Baurecht

Bauaufsichtliches Einschreiten, Teilweise entgegenstehende Rechtskraft

Aktenzeichen  9 ZB 20.1669

Datum:
27.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9526
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 5 K 19.284 2020-06-04 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger verfolgen mit ihrer Klage bauaufsichtliches Einschreiten der Beklagten hinsichtlich eines Bauvorhabens der Beigeladenen auf deren Grundstück FlNr. … Gemarkung L … (A …straße, W …).
Sie sind Eigentümer des nordwestlich vom Baugrundstück gelegenen, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks FlNr. … derselben Gemarkung (P …straße). Sowohl das Grundstück der Kläger als auch das Baugrundstück liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „P …“ – L … … – in der Fassung der 1. Änderung vom 6. März 1985. Die Beigeladene errichtete auf dem Baugrundstück im Oktober 2016 eine u-förmige Natursteinmauer aus Quadersteinen, die mit Erdmaterial hinterfüllt wurde und im Bereich der ca. 4 m breiten Grundstücksgrenze zum Grundstück der Kläger aus zwei übereinanderliegenden, ca. 50 cm tiefen Steinreihen mit einer Höhe von insgesamt 90 cm sowie, ca. 40 cm zurückversetzt, aus einer weiteren entsprechenden Steinreihe besteht. Anschließend begann sie auf dem Baugrundstück mit der Erstellung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage, betreffend dem die Beklagte der Beigeladenen nach Vorlage von Unterlagen im Genehmigungsfreistellungsverfahren mit Schreiben vom 14. Juni 2016 mitgeteilt hatte, dass dieses genehmigungsfrei erstellt werden dürfe.
Die auf bauaufsichtliches Einschreiten durch die Beklagte gegen die errichtete Natursteinmauer und des hinterfüllten Erdreiches an der Grundstücksgrenze zum klägerischen Grundstück gerichtete Klage (Az. W 5 K 17.338) hat das Verwaltungsgericht mit rechtskräftigem Urteil vom 20. April 2018 im Hauptsowie im Hilfsantrag auf erneute Entscheidung der Beklagten über den Antrag der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten rechtskräftig abgewiesen.
Auf die im Hinblick auf die Errichtung der Natursteinmauer und vorgenommenen Geländeauffüllung neuerliche Vorlage der insoweit geänderten Unterlagen zum Bauvorhaben der Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage der Beigeladenen im Genehmigungsfreistellungsverfahren teilte die Beklagte der Beigeladenen mit Schreiben vom 13. März 2018 erneut mit, dass es nicht der Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens bedürfe.
Die hier gegenständliche am 20. März 2019 erhobene Klage mit dem Antrag der Kläger, die Beklagte zu verpflichten, gegen das Bauvorhaben der Beigeladenen bauaufsichtlich einzuschreiten, hilfsweise, über den Antrag der Kläger vom 26. November 2018 auf bauaufsichtliches Einschreiten erneut zu entscheiden, wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 4. Juni 2020 zum Teil als unzulässig, darüber hinaus als unbegründet ab. Die Klage sei wegen der Rechtskraft des die Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die u-förmige Natursteinmauer und die davon eingerahmte Geländeaufschüttung abweisenden Urteils vom 20. April 2018 zum Teil unzulässig. Soweit sich die Klage im Hinblick auf bauplanerische Festsetzungen auf bauaufsichtliches Einschreiten bezüglich der Sichtbarkeit der Mülltonnen sowie auf die Pflanzgebote des Grünordnungsplans beziehe, fehle es an der Klagebefugnis der Kläger und damit ebenfalls an der Zulässigkeit der Klage, weil die betreffenden Festsetzungen des Bebauungsplans nicht einmal ansatzweise erkennbar nachbarschützend seien. Hinsichtlich des Begehrens der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten in Bezug auf die aufgeschüttete und durch Quadersteine abgestützte Westterrasse der Beigeladenen sei die Klage zwar zulässig, weil die Klagebefugnis nicht abgesprochen werden könne, es bestehe aber kein Anspruch auf Einschreiten oder diesbezügliche ermessensfehlerfreie Entscheidung. