Baurecht

Antrag auf Vollstreckung gegen eine Behörde aus einem Verpflichtungsurteil

Aktenzeichen  AN 9 V 19.02051

Datum:
20.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35014
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 172
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Vollstreckung gegen die Antragsgegnerin aus einem Verpflichtungsurteil.
Über das Vermögen der Antragstellerin wurde durch Beschluss des AG … vom 1. April 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Löschung der Antragstellerin im Handelsregister ist noch nicht erfolgt. Der Insolvenzverwalter hat das Antragsverfahren trotz entsprechender schriftlicher Nachfragen des Gerichts vom 7. September 2020 nicht aktiv übernommen.
Mit rechtskräftigem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Juli 2019 – Az. AN 9 K 17.01636 – wurde der Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2017 aufgehoben und diese verpflichtet, der Antragstellerin die begehrte Baugenehmigung zu erteilen. Der Antragstellerin wurde eine Ausfertigung des Urteils zugestellt. Streitgegenstand dieses baurechtlichen Klageverfahrens war der Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer Baugenehmigung für die „Nutzungsänderung eines Ladens (DVD Verleih) in eine Wettannahmestelle mit Quotenbildschirmen ohne Liveübertragung ohne bauliche Änderungen“ im Erdgeschoss des Geländes … in …, FlNr. …, Gemarkung …, die mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Juli 2017 versagt worden war.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. September 2019 wurde der Bescheid der Bauordnungsbehörde vom 17. Juli 2017 aufgehoben und zugunsten der Antragstellerin für das Vorhaben „Nutzungsänderung eines Ladens (DVD Verleih) in eine Wettannahmestelle mit Quotenbildschirmen und Liveübertragung ohne bauliche Änderungen“ in dem Anwesen … in …, Gemarkung …, FlNr. …, unter Auflagen erteilt.
Gegen die Auflagen 1 bis 4 des Bescheides erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 21. Oktober 2019 Anfechtungsklage (AN 9 K 19.02052). Über diese Klage wurde noch nicht entschieden.
Zugleich stellte die Antragstellerin einen Antrag nach § 172 S. 1 VwGO
Zur Begründung wurde ausgeführt, nach Zustellung des Urteils vom 3. Juli 2019 habe sich die Antragsgegnerin an die Antragstellerin gewandt und um Zusendung des Original-Plansatzes gebeten. Am 2. September 2019 sei dieser Plansatz der Antragsgegnerin übersandt worden. In dem Schreiben sei klar erkennbar gewesen, dass die Erteilung der Genehmigung gemäß dem Urteil gewünscht sei, obgleich sich in das Schreiben ein redaktionelles Versehen eingeschlichen habe (statt der korrekten Bezeichnung „mit Quotenbildschirmen ohne Liveübertragung“ sei die Bezeichnung „mit Quotenbildschirmen und Liveübertragung“ gewählt worden). Hierbei handele es sich um ein offensichtliches Versehen ohne Erweiterungs- und Änderungswillen. Ein Änderungsantrag sei offenkundig nicht gestellt worden. Dies folge auch aus der Bezugnahme auf die Baugenehmigung, die gemäß dem Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Juli 2019 zu erteilen sei. Nach Erhalt des Bescheids vom 19. September 2019 habe die Antragstellerin die Behörde aufgefordert, gemäß dem Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach die Baugenehmigung ohne Auflagen zu erteilen und klargestellt, dass keine Änderung des Bauantrags gewünscht gewesen sei. Die Antragsgegnerin habe die Bescheidung ohne Auflagen abgelehnt.
Der Antrag der Antragsgegnerin sei begründet; das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Juli 2019 diene als Titel gemäß § 168 VwGO. In den Fällen des § 172 VwGO bedürfe es keiner Vollstreckungsklausel. Eine Zustellung durch die Antragstellerin selbst bedürfe es nicht. Das rechtskräftige Urteil sei der Antragsgegnerin von Amts wegen durch das Verwaltungsgericht Ansbach zugestellt worden. Die Antragsgegnerin habe schriftlich dargelegt, dass sie der Aufforderung der Antragstellerin zur Erfüllung der Genehmigung ohne die Auflagen nicht nachkommen werde. Der Antrag sei erfüllt, da die Antragsgegnerin sich weigere, den Urteilstenor vollständig zu erfüllen.
