Baurecht

bauaufsichtliche Anordnung, Standsicherheitsnachweis, Gefahrenverdacht, Zwangsmittelandrohung, unzureichende Erfüllungsfrist

Aktenzeichen  W 4 K 21.50

Datum:
23.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43237
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Ziffern I und V des Bescheids der Stadt Schweinfurt vom 18. Dezember 2019 werden aufgehoben. 
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Gründe

1. Mit Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht vorliegend ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO entscheiden.
2. Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren sind nach Abtrennung der übrigen Anordnungen allein die Ziffern I und V des Bescheids vom 18. Dezember 2019. Die Klägerin wurde mit diesen Anordnungen verpflichtet, unverzüglich, spätestens jedoch bis zum 17. Januar 2020 einen Standsicherheitsnachweis für das Wohn- und Geschäftsgebäude auf dem Grundstück B … … (Fl.Nr. … [gemeint wohl Fl.Nr. …], Gemarkung S …) in S … durch einen Sachverständigen für Statik im Bauwesen oder eine andere geeignete sachkundige Person bei der Stadt Schweinfurt – Bauverwaltungs- und Umweltamt – vorzulegen. Für den Fall, dass die Klägerin dieser Pflicht nicht oder nicht fristgerecht nachkomme, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 EUR zur Zahlung fällig.
Die von der Klägerin hiergegen erhobene Anfechtungsklage ist zulässig und begründet. Die Ziffern I und V des Bescheids der Stadt Schweinfurt vom 18. Dezember 2019 sind zu dem bei Anfechtungsklagen maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
3. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist, worauf die Beklagte zu Recht hinweist, Art. 54 Abs. 2 BayBO. Nach dieser Vorschrift haben die Bauaufsichtsbehörden u.a. bei der Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden, soweit nicht andere Behörden zuständig sind. Sie können in Wahrnehmung dieser Aufgaben die erforderlichen Maßnahmen treffen. Sie sind berechtigt, die Vorlage von Bescheinigungen von Prüfsachverständigen zu verlangen.
Voraussetzung für ein bauaufsichtliches Einschreiten i.S.v. Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO ist allerdings grundsätzlich das Vorliegen einer konkreten Gefahr i.S.d. Regelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts (vgl. OVG LSA, B.v. 22.7.2013 – 2 M 82/13 – juris; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021 Art. 54, Rn. 48 m.w.N.). Dabei ermächtigt die Vorschrift des Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO nicht nur zu Maßnahmen der Gefahrenabwehr im engeren Sinn, die voraussetzen, dass die Bauaufsichtsbehörde das Vorliegen einer Gefahr für sicher hält. Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO findet vielmehr auch Anwendung auf Maßnahmen der Gefahrenerforschung bei einem sogenannten Gefahrenverdacht. Ein solcher Gefahrenverdacht liegt vor, wenn aufgrund objektiver Umstände das Vorhandensein einer Gefahr zwar möglich, aber nicht sicher ist. Unter diesen Voraussetzungen kann die Behörde von einer weiteren Ermittlung des Sachverhalts auf eigene Kosten absehen und den verantwortlichen Personen aufgeben, zur Vorbereitung der eigentlichen Gefahrenabwehrmaßnahme den Umfang der bestehenden Gefahr zu ermitteln. Auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Standsicherheit eines Gebäudes kann verlangt werden, allerdings nur, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte bereits erhebliche Zweifel an dessen Standsicherheit bestehen (vgl. Hess. VGH, B.v. 24.6.1991 – 4 THEMATISIERT 899/91 – juris Rn. 22; Sächs. OVG, B.v. 31.3.2014 – 1 A 699/13 – juris Rn. 6; Thom in Jäde/Dirnberger, BayBO, § 54 BayBO, Rn. 63).
