, wenn ohne den abzutrennenden Teil kein sinnvolles oder dem Willen des Bauherrn entsprechendes Vorhaben übrigbleibt (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 23.9.1991 – 6 L 131/89 -, Rn. 6, juris). Die Außenanlagen stehen in untrennbarem planerischen Zusammenhang mit dem Gesamtvorhaben, insbesondere dem Hauptgebäude des Mehrfamilienhauses. Die Treppenanlagen dienen u.a. der Erschließung des rückwärtigen Grundstücksbereiches und ermöglichen einen Zugang zu den Räumlichkeiten der jeweiligen Erdgeschoßwohnung. Darüber hinaus dient der Flur der Wohnungen 1 und 2 mit seinem Zugang ins Freie auf die angrenzende Außenanlage als zweiter Rettungsweg (vgl. Eingabeplan 4, Bl. 17 d. Behördenakte 2021 – 440), so dass nach der planerischen Gesamtkonzeption der Bauherrin die Außenanlagen kein vom Wohngebäude trennbares Einzelvorhaben darstellen. Mangels Teilbarkeit kann eine Baueinstellung daher nicht nur auf die nördlichen und südlichen Außenanlagen beschränkt werden.
c) Gleichwohl steht die Entscheidung über den Erlass von Sicherungsmaßnahmen im Ermessen des Gerichts (vgl. Wortlaut § 80a Abs. 3 Satz 1 VwGO „kann“).
In die Ermessensentscheidung ist zu Gunsten der Antragsteller einzustellen, dass die Baugenehmigung vom 13.7.2021 in der Fassung des Bescheides 10.9.2021 bei summarischer Prüfung drittschützendes Abstandsflächenrecht verletzt (vgl. VG Regensburg, B.v. 11.11.2021 – RO 7 S 21.1765) und sie daher grundsätzlich ein berechtigtes Interesse haben, vor der Schaffung vollendeter Tatsachen geschützt zu werden.
Allerdings ist zu Gunsten der Antragsgegnerin und insbesondere der Beigeladenen in die Ermessensentscheidung einzustellen, dass der Rohbau des Wohnhauses nach dem nicht substantiiert in Frage gestellten Vortrag der Beigeladenen und der Antragsgegnerin mittlerweile fertiggestellt ist, so dass die Anordnung einer Baueinstellung insoweit schon ins Leere ginge, da das Rechtschutzziel der Schaffung vollendeter Tatsachen durch den Antrag nicht mehr erreicht werden kann. Soweit durch eine Baueinstellung daher noch die Fertigstellung der baulichen Außenanlagen verhindert werden kann, so hat sich die Beigeladene gegenüber der Antragsgegnerin durch textliche Erklärung verpflichtet, die Bauarbeiten an den nördlichen und südlichen Außenanlagen einstweilen einzustellen. Der Geschäftsführer der Beigeladenen erklärte zudem mit eidesstattlicher Versicherung, dass seit dem 10.11.2021 keine Arbeiten mehr an den Außenanlagen, insbesondere der nördlichen Außentreppe, durchgeführt worden seien. Zu berücksichtigen ist des Weiteren, dass das Bauvorhaben die Antragsteller bei summarischer Prüfung nach Aktenlage mit Ausnahme des abstandsflächenrechtlichen Verstoßes betreffend die Außenanlagen nicht in ihren Rechten verletzt und die Rechtsverletzung der Antragsteller betreffend die Außenanlagen möglicherweise mittels einer entsprechenden Tekturplanung oder durch Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO ausgeräumt werden könnte.
(1) Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 13.7.2021 ist gem. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hinreichend bestimmt.
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss die Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein, d.h. das genehmigte Vorhaben, insbesondere Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung muss für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen Bewertung nicht zugänglich sein (vgl. vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 18; B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7). Insbesondere Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Zwar haben Nachbarn keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht. Gleichwohl ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Baugenehmigung aufzuheben ist, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2011 – 15 CS 11.1858 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Danach begegnet die Baugenehmigung vom 13.7.2021 in der Fassung des Bescheides vom 10.9.2021 keinen durchgreifenden Bedenken.
Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 13 und § 8 Abs. 2 Nrn. 2b) und 2g) Bauvorlagenverordnung (BauVorlV) sind in den Bauzeichnungen der Anschnitt der vorhandenen und der geplanten Geländeoberfläche sowie die Wandhöhen im Sinn des Art. 6 Abs. 4 BayBO darzustellen und der Lageplan muss u.a. die Abstände der geplanten baulichen Anlage zu den Nachbargrenzen sowie die Abstandsflächen der geplanten baulichen Anlage enthalten.
Im Eingabeplan 2 (Ansichten, Schnitt, Strangabwicklung 1:100 sowie Lageplan 1:1000, Bl. 54 d. Behördenakte B-2021-10) sind unter der Ansicht „Natürliche Höhen Nord“ drei verschiedene Geländeverläufe („interpolierte Höhe zwischen Grenzpunkt Nord/Ost zu Süd/Ost“ sowie die bisher angenommene Geländeoberkante für den Bauantrag B-2020-64 in schwarzer Farbe sowie „Bestand“ mit grüner Farbe) dargestellt. Soweit die Antragsteller vorbringen, dass die Höhenlage, Werte und Berechnungen intransparent dargestellt seien und aufgrund der nur punktuellen Festsetzung der Höhenlage keine Abstandsflächenberechnung möglich sei, so kann dies nicht nachvollzogen werden. Der im Eingabeplan grün dargestellte Geländeverlauf ist maßstabsgetreu (M 1:100) dargestellt und an mehreren Stellen durch den Planzeichner und die Antragsgegnerin vermaßt. Ebenso sind in der Ansicht „Natürliche Höhen Nord“ die zur Antragstellerseite hin maßgeblichen Wandhöhen dargestellt, so dass die Abstandsflächen zum Grundstück der Antragsteller ohne Weiteres berechnet werden können.
Darüber hinaus sind im Eingabeplan 3 (Grundrisse mit Freiflächengestaltung 1:100 sowie Abstandsflächen 1:100, Bl. 52 d. Behördenakte B-2021-10) die Abstände des geplanten Vorhabens zur Nachbargrenze mitsamt den Abstandsflächen enthalten.
(2) Mit Ausnahme der nördlichen Treppenanlage (vgl. hierzu VG Regensburg, B.v. 11.11.2021 – RO 7 S 21.1765) begegnet das Vorhaben keinen abstandsflächenrechtlichen Bedenken.
(a) Maßgeblich für die Beurteilung der Begründetheit baurechtlicher Nachbarklagen ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung (vgl. BayVGH, U.v. 14.2.2005 – 26 B 03.2579 -, Rn. 15, juris). Nach dem zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung geltenden Art. 6 BayBO (geändert durch Gesetz vom 25.5.2021 mit Wirkung vom 1.6.2021, GVBl. 286) sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO.
Für Hauptgebäude beträgt die Tiefe der Abstandsflächen vorliegend 0,4 H, jeweils aber mindestens 4 m, da sich das Vorhaben in einem festgesetzten allgemeinen Wohngebiet in einer Gemeinde mit weniger als 250.000 Einwohnern befindet und der Mindestabstand abweichend zur gesetzlichen Regelung in Ziffer 8 der im Bebauungsplan „H. i. T.“ integrierten örtlichen Bauvorschrift i.S.d. Art. 81 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 Satz 1 BayBO festgesetzt ist, Art. 6 Abs. 5 Satz 1 und 2 BayBO.
Die Ermittlung des Maßes H ist in Art. 6 Abs. 4 BayBO geregelt. Hiernach bemisst sich die Tiefe der Abstandsfläche nach der Wandhöhe; sie wird senkrecht zur Wand gemessen (Satz 1). Wandhöhe ist das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand (Satz 2). Die Höhe von Dächern mit einer Neigung von bis einschließlich 70 Grad wird zu einem Drittel der Wandhöhe, von Dächern mit einer Neigung von mehr als 70 Grad voll der Wandhöhe hinzugerechnet. (Satz 3). Die Sätze 1 bis 3 gelten für Dachaufbauten entsprechend (Satz 4). Das sich ergebende Maß ist H (Satz 5).