Der Antrag nach § 172 Satz 1 VwGO sei auch dann gerechtfertigt, wenn die titulierte Pflicht nur unzureichend erfüllt sei. Das bestimme sich nach dem Inhalt des Vollstreckungstitels und der Reichweite seiner Rechtswirkung, wobei in erster Linie die Urteilsformel der Verpflichtungsentscheidung maßgebend sei und bei Unklarheiten deren Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend heranzuziehen seien. Auf die Seiten 4 und 10 der Urteilsgründe werde verwiesen, wonach als Nutzfläche für die Wettannahme in der „Nutzflächen- und Stellplatzberechnung vom 18. Oktober 2016 eine Grundfläche von 90,79 m² ermittelt“ worden sei (Seite 4) und die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung der Genehmigung habe, da „es den im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Baurechtsnormen entspricht und keine weiteren Ablehnungsgründe von der Beklagten nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BayBO zur Begründung der Ablehnung angeführt wurden“ (Seite 10).
Nebenanlagen und insbesondere Stellplätze gehörten nach Art. 47 BayBO zu den zu prüfenden Baurechtsnormen, sodass die Schuldnerin im Verfahren keinerlei Einwände zur Stellplatzsituation vorgetragen habe. Das Gericht habe insbesondere die Stellplatzberechnung vom 18. Oktober 2016 im Urteil explizit benannt. Für den Fall eines Erteilungsurteils bezüglich einer Baugenehmigung sei zu beachten, dass die Funktion der Verpflichtungsklage ausgehöhlt würde, wenn das Nachschieben von Auflagen möglich wäre, die eine Rechtsmaterie regelten, die zum Prüfungskanon des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO gehöre. Vorliegend sei nicht nur die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften über die Zulässigkeit baulicher Anlagen nach den §§ 29 ff. BauGB (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Var. 1 BayBO), sondern auch die Erfüllung der Anforderungen der Stellplatzsatzung der Schuldnerin, bei der es sich um eine örtliche Bauvorschrift i. S. v. Art. 81 Abs. 1 BayBO handele (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Var. 2 BayBO), Prüfungsgegenstand gewesen. Die Reichweite des Verpflichtungsurteils hindere die Antragsgegnerin daran, dem Verwaltungsakt eine belastende Nebenbestimmung zu einem Stellplatzbedarf beizufügen. Zudem habe die Antragsgegnerin in dem Klageverfahren keinen weitergehenden Stellplatznachweis über den im Baugenehmigungsverfahren vorgelegten Nachweis hinaus gefordert. Die Erlaubnis sei ohne Auflage zum Stellplatznachweis zu erteilen.
Auch sei die Stellplatzauflage rechtswidrig, da sie auf der unwirksamen Stellplatzsatzung der Antragsgegnerin beruhe. Die Bedarfsermittlung der Stellplätze orientiere sich an der Ermittlung des Differenzbedarfs zu bisherigen Nutzungen. Hierbei sei außeracht gelassen worden, dass die Stellplatzsatzung der Stadt in Bezug auf die Regelung der Stellplätze für Vergnügungsstätten nichtig sei. Nach der Garagen- und Stellplatzverordnung (GaStellV) vom 30. November 1993 seien für Gaststätten und Vergnügungsstätten andere Werte vorgesehen als in der Stellplatzsatzung der Stadt. Es sei unklar, warum Diskotheken als klassische Vergnügungsstätten gegenüber sonstigen Vergnügungsstätten privilegiert seien. Unklar sei weiter, warum in der Stellplatzsatzung die Grundregel, Gaststätten hätten einen höheren Stellplatzbedarf als Vergnügungsstätten, umgekehrt werde. Schließlich sei nicht ersichtlich, warum der Grundansatz von 1 Stellplatz je 20 m² bei Vergnügungsstätten auf 1 Stellplatz je 10 m² erhöht sei. Die in der GaStellV niedergelegten Werte seien taugliche Erfahrungswerte. Nach den Einschätzungen der Sachverständigen reiche die Beachtung der genannten Richtzahlen im Allgemeinen aus, die Stellplatzpflicht zu erfüllen. Eine Abweichung hiervon sei aufgrund der konkreten Verhältnisse im jeweiligen Gemeindegebiet möglich, bedürfe aber hinreichender Rechtfertigung und Darlegung derselben in der Satzung (OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 27.6.2001 – 8 C 11919/00; U.v. 7.102015 – C 10371/15 – beide juris). Fehle eine solche, sei die Satzung unwirksam. Eine Rechtfertigung sei im Zuge des Satzungserlasses der Antragsgegnerin unterblieben und nicht erkennbar. Die Stellplatzsatzung sei daher nichtig. Es sei allenfalls auf den Stellplatzbedarf nach der GaStellV abzustellen.