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten, auch im Verfahren W 5 K 17.338, und die von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Soweit die Kläger geltend machen, das Verwaltungsgericht gehe fehlerhaft davon aus, dass die Klage hinsichtlich des begehrten bauaufsichtlichen Einschreitens gegen die u-förmige Natursteinmauer und die davon eingerahmte Geländeaufschüttung wegen entgegenstehender Rechtskraft des Urteils vom 20. April 2018 teilweise unzulässig sei, weil es wegen der im Hinblick auf seine Legalisierung erforderlichen Betrachtung des Gesamtvorhabens an einem wirklich identischen Streitgegenstand fehle, genügen sie mit diesem bereits erstinstanzlich vorgetragenen Vorbringen, das sich nicht näher mit den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt, bereits dem Darlegungsgebot nicht (vgl. BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 9 ZB 18.2090 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat in der hier angegriffenen Entscheidung ausgeführt, dass es in seinem Urteil vom 20. April 2018 entschieden habe, dass ein Anspruch der Kläger auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die errichtete u-förmige Natursteinmauer und die davon eingerahmte Geländeaufschüttung nicht bestehe; dies sei derselbe geltend gemachte Anspruch, nämlich ebenfalls auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die u-förmige Natursteinmauer und die davon eingerahmte Geländeaufschüttung bezogen, wie im hiesigen Klageverfahren, zumal Anhaltspunkte für zwischenzeitliche bauliche Änderungen an der Mauer oder dem Gelände nicht bestünden. Der den beiden Verfahren zugrundeliegende Lebenssachverhalt stimme folglich überein. Das von der Beklagten im Anschluss an das Urteil vom 20. April 2020 eingeleitete Genehmigungsfreistellungsverfahren führe nicht zu einer die objektiven Grenzen der Rechtskraft überschreitenden Sachverhaltsänderung. Für die sachliche Grundlage der im Urteil vom 20. April 2018 getroffenen Entscheidung über die Verpflichtung der Beklagten zu einem bauaufsichtlichen Einschreiten sei dies nicht von Bedeutung, sondern es komme allein entscheidend auf die Frage einer materiellen Rechtsverletzung der Kläger in nachbarschützenden Rechten an. Nichts Anderes gelte im anhängigen Klageverfahren.
Die Kläger setzen dem, selbst mit ihrem Vorbringen, dass bei zusammengehörenden Baumaßnahmen die Rechtsschutzmöglichkeiten nicht willkürlich in Einzelteile zerlegt werden dürften, auch nichts Durchdringendes entgegen. Es steht zwar außer Frage, dass ein Nachbar seine materiell-rechtlichen Abwehrrechte gegen ein von der Genehmigungspflicht freigestelltes Bauvorhaben gegenüber der Bauaufsichtsbehörde mit einem Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten geltend machen und diesen Anspruch auch gerichtlich verfolgen kann (vgl. BayVGH, B.v. 5.1.2018 – 9 C 17.1804 – juris Rn. 3). Das Verwaltungsgericht geht aber zu Recht davon aus, dass diese Rechtsschutzmöglichkeit nichts daran ändert, dass die Kläger im hier anhängigen Verfahren zum zweiten Mal das Einschreiten der Beklagten gegen die Errichtung der Natursteinmauer und die Geländeauffüllung durch die Beigeladene im Bereich der Grenze zu ihrem Grundstück im Klagewege erstreiten wollen. Eben dieses Ziel haben sie bereits im Verfahren mit dem Aktenzeichen W 5 K 17.338 verfolgt und sind damit rechtskräftig abgewiesen worden, was einer neuerlichen Klage auf bauaufsichtliches Einschreiten insoweit entgegensteht (vgl. BVerwG, B.v. 30.6.2014 – 2 B 99.13 – juris Rn. 13).
b) Das Vorbringen, Verstöße gegen die textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 12.0.0 betreffend das von der Straße aus nicht sichtbare Aufstellen von Mülltonnen und Nr. 4.3.2.1 zu Baumpflanzungen im privaten Gartenbereich seien von der Beklagten nicht bestritten worden und der objektive Rechtsverstoß spreche für sich, ist von vornherein schon inhaltlich nicht geeignet, ernstliche Zweifel daran zu wecken, dass das Verwaltungsgericht insoweit die Klagebefugnis der Kläger verneint hat, weil die Möglichkeit einer Verletzung der Kläger in eigenen Rechten nicht ansatzweise zu erkennen sei.
c) Auf die weiteren Ausführungen der Kläger im Zulassungsverfahren zu der textlichen Festsetzung Nr. 4.1.0 des Bebauungsplans, wonach Höhenunterschiede zwischen waagerechten Grundstücksebenen und natürlichem Gelände durch vom Eigentümer innerhalb der Grundstücksgrenzen zu errichtende Böschungen auszugleichen seien, kommt es, soweit sie sich auf die Natursteinmauer und die dahinter vorgenommene Geländeauffüllung beziehen, nicht an, da die Klage insoweit unzulässig ist. Auf die Ausführungen unter Nr. 1 a) wird verwiesen.