Den unteren Bezugspunkt für die Berechnung der Wandhöhe eines Vorhabens bildet nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO die Geländeoberfläche. Der Wortlaut der Vorgängerregelung (Art. 6 Abs. 3 Satz 2 BayBO in der Fassung der Bekanntmachung vom 4.8.1997, nachfolgend: a.F.) differenzierte zwischen der „natürlichen oder festgelegten“ Geländeoberfläche. Mit der Gesetzesänderung zum Jahr 2008 (Bayerische Bauordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.8.2007) wurde Art. 6 Abs. 3 Satz 2 BayBO a.F. in Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO dahingehend geändert, dass die Differenzierung zwischen natürlicher oder festgelegter Geländeoberfläche entfiel. In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO mit Rücksicht auf die Aufhebung des Art. 10 BayBO a.F. lediglich redaktionell verändert worden sei. Maßgeblich sei – nach dem Schutzziel des Abstandsflächenrechts – die Wandhöhe von der tatsächlich bestehenden bzw. der den genehmigten Bauvorlagen zugrundeliegenden Geländeoberfläche aus (LT-Drs. 15/7161, S. 42). Der bayerische Landesgesetzgeber hat – im Gegensatz zu bspw. der Bauordnung des Landes Baden-Württemberg (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 5 LBO BW) – nicht auf die tatsächliche Geländeoberfläche nach Ausführung des Bauvorhabens Bezug genommen.
Hiervon ausgehend ist auch nach der Gesetzesänderung grundsätzlich auf die „tatsächlich bestehende“, also die natürliche, gewachsene und nicht durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderte Geländeoberfläche des Baugrundstücks abzustellen (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 -, Rn. 30, juris). Das Abstandsflächenrecht gebietet es nach seinem Sinn und Zweck jedoch nicht, ein ursprüngliches, „seit jeher so vorhandenes“ Gelände heranzuziehen, das weit in der Vergangenheit einmal vorhanden war und in der Zwischenzeit verändert wurde. Künstlich herbeigeführte Niveauveränderungen können jedenfalls nach einem Zeitablauf von 30 Jahren als maßgebliches „natürliches“ Gelände angesehen werden (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.1998 – 20 B 97.912 -, Rn. 13; B.v. 17.4.2015 – 15 CS 14.2612 -, Rn. 7, B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 -, Rn. 30, jeweils juris).
Nachdem die Kammer im einstweiligen Rechtschutzverfahren RO 7 S 20.2454 betreffend die Baugenehmigung vom 10.9.2020 Bedenken hinsichtlich des in den Bauvorlagen angenommenen, natürlichen Geländeniveaus Bedenken geäußert hatte, wird in der neuerlichen streitgegenständlichen Genehmigung auf das durch eine wesentliche Veränderung der Geländeoberfläche dauerhaft geänderte Geländeniveau abgestellt, so wie es vor Beginn der Baumaßnahmen jedenfalls über einen Zeitraum von 30 Jahren bestand. Das so zur „natürlichen Geländeoberfläche“ i.S.d. Abstandsflächenrechts gewordene Geländeniveau ist im Eingabeplan 2, Natürliche Höhen Nord (Bl. 54 d. Behördenakte B-2021-10) mit grüner Linie eingezeichnet. Gegen die Richtigkeit dieses Geländeniveaus bestehen vor dem Hintergrund der Plausibilisierung durch die GPS-Daten des Geoinformationssystems des Landesamtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung mit einer Messgenauigkeit von ± 0,2 m keine durchgreifenden Bedenken und die Richtigkeit wurde durch die Antragsteller bislang nicht substantiiert in Frage gestellt.
Im kritischen Punkt des nördlichen Firstes des Satteldaches wird die Abstandsfläche von 4,462 m (Geländeoberfläche -1,25 senkrecht zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut +9,905 = 11,155 * 0,4) ausweislich des mit Genehmigungsvermerk versehenen Abstandsflächenplanes um 0,085 m eingehalten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob sich die Festsetzung der Geländeoberfläche in Ziffer 1 des Bescheides vom 13.7.2021 aufgrund eines Ermessensausfalls als rechtmäßig erweist. Denn selbst wenn man – antragstellergünstig – davon ausgeht, dass das natürliche Gelände im Lot unterhalb des nördlichen Firstes des Satteldaches nicht bei 510,39 m ü. NN sondern bei 510,19 m ü. NN. liegt (510,39 m abzüglich 0,2 m Messungenauigkeit), so käme die Abstandsfläche von 4,542 m (± 0,00 = 511,84 m ü. NN, vgl. Eingabeplan 2  natürliches Gelände -1,45 zur Wandhöhe +9,905 = 11,355 * 0,4) noch mit 0,5 cm auf dem Grundstück der Beigeladenen zum Liegen.