Die Antragstellerin beantragt zuletzt,
dem Schuldner zur Erteilung einer Baugenehmigung gemäß dem Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 03.07.2019, AN 9 K 17.01636, eine Frist von 2 Wochen zu setzen und für den Fall, dass die Genehmigung innerhalb der Frist nicht erteilt wird, die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR anzudrohen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, die Auffassung der Antragstellerin, in ihrem Schreiben vom 2. September 2019 handele es sich hinsichtlich der Bezeichnung des Vorhabens im Schreiben selbst als auch im Betreff des Schreibens um ein redaktionelles und offensichtliches Versehen, werde nicht geteilt. Auf die Begründung des Bescheides vom 19. September 2019 werde Bezug genommen. Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin habe vorgetragen, dem Bescheid sei unzutreffend eine Erweiterung der eingeklagten Baugenehmigung zugrunde gelegt worden und er fordere die Korrektur sowie eine auflagenfreie Erteilung der Baugenehmigung. Dies sei abgelehnt worden.
§ 172 VwGO setze voraus, dass die Behörde ihrer Verpflichtung nicht oder nicht hinreichend nachgekommen sei. Die Antragsgegnerin sei ihrer Verpflichtung zur Erteilung der Baugenehmigung aus dem Urteil vom 3. Juli 2019 nachgekommen. In zulässiger Weise seien mit der Baugenehmigung die Auflagen 1 – 4 verbunden, Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG. Bei diesen Auflagen handele sich um Verpflichtungen aufgrund von Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Verfahren zu prüfen seien, insbesondere die Vorlage des Stellplatznachweises gemäß Art. 47 BayBO, vgl. Auflage Ziffer 2. In der Regel werde im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens bereits vor der Erteilung der Baugenehmigung die Vorlage eines ordnungsgemäßen Stellplatznachweises gefordert. Die Berechnung der Stellplätze sei dem Vorprüfgutachten vom 14. Juli 2017 zu entnehmen. Da das Vorhaben bereits ausgeführt sei, seien die erforderlichen Nachweise, die Baubeginnsanzeige, die Bescheinigung Brandschutz I, die Anzeige der Nutzungsaufnahme, die Bescheinigung Brandschutz II sowie standsicherheitsrechtliche Nachweise vorzulegen, Art. 68 Abs. 5, Art. 77, 78 BayBO (vgl. Auflage Ziffer 3). Die Auflagen seien in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens, insbesondere unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes mit der Baugenehmigung verbunden worden.
Hinsichtlich des Vorbringens der Antragstellerin zur Wirksamkeit der Stellplatzsatzung sei darauf hinzuweisen, dass sich diese und insbesondere der Stellplatzschlüssel für einzelne gewerbliche und kulturelle Nutzungen am tatsächlichen Bedarf an Stellplätzen im Stadtgebiet orientiere. Auf Basis von Erfahrungswerten der letzten Jahre und der veränderten stadtentwicklungspolitischen Möglichkeiten und Ziele seien die Anforderungen fortlaufend an aktuelle Bedürfnisse angepasst worden. Die Verschärfung der Anforderungen an Wettbüros und Spielhallen resultiere aus den Beschwerden über Wildparken in deren direkten Umfeld (vgl. Ziffer 3.7 der Begründung der Satzungsänderung als Beilage 10.3 zur Beschlussvorlage vom 23.07.2014 zur Änderung der Satzung über die Herstellung und Bereithaltung von Kraftfahrzeugstellplätzen und Fahrradabstellplätzen – Stellplatzsatzung (StS) – vom 14. Dezember 2007).
