Baurecht

Aufgrund fehlender Planungskonzeption erfolgreicher Eilantrag im Normenkontrollverfahren gegen eine Veränderungssperre

Aktenzeichen  1 NE 21.1156

Datum:
14.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 951
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
BauGB § 14 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Anforderungen, die im Zeitpunkt des Erlasses einer Veränderungssperre an die Konkretisierung der planerischen Vorstellungen der Gemeinde zu stellen sind, sind zwar mit Rücksicht auf die gemeindliche Planungshoheit denkbar gering. Allerdings muss sich ein Mindestmaß dessen erkennen lassen, was Gegenstand und Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans bzw. der zu erwartenden Bebauungsplanänderung ist und welchen Inhalt die neue Planung haben soll. Die Gemeinde muss bereits positive planerische Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans so weit entwickelt haben, dass diese geeignet sind, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde über die Vereinbarkeit eines Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu steuern. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Veränderungssperre für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans „A.“ der Antragsgegnerin, bekannt gemacht am 17. September 2020, wird bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag in der Hauptsache außer Kraft gesetzt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die von der Antragsgegnerin am 10. September 2020 beschlossene und am 17. September 2020 bekanntgemachte Veränderungssperre.
Der Gemeinderat hat am 10. September 2020 beschlossen, einen Bebauungsplan für die Grundstücke FlNr. … und Teilflächen der Grundstücke FlNr. … und …, Gemarkung P., aufzustellen. Durch die Aufstellung soll die Schaffung eines Bürgerhauses und die Verbindung der Straßen „A.“ und der „H. straße“ erreicht werden. In derselben Sitzung beschloss der Gemeinderat nachfolgend den Erlass einer Veränderungssperre. Zur Begründung der Veränderungssperre wurde ausgeführt, dass die Gemeinde einen Aufstellungsbeschluss zum Erlass des Bebauungsplans „A.“ gefasst habe und Planungsziel die geordnete Schaffung von Wohnraum sei. Auslöser für die Bauleitplanung sei der bevorstehende Verkauf der Grundstücke FlNr. … … und … Damit bestehe die Gefahr, dass die geordnete Entwicklung in diesem Bereich vereitelt oder wesentlich erschwert würde.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin der Grundstücke FlNr. … und … Am 20. April 2021 stellte sie einen Normenkontrollantrag gegen die Veränderungssperre, über den bislang nicht entscheiden wurde (1 N 21.1155). Zugleich beantragte sie,
die Veränderungssperre für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans „A.“ der Antragsgegnerin, bekannt gemacht am 17. September 2020, vorläufig außer Kraft zu setzen.
Die Veränderungssperre sei unwirksam. Es fehle der zu sichernden Bauleitplanung an einer hinreichend konkretisierten Planung im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses. Es handle sich um eine reine Verhinderungsplanung, durch die die Antragstellerin in ihrem Eigentumsgrundrecht verletzt werde.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Inhaltlich äußerte sich die Antragsgegnerin nicht und legte trotz mehrfacher Aufforderung keine Akten vor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die Antragstellerin gemäß § 47 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Danach kann einen Normenkontroll(eil) antrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Das ist hier der Fall, da die Veränderungssperre bewirkt, dass in ihrem Geltungsbereich – und damit auf den Grundstücken der Antragstellerin – grundsätzlich Vorhaben im Sinn des § 29 BauGB nicht durchgeführt werden dürfen. Damit schränkt sie die aus dem Eigentumsrecht folgenden Nutzungsmöglichkeiten ein und berührt die aus Art. 14 Abs. 1 GG folgende Rechtsposition.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen zwingend geboten ist. Prüfungsmaßstab bei Veränderungssperren sind die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrags in der Hauptsache und damit die allgemeinen Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB. Erweist sich, dass der Normenkontrollantrag zulässig und voraussichtlich begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug der Veränderungssperre bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – BauR 2015, 968 zur Frage der Wirksamkeit eines Bebauungsplans).
Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage wird sich die angegriffene Veränderungssperre voraussichtlich als unwirksam erweisen. Angesichts dessen sprechen gewichtige Gründe für die Außervollzugsetzung der Veränderungssperre.
Nach § 14 Abs. 1 BauGB kann die Gemeinde, wenn – wie hier – ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre beschließen. Eine Veränderungssperre ist allerdings unzulässig, wenn sich der Inhalt der beabsichtigten Planung noch in keiner Weise absehen lässt, wenn die Gemeinde lediglich beschließt zu planen oder wenn die Gemeinde nur das städtebaulich Unerwünschte feststellt (vgl. BayVGH, U.v. 25.3.2010 – 2 N 06.3192 – juris Rn. 22 m.w.N.). Die Anforderungen, die im Zeitpunkt des Erlasses einer Veränderungssperre an die Konkretisierung der planerischen Vorstellungen der Gemeinde zu stellen sind, sind zwar mit Rücksicht auf die gemeindliche Planungshoheit denkbar gering. Allerdings muss sich ein Mindestmaß dessen erkennen lassen, was Gegenstand und Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans bzw. der zu erwartenden Bebauungsplanänderung ist und welchen Inhalt die neue Planung haben soll. Die Gemeinde muss bereits positive planerische Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans so weit entwickelt haben, dass diese geeignet sind, die Entscheidung der Genehmigungsbehörde über die Vereinbarkeit eines Vorhabens mit der beabsichtigten Planung zu steuern (vgl. st. Rspr BVerwG, B.v. 22.1.2013 – 4 BN 7.13 – juris Rn. 3; B.v. 1.10.2009 – 4 BN 34.09 – NVwZ 2010, 42; U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120,138). Dagegen ist es nicht erforderlich, dass die Planung bereits einen Stand erreicht hat, der nahezu den Abschluss des Verfahrens ermöglicht. Ein detailliertes und abgewogenes Planungskonzept ist nicht erforderlich. Auch das Abwägungsmaterial muss noch nicht vollständig vorliegen.
Hieran gemessen genügt die zu sichernde Planung diesen Mindestanforderungen nicht. Den vorliegenden Unterlagen lässt sich eine (Grob-)Konzeption für die Planung, insbesondere zum Flächenbedarf eines Bürgerhauses bzw. zu dessen voraussichtlichen Standort nicht entnehmen. Die Veränderungssperre bezieht sich auf eine Fläche von ca. 5.000 m², die auch bereits bebaute Flächen auf den Grundstücken FlNr. … und … umfasst. Auch der Straßenverlauf, der hinsichtlich des bestehenden Wohnhauses auf dem Grundstück FlNr. … verschwenkt werden müsste, wird nicht näher konkretisiert. Ob daneben Planungsüberlegungen hinsichtlich der bestehenden Gebäude bzw. deren Erweiterung oder neuen Bauraums bestehen, bleibt unklar. Für den Erlass der Veränderungssperre wird als Planungsziel (auch) die geordnete Schaffung von Wohnraum angegeben. Weiter fehlen Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung. Da mit der angestrebten Schaffung eines Bürgerhauses auch die Art der baulichen Nutzung gesteuert werden soll, ist der Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans noch offen, wenn – wie hier – Vorstellungen über die angestrebte Art der baulichen Nutzung der betroffenen Grundstücke fehlen (vgl. BVerwG, B.v. 16.12.2013 – 4 BN 18.13 – juris Rn. 5). Im Aufstellungsbeschluss wird lediglich genannt, dass das vorgesehene Bebauungsplangebiet im Flächennutzungsplan als Dorfgebiet dargestellt ist. Anhand der wenig konkreten Planungsvorstellungen drängt sich der Eindruck auf, dass die Gemeinde mit der Veränderungssperre erst die Zeit für die Entwicklung eines bestimmten Plankonzepts gewinnen wollte. Darauf kann eine Veränderungssperre aber nicht gestützt werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – BVerwGE 120, 138).
Da die angeführten Feststellungen auch anhand der von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen sowie des im Internet verfügbaren Gemeindeblatts der Antragsgegnerin getroffen werden können, hat der Senat davon abgesehen, die vorläufige Unwirksamkeit der Veränderungssperre nur bis zu einer Entscheidung nach Vorlage der Behördenakten auszusprechen. Eventuell in der Zwischenzeit vorliegende konkretere Planungsabsichten können nicht berücksichtigt werden, da es für die Wirksamkeit einer Veränderungssperre auf den Zeitpunkt ihres Erlasses ankommt.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG.
In entsprechender Anwendung von § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat die Antragsgegnerin die Nummer I der Entscheidungsformel in derselben Weise zu veröffentlichen wie die streitgegenständliche Satzung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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