Im Übrigen wird vom Hauptgebäude gegenüber der Grundstücksgrenze der Antragsteller nach Nr. 8 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes durchgehend ein Abstand von mindestens 4 m eingehalten.
(b) Des Weiteren stellt sich der im nordwestlichen Bereich des Vorhabens liegende überdachte Gehhilfen- und Fahhradabstellraum als nicht abstandsflächenrelevante bauliche Anlage dar, Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO.
Nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 BayBO sind in den Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsflächen, auch wenn sie nicht an der Grundstücksgrenze errichtet werden, Garagen einschließlich ihrer Nebenräume, überdachte Tiefgaragenzufahrten, Aufzüge zu Tiefgaragen und Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m zulässig.
Der streitgegenständliche Gehhilfen- und Fahrradabstellraum ist eine Gebäudlichkeit ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten. Unschädlich ist, dass der Abstellraum nicht isoliert errichtet sondern an das Kellergeschoß des Hauptgebäudes angebaut ist, da das abstandsflächenrechtlich nicht-privilegierte Hauptgebäude die erforderlichen Abstandsflächen einhält (s.o.).
Soweit die Antragsteller vortragen, dass das Dach des Fahrradabstellraumes zum Aufenthalt von Menschen als Zugangsfläche vorgesehen sei und als begehbare Terrasse genutzt werrde, so ändert dies nichts an der abstandsflächenrechtlichen Privilegierung.
Zwar gilt die abstandsflächenrechtliche Privilegierung des Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO nur für die dort genannten Nutzungen, so dass eine anderweitige, nicht-privilegierte Nutzung – beispielsweise eine Dachterrasse – die Privilegierung entfallen lässt. Eine derartige Nutzung als Terrasse oder Balkon lässt sich aber den mit Prüfvermerk versehenen Bauvorlagen nicht entnehmen. Der Balkon im nordwestlichen Bereich des Bauvorhabens befindet sich nicht auf der Überdachung des privilegierten Gehhilfen- und Fahrradabstellraums (vgl. EP 3, Bl. 52 d. Behördenakte B-2021-10). Im Übrigen begründet alleine die Möglichkeit einer „Zugangsfläche“ keinen Aufenthaltsraum i.S.d. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO.
Der Abstellraum hat eine Wandhöhe von durchgehend 2,95 m und weist eine Länge von 2,5 m auf (vgl. Schnitt AA, Eingabeplan 2, Bl. 54 d. Behördenakte B-2021-10), so dass auch die entsprechenden Höchstmaße eingehalten werden.
(3) Aus den gem. § 31 Abs. 2 BauGB erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans sowie einer Überschreitung der Obergrenze der Geschossfläche ergibt sich keine Rechtsverletzung der Antragsteller.
Die erteilten Befreiungen beziehen sich auf Festsetzungen des Maßes zur baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche (Geschossigkeit, Höhenlage und Baugrenze) sowie auf gem. § 9 Abs. 4 BauGB i.V.m. Art. 81 Abs. 2 Satz 1 BayBO im Bebauungsplan integrierte Gestaltungsvorschriften i.S.d. Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO (Dachneigung, Dachfarbe) und finden ihre Rechtsgrundlage in § 31 Abs. 2 BauGB bzw. dessen entsprechender Anwendung gem. Art. 81 Abs. 2 Satz 2 BayBO.
Im Rahmen einer Nachbarklage gegen Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB ist zu differenzieren, ob von Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden soll, die dem Nachbarschutz dienen. Wird eine Befreiung von nachbarschützenden Festsetzungen erteilt, ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil sie eine Voraussetzung des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht dem Nachbarschutz, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nach den Grundsätzen des Gebots der Rücksichtnahme, das im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ (§ 31 Abs. 2 BauGB) enthalten ist (BayVGH, B.v. 8.11.2016 – 1 CS 16.1864 – juris; BayVGH, B.v. 1.12.2016 – 1 ZB 15.1841 – juris). Für die Annahme einer Verletzung von Nachbarrechten reicht es daher nicht aus, wenn die Befreiung objektiv rechtswidrig ist, darüber hinaus muss das Vorhaben den Nachbarn infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigen; der Nachbar hat über den Anspruch auf „Würdigung nachbarlicher Interessen“ hinaus keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde (BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris).