Ob die Rechtskraft eines Verpflichtungsurteils auf Erlass eines begünstigenden Verwaltungsakts die Behörde hindere, dem Verwaltungsakt belastende Nebenbestimmungen beizufügen, lasse sich nicht rechtsgrundsätzlich beantworten, sondern hänge von der Reichweite der Rechtskraft des Urteils im Einzelfall ab (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2014 – 4 B 3.14 – juris, unter Bezugnahme auf VGH Baden-Württemberg, B.v. 3.1.1991 – 8 S 2901/90 – juris). Wenn die Behörde zum Erlass eines Verwaltungsakts verpflichtet worden sei, ohne dass ihr im Urteil die Beifügung von Nebenbestimmungen untersagt worden sei, dürfe sie gesetzlich begründete Nebenbestimmungen beifügen, ohne sich dem Vorwurf der Schlechterfüllung auszusetzen (vgl. OVG Münster, B.v. 13.11.2008 – 13 E 1228/08 – juris, unter Verweis auf BayVGH, U.v. 22.8.2001 – 2 B 01.74 – juris). Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, die Genehmigung ohne die Auflagen Ziffern 1 – 4 zu erteilen, sei dem Tenor der Entscheidung vom 3. Juli 2019 nicht zu entnehmen. Zur Konkretisierung der Tragweite eines Entscheidungstenors, insbesondere zu dessen Auslegung, könne nach allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Grundsätzen allenfalls auf die Entscheidungsgründe des Urteils zurückgegriffen werden, die hier lediglich das Bauplanungsrecht thematisieren; durch die Auflagen Ziffern 1 – 4 seien bauordnungsrechtliche Anforderungen an das Vorhaben gestellt worden. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin liege ein Stellplatznachweis für das Vorhaben weder vor noch sei ein solcher im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens anerkannt worden. Die „Nutzflächen- und Stellplatzberechnung“ der Antragstellerin vom 18. Oktober 2016 treffe keine Aussage über den Nachweis der Stellplätze und sei durch das Gericht zur Bestimmung der Grundfläche des Vorhabens herangezogen worden. Im Vorprüfgutachten vom 14. Juli 2017 sei bereits hinsichtlich der Stellplätze vermerkt: „Der Nachweis ist noch zu klären.“ Hinsichtlich der Inhalte der weiteren Auflagen zu Baubeginnsanzeige, Bescheinigung Brandschutz I, Anzeige der Nutzungsaufnahme, Bescheinigung Brandschutz II sowie Standsicherheitsnachweise trage die Antragstellerin schon nicht vor, dass diese Anforderungen von der Reichweite der Entscheidung erfasst seien. Im Rahmen eines Vollstreckungsantrages nach § 172 VwGO könne nicht mittelbar über einen Prozessstoff entschieden werden, der in dem vorangegangenen Erkenntnisverfahren nicht zumindest Gegenstand der Entscheidungsgründe gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegende Behördenakte sowie auf die Gerichtsakten (auch AN 9 K 17.01636 und AN 9 K 19.02052) verwiesen.
II.
Der nach § 172 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet.
A.
Der Antrag der Antragstellerin auf Vollstreckung aus dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Juli 2019 (AN 9 K 17.01636) ist zulässig, insbesondere statthaft, § 172 VwGO.