In Anwendung dieser Grundsätze ist die Regelung unter Ziffer I des Bescheids der Beklagten vom 18. Dezember 2019 nach Überzeugung der Kammer rechtswidrig. Der Klägerin wird der Nachweis der Standsicherheit der baulichen Anlage auf dem Grundstück B … … in S … aufgegeben. Die Voraussetzungen eines solchen Gefahrenerforschungseingriffs liegen jedoch nicht vor, insbesondere fehlt es an dem Merkmal der erheblichen Zweifel. Die Beklagte selbst führt in dem angegriffenen Bescheid aus, sie stütze die streitgegenständliche Anordnung insbesondere auf die Feststellung durch Herrn M … L … von der Planungswerkstatt S … Im Rahmen dieser Feststellungen wurde von Herrn M … L … jedoch lediglich darauf hingewiesen, dass nicht eindeutig beurteilt werden könne, ob die Standfestigkeit noch gegeben sei oder bereits Einsturzgefahr bestehe, d.h. ob von dem Haus Nummer … eine akute Gefährdung ausgeht oder nicht. Von erheblichen Zweifeln ist in der E-Mail der Planungswerkstatt jedenfalls keine Rede.
Die Beklagte benennt auch keine anderen Umstände, aus denen sich begründete Zweifel an der Standsicherheit des Gebäudes ergeben sollen. Solche sind auch nicht aus den Lichtbildern ersichtlich, die von der Planungswerkstatt gefertigt wurden. Weder sind dort lose Schindeln erkennbar, noch schadhafte Fassadenelemente.
Wie oben ausgeführt, berechtigt Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO jedoch nicht zur Anforderung eines Standsicherheitsnachweises ohne konkrete Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung der Standsicherheit. Im vorliegenden Fall wäre vielmehr nach dem Amtsermittlungsgrundsatz des Art. 24 BayVwVfG die Standsicherheit des Gebäudes zunächst von der Beklagten weiter aufzuklären gewesen. Eine reine Gefahrerforschung darf die Bauaufsichtsbehörde nicht vornehmen.
4. Damit erweist sich auch die unter Ziffer V des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Zwangsgeldandrohung als rechtswidrig, weil die unter Ziffer I verfügte Verpflichtung rechtswidrig ist.
Die Zwangsgeldandrohung ist aber auch deshalb rechtswidrig, weil die der Klägerin gesetzte Frist nach Auffassung der Kammer unangemessen ist.
Nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG ist im Rahmen der Zwangsmittelandrohung für die Erfüllung der Verpflichtung eine Frist zu bestimmen, innerhalb welcher dem Pflichtigen der Vollzug billigerweise zugemutet werden kann. Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG enthält eine zwingende rechtliche Vorgabe, deren Beachtung auch deshalb erhebliche Bedeutung zukommt, weil das Bayer. Verwaltungsvollstreckungsrecht – anders als z.B. nach § 14 Abs. 1 VwVG der Fall ist – keine gesonderte Festsetzung von Zwangsmitteln kennt (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2013 – 22 CS 13.590 – juris). Der Vollzug kann dem Pflichtigen billigerweise nur dann zugemutet werden, wenn er unter Berücksichtigung aller Umstände als angemessen und persönlich zumutbar erscheint (vgl. BayVGH, U.v. 26.1.1981 – 103 XV 78 – BayVBl 1981, 272). Maßstabsbildend für die Angemessenheit der Fristsetzung sind neben der Dringlichkeit des Vollzugs insbesondere auch die dem Pflichtigen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mittel.
Gemessen daran konnte der Klägerin vorliegend nicht billigerweise zugemutet werden, unverzüglich, spätestens jedoch bis zum 17. Januar 2020 den geforderten Standsicherheitsnachweis vorzulegen. Ausweislich der Behördenakte erfolgte die Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheids vom 18. Dezember 2019 mit Postzustellungsurkunde am Donnerstag, den 19. Dezember 2019. Der Klägerin blieben also ca. drei Wochen Zeit, einen Nachweisberechtigten zu finden, der das von der Beklagten geforderte Gutachten erstellen könnte.
Unter Beachtung der oben genannten allgemeinen Ausführungen ist in diesem Zusammenhang jedoch auch zu berücksichtigen, dass in diese Dreiwochenfrist sowohl das Weihnachtsfest, wie auch Neujahr fällt, aber auch das Dreikönigsfest, welches in Bayern ein gesetzlicher Feiertag ist. Angesichts dessen ist nach Überzeugung der Kammer die bestimmte Erfüllungsfrist von drei Wochen zu kurz bemessen, so dass auch aus diesem Grund die in Ziffer V des Bescheids ausgesprochene Zwangsgeldandrohung rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
5. Nach alldem war der Bescheid, soweit er streitgegenständlich ist, mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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