Im Gegensatz zu Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung haben Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, zu den überbaubaren Grundstücksflächen und der Gestaltung der baulichen Anlagen grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion (vgl. EZBK/Söfker, 138. EL Mai 2020, BauGB § 31 Rn. 69b, m.w.N.). Die Planbetroffenen werden durch diese Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht in gleicher Weise wie bei der Festsetzung der Nutzungsart zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden, weil die Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die Gestaltung der baulichen Anlagen den Gebietscharakter in der Regel unberührt lassen und nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbar anschließenden Nachbargrundstücke besitzen. Insoweit sind die betroffenen Nachbarn ausreichend über das Gebot der Rücksichtnahme des § 31 Abs. 2 BauGB geschützt. Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, zur überbaubaren Grundstücksfläche und zur Gestaltung von baulichen Anlagen können nur ausnahmsweise dann Drittschutz vermitteln, wenn sich ein entsprechender Planungswille der Antragsgegnerin als Planungsträgerin mit der hinreichenden Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan, dessen Begründung oder sonstigen Unterlagen der planenden Gemeinde bzw. Stadt ergibt. Es reicht zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus, dass eine Festsetzung des Bebauungsplans günstige Auswirkungen auf die Nachbargrundstücke zur Folge hat (vgl. zum Maß der Nutzung BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52/95, zu gestalterischen Festsetzungen BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – und im Übrigen BayVGH, B.v. 30.6.2009 – 1 ZB 07.3058; BayVGH, B.v. 23.11.2015 – 1 CS 15.2207; BayVGH, B.v. 8.11.2016 – 1 CS 16.1864; BayVGH, B.v. 1.12.2016 – 1 ZB 15.1841 – jeweils juris).
Hiervon ausgehend dienen die von den streitgegenständlichen Befreiungen betroffenen Festsetzungen dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen bzw. gestalterischen Entwicklung und haben nicht auch den Zweck, die Rechte der Nachbarn zu schützen. Es ergibt sich weder aus der Formulierung der Festsetzungen noch aus der Begründung des Bebauungsplans der eindeutig erkennbare Wille der Antragsgegnerin, die an das Vorhabengrundstück angrenzenden Nachbarn durch die Festsetzungen zur Geschossigkeit, Höhenlage, Baugrenze, Dachneigung und Dachfarbe in ihren Rechten schützen zu wollen. Insbesondere ergibt sich nicht, dass der Plangeberin an der Erhaltung eines Ausblicks und eines Höchstmaßes an Aussicht nach Süden gelegen war. Betrachtet man den Geländeschnitt im Bebauungsplan, so sollte allenfalls – wenn überhaupt – die Aussicht nach Westen geschützt werden. Auch die sog. Wannsee-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 -, BVerwGE 162, 363-372) führt nicht dazu, dass den streitgegenständlichen Festsetzungen (ausnahmsweise) Drittschutz zukommt. Nach dieser Entscheidung verbietet der Umstand, dass ein Plangeber die Rechtsfolge einer nachbarschützenden Wirkung der Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung zum Zeitpunkt der Planaufstellung nicht in seinen Willen aufgenommen hatte, nicht, die Festsetzungen nachträglich subjektiv-rechtlich aufzuladen (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 -, BVerwGE 162, 363-372, Rn. 16). Diese Möglichkeit einer nachträglichen subjektiv-rechtlichen Aufladung von Fesetzsetzungen des Bebauungsplans, die nicht die Art der baulichen Nutzung betreffen, ist jedoch von vorne herein auf übergeleitete Bebauungspläne aus der Zeit vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes und der im Jahr 1960 beginnenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Nachbarschutz zu begrenzen. Bei jüngeren Bebauungsplänen – wie dem hier einschlägigen Bebauungsplan „H. i. T.“ aus dem Jahr 1969 – bestand für die Planungsträgerin angesichts der ausgebildeten Dogmatik zum Drittschutz durch Bauleitplanung ohne Weiteres die Möglichkeit, entsprechende Regelungen durch Dokumentation eines entsprechenden Willens (bspw. in der Planbegründung) nachbarschützend auszugestalten, so dass weiterhin allein auf den Willen der Planungsträgerin abzustellen ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 -, Rn. 26, juris).