1. Nach § 172 VwGO kann das Gericht des ersten Rechtszuges auf Antrag unter Fristsetzung gegen die Behörde ein Zwangsgeld durch Beschluss androhen, wenn diese in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 VwGO und des § 123 VwGO der ihr im Urteil oder in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt (Eyermann, VwGO, 2019, § 172 Rn. 7). Anwendbar ist § 172 VwGO auch, wenn die Behörde die ihr obliegende Pflicht nur unvollkommen oder mangelhaft erfüllt; dies erlangt besondere Bedeutung, wenn bei Bescheidungsurteilen die Verwaltung zwar den Kläger beschieden, jedoch hierbei nicht die Rechtsauffassung des Gerichts beachtet hat (vgl. Kopp, VwGO, 2020, § 172 Rn. 6; Eyermann, VwGO, 2019, § 172 Rn. 12-15). Nach dieser Vorschrift kann das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag unter Fristsetzung gegen die Behörde ein Zwangsgeld bis 10.000 Euro durch Beschluss androhen, nach fruchtlosem Fristablauf festsetzen und von Amts wegen vollstrecken, wenn sie in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 VwGO und des § 123 VwGO der ihr im Urteil oder der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt.
Vorliegend wurde die Antragsgegnerin als Vollstreckungsschuldnerin entsprechend dem Tenor des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Juli 2019 (AN 9 K 17.01636) unter Aufhebung des zugrundeliegenden Bescheides vom 17. Juli 2017 nach § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO verpflichtet, der Antragstellerin und Klägerin die begehrte Baugenehmigung zu teilen. Aus dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen ergibt sich, dass die Antragstellerin die Erteilung einer bauaufsichtlichen Genehmigung für eine „Nutzungsänderung eines Ladens (DVD Verleih) in eine Wettannahmestelle mit Quotenbildschirmen ohne Liveübertragung (keine Vergnügungsstätte) ohne bauliche Änderungen“ im Erdgeschoss des Anwesens … in …, FlNr. …, Gemarkung …, begehrte.
2. Die Antragstellerin ist prozessfähig, § 13 Abs. 1 GmbHG. Die Löschung im Handelsregister ist noch nicht erfolgt (§§ 63, 73, 74 GmbHG).
3. Die Antragstellerin kann dabei das Verfahren selbst führen, da ihr Insolvenzverwalter die Übernahme abgelehnt hat (§§ 173 VwGO i.V.m. § 240 ZPO i.V.m. §§ 80, 85 Abs. 2 InsO).
B.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
§ 172 VwGO setzt in der Begründetheit voraus, dass die Behörde ihrer Verpflichtung nicht oder nicht hinreichend nachkommt. Ob der Vollstreckungsschuldner die titulierte Pflicht nicht oder nur unzureichend erfüllt hat, bestimmt sich nach dem Inhalt des Vollstreckungstitels und der Reichweite seiner Rechtskraftwirkung (vgl. Eyermann, VwGO, 2019, § 172 Rn. 12 ff.). Maßgebend ist bei gerichtlichen Entscheidungen als Vollstreckungstiteln in erster Linie der Tenor; bei Unklarheiten sind ergänzend Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen. Erfüllt ist der Anspruch nicht bereits dadurch, dass die Behörde überhaupt eine Entscheidung getroffen hat. Denn das Gebot effektiven Rechtsschutzes gebietet es, die Fälle unzureichender, unvollständiger oder sonst wie fehlerhafter Neubescheidung uneingeschränkt als Nichterfüllung anzusehen und den Betroffenen nicht auf ein neues Erkenntnisverfahren zu verweisen (OVG Münster, NVwZ-RR 1992, 518; BayVGH, B.v. 1.4.2004 – 11 C 03.2911, BeckRS 2004, 29597; VGH Kassel NVwZ-RR 1999, 805; OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2016, 358).
Es liegen zwar die allgemeinen (hierzu 1.), jedoch nicht die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen (hierzu 2.) vor.
1. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Juli 2019 (Az. AN 9 K 17.01636) ist vollstreckbar, § 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Es statuiert die Pflicht der Antragsgegnerin, deren Inhalt und Umfang sich hinsichtlich des zu erreichenden Ziels und des Geltungsbereichs aus dem Tenor, dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen ergibt. Entsprechend der Ziffer 1 des Urteilstenors wurde die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juli 2017 verpflichtet, der Klägerin die begehrte Baugenehmigung zu erteilen. Aus dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen des Urteils ergibt sich, dass die begehrte Baugenehmigung – beantragt von der Klägerin am 18. Oktober 2016, eingegangen bei der Beklagten am 3. April 2017, zwar als „Nutzungsänderung eines Ladens (DVD Verleih) in eine Wettannahmestelle mit Quotenbildschirmen ohne Live-Übertragung (keine Vergnügungsstätte) ohne bauliche Änderungen“ im Erdgeschoss der … in …, FlNr. …, Gemarkung …, bezeichnet war, tatsächlich aber wegen der nach dem Bauantrag begehrten Genehmigung der Aufstellung von Quotenbildschirmen es sich tatsächlich um eine Vergnügungsstätte handelte. Denn entscheidend war die sich aus den Bauvorlagen – insbesondere den Plänen und der Betriebsbeschreibung – tatsächlich angebende Nutzung, nicht aber deren deklaratorische Einordnung in die Kategorien der Bauantragsverordnung.
Das Gericht hat deshalb auch die planungsrechtliche Zulässigkeit einer Vergnügungsstätte im Urteil geprüft und bejaht.
Eine vollstreckbare Ausfertigung des Urteils wurde der Antragstellerin auf ihren Antrag hin ausgestellt, § 168 Abs. 2 VwGO.
2. Der Antragsgegner ist der sich aus dem Urteil vom 3. Juli 2017 ergebenden Verpflichtung, der Antragstellerin und Klägerin die begehrte Baugenehmigung unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juli 2017 zu erteilen, nachgekommen.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. September 2019, den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin zugestellt am 23. September 2019, wurde in der Ziffer 1 des Bescheidstenors der Bescheid der Bauordnungsbehörde vom 17. Juli 2017 aufgehoben. In der Ziffer 2 des Bescheidstenors wurde die Genehmigung für das oben genannte Vorhaben unter den anliegenden Auflagen erteilt. Die Erteilung der Genehmigung für das streitgegenständliche Vorhaben in dem Bescheid vom 19. September 2019 stellt eine ausreichende Erfüllung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Juli 2019 dar. Da das Urteil die Erteilung der Baugenehmigung für eine Vergnügungsstätte in Form eines Wettbüros ausmacht, kam es auf die Frage, ob mit oder ohne Live-Übertragung nicht an, da die Baugenehmigung im Bescheid vom 19. September 2019 gerade ein Wettbüro in Gestalt einer Vergnügungsstätte genehmigte.
Dem steht – entgegen den Ausführungen der Antragstellerin – nicht entgegen, dass die baurechtliche Genehmigung mit den Auflagen 1 bis 4 erteilt wurde.
Ob die Rechtskraft eines Verpflichtungsurteils auf Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes die Behörde hindert, dem Verwaltungsakt belastende Nebenbestimmungen beizufügen, lässt sich nicht rechtsgrundsätzlich beantworten, sondern hängt von der Reichweite der Rechtskraft des Urteils im Einzelfall ab (BVerwG, B.v. 26.3.2014 – 4 B 3.14 unter Verweis auf VGH Mannheim, B.v. 03.01.1991 – 8 S 2901/90 – beck-online). Für die Beurteilung, ob ein Bescheidungsanspruch gem. § 113 Abs. 5 VwGO erfüllt worden ist, muss das Bescheidungsurteil zur Ermittlung der bindungsbegründenden Rechtsauffassung des Gerichts ausgelegt werden (BayVGH, B.v. 12.7.2007 – 11 C 06.868, BeckRS 2007, 30073; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 172 Rn. 12). Nachträgliche Änderungen der Sach- und Rechtslage werden von seiner Rechtskraftwirkung nicht erfasst, müssen aber mit der Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden (BVerwG NVwZ-RR 2002, 314). Ist eine Behörde zum Erlass eines Verwaltungsaktes verpflichtet worden, ohne dass ihr im Urteil die Beifügung von Nebenbestimmungen untersagt worden ist, darf sie gesetzlich begründete Nebenbestimmungen beifügen, ohne sich dem Vorwurf der Schlechterfüllung auszusetzen. Auch die Rechtskraft eines Verpflichtungsurteils auf Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes hindert die Behörde nämlich regelmäßig nicht daran, dem Verwaltungsakt belastende Nebenbestimmungen beizufügen (vgl. zu Nebenbestimmungen im Baurecht BayVGH, U.v. 22. 8. 2001 – 2 B 01.74 – juris; des Weiteren vgl. OVG Münster, B.v. 13.11.2008 – 13 E 1228/08 -BeckRS 2998, 139737; BVerwG, U.v. 21.9.1984 – 8 C 4.82 – juris; VGH Baden-Württemberg, B.v. 03.01.1991 – 8 S 2901/90, NVwZ 1991,1197; (Pietzner/Möller in Schoch/Schneider, VwGO 40. EL Februar 2021, § 172 Rn. 34).
