Baurecht

Bauaufsichtsrechtliche Nutzungsuntersagung für Wettbüro

Aktenzeichen  9 ZB 20.1826

Datum:
22.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16362
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 2

 

Leitsatz

1. Der Erlass einer Nutzungsuntersagung ist grundsätzlich schon dann gerechtfertigt, wenn ein genehmigungspflichtiges Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird. Die Stellung von Baugenehmigungsanträgen zur Legalisierung des Bauvorhabens ändert hieran nichts. Zwar kann ein wirtschaftlicher Schaden dadurch entstehen, dass – bei materieller Legalität – eine rechtmäßige Nutzung zeitweise bis zur Erteilung der erforderlichen Genehmigung nicht ausgeübt werden darf.   (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dieser Schaden ist jedoch begründet in der Genehmigungspflicht und trifft alle Bauwerber gleichermaßen. Er ist durch öffentliche Belange, insbesondere die präventive Gefahrenabwehr, die durch die Genehmigung geschützt werden sollen, gerechtfertigt. Dementsprechend ist lediglich zu prüfen, ob die formell rechtswidrige Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist (hier verneint für Wettbüro) und folglich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht untersagt werden dürfte. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 K 19.1414 2020-06-10 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen eine Nutzungsuntersagung hinsichtlich eines im Anwesen G. …str. … (FlNr. … Gemarkung G., N.) betriebenen Wettbüros mit einer gewerblichen Nutzfläche von 160 m².
Mit Bescheid vom 28. Juni 2019 verpflichtete die Beklagte die Klägerin die Nutzung der als Laden genehmigten Einheit im Erdgeschoss des Anwesens G. …str. … als Wettbüro innerhalb einer Frist von einem Monat ab Zustellung des Bescheids einzustellen. Ferner wurde die sofortige Vollziehung angeordnet (Nr. 1). Für den Fall der Nichteinhaltung der Frist wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 Euro angedroht (Nr. 2 des Bescheids vom 28.6.2019).
Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 10. Juni 2020 ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist nicht wegen geltend gemachter ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
1. Dem Zulassungsvorbringen der Klägerin, wonach das streitgegenständliche Wettbüro offensichtlich genehmigungsfähig sei, zumindest aber bis zur Entscheidung über den von ihr gestellten Bauantrag geduldet werden müsse, kann nicht gefolgt werden.
Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass der Erlass einer Nutzungsuntersagung grundsätzlich schon dann gerechtfertigt ist, wenn ein genehmigungspflichtiges Vorhaben ohne Baugenehmigung ausgeführt wird (vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2020 – 9 CS 20.2005 – juris Rn. 18; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 21 m.w.N.; VGH BW, U.v. 9.11.2020 – 3 S 2590/18 – juris Rn. 59 ff.). Dass die Klägerin Baugenehmigungsanträge zur Legalisierung ihres Bauvorhabens eingereicht habe, ändert hieran nichts. Zwar kann ein wirtschaftlicher Schaden dadurch entstehen, dass – bei materieller Legalität – eine rechtmäßige Nutzung zeitweise bis zur Erteilung der erforderlichen Genehmigung nicht ausgeübt werden darf. Dieser Schaden ist jedoch begründet in der Genehmigungspflicht und trifft alle Bauwerber gleichermaßen. Er ist durch öffentliche Belange, insbesondere die präventive Gefahrenabwehr, die durch die Genehmigung geschützt werden sollen, gerechtfertigt (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand März 2021, Art. 76 Rn. 284; vgl. BayVGH, B.v. 26.6.2020 – 9 CS 16.2218 – juris Rn. 26 zum Sofortvollzug einer Nutzungsuntersagung). Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang eine angebliche Verhinderungspolitik der Beklagten hinsichtlich der Ansiedlung von Wettbüros anführt, ist auf die rechtliche Möglichkeit jedes Bauherrn, etwa mit der Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO), frühzeitig auf die Dauer seines Baugenehmigungsverfahrens einzuwirken, zu verweisen. Das Verwaltungsgericht hat dementsprechend zu Recht lediglich geprüft, ob die formell rechtswidrige Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist und folglich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht untersagt werden dürfte (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2021 – 9 CS 20.2376 – juris Rn. 13).
Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit der untersagten Nutzung hat das Verwaltungsgericht mit Hinweis auf die noch zu klärende Gebietseinstufung nach der Art der baulichen Nutzung, das Fehlen des Stellplatznachweises und der denkmalrechtlichen Zustimmung nicht als gegeben erachtet. Dem tritt die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen, die Wettbüronutzung umfasse eine den mischgebietstypischen Anforderungen entsprechende genehmigungsfähige Nutzfläche, nicht substantiiert entgegen. Die Beklagte ist im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Gebietseinstufung der näheren Umgebung von einem (faktischen) Mischgebiet ausgegangen, wobei das Bauvorhaben nicht in einem gewerblich geprägten Teil liege. Zudem fehle es am erforderlichen Stellplatznachweis. Die Klägerin hat sich im erstinstanzlichen Verfahren darauf berufen, dass das Wettbüro im gewerblich geprägten Teil eines Mischgebiets liege, in dem das Wettbüro mit seiner Nutzfläche zulässig sei. Es ergibt sich daher ohne weiteres, dass hier bereits die bauplanungsrechtliche Situation des Bauvorhabens einer eingehenden Prüfung bedarf, die im Rahmen einer Offensichtlichkeitsbeurteilung nicht stattfinden kann, weshalb die Frage nach der materiellen Rechtmäßigkeit der hier in Rede stehenden Nutzung noch nicht eindeutig zu beantworten ist (vgl. BayVGH, B.v. 2.6.2017 – 9 ZB 15.1216 – juris Rn. 11; B.v. 15.1.2016 – 9 ZB 14.1146 – juris Rn. 13).
2. Das Zulassungsvorbringen zeigt auch sonst keine Unverhältnismäßigkeit der Nutzungsuntersagung oder Ermessensfehler auf.
Soweit die Klägerin geltend macht, es handele sich bei der Nutzungsuntersagung auch deshalb um einen unverhältnismäßig schwerwiegenden Eingriff in ihre Berufsfreiheit bzw. Berufsausübungsfreiheit und sie müsse sich auf Bestandsschutz berufen können, weil das Wettbüro seit Jahren mit glücksspielrechtlicher Duldung der Regierung von Mittelfranken betrieben werde, verfängt dies nicht.
Die Klägerin kann sich nicht auf einen Vertrauensschutz berufen, da das Wettbüro mangels Baugenehmigung keinen Bestandsschutz genießt (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 9 ZB 19.1612 – juris Rn. 17 m.w.N.). Sie trägt auch nichts dafür vor, dass die Beklagte sich nach Bekanntwerden der gegenständlichen nicht genehmigten Nutzungsänderung von einem Laden zu einem Wettbüro mit dessen Existenz abgefunden hätte und hieraus ein Vertrauensschutz erwachsen würde. Die von der Klägerin angeführte glücksspielrechtliche Regelungssituation entbindet sie nicht davon, eine baurechtlich erforderliche Genehmigung zu beantragen und einzuholen, zumal die Baugenehmigung – nach Aufgabe der Schlusspunkttheorie (vgl. BayVGH, GrS 1/1992 – 1 B 90.3063 – BayVBl. 1993, 370) – unabhängig von etwaigen glücksspielrechtlichen Erlaubnissen erteilt wird (vgl. Art. 59 Satz 1 BayBO; BayVGH, B.v. 12.4.2021 a.a.O.; vgl. auch B.v. 26.6.2020 – 9 CS 16.2218 – juris Rn. 20).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit dieser Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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