Damit wurden ausschließlich Befreiungen von nicht nachbarschützenden Festsetzungen erteilt, so dass die Antragsteller keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, sondern nur auf Würdigung ihrer nachbarlichen Interessen im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme haben.
Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, ist abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, auf den Rücksicht zu nehmen ist, umso mehr kann dieser an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, umso weniger muss der Bauherr Rücksicht nehmen. Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf die Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – juris).
Dies zugrunde gelegt erweisen sich die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans weder einzeln noch in der Gesamtschau als rücksichtslos gegenüber den Antragstellern. Allein die Vielzahl der Befreiungen führt nicht per se zu einer Rechtsverletzung der Antragsteller. Vielmehr sind das Bauvorhaben und die erteilten Befreiungen sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtwirkung nur nach Maßgabe des Rücksichtnahmegebots zu überprüfen (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2007 – 1 CS 06.2764 -, Rn. 33, juris).
Hinsichtlich der Befreiungen zur Geschossigkeit, zur Höhenlage, zu den Baugrenzen und der Dachneigung ist in die Interessensabwägung zunächst einzustellen, dass auch den Antragstellern von den Festsetzungen des Bebauungsplans Befreiungen hinsichtlich der Dachneigung (22°) und der Überschreitung der Baugrenzen durch das Wohnhaus und die Garage erteilt wurden. Überdies sind die Baukörper des Vorhabens und des Anwesens der Antragsteller ähnlich ausgestaltet. Beide Vorhaben weisen von West nach Ost eine Baukörpergliederung auf, wobei das Anwesen der Antragsteller im östlichen Gebäudeteil eine Traufhöhe von 8,51 m und eine Firsthöhe von 10,03 m aufweist (vgl. Schnitt B, Eingabeplan „Ansichten, Grundrisse, Schnitte 1:100“ Bl. 27 d. Behördenakte B-2001-5023). Das Vorhaben der Beigeladenen hat eine Traufhöhe von 8,32 m und eine Firsthöhe von 9,90 m (vgl. EP 2, Bl. 54 d. Behördenakte B-2021-10). Das Anwesen der Antragsteller hat eine „Garagenebene“, eine „Eingangsebene“, eine „Wohnebene“ und eine „Schlafebene“, das Vorhaben der Beigeladenen ein Kellergeschoß mit Tiefgarage und Kellerräumen sowie Erdgeschoss, Obergeschoss und Dachgeschoss. Es kann offenbleiben, ob sich die Antragsteller nach Treu und Glauben hinsichtlich der Höhenlage, der Geschossigkeit, der Dachneigung und der Überschreitung der Baugrenzen schon nicht auf die Verletzung dieser Festsetzungen berufen können, da sie durch die ihnen gewährten Befreiungen jedenfalls weniger schutzwürdig sind und sich das Vorhaben daher als nicht rücksichtslos erweist.
Im Übrigen indiziert die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften (s.o.) in tatsächlicher Hinsicht, dass das Rücksichtnahmegebot im Regelfall nicht verletzt ist (vgl. Busse/Kraus/Hahn/Kraus, 143. EL Juli 2021, BayBO Art. 6 Rn. 560, m.w.N.).
Eine abriegelnde, einmauernde und erdrückende Wirkung für die Nachbargrundstücke der Antragsteller ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls durch die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht gegeben. Zum einen ist das Anwesen der Antragsteller durch die leichte Hanglage von Nord nach Süd höher situiert und zudem über 15 m von der Grundstücksgrenze zur Beigeladenen entfernt. Zum anderen ist für die Annahme einer abriegelnden, einmauernden bzw. erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes kein Raum, wenn dessen Baukörper – wie hier – nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes (vgl. BayVGH, B. v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 -, juris, Rn. 5; B. v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 -, juris, Rn. 9).
Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn auch nicht das Recht‚ von jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen‚ wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 -, juris, Rn. 7). Mögliche Sichtbeeinträchtigungen und Verschattungen sind regelmäßig mit einem Bauvorhaben verbunden und vom Nachbarn insoweit hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2011 – 15 ZB 11.286 -, juris, Rn. 13). Allein die mögliche Verschlechterung des Lichteinfalls und eine mögliche zunehmende Verschattung auf der Südseite des Wohngebäudes der Antragsteller reichen für einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nicht aus. Das Vorhaben mag mit seiner Höhe von bis zu 9,90 m die Sichtachse nach Süden hin beeinträchtigen. Gleichwohl ist dadurch eine Belichtung, Besonnung und Belüftung des Wohngebäudes der Antragsteller nicht in unzumutbarer Weise eingeschränkt. Im Norden und im Osten des Anwesens der Antragsteller befinden sich keine weiteren Hauptgebäude in der näheren Umgebung, sodass im Übrigen eine uneingeschränkte Belichtung, Besonnung und Belüftung gewährleistet ist. Des Weiteren verbleibt den Antragstellern in Richtung Westen und Südwesten ein hinreichender Ausblick in das Tal.
Überdies ist nicht ersichtlich, inwieweit die Änderung der vorgeschriebenen Dachfarbe (anthrazit statt rot) für die Antragsteller unzumutbar sein soll.
Auch aus einer Überschreitung der Geschossflächenzahl ergibt sich keine subjektive Rechtsverletzung. Der Bebauungsplan „H. i. T.“ enthält zur Geschossflächenzahl keine Festsetzung, so dass Orientierungswerte für Obergrenzen lediglich durch § 17 BauNVO fixiert werden. Die dort genannten Orientierungswerte dürfen gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 BauNVO aus städtebaulichen Gründen überschritten werden, wenn die Überschreitung durch Umstände ausgeglichen ist oder durch Maßnahmen ausgeglichen wird, durch die sichergestellt ist, dass die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht beeinträchtigt werden und nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt vermieden werden. § 17 BauNVO ist grundsätzlich nicht nachbarschützend und die darin genannten Obergrenzen dienen dem öffentlichen Interesse zur Gewährleistung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und sozialgerechten Bodennutzung (vgl. BeckOK BauNVO/Jaeger, 23. Ed. 15.9.2020 Rn. 23, BauNVO § 17 Rn. 23). Infolgedessen kann sich ein Nachbar im Anfechtungsprozess gegen eine Baugenehmigung nicht auf eine Verletzung des § 17 BauNVO berufen (vgl. OVG des Saarlandes, U.v. 12.3.2009 – 2 C 312/08 -, Rn. 32, juris). Im Übrigen sind Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, zu denen auch die Geschossflächenzahl gehört (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 BauNVO), grundsätzlich nicht nachbarschützend (s.o.). Ein Wille der Antragsgegnerin dahingehend, dass die Geschossflächenzahl auch die Rechte der Nachbarn schützen sollte, ist dem Bebauungsplan nicht zu entnehmen. Dass das Vorhaben mit einer Geschossflächenzahl von 0,722 (vgl. Bl. 10 d. Behördenakte B-2021-10) gegenüber den Antragstellern die gebotene Rücksichtnahme missen lässt, ergibt sich weder in der Einzelbetrachtung noch in Gesamtschau mit den erteilten Befreiungen (s.o.).
(4) Soweit die Antragsteller rügen, dass die Grenzanlagen und die Gebäudehöhe planabweichend ausgeführt worden seien, so führt dies ebenfalls zu keiner Verletzung von Nachbarrechten. Eine planabweichende Bauausführung ist nicht von der Feststellungswirkung der Genehmigung erfasst und damit nicht verfahrensgegenständlich. Insoweit sind die Antragsteller darauf zu verweisen, ihre Rechte gegebenenfalls mittels eines Antrags auf bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber der Behörde geltend zu machen.
Nach alledem macht das Gericht im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von seinem Ermessen dahingehend Gebrauch, dass von einer Verpflichtung der Behörde zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gegenüber der Beigeladenen abgesehen wird.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, da diese keinen eigenen Sachantrag gestellt hat und sich daher keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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