Soweit sich die im Zulassungsverfahren geltend gemachte subjektive Rechtsverletzung der Kläger, weil die Festsetzung Nr. 4.1.0 entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nachbarschützend sei, auch auf das begehrte bauaufsichtliche Einschreiten im Hinblick auf die aufgeschüttete und durch Quadersteine abgestützte Westterrasse der Beigeladenen richten soll, werden die Kläger wiederum dem Darlegungsgebot nicht gerecht.
Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht die Frage eines Verstoßes gegen die Festsetzung Nr. 4.1.0 hinsichtlich der Westterrasse offengelassen hat, wozu sich die Kläger im Zulassungsverhalten nicht äußern, ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass bei Festsetzungen, die nicht die Art der baulichen Nutzung betreffen, für die Frage des Nachbarschutzes entscheidend ist, ob die Festsetzung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll, was durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 23 m.w.N.). Es hat danach dem Bebauungsplan und seiner Begründung keine Anhaltspunkte dazu entnehmen können, dass der gemeindliche Planungswille der Beklagten eine nachbarschützende Wirkung der Festsetzung Nr. 4.1.0 umfasst haben könnte. Die Verortung unter der Überschrift „Böschungen“ und der Inhalt der Festsetzung legten vielmehr den Schluss nahe, dass ihr allein städtebauliche oder baugestalterische Erwägungen zugrunde liegen.
Damit setzen sich die Kläger nicht auseinander. Ihrem Vorbringen kann zudem nicht nachvollziehbar entnommen werden, weshalb die Festsetzung Nr. 4.1.0, entgegen ihrem Wortlaut, den Sinn haben soll, den Geländeverlauf in der natürlichen Beschaffenheit zu erhalten sowie einer Terrassierung vorzubeugen, und ihr deshalb eine im nachbarschaftlichen Austauschverhältnis begünstigende Wirkung zugesprochen werden könnte. Es ist außerdem nicht substantiiert vorgetragen, im Übrigen auch sonst nicht ersichtlich, dass der Plangeber die Planbetroffenen hinsichtlich der in Rede stehenden Festsetzung in ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis einbinden wollte oder nach der Plankonzeption auf ein nachbarliches Austauschverhältnis geschlossen werden müsse. Es kommt daher hier auch nicht in Betracht, die Festsetzung Nr. 4.1.0 nachträglich subjektiv-rechtlich aufzuladen, zumal der Bebauungsplan, in seiner ursprünglichen Fassung mit dieser Festsetzung bekanntgemacht am 2. Juli 1983, nicht aus einer Zeit stammt, in der man an einen nachbarlichen Drittschutz noch nicht gedacht haben würde (vgl. BVerwG, B.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 15 f.; vgl. auch BayVGH, B.v. 4.2.2020 – 9 ZB 18.1092 – juris Rn. 9; B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 26).
2. Soweit der Kläger seinen Antrag auf Zulassung der Berufung auf sämtliche Zulassungsgründe stützt und somit auch noch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) und einen Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend macht, kann er ebenfalls nicht durchdringen.
Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, lassen sich die im Zulassungsvorbringen aufgeworfenen Fragen ohne weiteres und mit zweifelsfreiem Ergebnis im Zulassungsverfahren klären. Die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts sowie der daraus resultierenden rechtlichen Folgen durch das Verwaltungsgericht und die Kläger genügen nicht, besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 9 ZB 18.1493 – juris Rn. 26). Darüber hinaus haben die Kläger schon keine grundsätzlich klärungsbedürftige Frage aufgeworfen (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2019 – 9 ZB 18.1261 – juris Rn. 17) und hinsichtlich der von ihnen angesprochenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris) auch keine Abweichung des Verwaltungsgerichts im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO dargelegt, sondern allenfalls eine fehlerhafte einzelfallbezogene Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht zu begründen versucht (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 9 ZB 16.2323 – juris Rn. 26; s. Nr. 1 c). Ein Verfahrensfehler, auf dem die Entscheidung beruhen kann, ist mangels jedweden Zulassungsvorbringens hierzu ebenfalls nicht dargetan; im Übrigen auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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