Zu der Frage der Berechtigung oder Notwendigkeit von Nebenbestimmungen bei der Erfüllung des Verpflichtungsausspruchs durch die Vollstreckungsschuldnerin verhält sich das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Juli 2019 nicht. Es enthält insbesondere keine Ausführungen dazu, dass bei der Erteilung der Baugenehmigung Nebenbestimmungen generell ausgeschlossen sein sollten, sodass eine auf den generellen Ausschluss von Nebenbestimmungen bezogene Rechtskraftwirkung dem Urteil deshalb auch nicht zukommt.
Dem steht nicht entgegen, dass auf der Seite 4 des rechtskräftigen Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 03. Juli 2019 auf die Nutzflächen- und Stellplatzberechnung vom 18. Oktober 2016 Bezug genommen wird, in der der von der Klägerin beauftragte Architekt eine Grundfläche von 90,79 m² als Nutzfläche für die Wettannahmestelle ermittelte. Aus dem Zusammenhang ist ersichtlich, dass das beantragte Vorhaben der Wettannahmestelle als Nutzfläche eine Grundfläche von 90,79 m² vorsieht. Einer weiteren Auslegung ist die Aussage im Tatbestand des Urteils vom 3. Juli 2019 nicht zugänglich. Insbesondere sind hiermit keine weiteren Angaben zu den Anforderungen an die Stellplatzsatzung der Antragsgegnerin bzw. inhaltliche Anforderungen zur Einhaltung der Stellplatzregelung getroffen worden.
Ein Ausschluss von belastenden Nebenbestimmungen ergibt sich auch nicht aus den Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 3. Juli 2019 (Seite 10), wenn ausgeführt wird, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung für dieses Vorhaben hat, da es den im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Baurechtsnormen entspricht und keine weiteren Ablehnungsgründe von der Beklagten nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz BayBO zur Begründung der Ablehnung angeführt wurden. Im folgenden Satz ist vielmehr explizit ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid vom 17. Juli 2017 zwar rechtswidrig ist, dieser aber die Erteilung der Baugenehmigung ausschließlich aus planungsrechtlichen Gründen ablehnt. Auf bauordnungsrechtlichen Aspekte wurde darüber hinaus gerade nicht Bezug genommen, sodass sich auch eine Auslegung dahingehend verbietet.
Im Übrigen ist die Rechtmäßigkeit der fraglichen Auflagen 1 – 4 als Bestandteil des Genehmigungsbescheides der Antragsgegnerin vom 19. September 2019 im Einzelnen nicht Gegenstand des hier vorliegenden Vollstreckungsverfahrens nach § 172 VwGO, sondern bedarf insoweit der Prüfung in dem entsprechenden Hauptsacheverfahren (AN 9 K 19.02052). Aufgrund dessen musste in dem hier vorliegenden Verfahren nicht über die Frage der Wirksamkeit der Stellplatzsatzung der Antragsgegnerin entschieden werden.
Aufgrund dessen war der Antrag abzulehnen.
C.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der in Nr. 5301 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 (GKG) festgelegten gesetzlichen Festgebühr nicht (Pietzner/Möller in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 40. EL, Februar 2021, § 172 Rn. 61).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben